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Full text of "Das Marzellen Gymnasium in Köln 1450-1911 : Bilder aus seiner Geschichte :Festschrift dem Gymnasium anlässlich seiner Übersiederung gewidmet von den ehemaligen Schülern"

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Toronto, Canada 




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DAS MARZELLEN 

GYMNASIUM IN KÖLN 

1450-1911 



BILDER AUS SEINER GESCHICHTE 



FESTSCHRIFT 

DEM GYMNASIUM ANLÄSSLICH SEINER ÜBERSIEDELUNG 

GEWIDMET VON DEN EHEMALIGEN SCHÜLERN 
HERAUSGEGEBEN VON PROFESSOR DR. JOS. KLINKENBERG 



KÖLN 1911 

Druck der Kölner Verlags- Anstalt und Druckerei A.-Q. 



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JUN II 1937 




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Vorwort. 

Zur Einführung in die vorliegende Festschrift geziemt es sich, 
zunächst der Entstehungsgeschichte jener Feier i<urz zu ge- 
denken, der das Buch als Begleiter dienen soll. 

Im Jahre 1909 bildete sich aus ehemaligen Abiturienten und 
einigen Lehrern des Marzellengymnasiums ein Arbeitsausschuß 
zwecks Vorbereitung einer Abschiedsfeier der früheren Schüler bei 
der Übersiedelung der Anstalt in ihr neues Heim. Nachdem der 
Ausschuß in einer Reihe von Sitzungen die wichtigsten Fragen 
und dringendsten Vorarbeiten erledigt hatte, unterbreitete er am 
16. Dezember 1910 einer von ihm einberufenen Versammlung ehe- 
maliger Schüler seinen Plan, bei der Verlegung des Gymnasiums 
alle alten Marzellianer bei einem Festkommers und einem Festmahl 
zu vereinen und nach einem feierlichen Akte in der erinnerungs- 
reichen Aula der alten wie der neuen Anstalt eine Ehrengabe zu 
widmen: der alten eine reich illustrierte Festschrift, die in Form 
von einzelnen Bildern aus dem Leben und Wirken ihrer hervor- 
ragendsten Lehrer und Schüler künftigen Generationen von der ruhm- 
reichen Geschichte des Gymnasiums Zeugnis geben soll, der neuen 
ein Geschenk zur Förderung ihrer wissenschaftlichen Hilfsmittel. 
Diesen Vorschlägen gab die Versammlung ihre begeisterte Zu- 
stimmung und betraute den Arbeitsausschuß mit der weiteren 
Leitung der Vorbereitungen. 

Die vielgestaltigen, aus diesem ehrenvollen Auftrage erwach- 
senden Aufgaben hätte der Arbeitsausschuß in der kurzen ihm 
noch verbleibenden Zeit kaum erledigen können, wenn er nicht 
allerseits bereitwillige und wirksame Förderung erfahren hätte. 

Zu großem Danke ist er verpflichtet dem Oberbürgermeister 
unserer Stadt, Herrn Max Wallraf, Vorsitzenden des Ehrenaus- 
schusses, selbst zwar nicht Schüler des Marzellengymnasiums, 
durch seinen großen Älterohm Franz Ferdinand jedoch mit ihm 
gleichsam verwandt, und der Versammlung der Stadtverordneten für 
die Bewilligung eines städtischen Zuschusses von 2000 Mark zu den 
Kosten dieser Festschrift. Dankend sei ferner gedacht der tatkräftigen, 
begeisterten Unterstützung, die die Bestrebungen des Ausschusses 
durch den Beigeordneten der Stadt Köln, Herrn Walter Laue, 
erfahren haben. Das so oft bewährte Interesse des Geh. Kommerzien- 
rates Herrn Dr. Emil vom Rath für wissenschaftliche Forschung 
zeigte sich auch hier wieder in hellstem Lichte. Herr Dr. Richard 
Schnitz 1er, Kommerzienrat und Konsul, und sein Bankhaus 



J. H. stein in Köln haben sich unermüdlich der Vermehrung der 
Geldmittel für das Fest und die Festgaben angenommen. Die Leiter 
der verschiedenen Unterausschüsse haben wacker an der Förderung 
der Arbeiten mitgewirkt. Diesen Herren sowie den zahllosen Spen- 
dern aus dem Kreise der früheren Schüler sei hier herzlichst gedankt. 

Auf alle, die mit rührender Liebe zu ihrem Denkmale die 
Bausteine herbeitrugen und zusammenfügten, schaut dankerfüllten 
Auges die geistige Mutter hernieder. Wenn heute das Denkmal 
der Öffentlichkeit übergeben wird, so gebührt es sich, den Ehren- 
platz in der Festversammlung dem leitenden und mitschaffenden 
Künstler einzuräumen und seine großen Verdienste hervorzuheben: 
Prof. Dr. Jos. Klinkenberg war es, der sich in der Versammlung 
der alten Schüler am 16. Dezember vor. Js. sofort in liebens- 
würdigster Weise bereit erklärte, die Herausgabe der geplanten 
Festschrift in die Wege zu leiten, und dem es in kurzer Zeit gelang, 
den Plan des Buches zu entwerfen, aus der großen Fülle des 
Materials die zu behandelnden Lebensbilder auszuwählen und geeig- 
nete Mitarbeiter zu werben. Mit bewundernswerter Liebe und Aus- 
dauer und mit Aufopferung aller seiner Kräfte hat er sich von Anfang 
bis zu Ende der freudig übernommenen Aufgabe gewidmet. Ihm ist 
der Arbeitsauschuß zu unauslöschlichem Dank verpflichtet. 

Durch Spendung von Mitteln für die Beifügung der notwen- 
digsten Quellenangaben hat Herr Justizrat Julius Maaßen den 
Herausgeber sehr verpflichtet. Der inzwischen verstorbene Geheime 
Sanitätsrat Prof. Dr. Eduard Lent hat uns, ohne Schüler der 
Anstalt zu sein, bei unserem Werke glücklich über die ersten 
Schwierigkeiten hinweggeholfen. 

Aus der stillen Studierstube tritt heute die Festschrift den 
Weg in die Welt an. Wir wünschen ihr, was jeder gute Vater 
dem geliebten Kinde beim Abschied von dem Elternhause wünscht: 
eine freundliche und nachsichtige Aufnahme bei den Menschen da 
draußen und eine lange Lebensdauer, damit ihr dereinst, wenn 
wieder einmal das altehrwürdige Marzellengymnasium vor einem 
bedeutsamen Wendepunkte seiner Entwicklung steht, viele neue 
Ruhmesblätter angefügt werden können, die, ebenso wie die heutigen, 
künden von der Anhänglichkeit der alten Schüler an 
die geistige Mutter. 

KÖLN, den 20. September 1911. 

Der Vorsitzende des Arbeitsausschusses: 
DR. MED. Paul bermbach. 



Der Ehrenausschuß besteht aus den Herren: 

Oberbürgermeister Wallraf; 

Generalleutnant z. D. Conzen, Exzellenz; 

Geh. Justizrat Carl Custodis; 

Oberlandesgerichtspräsident Dr. C. Morkramer; 

Weihbischof Dr. Jos. Müller; 

Geh. Kommerzienrat Dr. E. vom Rath ; 

Kommerzienrat Dr. R. Schnitzler, Konsul ; 

Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Thome; 

Polizeipräsident vonWeegmann; 

Geh. Regierungsrat von Weise, Oberbürgermeister a D.; 

Prof. Dr. Wesener, Direl<tor des Marzellengymnasiums; 

Geh. Justizrat Dr. H am Zehnhoff, Mitglied des Reichstags. 

Der Arbeitsausschuß setzt sich zusammen 
aus den Herren: 

Dr. med. P. Bermbach; 

Prof. Dr. W. Bermbach; 

Dr. med. Gerhartz; 

Dr. med. Hopstein; 

Pfarrer Kastert; 

Prof. Dr. Klinkenberg; 

Justizrat Notar Krings, Stadtverordneter; 

W. Laue, Beigeordneter der Stadt Köln; 

Amtsgerichtsrat Dr. Lauten ; 

Justizrat Dr. V. Schnilzler, Stadtverordneter; 

Dr med. H. Schulte; 

Prof. P. Wedekind. 

Durch Zeichnung größerer Beträge für das Fest und 
die Festschrift haben sich besonders verdient gemacht: 

Oberregierungsrat a. D J. Baascl; 
Notar Justizrat S. Fröhlich; 
Kommerzienrat M. von Guilleaume; 
Geh. Kommerzienrat Th. von Guilleaume; 
Kommerzienrat und Stadtverordneter L.Hagen; 
Geh. Kommerzienrat N. Heidemann; 



Direktor Dr. M. Heimann; 

Notar Justizrat J. Krings, Stadtverordneter; 

Dr. H. R. Langen; 

Beigeordneter W.Laue; 

Weingutsbesitzer Corn. Müller; 

Geti. Kommerzienrat Dr. E. vom Rath; 

Wwe. Geh Bergrat Prof. Dr. G. vom Rath; 

Wwe. Reciitsanwalt Dr. A. Scheiff ; 

Landgerictitsrat a. D. Paul Schnitzler; 

Kommerzienrat und Konsul Dr. R. Schnitzler; 

Justizrat und Stadtverordneter Dr. V. Schnitzler ; 

Kommerzienrat M. Seligmann; 

Geh. Justizrat Notar E. Thurn; 

Polizeipräsident E. von Weegmann; 

Definitor J. P. Zaun ; 

Geh. Justizrat Dr. H.'am Zehnhoff, M. d. R. 




Aula des Marzellengymnasiums. 



Vorbericht des Herausgebers. 

Als dem Unterzeichneten der ehrenvolle Auftrag zur Herausgabe 
dieser Festschrift zuteil wurde, da konnte es nicht zweifelhaft 
sein, daß die glorreiche Geschichte des Marzellengymnasiums, der 
ältesten Lehranstalt der Rheinlande, ja des ganzen deutschen Westens, 
den Stoff dazu bieten müsse. Zwei Bearbeitungen lagen bis dahin 
vor: die eine von Franz Joseph von Bianco im ersten Bande 
seines Werkes „Die alte Universität Köln und die spätem Gelehrten- 
Schulen dieser Stadt", Köln 1855, die andere von dem Direktor 
des Marzellengymnasiums Prof. Dr. Heinrich Milz in den Schul- 
programmen der Jahre 1886, 1888 und 1889 mit einer Ergänzung 
im Programm 1901. So verdienstlich aber auch diese Arbeiten 
für die Zeit ihrer Entstehung waren, heute reichen sie bei weitem 
nicht aus, da ihren Verfassern das unerschöpfliche Material un- 
zugänglich war, das unser städtisches Archiv gegenwärtig bietet, 
besonders in den Abteilungen „Universitäts-Akten" (Städtische 
Aufsicht und Provisoren Nr. 22, 30, 34, 36, 38, 39 — Artistische 
Fakultät Nr. 146—201 — Gymnasium Tricoronatum: a) Inventare 
Nr. 594—598; b) Allgemeine Verwaltung Nr. 599—614; c) Schüler- 
und Prüfungslisten Nr. 615 — 654; d) Unterrichtswesen, Festauf- 
führungen, Schülerarbeiten Nr.655— 672; e) Promotionen Nr. 672a — 
675; g) Stiftungen Nr. 676—697 — Verschiedenes Nr. 732a— 742), 
„Jesuiten-Akten" (besonders Nr. 7, 8, 27, 39, 44-47, 636—639) 
und „Französische Verwaltungsakten" (Kapsel 63 A — Q). Eine 
willkommene Ergänzung für die preußische Zeit findet dieses 
Quellenmaterial in den bei dem Kgl. Provinzial-Schulkollegium zu 
Coblenz beruhenden Aktenstücken (vgl. Milz im Programm 1901, 
Vorwort) und den — freilich lückenhaften — altern Teilen unseres 
Gymnasialarchivs (Verfügungen der Behörden, Verhandlungen, 
Konferenzprotokolle und Zensurlisten seit 1815, Schulprogramme 
seit 1816, Reifezeugnisse seit 1828, Reifeprüfungsarbeiten seit den 
vierziger Jahren). Erst nach der Veröffentlichung von Milz erschien 
die Ausgabe der Jesuiten -Akten von J. Hansen, die ein treff- 
liches Hilfsmittel für die Bearbeitung der ältesten Periode unseres 
Jesuitengymnasiums darstellt. Da sich außerdem die Werke von 
V. Bianco und Milz nicht zu weiterer Verbreitung eignen, so war 
der Gedanke, bei Gelegenheit der Übersiedelung des Gymnasiums 
eine Neubearbeitung seiner glorreichen Geschichte zu unternehmen, 
ungemein verlockend. Doch die knapp bemessene Zeit würde 
hierfür nicht ausgereicht haben. Es mußte daher eine Darstellungs- 



form gewählt werden, die das Zusammenarbeiten vieler Kräfte 
erlaubte und das rechtzeitige Erscheinen des Werkes sicherstellte. 
Als solche bot sich ungesucht die monographische. Das Buch 
bringt demnach eine größere Anzahl von Einzeldarstellungen, die 
geeignet sind, das innere Leben, die Wandlungen und die Erfolge 
des Gymnasiums während der verschiedenen Epochen seines Be- 
stehens in ein helles Licht zu setzen. Die meisten schildern das 
Wirken solcher Lehrer und Schüler des Gymnasiums, die für 
seine Entwicklung und seinen Ruf eine hervorragende Bedeutung 
gewonnen haben; sie bilden in ihrer Gesamtheit den Ehrensaal 
der Anstalt. Bei der außerordentlichen Fülle der hier in Betracht 
kommenden Männer war es nicht leicht, eine geeignete Auswahl 
zu treffen: neben der Bedeutung des einzelnen für Schule, 
Wissenschaft und kulturellen Fortschritt sowie seiner Volks- 
tümlichkeit kam auch in Betracht das Streben des Herausgebers, 
möglichst reiche Abwechselung in das Buch zu bringen. An die 
Biographieen schließt sich die Baugeschichte des Gymnasiums. 
Zur Orientierung ist eine nach neuen Gesichtspunkten behandelte 
Übersicht über die äußere Geschichte der Anstalt voraus- 
geschickt. 

Ihrem Inhalte nach machen die einzelnen Monographieen keinen 
Anspruch darauf, den behandelten Gegenstand vollständig zu er- 
schöpfen; sie streben jedoch, weil auf dem Studium der Quellen 
beruhend, geschichtliche Zuverlässigkeit an und bieten unter Ver- 
zicht auf weitläufige Polemik dem Kenner nicht wenig Neues und 
Besseres. Um als Grundlage für weitere Forschungen zu dienen, 
sind die wichtigsten Quellen und Hilfsmittel beigefügt. 

Dem Zwecke des Buches, eine Festschrift zu sein, sucht die 
unterhaltende Form der Darstellung und der reiche Bildschmuck 
Rechnung zu tragen. Die alten Schüler des Marzellengymnasiums 
werden sich — so wagt der Herausgeber zu hoffen — oft und 
gern in seinen Inhalt vertiefen, mit seiner Hilfe alte Erinnerungen 
wieder auffrischen und sich stets lebendig erhalten in der Liebe 
und Verehrung für die altehrwürdige Bildungsstätte ihrer Jugend- 
zeit. Auch allen Freunden kölnischer Geschichte werden die Bilder 
aus dem Leben der Lehranstalt, die sich mit berechtigtem Stolz 
Mater et caput scholarum Coloniensium nennen darf, gewiß sehr 
willkommen sein. 

Wenn nun nach kaum siebenmonatiger Arbeitszeit das Manu- 
skript der Festschrift fertiggestellt war und dem Drucke übergeben 
werden konnte, so gebührt dafür in erster Linie der wärmste Dank 

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den Herren Mitarbeitern, frühern Schülern, ehemaligen und jetzigen 
Lehrern und Freunden der großen geschichtlichen Vergangenheit 
unseres Gymnasiums, die ihr Wissen und ihren Fleiß in den Dienst 
der guten Sache gestellt, ihre Sonderwünsche dem Interesse des 
Ganzen untergeordnet und ihre Beiträge mit nicht genug zu 
rühmender Pünktlichkeit eingeliefert haben. Es sind die Herren: 
Prof. Dr. Willibald Bermbach in Köln, Oberlehrer Dr. Franz 
Bosch in Crefeld, P. Bernhard Duhr S. J. in München, Prof. Dr. 
Alfons Fritz in Aachen, Dr. Joseph Götzen in Köln, Oberlehrer 
Dr. Jakob Kemp in Köln-Kalk, Gymnasialdirektor Dr. Anton 
Kreuser in Jülich, Oberlehrer Hermann Mennen in Köln, 
Prof. Dr. Wilhelm Schurz in M. -Gladbach, Domkapitular 
Dr. Arnold Steffens in Köln und Regierungsbaumeister 
Dr. ing. Hans Vogts in M.- Gladbach. Aufrichtiger Dank 
gebührt ferner den Herren: Dr. med. Joseph Gerhartz, 
Oberlehrer Otto Ullrich und Prof. Peter Wedekind für 
ihre außerordentlich mühevolle Arbeit der Zusammenstellung 
einer Liste der Direktoren, Lehrer und Abiturienten der Anstalt 
seit dem Jahre 1815, die den Teilnehmern der Feier mit der Fest- 
schrift überreicht wird. Als wissenschaftliche Förderer des vor- 
liegenden Werkes seien mit dem Ausdrucke des verbindlichsten 
Dankes genannt: Archivdirektor Prof. Dr. Hansen, der die Schätze 
des städtischen Archivs bereitwilligst zur Verfügung gestellt, und 
Stadtarchivar Prof. Dr. Keussen, der uns mit seinem sachkundigen 
Rate allezeit hilfbereit zur Seite gestanden hat; Bibliothekdirektor 
Prof. Dr. Keysser, der uns die hiesigen wie auswärtige Bibliothek- 
schätze zugänglich machte; P. Bernhard Duhr S. J., Archivar 
Dr. Schwann und Gymnasialdirektor Prof. Dr. Wesener, die 
die Verwertung von Archivalien der deutschen Ordensprovinz der 
Gesellschaft Jesu, des Kölner Wirtschaftsarchivs und des Marzellen- 
gymnasiums in freundlichster Weise gestatteten; Dr. Götzen, 
Geh. Kommerzienrat Dr. Emil vom Rath und Prof. Dr. Wiepen, 
die uns mit literarischen Hilfsmitteln unterstützten. Prof. Dr. 
Hansen hat uns die Wiedergabe einer großen Anzahl von Bildern 
und Plänen aus dem ihm unterstehenden Historischen Museum 
und dem Stadtarchiv, Gymnasialdirektor Prof. Dr. Wesener die 
Reproduktion der Gemälde in der Aula und der Bibliothek des 
Gymnasiums gerne erlaubt; für einzelne Bilder und Pläne sind 
wir verpflichtet den Herren Prof. Dr. Bermbach, Stadtbaurat 
Heimann, Landgerichtsdirektor Herbertz, Oberlehrer Mennen, 
Geh. Kommerzienrat Dr. E. vom Rath und Gymnasialdirektor 



Prof. Dr. Wiedel in Köln, Oberlehrer Dr. Bosch in Crefeld, 
J.Gürtler inMülheim-Styrum, Prof. Dr. Plaßmann in Münsteri.W. 
und der Burschenschaft Frankonia in Bonn; in technischen Fragen 
haben uns zur Seite gestanden Dr. med. Liebmann, Baumeister 
Prof. Stiller und Regierungsbaumeister Dr. Vogts. Alle genannten 
Herren bittet der Herausgeber, den verbindlichsten Dank für ihr 
reges Interesse an einer möglichst vollkommenen Ausgestaltung 
der vorliegenden Schrift entgegennehmen zu wollen. In ganz 
besonderm Maße aber gebührt unser Dank dem wackern Vor- 
sitzenden des Arbeitsausschusses, Dr. med. Paul Bermbach, 
dessen erstaunliche Arbeitskraft und aufopferungsvolle Hingabe 
sich als beste Garantie für einen glücklichen Verlauf der ganzen 
Feier erwiesen und auch diese Festschrift durch alle Stadien ihrer 
Entwicklung begleitet und in erfolgreichster Weise gefördert hat. 

So trete unsere Festschrift ihre Wanderung in die Welt an 
unter der Devise: Dem Marzellengymnasium zur Ehrung, der 
alten Schülergeneration zur Erinnerung, dem jungen Geschlecht 
und allen kommenden zur Nacheiferung! 

Erfüllt das Buch diesen Zweck, dann wird auch der Wunsch 
sich verwirklichen, den der Herausgeber ins Stammbuch der 
neuen Anstalt schreiben möchte : 

In . noVa . DoMo 
prIsCa.tIbI. gLorIa 
sChoLa . trICoronata 

Köln, 20. September 1911. 

Prof. Dr. Jos. Klinkenberg. 



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Vormaliges Jesuiten-, jetziges l«atholisches Gymnasium zu Köln 1836 



Zur Geschichte 
des Marzellengymnasiums. 

Von Prof. Dr. JOS. KLINKENBERG. 

Der Ursprung des Marzellengymnasiums steht in engster 
Beziehung zur alten Kölner Universität, die als vierte in 
Deutschland am 8. Januar 1389 gegründet wurde. Die 
mittelalterlichen Universitäten waren von der Kirche abhängige 
Unterrichtsinstitute. Ihre Lehrer gehörten in der Regel dem 
geistlichen Stande an und waren daher zur Ehelosigkeit ver- 
pflichtet; ihr Einkommen floß aus kirchlichen Ämtern und Pfründen. 
Die Universität zerfiel in vier Fakultäten : die theologische, juristische, 
medizinische und artistische; letztere, an deren Stelle heute die 
philosophische Fakultät getreten ist, bildete die Vorbereitungs- 
schule für die höhern Studien. Eine strenge Scheidung zwischen 
Lehrern und Schülern fand nicht statt: die Schüler der obern 
Kurse bildeten die Lehrer der untern. Der als scholaris in die 
Artistenfakultät Eintretende schloß sich einem Magister an, der 
ihn gegen Entgelt unterrichtete und ihm auch Kost und Logis 
gewährte; zunehmende Schülerzahl bedingte natürlich auch eine 
Vermehrung der Lehrkräfte. Eine solche Vereinigung von zusammen- 



11 



wohnenden Lehrern und Schülern hieß bursa. Im 15. Jahrhundert 
entstanden in Köln kurz nacheinander drei Bursen, die sich bis 
auf die Franzosenzeit erhalten und im 16. Jahrhundert unter dem 
Einflüsse des Humanismus die Bezeichnung Gymnasien ange- 
nommen haben. Aus dem Jahre 1419 stammt die bursa Montis, 
das spätere Gymnasium Montanum, aus dem Jahre 1426 die 
bursa Laurentii oder das Gymnasium Laurentianum, aus dem 
Jahre 1450 die bursa oder domus Cucana. 

Letztere, auf die nachweislich unser Marzellengymnasium 
zurückgeht, verdankt ihre Gründung dem Magister Joannes 
Kuick, spätem Dr. theol. in Mecheln. Über ihre Schicksale sind 
wir bis jetzt fast gar nicht unterrichtet, dürfen aber bald eine Auf- 
hellung derselben von dem verdienten Forscher unseres Universitäts- 
wesens, Herrn Stadtarchivar Prof. Dr. Keussen erwarten. Dem 
Regens Jacobus Leichius, der der Burse 1550 — 1556 vorstand, 
kaufte der Rat nach dem Verluste des Hauses auf dem Eigelstein, 
in dem die Burse bisheran untergebracht war, ein neues in der 
Maximinenstraße und nannte dieses von dem an dem Hause 
angebrachten Stadtwappen Bursa nova trium coronarum, auch 
Gymnasium trium coronarum oder Tricoronatum (1552). 

Als Leichius sich durch seine Hinneigung zum Protestantis- 
mus und seine Heirat als Regens unmöglich gemacht hatte, gelang 
es dem Jesuiten Joannes Rethius, die erledigte Burse zuerst an 
sich und dann allmählich an den Jesuitenorden zu bringen. 
Dieser hat das Gymnasium bis zur Aufhebung des Ordens 1773 
geleitet und es an Zahl, Führung und Leistungen seiner Zöglinge 
zur größten und angesehensten LehranstaU Kölns erhoben. Ver- 
fasser befindet sich in der angenehmen Lage, zum ersten Male 
eine fast lückenlose Liste der Regenten der Anstalt während dieses 
217 jährigen Zeitraumes hier veröffentlichen zu können. Der erste 
Teil derselben, Nr. 1 — 18, ist ein Abdruck des Katalogs in den 
Monumenta Germaniae Paedagogica II p. 147 sq., der zweite, 
Nr. 19—43, ist ihm dank der gütigen Vermittelung des P. Bernhard 
Duhr S. J. aus dem Archiv der deutschen Ordensprovinz zur 
Verfügung gesteüt worden. Die Originale der der Liste voran- 
gehenden beiden Siegel des Gymnasium Tricoronatum befinden 
sich im Archiv der Maria-Himmelfahrtskirche. 



12 





Regentes trium Coronarum Gymnasii S. J. 

Coloniae. 

1. P.Joannes Rhetius, Joannis a Reid, Coloniensis vice-con- 
sulis filius, a s(ancto) p(atre) n(ostro) Roma Coloniam cum 
duobus sociis, Francisco Costero et Henrico Dionysio, 1556. 
in Junio missus, bursam Cucanam sab 1550. auspiciis senatus 
reformatam (a cuius insignibus, tribus coronis, novi trium 
Coronarum Gymnasii nomen accepit), pauculis post annis ob 
professores et regentem ipsum primum Jacobum Leichium 
Cochemensem Lutherizantes extinctam impetravit ao. 1556., 
die 16. Novemb., pro sua primum persona, deinde paulatim 
pro Societate. Et scholis 1557. ineunte Februario inchoatis 
rexit feliciter continuus regens annis fere 18, usque 1574., 
26. Oct., quo maniaci Gerardi Peschii nostri manu et cultro 
una cum P. Leonardo Kesselio rectore et P. Nicoiao Fabri 
ministro sublatus est miserando omnium ordinum luctu. 

2. P. Arnold US Havensius, vulgo Havens, Buscoducensis, ab a. 
1575. ad 1585., circa quod tempus a Societate transiit ad 
Carthusianos; apud eos loco magno, variis locis prior, visitator 
provinciae; obiit prior Gandavensis 1610., 4. Aug. Ruraemundae. 
Scripsit aliquot libros apud Kinchium et Gualteri Coloniae editos. 

3. P.Joannes ab Einatten Bouland, equestris familiae dioeces. 
Leod., promotus Coloniae a(rtium) magister 1565., die 4. Apri- 
lis; docuit in gymnasio, sicut P. Rhetius et Havensius, et fuit 
regens ab 1584. exeunte. Obiit in officio 1594., 18. Decembris. 

4. P. Stephanus Loon Neomagensis fuit ao. 1595. ineunte us- 
que 1599. 3. Februarii, quo habiturus concionem in summa 
aede pomeridianam petiit in congregatione facult. a(rtium) sub- 
stitui P. Conesium successorem. 



13 



5. P. Henricus Conesius Suchtalensis, vix ultra annum; obiit 
enim 1600. ineunte. 

6. P. Joannes Gilsius Hollandus, non diu: nam successor 

7. P. Conradus Ratingius Arnemensis iam fuit 1600. 5. Octobris. 
Obiit 1602., die 20. Decembris, Physicae professor, uti habet 
Lib. a(rtium). 

8. P. Matthaeus Schrick Aquisgranensis usque ad 5. Dec. 1604., 
quo ad rectoratum Aquisgr. collegii abiit. 

9. P. Gualterus Zevener Embricensis obiit regens 1607. ante 
30. Augusti. 

10. P. Everardus Brouwerus Arnemensis usque ad 18. No- 
vemb. 1610. 

11. P. Petrus Rosenbaum Novesiensis usque 13. Oct. 1613. 

12. P. Stephanus Ruidius Andernacensis a 4. Januarii 1614., 
3 mensibus. 

13. P. Joannes Kesselius Graviensis ad 4. Dec. 1618. 

14. P.Petrus Ruidius, Stephani frater, vix ultra annum. 

15. P. Goswinus Nickel Juliacensis ex Goslar, 1620. sub nono 
Martii. 

16. P. Erasmus Geldropius Brabantus 1621. ineunte Septembri. 

17. P.Joannes Elberti Anholdiensis a 14. Maii 1625. 

18. P. Adamus Käsen Traiectensis ab 1626. pridie S(anetorum) 
Omnium 21 annis prope continuis, et post rectoratum Dussel- 
dorpiensis collegii adhuc 2 annis amplius; obiit in rectoratu 
Coloniensi 1653. 1. Julii. Vir longe optime de gymnasio 
meritus. R. in P. 

19. 1648 — 50 P. Arnoldus Mylius regens, Coloniensis, natus 
16. Nov. 1610, ingressus Societatem 9. April. 1628; mortuus 
Coloniae 17. Nov. 1680. 

20. 1655—57 P.Winandus Weidenfeld, Betburg., natus 10. Julii 
1610, ingressus 22. Mart. 1627, mortuus Treveris 8. Junii 1685. 

21. 1658 — 60 P. Joannes Egmont, Coloniensis, natus 29. Nov. 
1620, ingressus 20. Oct. 1640, mortuus 28. Mart. 1680. 

22. 1661—65 P. Bernardus Habbel, Affelensis (Dioec. Colon.), 
natus 11. Maii 1607, ingressus 11. Oct. 1623, mortuus 2. Junii 
1675 Coloniae. 

23. 1666—68 P. Arnoldus Mylius ut supra. 
1669—73 deficiunt Catalogi. 

24. 1674 — 75 P. Bernardus Habbel ut supra. 

25. 1676 P. Nicolaus Elften, Trarbach. ad Mosell. natus 2. Junii 
1626, ingressus 13. Julii 1644, mortuus Colon. 14. Dec. 1706. 

14 



26. 1677—1680 P. Arnoldus Mylius ut supra. 
1681—82 deficiunt Catalogi. 

27. 1683—89 P. Simon Derckum, Vernich. (duc Juliac.) natus 
12. Sept. 1622, ingressus 17. Oct. 1642, mortuus 28. Apr. 1695.i) 

28. 1690— 93 P.Petrus Herwartz,Aquisgran., natus 28. Aug. 1628, 
ingressus 30. Apr. 1647, mortuus 4. Febr. 1696 Coloniae. 

29. 1694—1702 P. Henricus Cuperus, Juliae natus 30. Apr. 1629, 
ingressus 11. Apr. 1649, mortuus Coloniae 21. Nov. 1702. 

30. 1704—13 P. Paulus Aler S. Veit, natus 11. Nov. 1654, in- 
gressus 6. Nov. 1676, mortuus Marcoduri 2. Maii 1727. 

31. 1715 P. Petrus Dham, S. Veit, natus 27. Oct. 1643, ingressus 

21. Oct. 1661, mortuus 30. Apr. 1715 Coloniae. 

32. 1716—17 P. Henricus Heinsberg, Colon, natus Febr. 1673, 
ingressus 16. Junii 1690, mortuus Colon. 17. Apr. 1717. 

33. 1718 — 19 P. Gulielmus Penten, Traiecti ad Mos. natus 
9. Aug. 1680, ingressus 31. Maii 1698, mortuus 17.Novbr. 1724. 

34. 1720P. Lambertus duChasteau, Leodii natus 23. Jan. 1669, 
ingressus 13. Maii 1687, mortuus Colon. 22. Jan. 1740. 

35. 1721—22 P. Henricus Frisch, Colon, natus 1. Oct. 1664, 
ingressus 11. Maii 1683, mortuus Contluentiae 25. Apr. 1732. 

36. 1723 P. Nicolaus Mocking, Herenberg. (Geldriae) natus 
14. Maii 1659, ingressus 2. Maii 1679, mortuus 29. Marl. 1723 
Colon. 

37. 1724 — 25 P. Gulielmus Penten ut supra. 

38. 1726— 35 P. Henricus Venedien, Calcar. natus 28. Oct. 1668, 
ingressus 13. Nov. 1689, mortuus Colon. 5. Mart. 1735. 

39. 1736 P. Daniel Ramus, Drontheim. Norvegiae natus Julio 
1685, ingressus 2. Dec. 1709, mortuus Col. 14. Oct. 1761. 

40. 1736 — 59 P. Josephus Hartzheim, Colon, natus 11. Jan. 
1694, ingressus 3. Maii 1712, mortuus Colon. 17. Jan. 1763. 

41. 1760—62 P. Adolfus Schmitz, Zeit, ducat. Montens. natus 
5. Apr. 1714, ingressus 20. Oct. 1 732, mortuus Colon. 28. Maii 1 762. 

42. 1763 — 67P. Petrus Sa Im, Colon, natus 19. Martiil704,ingressus 

22. Oct. 1721, mortuus Colon. 1. Junii 1767. 

43. 1768 — 73 P. Henricus Frings, Erstdorf. duc. Juliac. natus 
27. Sept. 1718, ingressus 21. Oct. 1737, mortuus ? 

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens wurde der Unter- 
richt am Gymnasium Tricoronatum dadurch aufrecht erhalten, 
daß die Lehrer den Charakter von Weltgeistlichen annahmen. 

') Regens bis 25. Februar 1689, wo er Rektor und Novizenmeister in 
Trier wurde. 

16 



Zum Regens wurde nach einer Aufzeichnung bei v. Bianco 
I S. 594 Anm. bestellt der bisherige P. Provinzial 

44. Hieronymus von Wymar, einem Kölner Patriziergeschlechte 
entstammend (vgl. A. Fahne, Geschichte der Kölnischen Ge- 
schlechter I S. 462 f.). Durch Wahl der Professoren ging diese 
Würde 1780 über auf 

45. Johann Matthias Carrich, geb. 1735 zu Ehrenbreitstein, 
vorgebildet am Jesuitenkollegium zu Coblenz, daselbst in den 
Orden eingetreten am 27. Mai 1755, nach zweijährigem Noviziat 
Lehrer der Humaniora in Ravenstein, zum Priester geweiht 
am 14. September 1760 in Köln, 1760—62 Lehrer der Logik und 
Physik in Münster, 1762—63 Professor der Logik an der 
Universität Paderborn und nach Verlegung derselben 1763—69 
Professor der Exegese, der hebräischen Sprache und Dogmatik 
in Köln. Nachdem er hier zum Dr. theol. promoviert war, 
trug er an der Universität Dogmatik, Moral und Kirchenge- 
schichte, am Gymnasium Tricoronatum Hebräisch und Rhetorik 
vor. Das Amt des Regens verwaltete er 1780—98 mit großem 
Ruhme und war gleichzeitig 1788—93 Rektor der Kölner 
Universität. Er starb am 21. Oktober 1813 zu Köln. 

Nachdem unsere Stadt durch den Frieden von Campo 
Formio der französischen Republik einverleibt war, erfolgte 
unterm 9. Floreal VI (28. April 1 798) die Aufhebung der Universität 
und der drei Gymnasien. An die Stelle sämtlicher frühern 
höhern Lehranstalten trat die Zentralschule desRoer-Depar- 
tements unter Leitung des letzten Rektors der Universität 
46 Paul Best. Geboren zu Köln 1752, widmete er sich dem 
Studium der Medizin an den Universitäten Köln und Wien, 
beschäftigte sich aber auch angelegentlich mit Sprachen, Ge- 
schichte und Philosophie. An der Kölner Universität war er 
von 1786 Professor der Anatomie und Physiologie und vom 
4. Nivöse bis 9. Floreal VI (24. Dezember 1797 bis 28. April 1798) 
Rektor, wirkte dann an der Zentralschule als Professor der Klinik 
bis zu deren Auflösung, war zugleich Oberarzt des hiesigen 
allgemeinen Krankenhauses und Mitglied des Jury Medical 
des Roer-Departements. Er starb am 5. Februar 1806. 

Die napoleonische Unterrichtsreform setzte an der Stelle 
der ihrem Zwecke nicht entsprechenden Zentralschule 1803 
und 1804 zwei Sekundärschulen, eine des ersten (niedern) 
Grades im ehemaligen Laurentianergymnasium, eine des zweiten 
(höhern) Grades im früheren Jesuiten-Kollegium. Letztere be- 

16 



stand bis zum Untergang der französischen Herrschaft unter 
der Direlition von 

47. von Heinsberg (Vorname nicht festzustellen), der jedoch 
nicht dem Lehrerkollegium angehörte. Er hat sich als Mit- 
glied der Commission administrative bedeutende Verdienste 
um die Rettung der Schulfonds erworben. 

Gleich nach der Besetzung Kölns durch die Verbündeten 
am 14. Januar 1814 begann die Umgestaltung des hiesigen 
höheren Schulwesens. Am 24. April 1815 wurde „das Kölnische 
Gymnasium" mit vier Klassen in den Räumen der ehemaligen 
Jesuiten eröffnet, dem als Vorbereitungsanstalten „das Jesuiten- 
kollegium" im Jesuiten- und das „Karmeliter-Kollegium" im 
Karmeliterkloster, jedes mit drei Klassen, angegliedert waren. 
Alle drei Anstalten unterstanden der Oberleitung des Direktors 
des Kölnischen Gymnasiums. Das Karmeliter-Kollegium wurde 
1820 selbständig und entwickelte sich 1825 zum Karmeliter- 
Gymnasium, dem heutigen Friedrich-Wilhelm-Gymnasium. Die 
wachsende Schülerzahl der seit 1830 ,,das katholische Gym- 
nasium" benannten Lehranstalt führte 1860 zur Gründung 
des Gymnasiums an der Apostelkirche, 1868 zu der eines 
katholischen Progymnasiums, des heutigen Kaiser -Wilhelm- 
Gymnasiums, aus den Mitteln unserer Anstalt, die seit 1860 
„das kgl. katholische Gymnasium an Marzellen" (d. i. an der 
Marzellenstraße) heißt. 

Das Gymnasium leiteten seit 1815 die Direktoren: 

48. Franz Joseph Seber, geboren am 4. Januar 1777 zu Wald- 
thurn in Baden, machte seine Studien am Gymnasium zu Milten- 
berg und an der Universität Würzburg, wurde Priester und Doktor 
der Philosophie und Theologie, 1806 Konrektor an dem Gym- 
nasium zu Aschaffenburg, 1815 auf Empfehlung des Kurators 
der Würzburger Universität Direktor des Gymnasiums in Köln. 
Nach Errichtung der Universität Bonn wurde er im Früh- 
jahr 1819 in die dortige katholisch-theologische Fakultät 
als ordentlicher Professor der Dogmatik und Moral berufen. 
Im Herbst 1825 nahm er einen Ruf als Professor der Philosophie 
an das von der niederländischen Regierung errichtete Collegium 
zu Löwen an. Dort starb er am 5. August 1827. 

49. Adolf Rudolf Joseph Heuser, Dr. phil. und Lic theol., 
geboren zu Sinzenich am 29. Januar 1760, vorgebildet am 
Laurentianer-Gymnasium und an der Universität Köln, zum 
Priester geweiht am 21. März 1785, war seit 1780 als Professor 

■i 17 



der alten Sprachen und der Rhetorik am Laurentianer-Gym- 
nasium tätig, wurde 1803 Professor der griechischen Sprache 
an der Sekundärschule, 1806 Professor der klassischen Literatur, 
der Logik und Geschichte der Philosophie an der Sekundär- 
schule zweiten Grades. Bei der Eröffnung des preußischen 
Gymnasiums 1 815 trat er in dessen Lehrerkollegium ein, wurde am 
24. August 1819 Direktor und starb am 25. Juni 1823 in Langen- 
schwalbach, wo er Heilung von einem schweren Leiden suchte. 

50. Eugen Jacob Maria Birnbaum, geboren zu Bamberg am 
28. März 1788, besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt 

und die Universität 
München zum Stu- 
dium der klassi- 
schen Philologie. 
Die Staatsprüfung 
bestand er in ei- 
ner so glänzenden 
Weise, daß ihm die 
Kgl. Bayrische Re- 
gierung die Wahl 
ließ, ob er sogleich 
angestellt werden 
oder zu weiterer 
Ausbildung auf 
Staatskosten eine 
auswärtige Uni- 
versität besuchen 
wolle. Er wählte 
das letztere und 
besuchte mit dem 
Jahre 1810 die 
Universität Heidel- 
berg.ImJahrel812 
wurde er als Gym- 
nasiallehrer in Re- 
gensburg angestellt, folgte 1818 einem Rufe als erster Ober- 
lehrer am Gymnasium zu Trier und wurde am 1. April 1824 
Direktor unseres Gymnasiums. Er starb am 3. März 1854. 

51, Philipp Jakob Ditges, Dr. phil. h.c, geb. zu Neuß am 3. April 
1810, machte seine Gymnasialstudien in Aachen, bestand 
dort die Reifeprüfung Ostern 1830 und studierte drei Jahre 




Dr. phil. h. c. Philipp Jakob Ditges. 



18 



klassische Philologie an der Universität Bonn. Nachdem er am 
(Kaiser Karls-) Gymnasium in Aachen sein Probejahr durch- 
gemacht hatte, wurde er Ostern 1834 als ordentlicher Lehrer 
an das Kollegium in Neuß, Herbst 1841 als Oberlehrer an 
das Gymnasium zu Coblenz, Herbst 1845 in derselben Eigen- 
schaft an das (Kaiser Karls-) Gymnasium in Aachen berufen. 

Herbst 1849 über- 
trug ihm das Ver- 
trauen derBehörde 
die Direktion des 
Gymnasiums zu 
Emmerich, Ostern 
1853 die des Gym- 
nasiums zu Mün- 
ster i. W., endlich 
Ostern1856diedes 
Marzellengymna- 
siums in Köln, die 
er bis zum 1. April 
1884 mit großem 
Erfolge führte. Er 
starb zu Köln am 
3 Februar 1899. 
Heinrich Milz, 
geboren am 12. Fe- 
bruar 1830 zuTrier, 
bestand die Reife- 
prüfung am Gym- 
nasium seiner Va- 
terstadt Herbst 
1849 und besuchte 
dann mehrere Semester die philosophischen und theologischen 
Vorlesungen im dortigen Priesterseminar. Nach glücklicher 
Heilung von einer längeren Krankheit widmete er sich seit 
Ostern 1852 dem Studium der Philologie und Geschichte an 
der Universität Bonn, bestand dort im Herbste 1855 die 
Lehramtsprüfung und wurde auf Grund einer gekrönten Preis- 
schrift zum Doktor der Philosophie promoviert. Während der 
Ableistung des Probejahres versah er zugleich eine wissenschaft- 
liche Hilfslehrerstelie zu Deutsch-Crone in Westpreußen, war 
von Herbst 1856 bis Ostern 1858 kommissarischer Lehrer am 




11 ein rieh Milz. 



2« 



19 



Marzellengymnasium in Köln, wurde darauf an das (Kaiser 
Karls-) Gymnasium in Aachen berufen und dort am 1. Januar 
1859 fest angestellt. 26 Jahre lang war er an dieser Anstalt 
tätig, wurde am 1. Oktober 1874 zum Oberlehrer und am 
29. November 1876 zum Professor ernannt. Am 15. April 1884 
wurde ihm die Leitung des Marzellengymnasiums anvertraut, 

dem er bis Ostern 
1901 vorstand. Er 
starb am 27. Mai 
1909 in Bonn. 

53. Martin Wetzel, 

geboren am 8. De- 
zember 1851 zu 
Dingelstädt im 
Eichsfelde, besuch- 
te das Gymnasium 
zu Heiligenstadt, 
studierte in Würz- 
burg, Münster und 
Göttingen, wurde 
1877 Dr. phil., 
Herbst 1879 or- 
dentlicher Lehrer 
am Gymnasium zu 
Warburg, 1882 in 
gleicher Eigen- 
schaft nach Pader- 
born berufen, am 
1. Oktober 1889 
Oberlehrer, am 19. 
Dezember 1896 

Professor. Am 1. Juli 1897 übernahm er die Direktion des 
Kgl. Gymnasiums zu Braunsberg in Ostpreußen, von wo er 
am 1. April 1901 an unsere Anstalt versetzt wurde. Schon im 
Januar 1902 erkrankte er an einem schweren Leiden und 
verschied am 16. September 1902 zu Köln. 

54. Georg Wesener, geboren den 5. Juni 1847 zu Culm in 
Westpreußen, besuchte das Kgl. Gymnasium zu Coblenz und 
das Kurfürstl. Gymnasium zu Fulda, verließ Ostern 1866 das 
Herzogl. Gymnasium zu Hadamar mit dem Zeugnis der Reife 
und studierte an den Universitäten zu Bonn, München und 




Martin Wetzel 



20 



Berlin Geschichte und Philologie. Nachdem er im März 1870 
zum Doktor der Philosophie promoviert worden war, trat er 
im Juli als Freiwilliger beim Hessischen Füsilier-Regiment 
Nr. 80 ein, bei dem er seit Oktober den Feldzug in Frank- 
reich mitmachte. Dann legte er am Kgl. Gymnasium zu 
Hadamar das Probejahr ab, bestand im Mai 1873 zu Bonn 
die Staatsprüfung, wurde dem Kgl. Gymnasium zu Wiesbaden 
als Hilfslehrer überwiesen und am 1 . Januar 1875 als ordentlicher 
Gymnasiallehrer angestellt. Am 1. April 1889 erhielt er 
eine etatsmäßige Oberlehrerstelle am Gymnasium zu Fulda, 
dessen Leitung ihm übertragen wurde, nachdem er am 
24. Januar 1897 zum Kgl. Gymnasialdirektor ernannt worden 
war. Vorher hatte er den Charakter als Professor erhalten 
und 1 V2 Jahr lang die Direktionsgeschäfte als stellvertretender 
Direktor geführt. Am 5. Januar 1903 wurde er von Fulda 
an das Marzellengymnasium in Köln versetzt und am 29. April 
feierlich in sein neues Amt eingeführt. 




Georg Wesener. 



21 



Jacobus Leichius und Justus Velsius. 

Von Prof. Dr. JOS. KLINKENBERG. 

Die gewaltige geistige Bewegung des 15. und 16. Jahrhunderts 
zugunsten der Wiederbelebung des klassischen Altertums, 
der man den Namen des Humanismus beizulegen pflegt, 
vermochte trotz einzelner Anläufe lange Zeit auf den Unterrichts- 
betrieb an der Universität Köln keinen wirksamen Einfluß auszu- 
üben. Während in Löwen schon seit 1518, in Paris seit 1529 das 
Studium trilingue, d. h. der wissenschaftliche Betrieb der lateinischen, 
griechischen und hebräischen Sprache in den Universitätskollegien 
eingeführt war, wandelte man in Köln noch immer in den alten 
Bahnen, teils aus Abneigung gegen die neue, vielen Vertretern der 
Orthodoxie verdächtige Studienrichtung, teils aus Mangel an Mitteln 
zur Besoldung humanistisch gebildeter Professoren. Hinzu kam, 
daß die vorhandenen, wenig bedeutenden Lehrkräfte immer mehr 
in ihrem Eifer erlahmten und entweder die mit der Erlangung 
einer Universitätspräbende verbundene Verpflichtung zur Unter- 
weisung der Studierenden ganz außer Acht ließen oder einen 
jungen Dozenten gegen geringe Remuneration als Stellvertreter 
bestellten. So verödete die einst so blühende Kölner Hochschule 
immer mehr. Da griff endlich der Rat tatkräftig ein: seit dem 
Jahre 1545 waren seine Bemühungen unausgesetzt darauf gerichtet, 
den Papst zur Gewährung neuer Universitätspräbenden zu veran- 
lassen, die Pfründeninhaber zur Erfüllung ihrer Pflicht oder zur 
Zahlung der Kosten für die Dotierung neuer Lehrstellen zu 
bestimmen und eine zeitgemäße Studienreform herbeizuführen. 
Auf eigene Kosten berief er 1550 neben sechs theologischen, 
ebensovielen juristischen und zwei medizinischen Professoren drei 
anerkannt tüchtige Humanisten als Lehrer der Sprachen, und ein 
begeisterter Aufruf an die Studentenschaft wies auf den Auf- 
schwung der Hochschule, ihre ausgezeichneten Lehrkräfte, ihre 
reichen Geldmittel und die Annehmlichkeiten ihrer örtlichen Ver- 
hältnisse hin. Die neuen Universitätslehrer waren Dr. JuSTUS 
Velsius aus dem Haag, Professor der beiden klassischen Sprachen, 
Magister Gerardus Matthisius aus Geldern für das Griechische 
und Magister JacobuS Leichius aus Cochem an der Mosel für 
das Lateinische; hinzu kam mit dem 16. Juli 1552 der getaufte 
Jude Johannes Isaac aus Wetzlar für das Hebräische. Unter 
ihnen erregen Jacobus Leichius und Justus Velsius unser be- 

22 



sonderes Interesse, da sie neben ihrer Stellung als Universitäts- 
lelirer auch an der Entwicklung der Kukanerburse, der Vorläuferin 
unseres Marzellengymnasiums, einen hochbedeutsamen Anteil 
haben. 

In der Kölner Universitätsmatrikel (IV fol. 1650) liest man zum 
7. Mai 1543 den Eintrag: „Jacobus Cochemensis de Vlisch ad artes 
iuravit et solvit". Diese Worte können sich nur auf die Immatriku- 
lation des Jacobus Leichius beziehen, dessen Familienname auf 
leicht erklärbare Weise verderbt ist. Er hieß Jakob von Lisch, und 
an seine frühere Heimat erinnert noch heute die Lescher Linde 
und der Lescher Hof südwestlich von Cochem. Wenn wir an- 
nehmen, daß er bei seiner Immatrikulation in die Artistenfakultät 
das damalige Durchschnittsalter von 15 — 16 Jahren hatte, so war 
er um 1527 geboren. Wo er seine Vorbildung für die höheren 
Studien genossen hat, steht im einzelnen nicht fest; sicher ist nur, 
daß er während des letzten Jahres einer Kölner Burse, vermutlich 
dem Cucanum, als Scholar angehörte. Möglicherweise hat er aber 
auch schon früher in Köln seine Studien gemacht. Es bestand 
nämlich damals die häufig gerügte Unsitte, daß die Studierenden, 
um die Kosten von zwölf Albus zu sparen, die Immatrikulation statt 
bei ihrem Eintritte in die Burse oder das Gymnasium, erst kurze Zeit 
vorder Meldung zur Baccalaureatsprüfungbewirkten, für die die Imma- 
trikulation Voraussetzung war. Die Baccalaureatsprüfung fand zwei- 
mal im Jahre, zu Christi Himmelfahrt und Allerheiligen, statt. Zur Ab- 
haltung derselben wurden jedesmal durch den Rat der Fakultät 
unter dem Vorsitze des Dekans fünf Examinatoren gewählt. Die 
Regenten der Gymnasien präsentierten die Prüflinge dem Dekan, 
nachdem sie sich vorher von ihren Kenntnissen überzeugt hatten, 
und diese mußten beschwören, daß sie zwei Jahre dem Studium 
der schönen Wissenschaften obgelegen und die vorgeschriebenen 
philosophischen und rhetorischen Lehrkurse und Disputationen 
mitgemacht hatten. Leichius bestand die Prüfung am Himmel- 
fahrtstermin 1544 und errang unterm 30. Mai die Würde eines 
Baccalaureus (admissus ad baccalaureatum). Der Zeitpunkt seiner 
feierlichen Promotion (determinatio) ist nicht überliefert. Der 
Baccalaureus setzte seine philosophischen Studien noch ein bis 
zwei Jahre fort, um dann am Blasiustag (3. Febr.) vom Regenten 
seines Gymnasiums zum Tentamen pro gradu licentiae präsentiert 
zu werden. Auch diese Prüfung wurde von fünf eigens dazu 
bestellten Magistern, den sogenannten Tentatores, vorgenommen. 
Diejenigen, die bestanden, wurden dem Vizekanzler der Universität, 

23 



meist einem Professor der Tiieologie oder des kanonischen Rechtes, 
präsentiert, der durch vier von ihm bestellte Examinatores eine 
weitere Prüfung der Kandidaten vornehmen ließ, die freilich damals 
eine reine Formsache gewesen zu sein scheint. Auf Grund der- 
selben promovierte sie dann der Vizekanzler zu Lizentiaten, d. h. 
sie bekamen die Lizenz, in der artistischen Fakultät als Lehrer 
aufzutreten. Den Rang eines Lizentiaten erhielt Leichius nach den 
Aufzeichnungen des Dekanatsbuches im Jahre 1546. Er nahm 
nun seine Lehrtätigkeit am Cucanum auf, erwarb durch die sog. 
Inceptio den Magistertitel und beantragte nach zwei weitern Lehr- 
und Lernjahren unterm 22. Dezember 1548 seine Aufnahme in den 
Rat der Fakultät. Diese wurde ihm auch unter dem 11. April 1549 
gewährt, aber, wie es scheint, nur bedingungsweise. Zur Rezeption 
war nämlich die Zahlung von Gebühren und die Ableistung eines 
Eides auf die Fakultätsstatuten erforderlich. Letztere, die dem 
Akte erst seine Rechtskraft verlieh, wurde häufig verschoben, bis 
die Gebühren erlegt waren. Auch Leichius befand sich wohl in 
dieser Lage, da er bei seiner Baccalaureatsprüfung wenigstens 
unter den Unbegüterten (pauperes) aufgeführt wird. Das sollte 
für ihn in Verbindung mit andern Verwicklungen eine Quelle 
großer Verdrießlichkeiten werden. 

Die wissenschaftliche und pädagogische Tüchtigkeit des jungen 
Magisters an der Kukanerburse erregte bald Aufsehen, und Leute 
von Urteil glaubten in ihm den geeigneten Mann zu erkennen, 
um an der Reform der tief gesunkenen Universität tatkräftig mitzu- 
wirken. Der Rat übertrug ihm eine der neu gegründeten Profes- 
suren an der artistischen Fakultät, und kaum ein Jahr später 
wurde er auch mit der ehrenvollen Aufgabe betraut, die Kukaner- 
burse zu neuem Leben zu erwecken. Diese war nämlich durch 
den unsittlichen Lebenswandel ihres Leiters stark in Verfall geraten 
und drohte ganz einzugehen, als nach dem Tode des Hauseigen- 
tümers der Erbe den Mietvertrag kündigte. Der Administrator der 
Burse, Gottfried Wiiich, Dechant des Stiftes St. Aposteln, ersah 
sich zum neuen Regenten der Anstalt unsern Leichius. Anfangs 
sträubte sich dieser heftig gegen die Übernahme des beschwer- 
lichen Amtes; erst den vereinten Bemühungen des Professors der 
Rechtswissenschaft Conrad Betzdorp, der Universitätsprovisoren 
und der Bürgermeister, von denen HERMANN SUDERMANN trotz 
seines Mangels an klassischer Bildung ein ganz besonderer För- 
derer der humanistischen Studien war, gelang es, ihn umzustimmen. 
Der Rat kaufte im März 1552 zur Unterbringung des neuen Kollegs 

24 



das den Vorkindern des Johann von Holtz gehörige Haus auf der 
Maximinenstraße, ließ in demselben die nötigen baulichen Ände- 
rungen vornehmen, übergab es dem Rektor gegen einen jährlichen 
Mietzins von dreißig Goldgulden und nannte die Burse von dem 
an ihr angebrachten kölnischen Stadtwappen mit den drei Kronen 
Nova Tricoronata. So wurde aus einem Privatunternehmen eine 
akademische Anstalt, deren äußern und innern Ausbau der Rat 
selbst sich angelegen sein ließ. In dem Protokoll vom 4. April 
wird nämlich den „provisorn mit rath der rechtsgelerten befohlen, 
eine gute Ordnung zu machen, was und welcher gestalt die lectiones 
gehalten werden sollen". Leichius, den man selbstverständlich 
mit der Lösung dieser Aufgabe betraute, entwickelte sein Programm 
in mehreren Plakaten, die er um Ostern 1552 an den Türen der 
benachbarten Kirchen anschlagen und nach auswärts versenden 
ließ. In denselben fehlte es nicht an heftigen Ausfällen gegen 
den bisherigen Studienbetrieb an der artistischen Fakultät. Diese 
fand bald eine Gelegenheit, Leichius ihren Zorn fühlen zu lassen. 
Am Tage nach Christi Himmelfahrt hatte der Dekan in gewohn- 
ter Weise die Magister zur Wahl der Baccalaureats-Examinatoren 
berufen. Da sich in der Versammlung kein Rezipierter aus der 
Kukanerburse fand, der das Amt eines Präsentators hätte führen 
können, so verschob der Dekan die Wahlhandlung auf den fol- 
genden Tag ohne Rücksicht auf Leichius, der als Regent des 
Cucanums die Rolle des Präsentators für sich in Anspruch ge- 
nommen hatte. Ja, man erörterte sogar die Frage, ob Leichius 
mit Rücksicht auf die scharfe Kritik, die er an der Fakultät geübt 
habe, überhaupt rezipiert werden dürfe. Die zahlreicher besuchte 
Fakultätsversammlung des folgenden Tages mißbilligte zwar das 
Vorgehen des Leichius, genehmigte jedoch auf die Fürsprache 
seines Gönners Wilich, der den Inhalt der Anschläge möglichst 
günstig zu deuten wußte, seine Rezeption unter der Bedingung, daß er 
sich in allen Stücken den übrigen Gymnasien anpasse, die Statuten 
der Vorfahren gewissenhaft beobachte und bei einem Streite zwischen 
ihm und einem Fakultätsmitgliede nie an den Rat appelliere, 
sondern immer sich dem Urteil der Fakultät oder doch wenigstens 
der Universität füge. Leichius gab die Erklärung ab, daß ihm jede 
Beleidigung der Fakultät ferngelegen habe und daß er auch nicht 
einen Finger breit von ihren Satzungen abweichen wolle. Darauf 
leistete er in Gegenwart der ganzen Fakultät einen feierlichen 
Eid, und nun erfolgte seine abermalige Rezeption und Ernennung 
zum Examinator, nicht ohne Androhung des Verlustes sämtlicher 

25 



Vorteile und Einkünfte, wenn er sein Versprechen in irgend einem 
Stüci<e nicht halten würde. 

Die Eröffnung des neuen Gymnasiums fand dem Namen nach 
zu Ostern 1552, in Wirklichkeit erst zu Pfingsten statt, und der 
Unterricht nahm mit dem Dreifaltigkeitssonntage seinen Anfang. 
Aber selbst gegen Ende November waren die Bau- und Zimmer- 
arbeiten noch nicht fertig. Die Anstalt sollte sich nach der Willens- 
meinung des Rates dadurch von ihren Schwesteranstalten unter- 
scheiden, daß in ihr nicht bloß die sog. studia maiora, d. h. 
Dialektik, Rhetorik und Physik gepflegt, sondern auch die sog. 
studia minora, d. h. die lateinische und griechische Grammatik, 
deren Betrieb sonst den Partikulärschulen zufiel, daselbst eine 
Heimstätte finden und in organischen Zusammenhang mit den 
eigentlichen akademischen Studien treten sollten. Als Lehrer, die 
mit Leichius an der Lösung dieser Aufgabe wirkten, erscheinen 
in einem später zu erwähnenden, noch nicht veröffentlichten Akten- 
stücke die Magister mit den zum Teil stark verderbten Namen 
Henricus, pet Verl, Godt und Hermans, von denen die drei ersten 
wohl Henricus Kempensis, Peregrinus Wylich und Godefredus 
Wylych sind, ferner Franciscus, unter dem zweifelsohne der Jesuit 
Franz Coster zu verstehen ist, der spätere Regens des Tricoronatum, 
Magister Joannes Reidt und Magister Joannes Ossenbrenus, aller 
Wahrscheinlichkeit nach der auch anderweit als Lehrer am Cucanum 
bekannte Joannes Osnabrugensis. Den maßgebendsten Einfluß aber 
hat nicht bloß auf die Studienrichtung der Anstalt, sondern auch 
auf die religiöse Gesinnung und Haltung ihres Leiters ausgeübt 
Justus Velsius. 

Jost Welsens, gebürtig aus dem Haag, erwarb sich 1538 in 
Bologna den Rang eines „Doctor artium et medicinarum". Von 
den naturwissenschaftlichen Studien, denen er mit großem Erfolge 
obgelegen hatte, wandte er sich später in seiner Heimat wieder 
humanistischen zu, bewarb sich 1541 in Löwen um die Professur 
des Petrus Nannius am Collegium trilingue und errang durch 
seine dortigen Vorlesungen den Ruf großer Gelehrsamkeit. Geusius 
nennt ihn in einem Briefe an Masius (LOSSEN, Briefe von Andr. 
Masius S. 15) einen Mann von tüchtigen Kenntnissen im Griechischen 
und Lateinischen und von wunderbarer Beredsamkeit, einen scharf- 
sinnigen Philosophen und guten Mathematiker. Im Jahre 1550 
erschien er, begleitet von einer großen Zahl von Studenten, in 
Köln, vermutlich weil ihn seine religiösen Anschauungen in Löwen 
unmöglich gemacht hatten, mit der Absicht, wieder nach Bologna 

26 



*lfi. 





zu ziehen. Der Rat benutzte die günstige Gelegenheit, den her- 
vorragenden Gelehrten für die Kölner Universität als Professor 
der griechischen und lateinischen Sprache zu gewinnen, bot ihm für 
das erste Jahr hundert Pagamentsgulden oder fünfzig Taler, ein 
Kerb Wein und ein Kleid und erklärte sich bereit, mit ihm über 
weitere Kondition zu verhandeln, wenn durch seinen Fleiß das 

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Bild und Lebensbeschreibung desJ. Velsius aus Heinr. Pantaleon, Teutscher 
Nation Heidenbuch III, Basel 1570, S. 400. 

Studium und die Universität zunehmen würde. Velsius ging auf 
das Anerbieten ein und wurde unterm 16. Juni 1550 in die Matrikel 
eingetragen. Auf seinen Antrag erhöhte ihm der Rat im folgenden 
Jahre seine Barbezüge auf 150 Taler, während Velsius sich ver- 
pflichten mußte, vor Ablauf von 5— 6 Jahren Köln nicht zu verlassen. 
Daß Velsius Lehrer an der Bursa trium coronarum gewesen 
sei, behauptet der Zeitgenosse Georg Braun in den Rapsodiae 
Colonienses (Stadtarchiv, Sammlung Alfter Bd. 44 S. 69); aus den 
Akten der Universität und der genannten Burse ergibt sich die 
Tatsache bis jetzt nicht. Jedenfalls hat Velsius von Anfang an 
zu Leichius in einem engen Freundschaftsverhältnis gestanden und 



27 



erscheint als die Seele der ganzen Studienreform. Über diese sind 
wir durch zwei Urkunden unterrichtet, die, soviel ich sehe, noch 
keine richtige Beurteilung gefunden haben. Die eine ist ohne 
Quellenangabe abgedruckt bei Ennen, Geschichte der Stadt Köln, 
IV S. 692 ff., geht aber ohne Zweifel auf ein Original des Kölner 
Stadtarchivs zurück. Sie trägt die Überschrift: „Ratio institutionis 
in nova bursa in platea s. Maximini per JODOCUM — offenbar 
Schreibfehler für JACOBUM — Leichium et per JUSTUM Velsium" 
und erweist sich gleich aus den Eingangsworten als Skizze der 
am Tricoronatum einzuführenden neuen Lehrordnung, die eine 
umfassende Darstellung in einer Schrift des Justus Velsius finden 
solle. Diese scheint nicht herausgekommen zu sein. Allerdings 
findet sich unter den Schriften des Velsius eine, die man für sie 
halten könnte. Sie führt den Titel: „De artium liberalium et 
Philosophica praecepta tradendi explicandique recta ratione ac via 
in celeberrima Universitate Coloniensi CG. Goss. Provisorum et 
Amplissimi florentissimae Reip. Senatus autoritate, posthac servanda: 
a JUSTO Velsio Hagano descripta et explicata. Coloniae apud 
Heredes Arnoldi Byrckmanni. Anno 1554". Indessen berührt sich 
das äußerst seltene Büchlein von nur 67 Seiten, das mir dank 
dem Entgegenkommen der Großherzoglich Hessischen Hofbibliothek 
zu Darmstadt zur Verfügung gestellt wurde, nur ganz entfernt mit 
der erwähnten Skizze, insofern im 111. Kapitel (p. 23 sq.) ausgeführt 
wird, die richtige Methode des sprachlichen Unterrichtes bestehe 
darin, daß man im Griechischen und Hebräischen die Schüler zu 
einem auf solider grammatischer Grundlage beruhenden Verständnis 
der Schriftsteller führe, im Lateinischen sie außerdem aber auch zu 
gewandtem mündlichen und schriflichen Gebrauch der Sprache 
anleite. Im Anfange des Kapitels aber wird auf eine Schrift über 
den Unterricht der Jugend in Grammatik und Sprachen hingewiesen, 
die M. Jakob Leichius, „vir pietatis nescio an eruditionis maioris" 
verfassen wolle. Auch diese ist, soviel ich sehe, nicht erschienen, 
nahe Beziehungen zu ihr aber hat die andere Urkunde über die 
Kölner Schulreform, die in den Annuae litterae collegii Societatis 
Jesu Coloniensis 1553—1660 (Stadtarchiv, Jesuiten-Akten 9) fol. 3 
steht und sich nur in einer äußerst fehler- und lückenhaften Ab- 
schrift aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts erhalten hat. Sie ist 
überschrieben: „Ratio quaedam instituendi luventutem novi apud 
Coloniam Agrippinam Senatus collegii Nonas — d. i. entweder 
pridie Nonas oder Nonis — Decemb. 1552 mihi et Collegis a Primate 
et Dno nostro D. JACOBO Leichio proposita" und stellt sich als 

28 



Ansprache des Leichius an seine Kollegen über die Maßnahmen 
zur Durchführung der Unterrichtsreform dar. Das Schriftstück ist 
auch dem Joannes Rethius, der damals schon der Gesellschaft Jesu 
angehörte, vorgelegt, von ihm abgeschrieben und an den Gründer 
der Gesellschaft, Ignatius von Loyola, nach Rom gesandt worden. 
Somit enthält das erste der beiden Aktenstücke die prinzipielle Dar- 
stellung der neuen Lehrordnung am Tricoronatum nach ihrer prak- 
tischen und theoretischen Seite, das zweite die Anweisung zu einem 
gedeihlichen Unterrichtsbetrieb auf Grund der neuen Prinzipien. 

Eine harmonische Ausbildung des Verstandes und Herzens — 
das ist, wie das Ideal des Humanismus überhaupt, so insbesondere 
auch das Ziel der beiden Kölner Schulreformer. Sie wollen die 
Jugend an feinere Sitten gewöhnen und sie zugleich in den Wissen- 
schaften so weit fördern, daß sie ihre Gedanken logisch richtig 
und in gutem Latein zum Ausdruck bringen können. Als Endziel 
aller Studien betrachten sie, ähnlich wie der große Straßburger 
Pädagoge Sturm, die Begründung des Frommsinns und die Förderung 
des Wohles der Menschheit. „Nicht von Gewinnsucht angelockt" — 
so läßt Rethius den Leichius sagen — „bin ich hierher gekommen, 
sondern weil die Studien fromm sind: fromm wollen wir mitein- 
ander arbeiten, und Gott wird uns schon helfen." Den Aufschwung 
seiner Schule will er nach besten Kräften in die Wege leiten „ad 
Dei magnam gloriam et totius christianae rei publicae utilitatem", 
und Velsius verlangt von den Lehrern, daß sie Leute seien von 
idealer Gesinnung, die die allgemeine Wohlfahrt fördern wollen 
zur Ehre Gottes, zum Nutzen des ganzen Staates und zur Sicherung 
der Aussicht jedes einzelnen auf das ewige Heil. 

Sind dies die idealen Grundgedanken der Kölner Schulreformer, 
so gilt es nunmehr, die Einrichtung der Schule im einzelnen kennen 
zu lernen, wie sie sich aus den vierzehn Kapiteln des ersten Haupt- 
teils der Velsiusschen Schrift ergibt. Dem Verfasser gilt als einzig 
richtige Art, die artes liberales und die Philosophie zu lehren, die 
grammatisch-humanistische, die den Einklang zwischen dem Gym- 
nasium und den höhern Fakultäten zu vermitteln geeignet ist. Die 
vier untern Klassen des achtklassigen Schulsystems befassen sich 
lediglich mit einer gründlichen Einführung in die Grammatik der 
beiden klassischen Sprachen, während den vier obern die Behand- 
lung der klassischen Autoren, der Unterricht in Rhetorik und Dia- 
lektik, in den mathematischen Lehrfächern, d.h. der Arithmetik, Geo- 
metrie, Astronomie und Musik, sowie im Hebräischen vorbe- 
halten bleibt. Nach derVorschrift des Erasmus wird der Unterricht in 

29 



den beiden klassischen Sprachen gleichzeitig aufgenommen. Die erste 
(unterste) Klasse erlernt morgens die lateinische Deklination, Kom- 
paration und Konjugation, nachmittags das Lesen des Griechischen; 
die zweite im Lateinischen die Geschlechtsregeln der Nomina und die 
unregelmäßigen Verba, im Griechischen die Deklination der Nomina 
und die Konjugation der Verba Ttnrw, noisio und T.d-ri/.u. Beide Klassen 
haben täglich drei gemeinsame Stunden, von denen zwei zum 
Vergleich der Regeln der beiden Sprachen, eine zur Erlernung der 
Wortbedeutungen dient. Die dritte und vierte Klasse erledigen 
das gesamte grammatische Lehrpensum der beiden Sprachen und 
haben in ähnlicher Weise wie die erste und zweite drei gemein- 
same Lektionen. Aufgabe der fünften Klasse ist neben der Wieder- 
holung der Grammatik die Einführung in die Rhetorik (Schmuck 
der Darstellung) sowie die Anfangsgründe der hebräischen Sprache. 
Der sechsten Klasse fällt vornehmlich der Betrieb der mathema- 
tischen Wissenschaften, der siebenten die miteinander abwechselnde 
Erklärung griechischer und lateinischer Dichter, der achten die 
Erklärung eines Historikers, etwa Cäsar, nebst allgemeiner Wieder- 
holung zu. Jeden Morgen um 7 Uhr hören die Schüler der drei 
obersten Klassen gemeinsam eine Vorlesung über den elementaren 
Teil der Dialektik des Aristoteles, die der obersten außerdem um 
12 Uhr eine solche über die Partitiones oratoriae Ciceros. Nur 
die drei untersten Klassen sind ausschließlich auf den Unterricht 
im Gymnasium angewiesen; die fünf andern nehmen außerdem 
an den öffentlichen Vorlesungen über Sprachen und Philosophie 
teil, die an der Universität gehalten werden. Zur Erklärung sollen 
diejenigen Autoren ausgewählt werden, die die trefflichsten Beispiele 
zur Erläuterung der vorzutragenden Regeln bieten, am geeignetsten 
sind, Gewandtheit im Gebrauche der lateinischen Sprache zu ver- 
mitteln, und nichts enthalten, was religiös oder sittlich anstößig 
wäre. Nicht bloß Überflieger sollen als Schüler angenommen werden, 
sondern auch mittelmäßige Köpfe und überhaupt alle, die guten 
Willens sind, etwas zu lernen. Die Verteilung auf die einzelnen 
Klassen soll sich lediglich nach dem Wissen der Schüler und ihrem 
Alter richten. Jeder soll so lange in derselben Klasse bleiben, bis 
er sich das Lehrpensum vollständig angeeignet hat; auf diese 
Weise wird Gleichmäßigkeit der Kenntnisse in den einzelnen Klassen 
erzielt. Ganz besonders sind arme Schüler zu fördern, da die 
Erfahrung lehrt, daß aus ihnen so häufig große Männer hervor- 
gegangen sind, sobald sich ein Wohltäter fand, der sich ihrer an- 
nahm. Bei der Anstellung von Lehrern soll nicht so sehr auf 

30 



wissenschaftliche Tüchtigkeit wie auf ideale Auffassung des Lehrer- 
standes gesehen werden. Sie sollen einträchtig und bescheiden 
sein und sich neben ihrer Gelehrsamkeit auch durch erprobte 
Lebensführung auszeichnen. Der Unterricht darf insbesondere die 
Gründlichkeit nicht vermissen lassen. Bei der Schriftstellerlektüre 
soll zuerst das Thema formuliert werden; daran schließt sich das 
Lesen der Stelle mit guter Aussprache und die Worterklärung, und 
zwar bei lateinischen Texten so, daß dunkle Wörter durch bekanntere 
ersetzt und auf Bedeutung und Gebrauch des einzelnen Wortes 
eingegangen wird, bei griechischen durch Übersetzung ins Lateinische ; 
ferner die Etymologie und Konstruktion der einzelnen Wörter; 
sodann die Darlegung der Satzkonstruktion auf deutsch, endlich 
die Besprechung des Inhaltes, „soweit er auf Leben und Sitten 
Bezug hat". Jedes Semester steigen die Schüler in eine höhere 
Klasse auf. Zur Befestigung und Vertiefung der Lehrvorträge dienen 
die wöchentlich dreimal stattfindenden Disputierübungeu der untern 
Klassen über grammatische Fragen und die von den Schülern der 
obern Klassen außer den Disputierübungen wöchentlich einmal 
zu übernehmenden Deklamationen. Während des Tages — ab- 
gesehen von der Morgenfrühe und dem Abend — sind sämtliche 
Stunden bis auf zwei mit Lektionen oder gemeinsamen Repeti- 
tionen, letztere um 9 und 3 Uhr, besetzt; es muß aber auch noch 
Zeit gewonnen werden für private Wiederholungen beim Klassen- 
oder Hauslehrer. Ein Teil der Klassenlektüre ist zur Stärkung des 
Gedächtnisses auswendig zu lernen. Der Religionsunterricht muß 
der Fassungskraft der Schüler angepaßt und auf das Ziel der 
Studien, die Frömmigkeit, gerichtet sein. Die Staatsbehörden haben 
die Pflicht, das Schulwesen zu fördern und sich der Studierenden 
wie besonders der Rektoren wohlwollend anzunehmen; die Kosten, 
die sie dafür aufwenden, bringen ihnen großen Nutzen und hohen 
Ruhm. Endlich müssen die Eltern mit der Schule und den Lehrern 
Hand in Hand gehen. 

An den besondern ersten Hauptteil des Buches schließt sich 
ein zweiter allgemeiner. Hier wird dargelegt, welchen Nutzen die 
Studierenden ziehen aus der Freundlichkeit der Behörden und 
Bürger, der günstigen Lage des Ortes, der glänzenden Lebens- 
haltung und der Pracht der Schulräume und Wohnungen. Sodann 
wird auf die großen Übel hingewiesen, welche die in den ver- 
gangenen Jahrhunderten geübte und auch jetzt noch nicht aus- 
gestorbene falsche und verderbliche Art, die schönen Künste 
und die Philosophie zu betreiben, mit sich bringe, und ihr die 

31 



richtige, auf der Tugend beruhende Methode gegenübergestellt. 
Im Schlußabschnitt sollte dann analytisch das Wesen dieser besten 
Methode in allen ihren Teilen autgedeckt und synthetisch die 
Durchführung derselben an den einzelnen Wissenszweigen, wie 
Dialektik, Rhetorik, Moral- und Naturphilosophie, Mathematik und 
Metaphysik klargemacht werden, so daß sie geeignet erscheine, 
einzuführen in die höchsten Probleme der spekulativen wie der 
realen Wissenschaften. 

Die bis jetzt nicht veröffentlichte Lehranweisung des Leichius 
entzieht sich infolge ihrer äußerst mangelhaften Überlieferung 
einer vollständigen Ansschöpfung ihres Inhaltes; trotzdem kann 
man mit Sicherheit sagen, daß sie in untergeordneten Punkten 
von den Aufstellungen des Velsius abweicht. Der erste Teil ent- 
hält eine mit Beispielen erläuterte Anleitung zur Erteilung eines 
gründlichen lateinischen und griechischen Anfangsunterrichtes. 
Als Prinzip wird aufgestellt, daß am Morgen die Regeln, am Mittag 
die Anwendung derselben den Gegenstand des Unterrichtes bilden 
sollen. Morgens soll der Lehrer z. B. die lateinische Formenlehre 
und das griechische Alphabet, mittags ausgewählte Briefe Ciceros 
nach der Sammlung des Straßburger Schulrektors Joh. Sturm und 
das griechische Vater unser nach dem ebenfalls 1514 in Straßburg 
erschienenen Büchlein: Elementale Introductorium in Nominum 
et Verborum declinationes Graecas behandeln. Am Anfange der 
Stunde soll er kurz und klar das von ihm zu behandelnde Thema 
und dessen Teile angeben, dann die einzelnen Regeln oder Sätze 
auseinandersetzen und sich bei seinen Erklärungen der deutschen 
Sprache bedienen. Das wird insbesondere an einer Lektion über 
Wesen und Wert der lateinischen Grammatik und an der Besprechung 
des kleinen Briefes Cic. ad fam. XIV 22 gezeigt. Die drei Lectiones 
communes, die der Übung im Deklinieren und Konjugieren sowie 
der Wiederholung der Regeln und der Schriftstellerlektüre dienen, 
sollen morgens von 7—8, mittags von 1 — 2 und nachmittags von 
4_5 Uhr liegen, die beiden ersten im Anschlüsse an eine vor- 
hergehende Unterrichtsstunde, die letzte als Abschluß des ganzen 
Tagewerkes. Die Lehrer der untern Klassen sollen sich häufig 
über die Unterrichtsmethode miteinander austauschen. Sie sollen 
weniger durch Strenge als vielmehr durch Weckung des Ehrgefühls 
und des gegenseitigen Wetteifers auf faule und widerspenstige 
Schüler wirken. Liebevolle Behandlung der Schüler soll ihnen 
deren Gegenliebe gewinnen, wissenschaftliche Tüchtigkeit, gereiftes 
Urteil und ehrbarer Lebenswandel ihre Autorität stützen. Im zweiten 



32 



Abschnitte der Rede kommt dann die Unterrichtsverteilung und 
die Lektüre zur Sprache. Aristoteles in der lateinischen Übersetzung 
des Benediktiners Joachim Perionius, Plutarchs Schrift de pueris 
instituendis, Ciceros Tuskulanen, Livius, Ovids Tristia und des 
Rudolf Agricola drei Bücher de inventione dialectica werden hier 
genannt. Schließlich mahnt Leichius seine Kollegen zu einträch- 
tiger Arbeit an der Lösung ihrer „hochheiligen Aufgabe". Sie 
sollten ihn nicht im Stiche lassen, insbesondere erst nach voraus- 
gegangener mehrmonatigen Kündigung ihre Stellung aufgeben; 
dann werde auch er ihnen seine Hilfe in allen Stücken ange- 
deihen lassen. 

So lückenhaft auch unsere Kenntnis der Studiumreform des 
Leichius ist, überall leuchtet doch der ernstliche Wille hervor, auf 
wissenschaftlichem wie auf pädagogischem Gebiete etwas Tüchtiges 
zu leisten. So kann es uns nicht wundern, wenn seine Bestrebungen 
allgemeinen Beifall fanden: beim Rate, der die Reform in die 
Wege geleitet hatte, bei der Bürgerschaft, die ihre Söhne in stets 
wachsender Zahl der Anstalt anvertraute, bei den Kollegen, die, 
soweit sie dem Jesuitenorden angehörten, geradezu ihr Studien- 
und Erziehungsideal in den Leichiusschen Maßnahmen verwirklicht 
sahen. Auch bewilligte der Rat dem Regenten zur Erweiterung der 
Anstalt unterm 11. April 1554 ein Darlehn von 100 Talern und 
verpflichtete die Studenten zur Zahlung von „Hausgeld", das für 
die reichern zwölf, für die armem sechs Albus jährlich betragen 
sollte. Aber die schönen Hoffnungen, die man für die Zukunft 
der neuen Schule und ihres Regenten zu hegen wohl berechtigt 
war, sollten sich nicht erfüllen. 

Von vornherein fühlte sich Leichius, eine mehr auf das Theo- 
retische als auf das Praktische gerichtete Natur, zu schwach für 
die schwere Bürde, die auf seine Schultern gelegt war, und er 
vermochte auch tatsächlich nicht, eine energische Disziplin durch- 
zuführen. Sodann sahen die Regenten der andern Gymnasien 
mit Eifersucht das Anwachsen der Schülerzahl des Tricoronatum, 
die Kollegen des Leichius an der Universität die Verlegung des 
Schwerpunktes der artistischen Studien aus dieser in die Burse. 
Verhängnisvoll aber wurden für Leichius die Verwicklungen, in 
die er durch seine Freundschaft mit Velsius geriet. Während letz- 
terer als Anhänger der neuen Lehre immer offener hervortrat, wußte 
er auch ersteren für seine Anschauungen mehr und mehr zu 
gewinnen. Die Wandlung spiegelt sich in höchst interessanter 
Weise in den Briefen wider, die zwischen P. Leonard Kessel, 

3 33 



dem Rektor der Jesuitenniederlassung in Köln, und seinen Ordens- 
genossen Rethius und Hemerolus in Rom gewechselt wurden. Im 
Jahre 1554 veröffentlichte Velsius seine Krisis, eine Streitschrift, in 
der er die wahre, christliche Philosophie der antichristlichen gegen- 
überstellte, zahlreiche Anspielungen auf die Sophismen der Theo- 
logieprofessoren machte und ein furchtbares Bild der Verheerung 
entwarf, der die Jugend an der Universität anheimfalle. Wie 
begreiflich, erregte das Buch bei den Kollegen des Velsius den 
heftigsten Unwillen, und gegen seinen Verfasser leiteten Kaiser, 
Erzbischof und Universität im Bunde miteinander die erforderlichen 
Schritte ein, um ihn von seinem Lehrstuhl zu verdrängen. Eine 
kräftige Stütze hatte Velsius anfangs am Rate, der nicht zugeben 
wollte, daß ein von ihm bezahlter Professor seines Amtes ent- 
hoben werde, ohne daß man dem Rate zur Prüfung der Sach- 
lage und dem Angeklagten zu seiner Verteidigung Gelegenheit 
gebe. Trotzdem verhängte die Universität unterm 11. Dezember 1554 
über Velsius die Ausschließung, und der Rat fühlte sich nicht stark 
genug, ihn zu halten. Es kam ihm daher sehr gelegen, als Velsius 
selbst im Januar 1555 seine Professur niederlegte. Aber nun ent- 
brannte der Kampf erst recht. Velsius kündigte eine öffentliche 
theologische Vorlesung an und eiferte in seinen Schriften immer 
heftiger gegen die Universität, die kölnische Kirche, das Provinzial- 
konzil, den Cölibat der Priester und die Anbetung der Eucharistie. 
Nun erging an ihn zu wiederholten Malen die Aufforderung des 
Rates, die Stadt zu verlassen, ohne daß er ihr Folge leistete. 
Endlich mußte er sich zu Turm begeben, und das Inquisitions- 
verfahren wegen „der Schwärmerei des Wiedertaufs, der Sakra- 
mentirerei und anderer verdammter Sekten" wurde gegen ihn 
eingeleitet. Schon schwebte Velsius in größter Lebensgefahr, da 
führten die Interzessionsschreiben, die mehrere Fürsten zu seinen 
Gunsten an den Rat richteten, und die Furcht vor dem starken 
Anhange, den er unter dem Volke hatte, eine mildere Wendung 
seines Schicksals herbei: nachdem Velsius sich am 19.Dezember 1555 
schriftlich zur Augsburgischen Konfession bekannt hatte, wurde er 
von der Inquisition „als Ketzer, Blasphemator und des Aufruhrs 
Verdächtiger kondemniert und, damit der gelindeste Weg gegen 
ihn vorgenommen werde, der weltlichen Gewalt zur Proskribierung 
und Verweisung aus Stadt und Stift Köln überliefert". Auch gegen 
dieses Urteil erhob Velsius Einspruch, und so brachte man ihn in 
der Nacht vom 26. auf den 27. März 1556 gewaltsam in einem 
Nachen über den Rhein auf bergisches Gebiet. 

34 



Um dieselbe Zeit, wo Velsius seine Krisis veröffentlichte, 
geriet auch sein Freund Leichius wegen seiner religiösen An- 
schauungen mit der Universität in Konflikt: er heiratete um Johannis 
1554 und erschütterte durch diesen Schritt seine Stellung als 
Inhaber einer Universitätspräbende an St. Maria ad Gradus wie 
auch als Regens der Kukanerburse. Die Schülerzahl der letztern 
nahm allmählich ab, teils weil die Bürgerschaft an ihm irre wurde, 
teils weil seine alten Neider, die Regenten der beiden andern 
Gymnasien, die Gelegenheit benutzten, um im Trüben zu fischen. 
Indessen dauerte es ein volles Jahr, bis von seiten des Rates und 
der Universitätsprovisoren die Frage erwogen wurde, ob Leichius 
im Amte bleiben könne oder nicht. Einen akuten Charakter 
nahm diese erst bei der Dekanatswahl im März 1556 an, wo nach 
der üblichen Reihenfolge ein Mitglied der Domus Cucana zum 
Dekan erwählt werden sollte. Die Fakultät weigerte sich dessen, 
so lange ein Verheirateter an der Spitze des Gymnasiums stehe, 
und verlangte dringend von Leichius, daß er, seinem oft gegebenen 
Versprechen nachkommend, auf seine Stelle zugunsten seines 
Bruders Johannes oder eines andern Unverheirateten verzichten 
solle. Leichius dagegen betonte, seine Ehe sei weit besser als 
das sittenlose Junggesellenleben anderer, und er sei nicht weniger 
der Führung der Regentschaft wert als Leute, die sich mit Hab- 
sucht, Simonie und andern Lastern befleckt hätten; er werde sein 
Recht mit allen Mitteln verteidigen und nicht eher aus der Burse 
weichen, bis er vom Rate dazu genötigt werde. 

Es war genau an dem Tage der Ausweisung des Velsius, als 
Leichius die angeführten Worte sprach. Mit rührender Treue trat 
er nunmehr für den Verbannten ein und ließ am Dom anschlagen, 
er wolle dessen Vorgehen öifentlich verteidigen. Das Verhalten des 
Leichius, das von manchen geradezu als Anzeichen von Geistes- 
störung betrachtet wurde, und die gänzliche Verödung der Burse 
veranlaßten nunmehr den Rat, unterm 16. Juni mit Leichius in 
Unterhandlung zu treten, damit er unter Nachlaß der Schuld von 
100 Talern und mehrerer Jahre Mietzins die Burse räume. Nach- 
dem er unterm 2. Oktober noch vier Monate Ausstand erhalten 
hatte, um sich eine neue Wohnung zu suchen, übergab er bald 
darauf dem neu gewählten Dekan der artistischen Fakultät die 
Akten der Burse und verzichtete auf sämtliche Rechte an dieselbe. 
Am 28. Januar 1557 verließ er das Haus und lebte bis zu seinem 
Tode als Privatlehrer in Köln, immer und immer wieder belästigt 
von Maßregelungen und Ausweisungsbefehlen des Rates, der nicht 

3« 35 



dulden wollte, daß der Katholizismus durch Lehrer protestantischer 
Richtung gefährdet werde, anderseits aber auch den Verdiensten 
des ehemaligen Leiters seiner Burse zu viel Anerkennung zollte, 
als daß er den äußersten Schritt getan hätte. „Anno 1584 den 
18. sept." — so erzählt uns das Buch Weinsberg III, S. 248 — 
„starb meister Jacobus Lichius, ein gutter grammaticus und ler- 
meister uff S. Marvirnstrais (d. i. Machabäerstraße), vor burgers 
und fremder, edel und unedel kinder, guttes wandeis und 1er, 
aber nit cattolischer, colnischer, bruchlicher religion. Vor etlichen 
jarn wart im prebenda universitatis de prima gratia von provisorn 
geben ad Gradus Marie; der begert er folgens nit, resigneirte 
sie sinem broder, her Kochern, nam ein ehefraue, die cattolischs 
pleib, dabei er sie leis, und sich armlich der leerkinder ernerte 
lange zit van jaren, still hilf, gelitten wart. Er wurde auf dem 
Geussenfriedhof vor der Weyerpforte (an der Stelle des jetzigen 
evangelischen Krankenhauses) begraben." 

Nur wenige Jahre war es Leichius und Velsius beschieden, 
miteinander für die Reform des Kölner Schulwesens tätig zu sein, 
und nur zu bald wurde ihr fruchtreiches pädagogisches Wirken 
in den religiösen Streitigkeiten erstickt, in die sie sich verwickelten. 
Aber ihr Werk hat sie um Jahrhunderte überlebt: die humanistische 
Bildung, die sie in Köln eingeführt haben, zählt hier auch heute 
noch Tausende von begeisterten Anhängern, und wenn das Mar- 
zellengj'mnasium als humanistische Lehranstalt in sein neues Heim 
einzieht, so verdankt es das zunächst der Wirksamkeit eines Leichius 
und Velsius. 



Literatur. 

Handschriften: Matrikel der Kölner Universität, Bd. IV. — Dekanatsbuch 
der Artistenfakultät, Bd. IV. — Ratsprotokolle, Bd. 15-25. — Jesuiten-Akten 9. 
— Universitäts-Akten 602. Sämtlich im Kölner Stadtarchiv. Vergl. Mitteilungen 
aus dem Stadtarchiv von Köln 33, 1911, S. 141 ff. und S 148 ff. 

Druckwerke: J. Hartzheim, Bibliotheca Coloniensis, Col. 1747. — 
F. Reiffenberg, Historia Societatis Jesu ad Rhenum inferiorem, Col. 1754. — 
J. von Bianco, Die alte Universität Köln I, Köln 1855. — L. Ennen, Geschichte 
der Stadt Köln IV, Köln und Neuß 1875, S. 667 ff. — F. Paulsen, Geschichte 
des gelehrten Unterrichts, Leipzig 1885. — J.Hansen, Rheinische Akten zur 
Geschichte des Jesuitenordens 1542-1582, Bonn 1895. — Gast. Wolf, Aus Kur- 
köln im 16. Jahrhundert, Berlin 1905, 109 ff. — Simons, Kölnische Konsistorial- 
Beschlüsse 1572-1596, Bonn 1905, S. 5 und 11. — F. Meyer, Der Schulplan für 
das Dreikronenkolleg in Köln 1552, in den Mitteilungen der Gesellschaft für 
deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 18, 1908, S. 23 ff. 

36 



Nalus ColontafVbiorxcm. 
A ? XrT MEBOCXIl.labcnte . 
Dies hactervua incomncrta. 



ftretiltb.DnolDcaRETDTao 1^3 4 
V" et alttTaunvConsulc.Matre 
N.KAVNE.GIE 5 S EKConsulaiT,. 




Obyt ibklc'uiplaura .S.Maxrmx-m- 
A* is-r*. diclo. Octco . inimatiira. 
xnortK, ontTuvT Ordmimi larrymi5 
adS. PAVLL Sepultu^ 



H«rtmu» exüui^iu rrcubakiii 10\eX)vS orc 
Nunc vmi ad TKjTinanvsurCTUlinaQO.PArtUÄ' 

'lias erdL,<)uuido CICEHDNIS tnore lonahal, 
iSJui prataiui.lemu,6rugticra.Rostra replm« 



jttatXLllnoTuiisi currcnfe , 

Vir aivnis aAeo pauci3,raaxum 
;^li,ctUiborLS uuLclf.ssi. , de pa- 
Iria CXlLONLAoptimc mcTitus. 

Est triplfx n\eT\io parta COfayrt/l vivo i 
Priinafirii Soc'aaS,'\'»WO£u>taliei:a Cta\D, 
VfbijCgjl3PJ*IA?tiTtiaparta fuit . 



Z ialnda. mortuali ijL 'Vitium. deUneai-us tt Jcul-atia ßrmo vost xrm -nahon. 

lEiVs MtA DeLeCtatIo 



Johannes Rethius. 

Von Prof. Dr. Jos. KLINKENBERG. 

Unter den Schülern, die Leichius an der Dreikronenburse 
ausgebildet hat, ist für seine Zeitgenossen und zumal 
seine Mitbürger in religiöser wie in erziehlicher Hinsicht 
keiner bedeutsamer geworden als JOHANNES RETHIUS, der Mann, 
der berufen war, seinem Lehrer in der Leitung des Gymnasiums 
nachzufolgen und letzterm auf mehrere Jahrhunderte hinaus den 
Stempel seines Geistes aufzudrücken. 



37 



JOHANN VON RlEDT oder REIDT, latinisiert RlEDTUS oder RETHIUS 
• — so hat er selbst seinen Namen geschrieben, während die Spätem 
RHETIUS schreiben — stammte väterlicher- und mütterlicherseits 
aus Kölner Bürgermeisterfamiiien. Der gleichnamige Vater bekleidete 
im Jahre 1532, dem Geburtsjahre seines ältesten Sohnes Johannes, 
zum vierten Male das höchste reichsstädtische Amt, das er im 
ganzen fünfmal inne hatte; die Mutter, Katharina Kannengießer, 
war die Tochter des Bürgermeisters Gotthard Kannengießer und 
der Bürgermeisterstochter Katharina Rinck. Der Vater stand in 
freundsciiaftlichen Beziehungen zu den Humanisten Desiderius 
Erasmus, Johannes Caesarius und Jacobus Sobius, von denen 
letzterer ihm 1525 seine Liviusausgabe widmete. Vom Vater erbte 
der hochbegabte Knabe seine Vorliebe für die klassischen Sprachen; 
die Mutter, die nach dem vorzeitigen Tode des Vaters die Erziehung 
der Kinder leitete, flößte ihm eine tiefe Frömmigkeit und warme 
Anhänglichkeit an die katholische Kirche ein. Seine erste Aus- 
bildung genoß er in der Vaterstadt, wo er am 19. Juni 1546 als 
Artist immatrikuliert wurde. Er besuchte die Kukanerburse, deren 
Lehrer Gottfried Wylich und Jacobus Leichius er stets mit großer 
Verehrung und Dankbarkeit nennt, wurde als Zögling derselben 
am 2. November 1548 zur Baccalaureatsprüfung zugelassen und 
am 1. April 1549 promoviert. Am 3. März 1550 erfolgte seine 
Ernennung zum Lizentiaten und am 15. März desselben Jahres 
seine Promotion zum Magister artium. Wie er selbst in einem 
Briefe erzählt, hat er einen Teil seiner Studienzeit in Westfalen 
zugebracht. Man darf annehmen, daß er zu der Zeit, wo die 
Kukanerburse im Niedergange begriffen war, von der Mutter an 
das Gymnasium in Münster geschickt wurde, wo der Freund des 
Vaters Caesarius wirkte. 

Bestimmend für das ganze Leben des jungen Magisters wurde 
seine Bekanntschaft mit P. LEONARD KESSEL, dem ebenso gewandten 
wie tatkräftigen ersten Rektor der Kölner Jesuitenniederlassung. 
Von einem Verwandten seiner Mutter, Peter Kannengießer, bei 
ihm eingeführt, gewann er bald dessen lebhafteste Sympathie und 
machte seinerseits Kessel zu seinem Seelenführer. „Es ist ein 
vorzüglicher Jüngling" — so schreibt dieser über ihn an Ignatius — 
„von reinen Sitten, gütig und liebenswürdig im Umgang." An- 
fangs schwankte Rethius noch, ob er sich für den Ehestand oder 
die Ehelosigkeit entscheiden sollte, und eine Studienreise nach 
Paris, die er 1550 antrat, hätte ihn beinahe den Strudeln eines 
leichtsinnigen Lebens überantwortet; als er aber wegen des Krieges 

38 



nach Köln zurückkehrte und seine Beziehungen zu Kessel immer 
inniger wurden, da war noch vor Ablauf des Jahres der Entschluß 
bei ihm gereift, nicht nur ehelos zu bleiben, sondern auch dem 
Jesuitenorden beizutreten. Zunächst war er nur heimliches Mit- 
glied der Gesellschaft, aber schon damals ein begeisterter Förderer 

ihrer Interessen. Mit 

nämlich Kessel die 
Erfüllung des langge- 
hegten Wunsches, den 
Jesuiten die höhere 
Lehrtätigkeit zu eröff- 
nen. Auf Kessels Ver- 
anlassung bestimmte 
Rethius den Regens 
Leichius, mit dem er 
seit seiner Schülerzeit 
gute Beziehungen un- 
terhalten hatte, ihn als 
Lehrer an der Drei- 
kronenburse anzuneh- 
men, und so unterrich- 
tete nun der vornehme 
junge Magister seit 
Ostern 1552 täglich 
zwei Stunden die Gram- 
matici, d. h. die Schüler 
der untern Klassen. 
Leichius fragte ihn auch viel um Rat und betraute ihn mit seiner 
Stellvertretung bei Tisch, ja seit August wohnte Rethius vollständig 
in der Burse. In einem interessanten Briefe aus dem Herbste des- 
selben Jahres ist uns seine damalige Tagesordnung erhalten, die 
sich aus religiösen Übungen, Studium und Unterricht zusammen- 
setzt. Täglich steht er um 4—5 Uhr auf. An den Wochentagen 
wird darauf eine Stunde der Betrachtung und dem Gebet gewid- 
met. Dann folgt Studium bis zur Messe um 6 Uhr. Um 8 Uhr 
hört er Hebräisch, wiederholt um 9 Uhr die Vorlesung, erklärt 
den Schülern um 1 Uhr Ciceros Briefe ad familiäres und Cäsars 
Commentarien, treibt von 2—4 Uhr selbst Klassikerlektüre, liest 
mit den Schülern um 4 Uhr Reden aus Livius und Ovids Tristia, 
beschäftigt sich von 5 Uhr ab mit leichterer Lektüre und hält 




3ic oculos.stcora.n-ianjLEONARDEferebaS, 
DumLOlOI^ absens sisicret ora tibi 



39 



nach dem Abendessen noch eine halbstündige Gewissenser- 
forschung. Dienstags nach Tisch besucht er seine Mutter und 
sucht Erholung in angenehmer Unterhaltung; Samstags um 3 Uhr 
geht er zur Beichte und bereitet sich nach dem Abendessen 
besonders auf die morgige Kommunion vor. Die Morgenfrühe 
des Sonntags widmet er einer einstündigen Betrachtung, dem 
Empfang der hl. Kommunion in der Messe und, wenn möglich, 
dem Anhören der Predigt. Dann folgt abwechselnd Studium und 
Gebet. Um 3V4 Uhr hält er Gewissenserforschung; um 4 Uhr 
erklärt er den Schülern die Parabeln Salomons. Mit seinem 
eigenen Studium verfolgt er den Zweck, ein tüchtiger Mensch und 
ein gewandter Verkünder des Evangeliums zu werden. „Darum 
beschäftige ich mich fleißig mit der Redekunst, lese eifrig Cicero, 
ahme ihn in Stilübungen nach, vernachlässige das Deutsche 
nicht, studiere das Hebräische und will gegen den Sommer auch 
zum Griechischen zurückkehren." 

Der Regens Leichius, der von vornherein die Leitung der Schule 
als eine drückende Last empfand, bezeichnete wiederholt im Privat- 
gespräch den tüchtigen und tatkräftigen Magister als geeignet für 
diesen Posten, und Rethius fühlte auch Lust und Kraft in sich, zu 
Nutz und Frommen seiner Vaterstadt und der Gesellschaft Jesu dem- 
selben vorzustehen. Aber seine dahin zielende Anfrage fand einst- 
weilen kein Gehör. So sehr sich Ignatius über die glückliche Wen- 
dung freute, so wollte er doch die junge Kölner Niederlassung nicht 
gebunden wissen, und Kessel war schon lange der Meinung, der 
hoffnungsvolle Novize werde noch größere Fortschritte machen, 
wenn er das Leben im römischen Kolleg der Gesellschaft Jesu 
kennen lernen würde. Sein Gedanke kam zur Ausführung. Ohne 
Vorwissen ihrer Eltern reisten am Karfreitag 1553 die drei Magister 
Johannes Rethius, Franz Coster und Gerhard Brassica nach Rom ab; 
den ersten begleiteten auf ihren dringenden Wunsch seine beiden 
Schüler Andreas Lynner und Franz Dachverlies (Hemerolus). 
Die Reise, deren große Beschwerden Brassica in einem Briefe an 
Kessel anschaulich schildert, ging durch Württemberg über Trient 
und Venedig. Auch jetzt wurde das Studium nicht vernachlässigt. 
In der Morgenfrühe unterrichtete Rethius den Lynner und Hemerolus 
in lateinischer Grammatik, um darauf mit Coster und Brassica 
hebräische und griechische Grammatik zu treiben. Am 20. Mai, 
dem Tage vor Pfingsten, langte die Reisegesellschaft sehr erschöpft 
in Rom an. Auf höhere Anordnung studierte Rethius zunächst 
ein Jahr Philosophie, um dann zur Theologie überzugehen Kurz 

40 



vor seiner Abreise im Mai 1556 empfing er die Priesterweihe und 
traf am 22. Juni in Köln ein, begeistert für die Aufgaben des 
Jesuitenordens, der, wie er selbst in Briefen aus Rom u. a. an 
den spätem Syndikus der Hansa HEINRICH Sudermann ausführt, 
die Ehre Gottes und die Wohlfahrt des Nächsten in jeder Weise 
fördern, das Leben dem der ersten Christen möglichst ähnlich gestal- 
ten und die zu Ämtern in Staat und Kirche berufene Jugend zur 
Wissenschaft, Sittlichkeit und Frömmigkeit heranbilden wolle. 

Die Lösung dieser 
Aufgaben in die Hand 
zu nehmen sollte 
Rethius bald reiche 
Gelegenheit finden. 
Nach längerem Zö- 
gern hatte sich näm- 
lich Ignatius auf An- 
suchen der Freunde 
der Gesellschaft, zu- 
mal des Priors der 
Kartäuser, entschlos- 
sen, der Gründung ei- 
nes Jesuitenkollegs in 
Köln näher zutreten. 
Heinrich dionysius, 
Franz coster, Jo- 
hannes RETHIUS und 
Heinrich Somalius wurden von Rom abgeschickt, um unter 
Leitung Kessels den Grundstock desselben zu bilden. Sie hatten 
die Weisung erhalten, zunächst mit den Kölner Freunden Füh- 
lung zu nehmen, in Predigten und Privatunterhaltungen für 
die katholische Sache tätig zu sein und, so lange die Grün- 
dung eines eigenen Kollegs noch nicht möglich sei, in andern 
Schulen zu unterrichten. Nun hatte der Rat nur wenige Tage 
vor ihrer Ankunft Leichius auffordern lassen, die Burse zu 
räumen, und die Provisoren angewiesen, sie sollten „verdacht 
sein uf eine bequeme gelerte person, denselben zum regenten 
vorzuschlagen". Daher wandten sich Heinrich Dionysius, Franz 
Coster und Johannes Rethius noch im Juni mit einer Ein- 
gabe an den Rat, in der sie sich zunächst zur Abhaltung von 
täglich drei theologischen und einer mathematischen Vorlesung 
erboten, die in der letzten Zeit fast unterblieben waren, sodann 




Heinr. Sudermann. 



41 



um Überlassung der Dreikronenburse anhielten unter dem Ver- 
sprechen, der katholischen Religion treu zu bleiben, kein Kloster 
oder Kollegium in Köln zu errichten, keine dem Rate mißliebigen 
Mitglieder der Gesellschaft hierher zu bringen, die Universitäts- 
statuten treu zu beobachten, mit den andern Bursen sich gut zu 
vertragen und die Dreikronenburse, falls der Rat es befehlen sollte, 
sofort aufzugeben. Kurze Zeit nach Überreichung der Eingabe 
waren die drei Bittsteller zu Baccalaurei der Theologie promoviert 
worden; Dionysius hatte eine Vorlesung über die Psalmen unter 
großem Beifall seiner zahlreichen Zuhörerschaft aufgenommen, 
Rethius und Coster solche über das Matthäusevangelium und die 
Genesis in Aussicht gestellt. Infolgedessen war die Universität 
den Bittstellern geneigt: der Senat entschied in ihrem Sinne, 
ernannte Rethius zum Regens des Gymnasiums und verlangte von 
den Petenten außer der Erfüllung der von ihnen gemachten Ver- 
sprechungen nur noch die Versicherung, daß sie keinen Schüler 
zum Eintritt in die Gesellschaft Jesu verlocken und ihr Gesuch 
um die Burse alle zwei Jahre erneuern wollten. Aber der Rat 
schlug einige Tage später infolge mißgünstiger Berichterstattung 
der Delegierten der Universität das Gesuch rundweg ab. Infolge- 
dessen reichten die drei Jesuiten ein neues Gesuch an den Rat 
ein, das von ihrem Gönner DR. JOH. GROPPER, Scholarchen an 
St. Gereon, verfaßt war. Es betont die Bestätigung der Gesell- 
schaft Jesu durch den Papst und das Ansehen, dessen sich ihre 
Mitglieder als Priester, Prediger und Lehrer bei den katholischen 
Fürsten erfreuen, und will auf diese Weise die Bedenken aus- 
räumen, die sich gegen ihre Zulassung zum Tricoronatum er- 
heben könnten. Aber trotz der Fürsprache der beiden Doktoren 
Gropper und des Karmeliterprovinzials hatte auch diese Bittschrift 
wenig Aussicht. Da erfuhr Rethius von dem Sohne des Bürger- 
meisters Hermann Sudermann, des besonderen Gönners der 
Dreikronenburse und des Jesuitenordens, daß der Rat lediglich 
der Gesellschaft Jesu die Burse nicht überlassen wolle; wenn 
Rethius für seine Person um dieselbe einkomme, werde kein 
Hindernis im Wege stehen. Nun richtete Rethius allein eine dritte 
„Supplikation" um die Burse an den Rat, in der er kurz und bündig 
erklärte: „will mich also dorin durch gottes hilf halten, daß ich 
verhoff, man nutz und ehr von mir wirt haben". Am 27. November 
entschied der Rat zu seinen Gunsten, daß „ime die burse erlaubt 
und zugelassen uf 2 iar zu versichen, doch sol er jarlich uf die 
fridagsrentkamer zins bezalen 25 goldgulden". Nachdem Leichius 

42 



am 28. Januar 1557 die Burse geräumt hatte, zog Rethius am 
1. Februar ein und eröffnete am 14. Februar den Unterricht in 
drei Klassen nach einem Stundenplan, der an den Türen des 
Domes, der Pfarrkirche St. Maria im Pesch, der Stifskirche St. Maria 
ad Gradus, des Trankgassentores und der Burse selbst angeschlagen 
war und von Rethius Hand geschrieben in den Fasti et ephemerides 
Gymnasii novi triam coronarum S. J. Coloniensis (Stadtarchiv, 
Univ.-Akten 604) fol. 17 vorliegt. Schon die Einleitungsvorträge 
des Rethius in Ciceros Rede pro lege Manilia und dessen partitiones 
oratoriae sowie Costers in die Analytica priora des Aristoteles 
richteten die Aufmerksamkeit aller gebildeten Kreise Kölns auf das 
neue Gymnasium und gewannen ihm eine nicht unerhebliche Anzahl 
von Schülern und Gönnern. Aber die zwei noch übrigen Monate 
des Wintersemesters bildeten nur das Vorspiel für die eigentliche 
Tätigkeit der Schule: diese setzte erst vollständig ein mit dem 
Sommersemester, dessen Lehrplan Rethius am 25. April veröffent- 
lichen und nicht nur allenthalben in Deutschland, zumal in 
denjenigen Gegenden, die der neuen Lehre anhingen, sondern 
auch in den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich, Italien, Ungarn 
und England verbreiten ließ. Er lautet nach Univ.-Akten 604 
fol. 19 folgendermaßen: 

Tabula Lectionum huius Coronarum Collegii. 

In classe Dialecticorum 
praelegentur 

Hora sexta matutina voces Porphirii: deinde 
Aristotelis Cathegoriae et de interpretatione liber. 
Hora septima lectionis.fiet repetitio iuncta disputatione. 
Hora duodecima Aristotelis Analytica priora et posteriora. 
Hora prima lectionis repetitioni quoque adiungetur 
disputatio. 

Hora quarta Sphera mundi Joannis Sacrobusti. 
Diebus Veneris hora quarta vespertina disputabitur. 



M. Fran- 

ciscus 

Costerus 



M. 
Henricus 
Dionysius 

M. Fran- 

ciscus 
Costerus 



Sabatinis eadem hora Epistola et Evangelium legentur. 

Dominicis hora duodecima Euchlidis Megarensis Geo- 
methricorum elementorum libri praelegentur et iisdem 
diebus hora quarta exponetur Summa doctrinae christia- 
nae in usum christianae pueritiae per quaestiones recens 



43 



M. Fran- 

ciscus 

Costerus 



conscripta et iussu ac auctoritate sacratissimae Rom. 
Hung. Bohem. etc. Regiae Maiesta. edita. Reliquis porro 
festivis diebus et in iisdem exercebuntur auctoribus et 
praeterea mane hora sexta explicationi Epistolae et 
Evangelii illius diei intererunt. 

In classe Rhetorum 

Hora sexta Marci Tullii Ciceronis Philippicae in Marcum 

Antonium. 

Hora septima lectione hac prius repetita adolescentum 

compositiones corrigentur. 

Hora duodecima Ciceronis de partitione Oratoria dia- 

logus. 

Hora prima idem fiet quod mane hora septima. 

Hora quarta Tabulae Diaiectices Cornelii Valerii. 

Diebus Sabatinis et Dominicis hora quarta, et cae- 
teris diebus festivis etiam hora sexta his lectiones 
communes erunt cum Diaiecticis. Sed Dominicis die- 
bus hora duodecima unus eorum orationem pronuntiabit, 
et in caeteris festis eadem hora Tabulas Cornelii Va- 
lerii andient. 

In Prima classe Grammaticorum 
Hora sexta et septima Opus Joannis Despauterii de 
Syntaxi seu emendata Structura latini sermonis. 
Hora nona M. Tullii Ciceronis Laelius sive de ami- 
citia dialogus ad T. Pomponium Atticum. 
Hora duodecima et prima M. Tullii Ciceronis Epistu- 
larum libri XVI. 

Hora quarta rursum Despauterius de emendata Struc- 
tura latini sermonis. 

In secunda classe Grammaticorum 

Hora sexta et septima Despauterius de generibus ac 

declinationibus nominum. 

Hora nona M. T. Ciceronis Selectarum Epistolarum 

libri tres. 

Hora duodecima et prima Despauterii de nominibus 

Heteroclitis, formis comparationum, et verborum prae- 

teritis atque supinis tractatus. 

Hora quarta rursum Ciceronis selectae epistolae. 



44 



In utroque porro Grammaticorum ordine iuvenum 
compositiones praeceptores emendabunt et saepius 
quotidie lectiones repetent. Diebus praeterea sabatinis 
Epistolam et Evangelium sequentis diei exponent: id 
quod iis diebus qui sanctis consecrati sunt mane hora 
septima et meridie hora duodecima fiet. Quarta denique 
hora Catechismum iilum brevem, qui doctrinae chris- 
tianae compendium est, studiose discent: et Dominicis 
diebus hora duodecima studiosum Rhetoricae orantem 
audient. 

Dominus noster Jesus Christus, quo adiuvante 
plures huius modi iabores in vestram utilitatem post- 
hac suscipiemus, conatus nostros propitius intueatur. 
Der Studienplan weist, wie das in der Natur der Sache liegt, 
nahe Beziehungen zu der Kölner wie zu den niederländischen 
Humanistenschulen auf. Das Gymnasium, mit drei Klassen eröffnet, 
hat jetzt deren vier, und sechs Lehrer. Der Studiengang führt nach 
altbewährter Weise durch Grammatik, Beredsamkeit und Philosophie 
zu den akademischen Fächern im eigentlichen Sinne empor. Wie 
damals allgemein üblich, herrscht das Klassenlehrersystem. Die 
Schulstunden liegen wie bei Leichius von 6 — 8, von 12 — 2 und 
von 4 — 5 Uhr; die Grammatikklassen haben außerdem eine Stunde 
um 9 Uhr. Wegen der äußerst beschränkten Zahl der Lehrfächer 
ist der Stundenplan für alle Wochentage im wesentlichen gleich; 
auch an den Sonn- und Feiertagen finden mehrere Unterrichts- 
stunden statt. Die beiden Unterklassen, die sog. Grammatici, be- 
schäftigen sich lediglich mit dem Studium des Lateinischen. Sie 
lesen Cicero, die Anfänger seleclarum Epistolarum libri tres, eine von 
Heinrich Somalius besorgte Sammlung kurzer und leichter Briefe, die 
Rethius herausgegeben hatte, zweifelsohne um die Sturmsche Samm- 
lung zu verdrängen. Die Grammatik wird betrieben nach den ,,Gram- 
maticae institutionis rudimenta" und den ,,Commentarii grammatici" 
des JOHANNES DESPAUTERIUS (van Pauteren), eines aus Ninove in 
Flandern stammenden Humanisten und Schulmannes (t 1526). 
Schriftliche Arbeiten, die vom Lehrer zu verbessern sind, und 
tägliche Wiederholungen unter seiner Leitung dienen zur Befestigung 
des Lernstoffes. Samstags, anscheinend um 4 Uhr, und Festtags 
um 7 und 12 Uhr hören beide Klassen die Erklärung der sonn- 
oder festtäglichen Epistel und des Evangeliums, um 4 Uhr — es 
ist wohl an den Sonn- und Feiertagen gemeint — lernen sie den 
von P. Nicolaus Goudanus hergestellten Auszug aus dem Katechis- 

46 



mus des Canisius, den Rethius hatte drucken lassen, am Sonntag 
um 12 Uhr wohnen sie dem Vortrag eines Schülers der Rhetorik 
bei. Als Klassenlehrer der vereinigten Grammatik war anfangs 
Magister Johannes de Cathena tätig; an seine Stelle traten schon 
am 8. März die eben promovierten Magister Gregorius Fabius 
aus Dinant für die Oberstufe und Johannes Berckelius aus Her- 
zogenbusch für die Unterstufe. — Ihrem Namen entsprechend 
beschäftigt sich die Rhetorikerklasse unter Leitung ihres Klassen- 
lehrers Rethius mit den Meisterwerken Ciceronischer Beredsamkeit, 
den Philippischen Reden gegen M. Antonius, und dem Kompendium 
ihrer Theorie, dem Dialog de partitione oratoria, sodann unter 
Leitung des Joh. de Cathena mit den Tabulae dialectices CORNELII 
Valerii (Wouters), eines berühmten Ciceronianers aus Oudewater 
bei Utrecht, der Schüler und Lehrer an dem Collegium trilingue 
in Löwen war (| 1578). Sonntags 12 Uhr findet die Rede eines 
Schülers, Festtags 12 Uhr Vortrag aus den Tabulae dialectices 
statt. Gemeinsam mit den Schülern der Dialektik haben die 
Rhetoriker Samstags um 4 Uhr Erklärung der Epistel und des 
Evangeliums, Sonntags um 4 Uhr Erläuterung des Canisiusschen 
Katechismus. — In der obersten Klasse, der Dialektik, werden die 
logischen Schriften des Aristoteles in der Übersetzung des 
JOACHIM Perionius, die Einleitung des Neuplatonikers Porphyrius 
zu denselben, die Sphaera mundi des JOHANNES Sacrobosco, ein 
astronomisches Lehrbuch des 13. Jahrhunderts, und an den 
Sonn- und Festtagen die Elemente der Geometrie nach Euclid 
von dem Klassenlehrer Coster behandelt; den philosophischen 
Vorträgen folgt stets eine Stunde Repetition und Disputation. 
Freitags um 4 Uhr ist große Disputation, an den Festtagen um 
6 Uhr morgens die Erklärung der Epistel und des Evangeliums. 
Die Entwicklung der jungen Anstalt ging erstaunlich rasch 
vorwärts. Sie vollzog sich bis zum Sommer 1561 in der Weise, 
daß gleich dem grammatischen Kursus nun auch der rhetorische 
und philosophische je zwei Klassen umfaßte, jener die Poetik und 
Rhetorik, dieser die Logik und Physik. Das Sechsklassensystem 
ist von nun an die charakteristische Form der Kölner Jesuiten- 
schule geblieben. Wenn seit 1609 eine dritte Grammatikklasse, 
die sogenannte infima Grammatica erscheint, so ist sie nur als Vor- 
schule zu betrachten; ebenso steht außerhalb des Systems die 
schon im Lehrplan für das Wintersemester 1561/62 genannte Vor- 
bereitungsklasse angehender Magister. Wie sich aus den Ver- 
zeichnissen der versetzten Schüler ergibt, betrug die normale Dauer 

46 



des Aufenthaltes eines Schülers in derselben Klasse ein Jahr, und 
zwar fanden die Versetzungen in der Regel zu Allerheiligen statt. Da 
es aber neben dieser wichtigsten „Studienerneuerung" (Renovatio 
oder Jnstauratio studiorum) eine andere zu Ostern gab und je- 
des Semester ein neuer Lehrplan eintrat, so war begabten und 
fleißigen Schülern auch die Möglichkeit geboten, das Klassen- 
pensum in einem Semester zu erledigen. Der Ascensus ist an 
eingehende Klassenprüfungen geknüpft, deren Ergebnis bei einer 
öffentlichen Schulfeier bekannt gemacht wird; die drei tüchtigsten 
Schüler erhalten Prämien. Den Abschluß der Logik bildet das 
Baccalaureatsexamen, zu dem die Termine (Christi Himmelfahrt 
und erste Hälfte des November) in den Beginn der Semester 
fallen; den der Physik das Tentamen pro gradu licentiae am 
Blasiustag (3. Februar). 

Im grammatischen und rhetorischen Kursus ist das wichtigste 
Unterrichtsziel die Aneignung eines klassischen Lateins. Wie das 
gedacht ist und mit welchen Mitteln die Lösung der Aufgabe 
angestrebt wird, zeigt am besten die „Anweisung, die lateinische 
Sprache zu lernen und zu lehren", die Rethius seinen Lehramtskandi- 
daten Fabius und Berckelius in die Hand gibt (Stadtarchiv, 
Tagebuch des Rethius, Univ. -Akten 604 fol. Hb): 

„Verwendet alle mögliche Sorgfalt und Mühe darauf, eure 
Schüler möglichst schnell an ein reines, unverdorbenes Latein zu 
gewöhnen. Setzt ihnen daher die Regeln der Grammatik so aus- 
einander und macht sie ihnen so klar, daß sie dieselben mit nur 
ganz geringer Mühe erfassen und sich dabei nicht lange aufhalten. 
Zur Nachahmung stellt ihnen nur Cicero vor, den gefeiltesten und 
beredtesten unter den lateinischen Schriftstellern. An ihm sollt 
ihr ihnen nicht bloß die Anwendung der Regeln zeigen, sondern 
auch die einzelnen Wörter mit sorgfältigen Nachweisungen ver- 
sehen, sowohl an und für sich als besonders mit Bezug auf ihre 
Konstruktion und Stellung. Was nämlich jedes einzelne Wort 
bedeutet, an welcher Stelle und in welcher Reihenfolge es steht 
und mit welchen andern Wörtern es bei Cicero verbunden erscheint, 
sollt ihr den Knaben mit großer Sorgfalt und vielem Fleiße dar- 
legen und ihnen in Kürze den ganzen Aufbau und die Zusammen- 
setzung der Sprache Ciceros zur Anschauung und Nachahmung 
vorführen. Dazu muß dann eine mannigfaltige und vielfache Übung 
kommen. Legt ihnen also das, was ihr sie gelehrt habt, mit ver- 
änderten Zeiten, Personen, Orten und Sachen in deutscher Übertra- 
gung vor und laßt es sodann die Knaben selbständig ins Lateinische 

47 



übersetzen, und zwar ganz auf die Weise, die sie gerade gehört 
haben. Sind sie in Übungen dieser Art einigermaßen geschult, so 
sollen sie vor größere Aufgaben gestellt und größerer Volliionimen- 
heit entgegengeführt werden; sie sollen nämlich Briefe Ciceros, 
die ihr ihnen wörtlich ins Deutsche übersetzt, ohne den lateinischen 
Text weiter anzusehen, aus eigener Kraft wiedergeben. Wenn sich 
auch hierin ein ziemlicher Fortschritt bemerkbar macht, dann soll 
man ihnen in derselben Weise einige Briefe Ciceros vorlegen, die 
sie mit den Wörtern und Ausdrücken wiedergeben sollen, in denen 
Cicero an andern Stellen den nämlichen Gegenstand behandelt. 
Bevor sie sodann von diesen Übungen zur Poesie oder Rhetorik 
zugelassen werden, sollen sie sich zuerst einige deutsche Bücher 
ganz verschiedener Art zur Übersetzung wählen, um sich daran 
zu gewöhnen, jeden Stoff in lateinischer Darstellung glänzend 
und nach Art Ciceros zu behandeln. Mag das alles auch mühevoll 
und schwierig sein, es wird doch bequem und leicht einerseits 
durch die Aussicht, gewissermaßen das Höchste in der Beredsam- 
keit zu erreichen, besonders aber mit Hilfe großer Arbeit und 
Anstrengung von eurer Seite; werdet ihr doch auch darauf 
nicht zu wenig Mühe und Sorgfalt verwenden, daß eure Schüler 
nur in der Art und Weise schreiben und reden, wie sie es nicht 
etwa von euch, sondern von Cicero gelernt haben; denn nach 
seiner Sprache müssen sich als der richtigsten Norm alle Studien 
der lateinischen Sprache richten." 

Ein Vergleich dieser Anweisung des Rethius mit den ent- 
sprechenden Bestimmungen des Leichius und Velsius fällt zu 
Ungunsten der erstem aus. Wohl betonen auch letztere mit allem 
Nachdruck den Wert einer guten lateinischen Diktion; aber sie 
sind nicht so ausschließlich auf Cicero als Vorbild eingeschworen 
wie Rethius und lassen vor allem bei der Behandlung der Schrift- 
steller neben der Form auch den Inhalt, „soweit er auf Leben 
und Sitten Bezug hat", zu seinem Rechte kommen. Den ange- 
gebenen Grundsätzen gemäß verwendet die Jesuitenschule in aus- 
giebigster Weise als Lektüre Ciceros Briefe, Reden, rhetorische 
und philosophische Schriften; daneben erscheinen noch in der 
Poetik Vergils Äneis, Ovids Tristia, die Episteln des Horaz, die 
Komödien des Terenz sowie eine Chrestomathie aus den römischen 
Elegikern von JOHANNES MURMELLIUS, einem hervorragenden Philo- 
logen und Schulmann aus Roermond, der vornehmlich in Münster 
seine Tätigkeit entfaltet hat. Wie Leichius und Velsius, so wollte 
auch Ignatius „die unreinen Autoren" vom Jugendunterrichte ausge- 

48 



schlössen wissen; im gegebenen Falle halfen sich die Jesuiten 
mit sogenannten purgierten Ausgaben. Weit strenger als Leichius 
aber nahm es Rethius mit den von Protestanten verfaßten Schrift- 
stellerausgaben und Lehrbüchern. Schon zu der Zeit, wo er unter 
Leichius als Lehrer an der Kukanerburse wirkte, hatte er seine 
Bedenken über derartige Bücher, die er in den Händen der Schüler 
sah, Ignatius gegenüber geäußert und gemeint, wenn er Leichius 
um Abhilfe angehe, so werde dieser ablehnend erwidern: „Mögen 
die Verfasser Häretiker sein ; hier haben sie jedenfalls ihre Irrtümer 
nicht zur Geltung gebracht." Daher arbeitete Rethius seit dem 
Antritte seiner Regentschaft mit allem Nachdrucke darauf hin, 
Bücher von religiös zweifelhaften oder protestantischen Verfassern 
aus den Händen der Schüler zu entfernen. Im Lateinischen finden 
wir außer den schon genannten Werken im Gebrauch oder von 
Rethius empfohlen: des Humanisten RUDOLFUS AGRICOLA (| 1485 
zu Heidelberg) de inventione dialectica libri tres und den Auszug 
aus diesem Werke von Bartholomaeus Latomus aus Arlon, die 
Dialektik des AUGUSTINUS HUNAEUS aus Mecheln, des französischen 
Jesuiten ANDREAS FRUSIUS De utraque Copia verborum et rerum 
praecepta und dessen Rudimenta, des JOHANNES MURMELLIUS Tabu- 
lae in artis componendorum versuum rudimenta, sowie die Prosodie 
des GEORGIUS MACROPEDIUS (van Langeveldt), Lehrers in Lüttich, 
Herzogenbusch und Utrecht (f 1558). 

Dem Lateinischen gegenüber tritt das Griechische bedeutend 
zurück. Im Wintersemester 1558/59 wird unter den lectiones com- 
munes aufgeführt „cum Leonardo Luciani mortuorum dialogi", 
d. h. die Schüler, wahrscheinlich der drei Klassen Grammatik I, 
Poetik und Rhetorik, lesen Lucians Totengespräche unter gleich- 
zeitigem Studium der griechischen Grammatik des NICOLAUS 
Clenardus (Cleonardus, Cleynaerts) aus Diest, der Lehrer der 
griechischen und hebräischen Sprache in Löwen war, sich später 
ganz dem Studium des Arabischen widmete und nach tragischen 
Schicksalen 1542 in Granada starb. Vom Sommer 1561 an werden 
die Anfangsgründe des Griechischen in der obern Grammatikklasse 
gelehrt, in der Poetik der Plutus des Aristophanes, in der Rhetorik 
die philippischen Reden des Demosthenes und die Apostelgeschichte 
gelesen. Daneben studiert man die griechische Syntax des JOHANNES 
VARENNIUS (van der Varen) aus Mecheln, Professor in Löwen 
(f 1536). Auch im griechischen Unterrichte spielen die rhetorischen 
Interessen die Hauptrolle: in dem Entwurf einer Studienordnung des 
Rethius vom Jahre 1563 heißt es, daß die Schüler sich in der Ab- 

4 49 



fassung und im Vortrag griechischer Reden fleißig üben sollen. 
Das Hebräische erscheint in den altern Lehrplänen des Gymnasiums 
überhaupt nicht; zu seiner Erlernung sind die Schüler auf die 
Vorlesungen in der Schola artium angewiesen. 

Die beiden obersten Klassen beherrscht vollständig Aristoteles, 
dessen Schriften in der Übersetzung des Joachim Perionius die 
Grundlage für den philosophischen Unterricht bilden; zur Ein- 
führung dient die Isagoge des Neuplatonikers Porphyrius. Wenn 
man bedauern muß, daß in diesen Klassen nicht mehr, wie in dem 
Plane des Leichius und Velsius vorgesehen ist, griechische und 
lateinische Dichter und Historiker behandelt werden, so darf man 
anderseits nicht vergessen, daß die Statuten der Kölner Artisten- 
fakultät auf eine möglichst umfassende Kenntnis des Aristoteles 
hindrängten und von dem Kandidaten für das Baccalaureat die 
Bekanntschaft mit den logischen und einigen physischen, von dem 
zukünftigen Lizentiaten die mit den sämtlichen physischen, meta- 
physischen und ethischen Werken dieses Autors verlangen. Wollte 
also das neue Institut bei den Prüfungen gute Resultate erzielen, 
so mußte es diesen Vorschriften gerecht werden. 

Den Charakter von Nebenfächern tragen die Mathematik und 
die Religion: sie fallen zumeist unter die sogenannten lectiones com- 
munes (d. h. Unterrichtsstunden für vereinigte Klassen), die nur 
an den Sonn- und Festtagen abgehalten werden. Von den mathe- 
matischen Disziplinen, die die Arithmetik, Geometrie, Astronomie, 
Geographie und Musik umfassen, beabsichtigte Rethius noch weniger 
als Leichius seinen Schülern ein festgefügtes System zu übermitteln: 
der Leichiussche Plan sieht „mathematicarum artium gustum cum 
methodica ratione universali et particulari" vor, und im Geiste der 
Instruktion des Ordensstifters, der den drei nach Köln entsandten 
Jesuiten anempfohlen hatte, „zuzusehen, ob eine Vorlesung über 
Kosmographie, Sphärik oder andere Teile der Mathematik ange- 
messen sei", stellt der Mathematiker Coster «die schwierigem Be- 
rechnungen und Theorien bei Seite und beginnt mit angenehmem 
Problemen: er erklärt die Erscheinungen des Sonnenwechsels im 
Frühling und Herbst, die jährlichen Bewegungen des Mondes und 
seinen Wechsel, Sonnen- und Mondfinsternisse, Tag und Nacht, 
Fixsterne und Planeten". Als Lehrbücher erscheinen außer den 
schon erwähnten von Euclid und Sacrobosco die Perspectiva des 
JOH. CANTHUNIENSIS, die Arithmetik des CORNELIUS GEMMA FRISIUS, 
um 1540 Professor der Mathematik in Löwen, und der Computus 
ecclesiasticus des Sacrobosco, ein Lehrbuch der Kalender- 

60 



berechnung. In einem Bericht von 1559 wird die Mathematik aus- 
drüciilich als Hilfswissenschaft für das Verständnis der physischen 
Schriften des Aristoteles bezeichnet, und ähnlich ist es aufzufassen, 
wenn Coster im Winter 1561/62 den Philosophen eine Vorlesung 
über die Chorographie des Pomponius Mela häU. 

Wenn auch schon in dem Lehrplan des Leichius und Velsius 
„Institutiones sacrae" erscheinen, so kann man doch die Ausbildung 
des Religionsunterrichtes auf katholischer Seite als eine Schöpfung 
des Jesuitenordens ansehen, die sich im Anschluß an die Heraus- 
gabe der beiden Katechismen des Petrus Canisius vollzog. Der 
Unterricht wurde an den Samstagnachmittagen sowie an den Sonn- 
und Festtagen in zwei, später sogar in vier Abteilungen erteilt, 
und er fand solchen Anklang, daß sich auch Schüler der andern 
Gymnasien dazu meldeten. Außer der Katechismus- und Perikopen- 
erklärung behandelte er die Evangelien, die Briefe der (Apostel 
und Kontroversfragen. 

Neben den Lehrstunden und den in der Regel an sie an- 
schließenden Repetitionen nehmen im Lehrplan einen immer breitern 
Raum ein die Deklamationen und Disputationen, Schulübungen, 
die so ganz dem Charakter eines Zeitalters entsprachen, das im 
beredten Vortrag und zumal in der beredten Verteidigung einer 
These die schönste Blüte wissenschaftlicher Durchbildung sah. 
Schon im ältesten Stundenplan von 1557 erscheint allsonntäglich 
die Rede eines Rhetorikers, der die Grammatiker anwohnen müssen, 
und allfreitäglich eine Disputation der Dialektiker. Im Sommer 
1561 sind bereits aus dieser einen drei öffentliche Disputationen 
am Montag, Mittwoch und Freitag geworden. Im Winter 1561/62 
disputieren die Philosophen täglich über Thesen aus der Logik 
und Physik und außerdem zweimal wöchentlich die Logiker gegen 
die Physiker. Die Rhetoriker (ragen abwechselnd an jedem Sonn- 
und Feiertag eine Rede in Gegenwart sämtlicher Lehrer und Schüler 
auswendig vor; jeder einzelne schreibt alle acht Tage eine Rede, 
die ausgehängt und von den Mitschülern verbessert wird. Jeden 
Donnerstag hält ein weniger geübter Schüler auswendig eine Rede 
vor seiner Klasse und eventuell auch vor der Poesie nebst den 
betreffenden Klassenlehrern. Jeden Mittwoch findet Disputation 
der Poeten gegen die Rheloren und umgekehrt über Fragen der 
lateinischen und griechischen Grammatik und Metrik statt; außer- 
dem täglich eine halbstündige Disputation der Rhetoriker über 
das Pensum ihrer Klasse. Von den Schülern der Poesie tragen 
die bessern jeden Sonn- und Feiertag abwechselnd ein selbstver- 

4* 51 



faßtes Gedicht öffentlich vor; die schwächern tun dasselbe Donners- 
tags zusammen mit den Rhetorikern. Jeden Tag hat jeder dem 
Lehrer einige Distichen und einmal wöchentlich eine poetische 
Epistel abzugeben. Ja selbst die Schüler der beiden Grammatik- 
klassen haben schon jeden Mittwoch ihre Disputierübungen gegen- 
einander, und die Sieger erhalten kleine Prämien. 

Das war die Studienordnung, die Rethius an seiner Anstalt 
einführte, eine Ordnung, die, was Unterrichtsstoff, Lehrbücher und 
Übungen angeht, auf der Höhe der damaligen Anforderungen 
stand. Wenn schon die eifrige Propaganda, die der Regent für 
seine Anstalt machte, ihr viele Schüler zuführte, so wuchs ihre 
Zahl noch mehr durch das rege wissenschaftliche Leben, das sich 
dort entwickelte, und den siegreichen Wettstreit, den das Trico- 
ronatum mit den andern Kölner Gymnasien aufnahm. Schon 1558 
kamen zu den 237 im ersten Jahr eingeschriebenen Schülern 122 
neue hinzu; im September 1559 betrug die Gesamtzahl der Ein- 
geschriebenen gegen 850, die freilich bei weitem nicht alle stand- 
hielten; im Juli 1560 gab es über 128 Conviktoristen neben mehr 
als 500 Externen. Aber mehr noch als die neuzeitlich humanis- 
tische Ausbildung, die das Gymnasium ohne Beimischung anti- 
katholischer Tendenzen bot, trug zu seinem erstaunlich raschen 
Wachstum der Umstand bei, daß es auch eine treffliche Erzie- 
hungsanstalt war. Wie die Tätigkeit des Jesuitenordens über- 
haupt als höchstes Ziel die religiöse und sittliche Hebung 
des Menschen anstrebte, so suchte Rethius insbesondere in 
der studierenden Jugend durch Gebetsübungen, täglichen Be- 
such der hl. Messe, monatliche Beichte und Kommunion und 
häufige anregende Vorträge über religiöse Gegenstände eine „sa- 
piens atque eloquens pietas" zu forden, d. h. Religiosität im engsten 
Verein mit klassischer, philosophisch-rhetorischer Bildung, und 
dies gelang ihm in so hohem Maße, daß man die Schüler des 
Tricoronatum die reformata iuventus nannte. Die wissenschaft- 
lichen Erfolge der Anstalt aber werden wohl am besten durch 
ein Schriftstück charakterisiert, das ihre Neider — an solchen 
fehlte es zumal innerhalb der Kreise der beiden andern Gymnasien 
nicht — 1563 dem Dekan der Artistenfakultät zustellten. Hier 
heißt es von den Jesuiten, man verstehe nicht, durch welche 
Kunstgriffe sie sich plötzlich eine solche Gelehrsamkeit angeeignet 
hätten, daß die meisten jungen Leute, wenn sie kaum aus ihrer 
Schule hervorgingen, sich bei ihren Vorträgen im Griechischen, 
in der Mathematik und Philosophie solche Autoren zur Erklärung 

62 



auswählten, in denen sonst erfahrene und gereifte Männer un- 
überwindliche Schwierigkeiten fänden. 

Die geschilderten Erfolge auf didaktischem wie pädagogischem 
Gebiete erreichte Rethius vor allem durch den Geist, den er Lehrern 
und Schülern einflößte, und die Strenge, mit der er die Ausführung 
seiner Anordnungen überwachte. In seinem Tagebuche (Univ.-Akten 
604 fol. 72 b sq.) ist von seiner eigenen Hand eine Dienstanweisung 
für den Studienpräfekten, seinen Stellvertreter in der Leitung der 
Anstalt, und für die Lehrer eingetragen. An diese sollten sich Regeln 
für die Schüler der einzelnen Klassen anschließen, sind aber über die 
ersten Anfänge nicht hinausgekommen. Dem Studienpräfekten liegt 
die Überwachung der gesamten Tätigkeit von Lehrern und Schülern 
ob, bei allen seinen Maßnahmen ist er jedoch an die Gutheißung des 
Regenten gebunden. Er hat die Zahl der Schüler, sowohl die der 
einzelnen Klassen als ihre Gesamtzahl zu kennen und dafür zu 
sorgen, daß ihnen die entsprechende Zahl von Lehrern gestellt 
wird. Bei diesen hat er die ordnungsmäßige Abhaltung der 
Unterrichtsstunden, ihre Teilnahme an den Disputationen sowie 
die Verbesserung der schriftlichen Arbeiten, bei den Schülern 
Studiengang, Fleiß und Fortschritte aufs genaueste zu kontrollieren. 
Zur Erreichung dieses Zweckes dienen die unerwarteten Besuche, 
die er wöchentlich in den Stunden der Lehrer zu machen, und 
die Berichte, die er ebenso oft über die Fortschritte ihrer Schüler 
von ihnen zu verlangen hat; die Einsichtnahme in die schriftlichen 
Arbeiten der Schüler und die vorsichtigen Erkundigungen bei 
ihnen über Beliebtheit und Leistungen ihrer Lehrer; endlich die 
Sorge für die Neulinge und die Feststellung der Gründe, die zum 
Abgang von Schülern geführt haben. Lehrer, die zu wenig leisten, 
sollen im Privatunterrichte ihre didaktischen Fähigkeiten verbessern. 
Besonderer Sorgfalt erfreuen sich die Konviktoristen. Der Studien- 
präfekt muß die Trägen aneifern, die Übereifrigen zügeln und sie 
nicht länger als zwei Stunden nacheinander studieren lassen. 
Bei den Vorlesungen während der Mahlzeit muß er für Verbesse- 
rung der Fehler gegen die Aussprache und Betonung Sorge 
tragen. Hat ein Konviktorist eine öffentliche Rede zu halten, 
so soll nicht bloß der Klassenlehrer sie eine Woche lang mit ihm 
vorbereiten, sondern der Studienpräfekt sie auch vorher einmal 
bei Tisch halten lassen. 

Noch weit charakteristischer als die Regeln für den Studien- 
präfekten sind die für die Lehrer, in denen Rethius offenbar die 
Träger des Geistes der Anstalt sieht. Das Endziel ihrer ganzen 

53 



Tätigkeit soll sein die Ehre Gottes und das Heil der Seelen, und 
ihre Schüler sollen sie anleiten, dem Studium obzuliegen aus 
Gehorsam gegen Gott und aus Liebe zur Tugend. Darum soll der 
Lehrer keine Gelegenheit vorübergehen lassen, kurze religiös-sittliche 
Belehrungen in den Unterricht einzustreuen. In Wort und Schrift 
soll er ein Musterbeispiel seiner Schüler sein; nie darf ihm ein 
Wort gegen die hohe Geistlichkeit oder die Fürsten oder sonst 
eine unerbauliche Bemerkung entfallen. Seinen Unterricht muß 
er so einrichten, daß er nicht bloß verstanden, sondern auch gern 
gehört wird, daß er weniger sein eigenes Interesse fördert als 
vielmehr den Nutzen seiner Zuhörer; sorgfältige Vorbereituug auf 
die Lehrstunde und eigene Weiterbildung muß ihm daher zur 
strengen Pflicht gemacht werden. Die Pflege des Lateinischen 
als Umgangssprache ist ebenso sehr seine wie des Studienpräfekten 
Aufgabe. Ganz besonders aber hat er das religiös-sittliche Leben 
seiner Zöglinge zu leiten und zu beaufsichtigen. Strenges Fest- 
halten der Schüler an den katholischen Glaubenswahrheiten, 
täglichen Besuch der hl. Messe und eifrigen Sakramentenempfang 
muß er bei ihnen pflegen, anderseits Streit, Fluchworte, Zuchtlosigkeit, 
Unrecht aller Art und Unsittlichkeit aus der Schule verbannen. 
Wenn ihm als Mittel zur Erreichung dieser Zwecke auch die unser 
sittliches Empfinden aufs tiefste verletzende Bestellung von 
„Censores occulti" verordnet wird, so darf doch nicht vergessen 
werden, daß die bezeichnete Einrichtung unter dem Namen der 
Corycaei im 15. Jahrhundert allgemein war und sich bis in das 
18. Jahrhundert hinein in den Schulordnungen protestantischer An- 
stalten Nord- und Süddeutschlands behauptet hat (vgl. die. bezüg- 
lichen Zitate bei SCHMID, Encyclopaedie des Erziehungswesens I 
S. 114, 884, und DUHR, Die Studienordnung der Gesellschaft Jesu 
S.53A.4). Ungemein wohltuend berühren dagegen die Bestimmungen 
über das allgemeine Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. 
Der Lehrer muß sich bei seinen Schülern Autorität und Beliebtheit 
verschaffen. Autorität gewinnt er dadurch, daß sein Unterricht 
nach der wissenschaftlichen und technischen Seite allen Anforde- 
rungen entspricht und „daß er sich nie eine Behauptung entschlüpfen 
läßt, die er nicht aufs beste zu beweisen vermag". Doch soll 
ihn sein Wissen nicht zur Eitelkeit verleiten, sondern nur als 
Mittel zur Förderung „der Ehre unseres Herrn Jesu Christi und 
der Erbauung anderer" von ihm betrachtet werden. Die Beliebtheit 
sichert sich der Lehrer dadurch, daß er „in allen Stücken weniger 
im Geiste der Furcht als in dem der Liebe vorgeht" und selbst 

51 



bei Tadel und Strenge sein Wohlwollen gegen den Schüler 
durchblicken läßt. Er darf ihn daher „nie mit einem Schimpfnamen 
belegen oder ihn, wenn auch nur leichthin, mit sarkastischen 
Bemerkungen aufziehen". Besonders soll der Lehrer bestrebt sein, 
sich die Liebe derjenigen Schüler zu erhalten, die zu größeren 
Hoffnungen berechtigen. 

Es würde zu weit führen, wollten wir die Tätigkeit des 
Rethius im Tricoronatum über seine prinzipielle Stellungnahme 
hinaus an der Hand seiner Tagebücher, Berichte und Briefe bis 
in die Einzelheiten verfolgen. So tief eingreifend, umfassend und 
vielseitig diese auch sein mag, sie bildet doch nur einen Aus- 
schnitt aus jener großen Aufgabe, deren Lösung sich Rethius bei 
seinem Eintritt in den Orden vorgesetzt hatte, der Erhaltung und 
Wiederherstellung des katholischen Glaubens in seinem Vaterlande 
und zumal seiner Vaterstadt alle Kraft zu widmen. Darum bemühte 
er sich jahrelang, leider nur mit geringem Erfolge, die theologische 
Fakultät in Köln zu neuem Leben zu erwecken; darum wurde er 
nicht müde, den Rat zur Vertreibung der Geusen, die kirchlichen 
Würdenträger,, selbst die Kardinäle der deutschen Kongregation zu 
Maßregeln für die Hebung des religiösen Lebens der Geistlichkeit 
und der Laienwelt Deutschlands anzuregen; darum hielt er längere 
Zeit fast täglich in einer Kirche Kölns die Predigt und stand mit 
sämtlichen hervorragenden Vertretern des Katholizismus innerhalb 
und außerhalb Deutschlands in Briefwechsel. Dabei verfolgte er 
das Ziel, eine gelehrte wie volkstümliche katholische Literatur ins 
Leben zu rufen, die der protestantischen ebenbürtig sein sollte. 
Allein aus dem Jahre 1574 liegen über 150 Briefe von ihm vor, 
die zur Schöpfung von Ausgaben und Übersetzungen der griechischen 
Kirchenväter, Kommentaren zur hl. Schrift, Leben der Heiligen 
zumal Deutschlands und in deutscher Sprache, kirchen- und welt- 
geschichtlichen Darstellungen, Predigtbüchern und Kontrovers- 
schriften anregen oder derartige Arbeiten fördern. 

Ein tragisches Geschick riß den Unermüdlichen im kräftigsten 
Mannesalter mitten aus seiner reichen Tätigkeit. Am Nachmittage 
des 26. Oktober 1574, als gerade die Studenten ihre Erholung im 
Garten genossen, fiel er mit seinem väterlichen Freunde und Vor- 
gesetzten P. Leonard Kessel und P. Nicolaus Fabri dem Messer eines 
wahnsinnig gewordenen Ordensbruders, des hochbegabten Magisters 
Gerhard Pesch, zum Opfer. Unsäglich war die Bestürzung, die 
sich über die Untat in der Stadt verbreitete. Der Rat ließ eine 
Druckschrift veröffentlichen, in der er nach Darlegung des Vor- 

66 



ganges erklärte, daß „vorbenenter M. Gerhardus zum Pesch die 
erbärmliche Mordthatt auß Schwacheit seines Heuptz, und großer 
Wannsinnichkeit gethan, und daß ihme von den Herren, und 
Magistris Societatis Jesu, oder jemanden, derselbiger angehorigen 
Studiosis, die geringste Ursach darzu nit gegeben worden". Ein 
Leichenzug von nie gesehener Pracht bewegte sich am 28. Oktober 
durch die Straßen. Je acht Studenten trugen die drei Särge, und 
bei ihrem Anblicke brachen die nach Tausenden zählenden 
Zuschauer in lautes Weinen und Wehklagen aus; einige wurden 
sogar vor Schmerz ohnmächtig. Während Kessel und Fabri in 
St. Maximin ihre letzte Ruhestätte fanden, wurde Rethius auf den 
dringenden Wunsch seiner angesehenen Verwandten an der Seite 
seines Vaters in St. Paulus beigesetzt. Bei den feierlichen Exequien 
in St. Maximin am 3. November hielt der Prediger Nie. Elgard die 
Leichenrede; die ebenfalls in Druck erschien. 

Johannes Rethius war kein Mann mit neuen, bahnbrechenden 
Ideen, er stellt sich vielmehr als echter Sohn seiner Zeit dar; aber 
er war ein in sich geschlossener und gefestigter Charakter, dessen 
ganzes Sinnen und Trachten, Denken und Handeln der begeisterten 
Vertretung der katholischen Interessen galt. Seine ungeheuchelte 
Frömmigkeit, seine Verbindlichkeit im Umgang, sein bescheidenes 
Hintansetzen der eigenen Person, seine dankbare Gesinnung gegen 
Freunde und Wohltäter, sein herzliches Mitgefühl mit den Not- 
leidenden und Bedrängten und seine warme Anhänglichkeit an 
Vaterstadt und Vaterland machten ihn bei Schülern und Mitbürgern, 
Landsleuten und Fremden beliebt und rechtfertigen wohl das 
hohe Lob seines Schülers Georg Braun, der ihn in seinem Städte- 
buch ,,omnis humanitatis, pietatis et mansuetudinis nitore orna- 
tissimus" nennt. Ein Bild des Rethius scheint vor seinem gewalt- 
samen Tode nicht existiert zu haben; ein Kupferstich, der nach 
der Totenmaske zur ersten Zentenarfeier des Gymnasiums (1657) 
ausgeführt wurde, ist S. 37 wiedergegeben und trägt als Unter- 
schrift folgende Distichen, die mit Anspielung auf den Namen 
Tricoronatum den dreifachen Ehrenkranz des Schulmannes Rethius 
feiern: 

Dulce coronatis nomen sociando palaestris 

Est triplex merito parta Corona viro; 

Prima fuit sociis, Ubio fuit altera Clero, 

Urbi Agrippinae tertia parta fuit. 



Literatur. 

Außer den zu der Abhandlung über Leichius und Velsius angeführten Hand- 
schriften und Druckwerken folgende 

Handschriften: Universitäts-Akten 599 (600), 603, 604. 

Druckwerke: Monumenta Oermaniae Paedagogica II: Ratio studiorum et 
Institutiones scholasticae Soc. J. 1. Berlin 1887. — Eberhard Gothein, Ignatius 
von Loyola und die Gegenreformation, Halle 1895. — Bernhard Duhr S. J., 
Die Studienordnung der Gesellschaft Jesu, Freiburg i. B. 1896. — Ders., Die älte- 
sten Studienpläne des Jesuitengymnasiums in Köln: Mitt. d. Ges. f. deutsche Er- 
ziehungs- u. Schulgesch. 8, 1898, S. 130 ff. — Ders., Geschichte der Jesuiten in den 
Ländern deutscher Zunge im XVI. Jahrhundert I, Freiburg i. B. 1907. — Meyer, Der 
Ursprung des jesuitischen Schulwesens, Dissertation, Berlin 1904. — Ders., Ziel, 
Organisation und Stoff des Unterrichts im Jesuitengymnasium zu Köln in den 
ersten Jahren nach seiner Eröffnung: Mitt. d. Ges. f. deutsche Erziehungs- u. 
Schulgesch. 19, 1909, S. 35 ff. — Joh. Schwab, Ludwig Hillesheim, Humanist 
und Bürgermeister von Andernach. Progr. d. Gymn. zu Andernach 1906. 



67 



Justus Lipsius. 



Von Hermann Mennen, Oberlehrer am Marzellengymnasium. 

Moribus antiquis. (Symbol. Ups.) 

Eine ausführliche Schilderung der Jahre, die Justus Lipsius 
als Schüler des Tricoronatum in Köln verbrachte, ist um 
so mehr berechtigt, als gerade diese wichtigste Zeit seiner 
wissenschaftlichen Ausbildung und seiner Charakterentwicklung 
von den Biographen meist nur mit allgemeinen, zum Teil auch 

irreführenden Bemer- 
kungen abgetan wird, 
die für die Beurtei- 
lung seiner wissen- 
schaftlichen Bedeu- 
tung und seines 
wechselvollen Lebens 
zum mindesten wert- 
los sind. Zudem fällt 
sein Aufenthalt in 
Köln in jene Tage, 
als die Jesuiten eben 
die bursa novaTrico- 
ronata übernommen 
hatten und sich durch 
die gegebenen Ver- 
hältnisse gezwungen 
sahen, in ihrer Lehr- 
tätigkeit an Gewissen- 
haftigkeit und Fleiß 
alles daranzusetzen, 
um sich durch glän- 
zende Erfolge ihrer 
Schule die Anerken- 
nungdes Ordens zu er- 
ringen und zu sichern. 
Joest Lips wurde 
am 18. Okt. 1547 in 
dem südöstlich von 
Brüssel gelegenen Marktflecken Overyssche geboren. Als die Eltern, 
reiche und hochangesehene Leute, 1553 ihren Wohnsitz nach Brüssel 




CLARISSIMVS 1VST\-.S 1 I>'Sl\-.i HISTORIOGRAPHVS 
REGIVS PROFESSOR CON SLIARIVS ETC. 



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63 



verlegten, schickten sie ihren Sohn dort auf eine Elementarschule, 
ließen ihn dann aber, in seinem 10. Lebensjahre, das Athenaeum 
in Ath (Hennegau) besuchen, das sich damals eines gewissen Zu- 
zuges rühmen konnte. Aber Lipsius hat nicht viel Freude dort 
erlebt. Der Unterricht, der sich in kleinliche Spitzfindigkeiten 
grammatischer Regeln verlief, war ihm bald verleidet, und mit 
bittern Worten spricht er später noch von den beiden Jahren, 
die er in Ath aushalten mußte, bis die Eltern ein Einsehen hatten 
und ihn wegnahmen. Sie schickten ihn auf die Bursa der Jesuiten 
nach Köln. 

Eine Unterbrechung des Studienganges hat nachweislich nicht 
stattgefunden, und da Lipsius Vorkenntnisse des Lateinischen be- 
saß, so wurde er in die oberste Grammatikklasse aufgenommen. 
Dies ist ohne Zweifel bei der Innovatio studiorum zu Allerheiligen 
1559 geschehen. Bei dieser Gelegenheit mußte er dem Studien- 
präfekten, der auch seine Personalien genau prüfte, Gehorsam und 
gute Sitten versprechen. Er war 1559 — 1560 Schüler in der Klasse 
Grammatica superior, 1560 — 1561 in der Poetica, 1561 — 1562 in 
der Rhetorica, 1562—1563 in der Logica, 1563 bis 19. Juni 1564 
in der Physica. 

Über seine Kölner Gymnasiastenzeit berichtet Lipsius nichts 
weiter, als er habe bei den Jesuiten Rhetorik und Philosophie 
gelernt, er sei sehr lernbegierig gewesen und habe, ohne damit 
zu prahlen, stets den ersten Platz innegehabt. Dann fährt er fort: 
Sub idem tempus pietas pectus meum längere, et Patribus ipsis velle 
ac censeri: parentes sciverunt, abduxerunt, et annos iam sedecim 
natum Lovanium amandaverunt. Ibi litterarum haec antiquitatis 
studia ad se traxerunt, quorum tamen gustum amorem- 
que Coloniae infuderat Gerardus Kempensis, praeceptor 
mens in Graecis, acerbi homo fati. (Epist. misc. cent. III. 87.) 
Es ist dies der bekannte Gerhard Pesch aus Kempen, der am 
26. Oktober 1574 die PP. Leonhard Kessel, Johann Rethius und 
Nikolaus Faber im Wahnsinn ermordete. 

Verfolgt man die für das Studium des jungen Lipsius in 
Betracht kommenden Lehrpensen, so ist der für die Prima classis 
Grammaticorum für das Jahr 1557 vorgeschriebene und bei der 
Schilderung der Tätigkeit des Rethius mitgeteilte Plan mit kaum 
nennenswerter Änderung für das Jahr 1559 geblieben. Der Klassen- 
lehrer (Primarius lector) war Gregorius Fabius Dionantensis, 
der seit Dezember 1557 Magister artium war und dessen Lehr- 
geschick der Rektor Kessel lobend hervorhebt. Lipsius stand im 



13. Lebensjahre, als er mit den Schriftwerken Ciceros bei<annt 
gemacht wurde. Die Freude am Gegenstande mochte dem Ver- 
ständnis zugute kommen; denn der empfindsame Knabe mußte den 
Gegensatz zu dem früheren geisttötenden Grammatikbetriebe 
mächtig empfinden, wenn er den fein stilisierten lateinischen 
Erklärungen seines Lehrers folgte oder auch Sonntags bei den 
Deklamationen der Rhetoriker mehr oder minder große Nachahmer 
Ciceros bewunderte. 

Als Lipsius zu Allerheiligen 1560 in die Klasse der Poeten 
versetzt wurde, war er Zeuge einer ungewohnten, erhebenden Feier. 
Rethius schildert sie in seinem Berichte über die vier letzten Monate 
des Jahres mit folgenden Worten : Nonis Novembribus studia 
instaurata sunt ac eo die primum matutino tempore sacrum cum 
gaudio et devotione iuvenum musice est decantatum. Post vero 
horä secundä pomeridianä in scholis nostris duo adulescentes 
Studiosi dialogum, quem ex classis rhetoricae auditoribus unus 
composuerat, exhibuerunt, reliqui vero parietes variis carminum 
generibus obtexerunt, quae res adeo commovitaliorum gymnasiorum 
Studiosos, ut non modo venirent spectatum, verum etiam corrigerent 
si possent affixa parietibus carmina. Deinde ubi exhibitus fuit 
Dialogus, duo Rhetores ad classem Philosophiae conscensuri ora- 
tiones de Philosophia pronuntiarunt, quorum alter eam contempsit, 
alter vero postquam laudibus sustulisset et in magnis scientiis eam 
reposuisset, antecedentis argumenta evertit, adeo ut laudem sit non 
mediocrem adeptum illud certandi genus ac declamandi in utramque 
partem. Demum singulis adulescentibus (ascendentibus?) ad 
superiores classes praeter honorem, qui pro unius cuiusque eru- 
ditione tributus est, munuscula etiam quaedam tribus maxime 
primis classis cuiusque donata sunt, ut hoc pacto omnes ad studia 
deinceps inflammarentur. 

Was Lipsius in dem neuen Schuljahre zu lernen hatte, ersieht 
man aus den Lehrplänen: 

1. Catalogus lectionum, qui servabitur a festo Omnium Sanc- 
torum 1560 usque ad festum Paschae 1561. 

In poesi. 
m. Gregorius Fabius Dionantensis. hora 6. Liber 6. Aeneidos. 

hora 9. grammatica Clenardi et 

evangelia graeca dominicalia. 

hora 12. liber 2. officiorum 

Ciceronis. 
m. Gregorius Fabius. hora 4. Ovidius de Tristibus. 

00 



m. Joannes Herbetius Lotharingus. 



2. Catalogus lectionum, qui servabitur a festo Paschatis 1561 
usque ad festum Omnium Sanctorum eiusdem anni. 

In poesi. 
m. Gregorius Fabius Dionantensis. hora 6. über 6. Aeneidos. 

hora 9. grammatica Clenardi 



m. Velroux Leodiensis. 



et Plutus Aristophanis. 

hora 12. libellus Ciceronis de 

senectute. 

^ . r^ ,^. . ■ I hora 4. de utraque copia [libri 

m. Gregorius Fabius idem. 1 o a ^ c -i 

^ ( 2 Andreae FrusiiJ. 

Sabbatinis autem diebus et sacris parvus Catechismus Catholicorum. 

Die Klasse hat ihren primarius lector behalten; die Stunden- 
zahl ist um eine verringert. Lipsius lernte jetzt auch Griechisch. 
Er benutzte dazu die institutiones linguae Graecae des Nikolaus 
Cleynaerts. Sonntags um 12 Uhr mußte er sich an den Dekla- 
mationsübungen beteiligen, die von den Poeten und Rhetorikern 
in Poesie und Prosa abgehalten wurden. Um 6 Uhr hörte seine 
Klasse die Erklärung des Tagesevangeliums, und Samstags und 
Sonntags wurde der kleine Katechismus des Canisius gelernt, 
das compendium doctrinae christianae pro puerulis, das seit 1558 
bei Maternus Cholinus in Köln gedruckt wurde. 

Der Plan des Wintersemesters 1561/1562, als Lipsius unter 
den Rhetorikern saß, verzeichnet: 

In classe Rhetoricae. 



hora 6. Ciceronis über ad Q. 
m. Arnoldus Buscoducensis. [ Fratrem. 



m. Gerardus Cempensis. 



m. Gerardus. 



I 

[ hora 7. repetitio fiet lectionis. 
hora 9. diebus Lunae Martis 
atque Mercurii syntaxis Varennii 
praelegetur, reüquis vero Philipp. 
4 Demosthenis. 

hora 1. Rhetorices ad Herennium 
über 4. 

m. Arnoldus. hora 4. oratio pro lege Manilia. 

Der secundarius lector, der „praeceptor in Graecis", war Gerhard 
Pesch, der einflußreichste Lehrer des Lipsius. Er war „omnium 
doctissimus". Nach dem Urteil des Mainzer Provinzials Anton 
Vinck ist der Verfolgungswahn, in den er später verfiel, auf über- 
mäßiges Studieren und ungeregeltes Arbeiten für das Kolleg zurück- 
zuführen. Mit seinen umfassenden Kenntnissen hat er neben der 

61 



Behandlung der vorgeschriebenen Lektüre und unter Berück- 
sichtigung des Haupterziehungszieles der Jesuiten, der Beredsam- 
keit, die in dieser Klasse vorgesehene, in ihrem Ziele aber nicht 
fest umgrenzte sog. Eruditio, d. h. die Kenntnis der Geschichte, 
der Staatseinrichtungen, des Privatlebens usw., ferner der Theorie 
der Dicht- und Redekunst der Griechen und Römer so zu ver- 
mitteln gewußt, daß sie für die spätere wissenschaftliche Tätigkeit 
des Lipsius von grundlegender Bedeutung geworden ist. 

Für formalistische Übungen in der Rhetorik bot diese Klasse 
dem jungen Lipsius Gelegenheit genug. Sonntags mußte er 
deklamieren, wenn die Reihe an ihn gekommen war, dazu aber 
alle acht Tage eine Rede ausarbeiten und sie im Klassenzimmer 
aufhängen, so daß die Mitschüler Gelegenheit hatten, sie zu 
korrigieren. Mittwochs um fünf Uhr beteiligte er sich an den 
Disputationen der Poeten gegen die Rhetoriker oder umgekehrt 
über Stoffe aus der lateinischen und griechischen Grammatik und 
Metrik, wobei die Lehrer beider Klassen zugegen waren; jeden 
Nachmittag von 5 — 5 1/2 Uhr übte er sich mit den übrigen Rhetorikern 
im Disputieren über Gegenstände, die zum Klassenunterricht ein- 
schließlich der Eruditio gehörten. 

Lipsius ist in spätem Jahren noch stolz auf seine ersten 
rhetorischen Versuche. Als ihm einst die Kritiker, die gegen den 
Inhalt seiner Werke nichts vorzubringen wußten, vorwarfen, er 
schreibe keine Reden, da hielt er ihnen mit ganz ungewohntem 
Selbstbewußtsein entgegen: ,,Daß ich Reden zu schreiben verstehe, 
wer will es leugnen, der mich schon als Knaben kannte! Kaum 
zwölf Jahre zählte ich, als ich Reden schrieb und auch vortrug, 
nach Knabenart freilich, aber sie hätte ein gereiftes Alter mit 
Rücksicht auf meine Jugend loben können, und wäre es die 
Forderung meiner Zeit gewesen, meine Eloquenz auf diesem 
Gebiete zu betätigen, ich hätte es gewagt, mit manchem Redner 
des Altertums denWettkampf aufzunehmen". (Epist. misc. cent. 11. 27.) 

Die Lektionspläne für die folgende Studienzeit des Lipsius 
sind, soweit ersichtlich, in den Akten nicht vorhanden. Für die 
Logiker und Physiker war der Hauptautor Aristoteles, aus dessen 
Werken für jede Klasse eine geeignete Auswahl getroffen wurde. 
Zu den regelmäßigen Vorlesungen und Wiederholungen traten die 
für äußerst wichtig erachteten Disputationen über Gegenstände 
aus dem ganzen Bereiche der Philosophie; fanden diese in der 
gemeinsamen schola artium in der Stolkgasse statt, dann beteiligten 
sich auch die logici und physici der übrigen Gymnasien an ihnen. 

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Professor logicae primarius war 1563 Petrus Busaeus, secun- 
darius war Gerardus Peschius Cempensis. Die Klassenlehrer der 
Physik waren für 1563/64 Franciscus Costerus und Arnoldus 
Havensius Buscoducensis. 

Für die philosophischen Unterweisungen, namentlich die aus 
dem Gebiete der Ethik, hatte Lipsius eine tiefe Neigung mit- 
gebracht. Gerne verfolgte er die im Unterricht aufgenommenen 
Gedanken weiter und suchte, wie er in der Einleitung zu der 
Schrift De constantia mitteilt, in Büchern, die ihm von den Jesuiten 
überlassen wurden, Bestätigung seiner mitunter abweichenden 
Ansichten, die er dann gelegentlich seinen Lehrern vortrug. 
Diese mußten aber jede derartige Regung zu selbständiger wissen- 
schaftlicher Erkenntnis um so mehr verurteilen, als sie selber 
nach dem Grundgedanken der Ordensverfassung an rückhaltlose 
Unterwerfung unter den einen Willen des Praepositus generalis 
gebunden waren. Daher nahmen sie kurzer Hand die Bücher weg 
und vernichteten die mühevoll gesammelten Notizen. Lipsius hat 
darob nicht gegrollt; ihm ist auch die Freude an der Philosophie 
nicht verleidet worden. Jedenfalls aber hat er für die Folge die 
Sucht nach leeren syllogistischen Spitzfindigkeiten zu bemeistern 
gewußt und stets den Frieden dem Gezanke vorgezogen. 

Am 20. Dezember 1562 stellte Leonhard Kessel über den 
Primus seiner Logici das Zeugnis aus: Jodocus Lips Bruxellensis 
iuvenis magni ingenii, bonus poeta, orator et grecus, futurus 
videtur bonus philosophus, ad conversandum et ad regendum 
aptus et iuvenis admodum bonus, fervidus et obediens. (Hansen 499.) 
Und das Urteil des Regenten Rhetius vom 12. Januar 1563 lautet: 
Jodocus Lips Bruxellensis logicae classis singulari ingenio et 
eruditione praeditus. (Litt. ann. fol. 47.) 

Lipsius ist am 20. April 1563 bei der Artistenfakultät immatri- 
kuliert worden (vgl. Hansen 781), und unter den ,,nomina eorum, 
quos promovimus ad Baccalaureatum in festo Omnium Sancto- 
rum anno Domini 1563" ist Jodocus Lyps (sie!) aufgeführt mit 
dem Zusatz Justus Lipsius. (Fasti et Eph. fol. 137.) Das Magister- 
examen hat er nicht abgelegt. Das Dekanatsbuch der Artistenfakultät 
(IV. fol. 317) verzeichnet unter dem 19. Juni 1564: „accepit litteras 
promotionis suae, nempe baccalaureatus, Jodocus Lips Bruxellensis, 
in bursa Jesuitarum promotus": er ließ sich sein Examen 
bescheinigen, um von Köln Abschied zu nehmen. 

In den beiden eisten Monaten seines Aufenthaltes bei den 
Jesuiten wohnte Lipsius wie die übrigen von auswärts aufge- 

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nommenen Schüler in der Bursa mit den Fratres, den vollberechtigten 
Mitgliedern des Ordens, zusammen und war von den Scholastikern 
der Gesellschaft nur durch die Kleidung unterschieden. Erst 
Weihnachten 1559 war es möglich, die den Bestimmungen des 
Ordens zuwiderlaufenden Verhältnisse wenigstens so zu regeln, 
daß die zahlreichen Commensales von den Fratres getrennt 
wurden und diese ein Haus, jene zwei Häuser bezogen. Der 
Regens convictorum war Rethius, die Fratres unterstanden dem 
Franciscus Costerus aus Mecheln. 

Dieser ist wohl der bedeutendste Kölner Jesuit aus jener Zeit. 
Er war Vizeregens. Als ihn Ignatius, der ihn am 7. November 1552 
aufgenommen hatte, nach Köln sandte, hatte er ihm den Auftrag 
gegeben, Vorlesungen über Mathematik und Kosmographie zu 
halten. Durch seine Wissenschaft, die er gründlich beherrschte, 
empfahl er die Vorzüge der Jesuitenschule vor den übrigen 
Gymnasien, für die solche Vorträge damals etwas ganz Neues 
waren. Als Praefectus studiorum überwachte er Lehrpensen und 
Lehrmethode. Daneben übte er als Beichtvater und als Religions- 
lehrer der drei oberen Klassen sehr großen Einfluß aus. In seiner 
Eigenschaft als Magister novitiorum legte er Wert darauf, vor- 
nehme, folgsame und begabte Zöglinge der Gesellschaft zu ver- 
binden und ihre Ausbildung gewissenhaft zu leiten. 

Da sich die Novizen aus der Zahl der Konviktoristen ergänzten, 
so war es mit Rücksicht auf den Orden geboten, auf den Unterricht 
und die Erziehung dieser Schüler besondere Sorgfalt zu verwenden. 
Diese Aufgabe übernahmen aber die meist selbst noch in der 
Vorbereitung stehenden Lehrer um so eifriger, als sie für ihre 
spätere berufliche Tätigkeit zu lernen Gelegenheit hatten. Sie 
nahmen sich ihrer Zöglinge, der Konviktoristen und der Scholastiker 
der Gesellschaft, einzeln an. So konnte auch Lipsius, der ja schon 
früh nach eigener wissenschaftlicher Überzeugung strebte, seine 
Lehrer bei den Vespertinae repetitiones bereit finden, ihm über 
die tagsüber gehörten Vorlesungen genauere Erklärung zu geben. 
Sie waren ebenso bei den Disputierübungen anwesend, die von 
frühmorgens an und selbst während der Mahlzeiten gepflegt wurden; 
sie leiteten die Domesticae declamationes, die an Feiertagen 
geradezu zu Schaustellungen wurden, und wenn sie in wöchent- 
lichen Konferenzen über Trägheit oder Fortschritt ihrer Schüler 
verhandelten, sind sie gewiß in dem Lobe der Fähigkeiten des 
Lipsius einig gewesen. Mußte ein Zögling in der schola artium 
auftreten, dann übten die Lehrer die Aufgabe gründlich mit ihm 

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ein und ließen sie ihn während der Mahlzeit zur Probe vortragen. 
Zu den Predigtübungen, die mit Rücksicht auf die Scholastiker, 
die ja später als Prediger und Beichtväter verwandt werden konnten, 
in deutscher Sprache in Gegenwart aller Fratres Freitags abge- 
halten wurden, zogen sie auch besonders geeignete Konviktoristen 
hinzu und nährten so den Ehrgeiz derer, die zurückstehen mußten. 
Allgemein aber fehlte es den Knaben an Eifer nicht. Sie überboten 
sich geradezu, durch freiwillige Darbietungen, namentlich von 
Gedichten, zur Verschönerung von Festlichkeiten beizutragen, von 
denen der 1. Februar, der Tag des Einzuges in die Bursa, besonders 
glänzend gefeiert wurde. 

Auch in den Übungen der Frömmigkeit suchten sich die 
Konviktoristen voreinander hervorzutun oder die Vorzüge der 
Fratres de Societate nachzuahmen, und bei dem allgemeinen 
Wetteifer verlangten sehr viele von ihnen danach, in den Orden 
aufgenommen zu werden. Es war auch für sie kein großer Schritt 
mehr bis zur völligen Entsagung der Welt. Man lese nur in den 
Berichten nach, wie eifrig sie die Sakramente empfangen, Kirchen 
besuchen, Messen und Predigten hören, freiwilligen Abtötungen 
sich unterziehen und wie sie nie ohne Zustimmung der Lehrer 
das Kolleg verlassen und sich nur selten, bei ganz schönem Wetter, 
mit einem Lehrer zum Spiele auf die Wiesen begeben. 

Auch Lipsius ist dem Orden beigetreten. Er entschloß sich 
dazu im Sommer 1562, als er in der Rhetorikerklasse saß. Kessel 
berichtet darüber am 13. Oktober nach Rom: Fratres nostri optime 
se gerunt et suo exemplo multos ad contemptum mundi provocant. 

Inter quos duo sunt et tertius filius unicus cuius- 

dam civis Bruxellensis qui acriter instant, ut ad Societatem 
recipiantur. Quia autem intellegunt, nos citra parentum consensum 
neminem recepturos, parentibus per litteras animos suos indicaturi 
sunt et eorum ad id consensum postuiaturi. (Vgl. Hansen 438.) 
Ob man bei Lipsius, der nach dem angeführten Zeugnis Kesseis 
den Anforderungen der Konstitutionen glänzend entsprach (vgl. 
const. 4, c. 2), auf Absendung des Schreibens bestanden hat, wo 
man doch in Köln mit Zustimmung des Generals auch geheime 
Mitglieder hatte und beim Widerstände der Eltern recht vorsichtig 
zu Werke zu gehen verstand? Jedenfalls ist es sicher, daß damals 
der Vater, den der eigene Sohn als vir acer, manu promptus 
schildert, nichts erfahren hat, und recht auffallend bleibt es, daß 
die Aufnahme bereits tatsächlich vollzogen war, ehe das erwähnte 
Schreiben Kessels abging. In einer der erhaltenen Schüierlisten 

s 66 



steht nämlich neben dem Namen des Lipsius die Bemeri<ung: 
Admissus est ad societatem 29. 7^"^ 1562. Dasselbe Datum ist 
in einer Löwener Liste enthalten, in der die Namen der Personen 
verzeichnet sind, die in der belgischen Provinz von 1542 — 1612 
aufgenommen wurden. Rethius zeigte im Auftrage Kessels am 
12. Januar 1563 unter Beifügung der erwähnten Empfehlung die 
Aufnahme in Rom an. Es mag zwar dem noch nicht fünfzehnjährigen 
Knaben die volle Erkenntnis der Tragweite seines Entschlusses, 
der zu schweren Konflikten führen mußte, gefehlt haben, für die 
Beurteilung seiner spätem Entschließungen aber ist er bezeichnend 
genug. 

Die Frage, ob Lipsius als Novize dem Orden angehört habe, 
ist zu verneinen. Denn nach den Konstitutionen war während 
des zweijährigen Noviziates jegliches wissenschaftliche Studium 
strengstens untersagt. Lipsius ist aber, wie die Listen beweisen, 
nach seinem Eintritt in die Sozietät noch Schüler der Logik ge- 
wesen und hat auch sein Abschlußexamen gemacht. Er gehörte 
demnach zu den scholastici societatis, die sich auf das Noviziat 
vorbereiteten, und unterschied sich von den Scholastikern, die es 
hinter sich hatten. Seine plötzliche Abberufung von Köln ist wohl 
so zu erklären, daß die Eltern von seinem Vorhaben in dem Augen- 
blicke Kenntnis erhielten, als er nach langem Zögern im Begriffe 
stand, in das Noviziat einzutreten und sich durch ein Gelübde 
zum Ordensleben zu verpflichten. 

Während seiner Zugehörigkeit zur Societät wohnte Lipsius 
wieder bei den Fratres und zählte zu den berechtigten Mitgliedern 
des Ordens, wie es Ignatius noch kurz vor seinem Tode bestimmt 
hatte. Bei der Erziehung der nicht approbierten Scholastiker der 
Gesellschaft erstrebten die Jesuiten dasselbe Ziel wie bei den 
Novizen, absolute Disziplin des eigenen Wesens, aller Gefühle, 
Gedanken und Willensregungen zum Zwecke der völligen Hingabe 
an das Höhere, an Gott und seine Kirche. Daß die täglich bis 
ins kleinste geübte Selbstzucht dauernde Wirkung haben mußte, 
ist nicht zu bezweifeln, und die Leidenschaftslosigkeit und Selbst- 
beherrschung, die Lipsius später in seinen literarischen Werken stets 
bekundet hat, darf man als eine Folge jener strengen Erziehung 
betrachten. Als ihn einst ein Gegner zur Fehde zwang, da konnte 
er von sich sagen: „Ich habe gelernt, die Wahrheit zu lieben, 
aber auch die Streitigkeiten zu meiden", und zum Beweise seiner 
Behauptung erklären: „Ich habe bis jetzt über vierzig Jahre gelebt 
und mehr als zwanzig Jahre geschrieben, aber ich habe meine 

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Feder bisher gegen niemand, und niemand hat sie gegen mich 
geführt. Denn ich liebe von Natur die Mäßigung und Ruhe und 
bin auch durch Erziehung dazu gebildet worden." (Institutio etiam 
accessit. Adversus dialogistam 281. 283.) 

Als Lipsius, 16 Jahre alt, im Juni 1564 von der Bursa nova 
Tricoronata ging, da besaß er neben der Begeisterung für das 
Altertum die Grundlage der Kenntnisse, durch die er sich zum 
Fürsten in seiner Wissenschaft erhoben hat. Er dankte es seinen 
Lehrern, besonders dem unglücklichen Gerhard Pesch, und was 
er dem Orden im allgemeinen schuldete, das schrieb er am 
I.Dezember 1597 an den Jesuitenpater Matthäus Rader in Augsburg: 
„Daß ich ein Freund des Ordens bin, was soll ich es nicht offen 
bekennen? Er hat mich in die Wissenschaften eingeführt, er hat 
mir heilsame Lehren für mein ganzes Leben gegeben und ist mir 
in ihrer Befolgung als Muster voraufgegangen. Ich liebe diesen 
Orden und liebe seine Mitglieder." 

Lipsius setzte seine unterbrochenen philosophischen Studien 
in Löwen fort und widmete sich dann, ohne Magister artium zu 
sein, der Rechtswissenschaft, um sich nach dem Willen des Vaters 
für den Staatsdienst vorzubereiten. Aber sein Geist weilte bei den 
Werken der lateinischen Literatur. Mitten in dem Zwiespalt zwischen 
Neigung und Pflicht traf ihn unerwartet die Nachricht vom Tode 
des Vaters, dem auch die Mutter bald ins Grab folgte. So war 
der kaum achtzehnjährige Student auf eigene Hilfe angewiesen, 
und das empfand er um so mehr, als sein Vater das Vermögen 
nahezu verbraucht hatte. Schnell entschlossen erwarb er sich, so 
gut er konnte, den Grad eines Baccalaureus in utroque iure und 
betrieb dann ausschließlich das Studium des Lateinischen. Schon 
1568 erschienen von ihm die Variarum lectionum übri 111, eine 
kritische Studie über eine ganze Reihe lateinischer Autoren. Sie 
war dem Kardinal Granvella, dem langjährigen Minister Philipps II. 
in den Niederlanden, gewidmet. 

Der Erfolg spornte Lipsius an, sich auf diesem Gebiete der 
Kritik weiter zu betätigen. Er fand dazu Zeit und Gelegenheit 
in Rom, wohin ihn Granvella als Sekretär seiner lateinischen 
Korrespondenz mitnahm. Hier machte er die Bekanntschaft der 
bedeutendsten damaligen Gelehrten. Er studierte die Denkmäler der 
Stadt und bemühte sich, die zugänglichen Handschriften des Tacitus, 
Seneca, Plautus und Terentius zu vergleichen. Als er jedoch nach 
zweijährigem Aufenthalte nach Löwen zurückkehrte, hielt ihn der 
Verkehr mit vergnügungssüchtigen Freunden davon ab, das reich- 

6» 67 



lieh gesammelte Material zu verarbeiten. Unzufrieden mit sich 
selbst und erbittert über die kriegerischen Verheerungen in seiner 
Heimat, wandte er nach einem Jahre Belgien den Rücken, um sich 
nach Wien zu begeben, wo der freisinnige Maximilian II. eine 
Reihe angesehener Humanisten um sich versammelt hatte. Trotz- 
dem hier Lipsius, ohne Zweifel auf Empfehlung Granvellas, aufs 




Justus Lipsius mit Hugo ürotius und den Gebrüdern Rubens. 



Gem. V. P. P. Rubens. 



Mit Genehmigung von Hanfstängel, München. 



Palazzo Pilti, Florenz. 



freundlichste aufgenommen wurde, verließ er doch nach wenigen 
Wochen, im September 1572, die Stadt fast wie ein Flüchtiger. 
Als er dann auf der Rückreise einige Tage später neue Nachrichten 
über das wüste Treiben der spanischen Truppen aus seiner Heimat 



erhielt, nahm er ohne Bedenken die Stelle eines Professors der 
Geschichte und Beredsamkeit an der 1558 gegründeten lutherischen 
Universität Jena an, ein Entschluß, der dem bisherigen Schützling 
eines Kardinals die Rückkehr nach Belgien unmöglich machte. 

Die Professur trat er, kaum 25 Jahre alt, im Oktober 1572 
an, und bald hatte er sich eine angesehene Stellung verschafft. 
Während der drei Semester, die er hier vornehmlich über lateinische 
Autoren der klassischen Periode las, vollendete er seine Noten zu 
Tacitus und setzte die Variae lectiones fort. Als er beim Tode 
des Herzogs Johann Wilhelm im Auftrage der Herzogin Dorothea 
Susanna die Leichenrede hielt, bekannte er sich in ihr offen zur 
lutherischen Lehre. Gleichwohl entstanden ihm bald schwere An- 
feindungen, als er sich bei der Bewerbung um das Dekanat zu- 
rückgesetzt sah, weil er nicht Magister artium sei. Den Streit 
entschied der stellvertretende Regent, Kurfürst August von Sachsen, 
zugunsten des Lipsius. Dieser mischte sich aber bald darauf durch 
seine Rede De duplici concordia in die Fehde der lutherischen 
Geistlichkeit und machte sich dadurch seinen weitern Aufenthalt 
in Jena fast unerträglich. 

Während der großen Ferien, im September 1573, reiste Lipsius 
nach Köln. Man darf wohl als sicher annehmen, daß er seine 
Lehrer und die Stätten, wo sie ihn unterrichtet und bewirtet hatten, 
nicht aufgesucht hat. Denn es ist festzuhalten, daß er vorab noch 
in dem Verbände der Jenaer Universität zu bleiben entschlossen war 
und sich erst durch den Widerstand seiner Frau, einer verwitweten 
Anna van den Geistere aus Löwen, die er in Köln heiratete, be- 
stimmen ließ, die Professur aufzugeben. Im März 1574 verließ er 
Jena, nachdem er in aller Form von seinen Verpflichtungen entbunden 
war. Der Aufforderung der Herzogin, die erwähnte Leichenrede 
in Druck erscheinen zu lassen, kam Lipsius nicht nach. Ihn quälte 
die Sorge um die Rückkehr in die Heimat, und aus Furcht vor 
den Spaniern hielt er sich die neun folgenden Monate in Köln auf. In 
dieser Zeit veröffentlichte er das Meisterwerk philologischer Kritik, 
den Kommentar zu Tacüus. Er erschien 1574 bei Christophorus 
Plantinus in Antwerpen und war dem Kaiser Maximilian II. gewidmet. 

In Köln vollendete Lipsius auch den Commentarius antiquarum 
lectionum, der 1575 erschien. Er enthält kritische und exegetische 
Erläuterungen zu Plautus, wofür er namentlich drei vatikanische 
Handschriften verglichen hatte, ferner zu Propertius, Seneca philos. 
und trag., Tacitus u. a. Seine ciceronianische Schreibweise gab 
er auf und vereinigte von jetzt ab die Nachahmung der Archaismen 

69 



eines Apuleius und seiner Anhänger mit der pointierten Kürze eines 
Sallustius, Seneca und Tacitus. 

Von Köln kehrte er anfangs 1575 nach Overyssche zurück, 
um sich hier der Öffentlichkeit fernzuhalten. Aber schon bald ist 
er wieder in Löwen, wo er das juristische Studium wieder auf- 
nimmt und zum Doctor iuris promoviert wird. Kurz darauf hielt 
er sogar Vorlesungen über alte Geschichte und stellte für seine 
Zuhörer die Leges regiae et decemvirales zusammen. 1577 erschienen 
die Epistolicarum quaestionum libri V, in quis ad varios scriptores, 
pleraeque ad T. Livium notae. 

Als jedoch die Spanier die Truppen der Generalstaaten nieder- 
warfen und sogar Löwen einnahmen, und als fast gleichzeitig die 
mehrmals erwähnte Oratio in funere erschien, da erkannte Lipsius 
die ihm drohende Gefahr und reiste nach Holland. Hier wurde 
er am 5. April 1578 zum Professor der Geschichte und der Rechte 
an der drei Jahre vorher gegründeten Universität Leiden ernannt. 
Damit beginnt die glänzendste Epoche seines Lebens. In der 
Vollkraft seines Schaffens veröffentlichte er eine ganze Reihe 
bedeutsamer Werke kritischen, sprachlichen und antiquarischen 
Inhaltes. (Vgl. Bibl. Lips.) In kurzem war er der angesehenste 
Gelehrte der jungen Hochschule. Durch seine Arbeiten wurde er 
trotz des Einflusses der französischen Philologen für die Studien 
maßgebend, wie sie in der sogenannten älteren holländischen 
Schule gepflegt worden sind. 

In seiner allgemein anerkannten, hervorragenden Stellung 
konnte Lipsius auch in dem Streit der Tagesmeinungen ein ent- 
scheidendes Wort mitsprechen. Nun war die Frage nach der Ver- 
einigung von Theologie und Philosophie schon lange eifrig hin 
und her behandelt worden, sie hatte aber infolge des starren 
Widerstandes der beiderseitigen Anhänger bisher keine befriedigende 
Beantwortung gefunden. Lipsius griff das Problem in seiner 1584 
erschienenen Schrift De constantia auf, und als begeisterter Ver- 
ehrer der Stoa, wie sie, an Schroffheit und Strenge wesentlich 
gemildert, durch Seneca überliefert ist, wagte er den Versuch, 
die stoische Philosophie den Lehren des Christentums anzupassen 
und so zu gestalten, daß man sein tägliches Leben nach ihr 
einrichten könne. Jedes spekulative Denken schob er beiseite und 
machte damit einerseits einen Rückschritt in die Zeiten der Huma- 
nisten, die wie Leonardo Bruni in seinem Dialogus ad Petrum 
Paulum Istrum ed. Klette p. 49 ihre Aufgabe in der Aneignung 
der Gedanken der antiken Philosophen erblickten, anderseits recht- 

70 



fertigte er den Standpunkt der Jesuiten, die auch in Köln (vgl. 
Meyer 37) dem Humanismus soweit entgegenkamen, als sie die 
litterae der pietas unterordneten und „die Philosophie als die 
Magd der Theologie" betrachteten. In der Vorrede spricht Lipsius 
seine Ansicht offen aus: „Fürchtet nicht, ihr Theologen, die 
wissenschaftliche Weisheit, wohlverstanden jene, die sich nicht 
zum Hochmut hinreißen läßt, sondern als ruhige Magd dem 
Glauben dient." 

Der Erfolg der Schrift übertraf alle Erwartungen; sie wurde 
in fast alle Sprachen übersetzt, und der Name des Verfassers wurde 
fortan in den Kreisen der Gebildeten Europas am meisten genannt. 

Nicht opportun waren die ebenfalls publizistischen Politicorum 
sive civilis doctrinae libri sex, 1589. In ihnen zeigte sich Lipsius 
als eifrigen Verteidiger der Monarchie und ließ sich zu Behaup- 
tungen verleiten, die bei den republikanischen Niederländern argen 
Anstoß erregen mußten. Den heftigsten Angriffen trat er mit der 
Schrift De una religione entgegen, zog es dann aber, wie er es 
in seiner Jugend gelernt hatte, vor, nutzlose Zänkereien zu meiden 
und dem Gegner das Feld zu räumen. Er verließ Leiden, reiste 
über Amsterdam und Hamburg nach Mainz und söhnte sich hier 
im März 1591 bei den Jesuiten mit der katholischen Kirche aus. 
Vermutlich waren unter den Mainzer Patres frühere Schul- 
kameraden. Erst auf der Rückreise besuchte er die Kölner Ordens- 
angehörigen. Die Professur legte er am 5. Juni formell nieder. 
Aber die Leidener Kuratoren suchten ihn auch jetzt noch zu 
halten. Ihr Anerbieten war vergeblich. Denn Lipsius strebte mit 
allen Mitteln nach der Rückkehr in die Heimat. Durch die 
Bemühungen seiner Freunde erlangte er von Philipp II. Verzeihung. 
Am 12. September 1592 wurde er zum Professor der alten 
Geschichte und am 24. November 1593 zum Professor der latei- 
nischen Sprache in Löwen ernannt. 

Auch in dieser Zeit ließ er unermüdlich ein Werk nach dem 
andern erscheinen (De cruce libri III; Poliorceticon libri V, 1594; 
De militia Romana libri V, 1595; De magnitudine Romana u. a. 
Vgl. Bibl. Lips.). Diese Arbeiten aus dem Bereiche der sogenannten 
Antiquitäten, die man vom heutigen Standpunkte korrekter metho- 
discher Forschung als Kompilationen zu bezeichnen sich hier und 
dort für berechtigt hält, hatten mit Rücksicht auf den enzyklo- 
pädischen Unterricht der belgischen Schulen, vor allem aber auch 
als zuverlässige Materialsammlungen für die Erklärung der Texte 
und zuletzt auch für spätere wissenschaftliche Verarbeitung her- 

71 



vorragenden Wert. Für unsere Tage sind aus dieser Epoche der 
Kommentar zum Panegyricus des Plinius und die Manuductio 
ad Stoicam philosophiam noch von Bedeutung. Seine religiöse 
Überzeugung bekundete Lipsius in den Schriften über die Wunder- 
weri<e der Madonna zu Hai und Montaigu. Für erstere hatte ihm 
Franciscus Costerus die authentischen Belege verschafft. Viele 
Ehrungen wurden dem verdienten Gelehrten zuteil. Der König 
ernannte ihn am 14. Februar 1597 zu seinem Historiographen. 

Noch bevor Lipsius seinen Aufsehen erregenden Kommentar zu 
Seneca vollendet hatte, starb er zu Löwen am 24. März 1606. Er 
wurde in der Franziskanerkirche beigesetzt. Die Marmorbüste seines 
Grabmals wurde 1794 nach Paris gebracht. Seit dem 28 Juni 
1853 schmückt ein Denkmal seinen Heimatsort Overyssche. 

Die Verdienste des Justus Lipsius liegen auf dem Gebiete der 
Kritik und Erklärung der lateinischen Prosaschriftsteller. Hier hat er 
sich durch hervorragende Begabung, unermüdlichen Fleiß und prä- 
zise Gelehrsamkeit glänzende und dauernde Erfolge errungen. Sie 
wird jeder ohne Rückhalt und um so m.ehr bewundern, je genauer er 
sich vergegenwärtigt, wie viele durch Unwissenheit, Sorglosigkeit 
und kritiklosen Übereifer entstandene Schwierigkeiten zu überwin- 
den waren, um wenigstens zu einer annähernden Richtigkeit eines 
Textes zu gelangen. Lipsius hat den Tacitus, den das Zeitalter 
der Humanisten mißachtet hatte, desgleichen den Seneca, dessen 
Persönlichkeit man nicht einmal mehr kannte, wieder zugänglich 
gemacht. Es widerspricht daher den Tatsachen, wenn Bernays 
(in seinem Buch über Scaliger und in seiner Vorlesung im Sommer- 
semester 1866) die Behauptung aufstellte, Lipsius habe seinen 
Mangel an Genialität durch Künstelei zu ersetzen gesucht. Mit 
vollem Recht wird er vielmehr „der genialste Textkritiker der Neu- 
zeit" (Gudemann) genannt. Seine Kritik erstreckt sich auf emen- 
dierte Ausgaben ganzer Texte, auf fortlaufende Notae ohne Text 
und endlich auf die schier zahllosen gelegentlichen Konjekturen, 
wie sie in seinen Sammelschriften und auch in seinen Briefen 
niedergelegt sind. Die Verbesserungen, die Lipsius wohl an sämt- 
lichen lateinischen Autoren vorgenommen hat, haben in größter 
Zahl vor der Kritik der späteren Zeit standgehalten und sind in 
unsere Ausgaben aufgenommen worden. Seine Sacherklärungen 
verraten den gründlichen Kenner der lateinischen Literatur und 
der römischen Altertümer im weitesten Sinne. Sie sind, wo der 
Zweck es erfordert, durch gelehrte Exkurse ergänzt, die aber nur 
sachlicher und nicht persönlicher Auseinandersetzung dienen. 

72 



überhaupt bekundet Lipsius in allen seinen Schriften besonnene 
Mäßigung, scharfes Urteil und klare Ordnung der Gedanken. 

Der Kommentar des Tacitus ist „ein unübertroffenes 
Meisterwerk, mit dem sich weder ein Vorgänger, obgleich sich 
darunter Beatus Rhenanus befand, noch unter den ausgezeichneten 
Nachfolgern, deren er viele gefunden hat, einer vergleichen kann" 
(Urlichs). Lipsius war der erste, der eine scharfe Scheidung der 
Annalen von den Historien durchführte. Er erkannte ferner, daß 
das in der Handschrift fehlende sechste Buch der Annalen mit 
einem Reste des fünften Buches vereinigt war. Daß er die 
Trennung nicht ganz genau an der rechten Stelle vornahm, will 
wenig besagen, wenn man bedenkt, daß erst vor wenigen Jahr- 
zehnten der Irrtum berichtigt worden ist. Für die Rezension seines 
Textes benutzte er die editio princeps des Vindelinus de Spira, 
die um 1470 in Venedig erschienen war; er nennt sie Ann. XII. 
41: Romanus priscae editionis codex; ferner mehrere vatikanische 
Handschriften und einen Farnesianus (Histor. III. 5.), den ihm 
Fulvius Ursinus verschafft hatte. Weitere Angaben über Hand- 
schriften findet man in seinen Briefen. Neuerdings hat Scato de 
Vries, worauf Herr Prof. Dr. Sonnenburg-Münster mich in liebens- 
würdigster Weise aufmerksam gemacht hat, festgestellt, daß Lip- 
sius in seiner Handschriftensammlung den Codex Leidensis XVIII 
sive Perizonianus Q. 21. besessen hat. (Vgl. Tac. dial. de or. et 
Germ. Suet. de vir. ill. fragm. cod. Leidens. Periz. photograph. 
ed. Praefatus est G. Wissowa, Leiden, Sijthoff. 1907, praef. pag. 
XXII und XXllI.) Die erste Ausgabe, 1574, enthielt nur den be- 
richtigten Text nebst Noten. In Leiden verfaßte er commentarii pleni 
dazu und ergänzte sie später. Die Erläuterungen sind ganz knapp 
gehalten und meiden jedes Prahlen mit Kenntnissen. Die Kon- 
jekturen sind so treffend, daß Lipsius, als Pichena 1604 die medi- 
ceische Handschrift veröffentlichte, gestehen konnte: (qui codex) 
centenis circiter locis coniecturas nostras (quod gaudeam) con- 
firmavit. (Vorrede 18. August 1605.) 

Der Kommentar des Seneca erschien 1605; er war dem 
Papste Paul V. gewidmet. Lipsius hat das Verdienst, den Rhetor 
scharf von dem Philosophen geschieden zu haben. (Vgl. Electorum 
liber I. cap. 1.) Für den Text des Philosophen benutzte er die 
vorliegenden Ausgaben und Verbesserungsvorschläge und eigene 
handschriftliche Notizen. Die genaue Kenntnis der Gedanken des 
ihm geistesverwandten Römers ermöglichte es ihm, in den 
meisten strittigen Fällen die richtige Lesart einzusetzen. Sehr 

73 



verdienstvoll war auch die Regelung der Interpunktion, die in- 
folge der mangelhaften Bekanntschaft mit dem Inhalt sehr im 
Argen lag. Den einzelnen Dialogen sind wertvolle Inhaltsangaben 
vorausgeschickt. Die Erläuterungen reichen nur bis zu den 
Naturales quaestiones. Erst in unsern Tagen wird man, vor allem 
nach den verdienstvollen Vorarbeiten Buechelers, daran gehen, eine 
kritische Ausgabe des Seneca herzustellen, die den Kommentar 
des Lipsius überholen soll. 



Literatur. 

Justi Lipsii opera, Wesel 1625. — Jos. Hansen, Rheinische Akten zur 
Geschichte des Jesuitenordens 1542-1582, Bonn 1896; dazu die Originalal<ten des 
Kölner Stadtarchivs. — Meyer, Ziele des Unterrichtes am Jesuitengymnasiura 
in Köln: Mitteilungen der Ges. für d. Erz.- und Schulgeschichte. 19. Jahrgg. 
1909. — B. Duhr, Die ältesten Studienpläne des Jesuitengymnasiums in Köln. 
Ebenda VIII. 1898. S. 130. fgd. — Eberh. Qothein, Ignatius von Loyoia und 
die Gegenreformation. Halle 1895. — van der Haghen, Bibliographie Lipsienne. 
3 Bde. Gent 1886-1888, nebst der dort angegebenen Literatur. — Urlichs, 
Geschichte der klassischen Philologie, in Iwan Müllers Handbuch. — Lucian 
Müller, Geschichte der klassischen Philologie in den Niederlanden, Leipzig 
1869. — Halm, Justus Lipsius in der Allgemeinen deutschen Biographie. 



74 



Georg Braun. 

Von Regierungsbaumeister Dr.-Ing. HANS VoGTS in Köln. 



Die Vielseitigkeit, die vielleicht das hervorragendste Kenn- 
zeichen der italienischen Renaissance und ihres Geistes- 
lebens ist, zeichnet nicht nur auch die deutschen Huma- 
nisten und die ganze deutsche Kultur zu Anfang des 16. Jahrhun- 
derts aus, sondern verleiht auch noch dem geistigen Leben der 
Gegenreformation in manchen deutschen Städten ihr Gepräge. 

Unter den Kultur- 
mittelpunkten dieser 
Zeit ragte neben Prag, 
Wien, Augsburg, Ba- 
sel, Nürnberg, Straß- 
burg, Mainz unser 
Köln hervor, mochte 
es auch an innerer Be- 
deutung gegenüber 
früheren Jahrhunder- 
ten verloren haben. 
In der Stadt wirkte 
damals ein Kreis von 
Männern, die durch 
Freundschaft mitein- 
ander verbunden wa- 
ren und sich gegen- 
seitig anregten; die- 
semKreise gehörte ne- 
ben dem Geschichts- 
forscherStephan Bröl- 
mann, den Altertums- 
freunden und Sammlern Constantin und Johann von Liskirchen, 
Peter Heimbach, Johann Helman, dem Bürgermeister Johannes 
Hardenrath, dem Vorbild seiner Amtsnachfolger, den Buchdruckern 
und Verlegern Arnold Mylius, Johann Gymnicus und Anton Hierat 
und vielen andern Freunden der Kunst und der Wissenschaft der 
Dechant GEORG BRAUN, der Herausgeber des Städtebuchs, an, 
der wie sein Hauptwerk bisher wohl nicht die Aufmerksamkeit 
gefunden hat, die seine Person und seine Tätigkeit verdienen. 




76 



Freilich ist auch über das Leben Georg Brauns (oder Bruins, 
wie er sich selbst häufig schreibt) nicht viel zu erfahren. Schon 
von seiner Abstammung fehlen sichere Angaben; es steht nur 
so viel fest, daß er 1541 in Köln geboren wurde. Seine Eltern 
sind unbekannt (die Namen, welche Ennen an einer Stelle angibt, 
beruhen auf einer Verwechslung). Man kann es als wahrschein- 
lich betrachten, daß Georg einer ausgedehnten, sehr regsamen 
Kölner Maler- und Glaswörterfamilie Bruin angehörte, von welcher 
der Chronist Hermann von Weinsberg, der mit ihr großmütter- 
licherseits verwandt war, viel berichtet. Von dieser Familie werden 
genannt der Glaswörter und Ratsherr Tilman, der 1577 starb; 
der Maler Christian, der seine Kunst in Mecheln gelernt hatte, 
im Hause seines Vaters in der Brückenstraße wohnte und neben 
vielen andern Arbeiten auch solche für die Jesuitenkirche aus- 
führte (t 1586); sein Bruder Heinrich, der am Waidmarkt, „uff 
der Drenken" wohnte und die Jakobskirche mit Glasgemälden 
schmückte, sein Sohn Heinrich, welcher 1597 städtischer Glas- 
wörter wurde und Arbeiten für das Kartäuserkloster lieferte; dessen 
Sohn Melchior, der sein Amtsnachfolger wurde, keine Kinder hatte 
und zwischen 1678 und 1683 starb, und seine Schwestern Katha- 
rina und Richmud. 

Die Abstammung Georgs von dieser Familie wird durch sein 
Wohnen in der Columbapfarre, durch das Vorkommen gleicher 
Vornamen in Georgs und Heinrichs Familie, durch das Interesse, 
das Weinsberg auch Georg und seinem Bruder entgegenbringt, 
durch die gemeinsamen Beziehungen zu Mecheln und zu den 
Jesuiten wahrscheinlich gemacht und wäre insofern bedeutsam, 
als sie die Kunstliebe erklärte, die ein hervortretender und beson- 
ders liebenswürdiger Zug Georg Brauns ist und sich auch bei 
seinen Verwandten findet. Neben der Glaswörterfamilie Braun gibt 
es noch mehrere Kölner Familien desselben oder ähnlichen Namens, 
darunter als die bekannteste die des aus Antwerpen nach Köln 
eingewanderten, berühmten Bildnismalers Barthel Bruin, die viel- 
leicht einen Seitenzweig desselben Stammes darstellt, mit der 
unser Georg aber erst in zweiter Linie verwandt sein könnte, da 
alle ihre Glieder — im Gegensatz zu denen der Glaswörterfamilie — 
aus den Schreinsbüchern festgestellt werden konnten. Als ein 
Zeichen näherer Beziehungen wird man auch den Namen „Fuscus", 
der sich sowohl auf den Maler Barthel als auf Georg angewandt 
findet, nicht auffassen dürfen, da solche Übersetzungen der Familien- 
namen ins Lateinische eine allgemein geübte Mode waren. 

76 



Ein anscheinend jüngerer Bruder Georgs war Melchior Braun, 
weicher kein Schüler der Jesuiten war, 1561 bei der Artistenfakultät 
der Kölner Universität eingeschrieben wurde, den Doktorgrad 
erwarb, 1575 Kanonikus am Apostelnstift, 1583 dort Dechant, am 
14. Dezember 1585 Pastor an Klein St. -Martin wurde und im 
Juni 1605 starb. Wahrscheinlich schmückte er seine Pfarrkirche 
mit den Gemälden vom Leben des heiligen Martin, die später in 
die Kapitolskirche übertragen wurden. 1578 gab er eine Über- 
setzung der Schrift des Heinrich Kyspinnik über den Tod und 
die Tröstung Sterbender heraus, die ihn als eifrigen, praktisch 
tätigen Geistlichen zeigt. Melchior war ein „insignis animarum 
zelator", von dessen Bedeutung für die Gegenreformation noch 
die Rede sein wird. 

Hartzheim (und nach ihm Merlo) bezeichnen als einen weitern 
Bruder den Maler Augustin Braun, einen „zweiten Apelles", wie 
ihn Brölmann nennt, einen „herrlichen Künstler", wie Sandrart 
schreibt. Von ihm sind zahlreiche Gemälde, Stiche und Radierungen 
aus der Zeit von 1592 bis 1639 erhalten, darunter eine Bilderfolge 
des Lebens Mariae von 1592, zu welcher Georg Braun einen 
lateinischen Text verfaßte, ferner eine Halbfigur des leidenden 
Heilands, die Augustin in Gemeinschaft mit dem Stecher Peter 
Isselburg 1607 dem „hervorragenden, hochgelehrten Herrn Georg 
Braun, hochwürdigen Dechanten an St. Maria ad gradus und 
Kanonikus an St. Georg, dem hochverdienten Theologen und 
berühmten Geschichtsschreiber, seinem Herrn und Gönner", wid- 
mete; am bedeutendsten zeigt sich das Talent Augustins wohl in 
den sechs Handzeichnungen aus der Kölner Geschichte, die im 
Hahnentormuseum hängen und offenbar Entwürfe für dekorative 
Malereien in Bogenfeldern irgend eines öffentlichen, wahrscheinlich 
städtischen Gebäudes sind, als welches das zu Anfang des 17. Jahr- 
hunderts vollendete Zeughaus oder der sogenannte „spanische 
Bau" am Rathausplatz in Betracht kommen könnten; diese acht 
Blätter sind flott gezeichnet, geschickt komponiert und verraten 
ein auffallendes Bewandertsein in der städtischen Geschichte und 
in Tracht und Lebensweise vergangener Jahrhunderte, das freilich 
auch auf die Ratschläge und Winke der Auftraggeber und geschichts- 
kundiger Freunde zurückgehen kann. Augustin Braun unterhielt 
freundschaftliche Beziehungen zu der Stecherfamilie Hogenberg, 
die am „Städtebuch" in erster Linie mitbeteiligt war. Aus allem, 
was wir über ihn erfahren, geht hervor, daß er mit Georg wohl 
verwandt, aber kaum sein Bruder war — neben dem allzu demütigen 

77 



Text der oben angeführten Widmung würde auch der Altersunter- 
schied dagegen sprechen; eher wird er als ein Neffe des Dechanten 
anzusehen sein. 

Als Wappen führte Georg Braun ein Schild, das oben ein 
springendes Pferd, unten zwei gekreuzte Ähren enthält; dieses 
Wappen befindet sich unter seinem Bildnis bei Hartzheim. Ein 
ganz ähnliches Wappen war an der reichen, holzgeschnitzten 
Wendeltreppe des Hauses Edern, Unter Goldschmied Ecke Portals- 
gasse, angebracht, das von 1563 — 1570 dem Ehepaar Heinrich 
von der Dussel und Christine Bruins, 1570—1597 dem Ehepaar 
Heinrich Faber und Margareta Bruins gehörte; man wird also 
wohl auch diese beiden Frauen zur Verwandtschaft Georgs zählen 
dürfen. Zu dieser gehört ferner Christine Bruins, die am 
31. Oktober 1620 aus dem Hause des Dechanten zur Trauung 
mit Werner Müntz geführt und 1660 neben ihrem Gatten im 
Grabe Georgs in der Kirche St. Maria ad gradus bestattet wurde; 
Christine, wohl eine Nichte Georgs, starb kinderlos und erwähnte 
in ihrem Testamente noch einen Halbbruder Wilhelm Braun und 
eine Schwester Margareta. Mit Georg verwandt war wohl auch 
der Kupferstecher Sebastian Braun, den Hartzheim erwähnt und 
zu dessen Bildern aus dem Leben Christi und der Jungfrau Maria 
der Dechant ein Vorwort schrieb (oder beruht Hartzheims Angabe 
auf einer Verwechslung mit Augustin?). Endlich scheinen den 
Vornamen nach zehn Geschwister mit unserm Braun verwandt, 
welche Johannes, Diederich, Georg, Barthel, Melchior, Maria, 
Adelheid, Margneth, Kathanna und Lucia hießen und von denen 
Johannes 1629 achtzehn Jahre alt, Diederich Karmelitermönch, 
Georg wahrscheinlich mit einem Georg Braun identisch war, der 
1610 an der Artistenfakultät in Köln eingeschrieben wurde. 

Für unseres Georg Brauns Leben und späteres Wirken war 
die Erziehung von höchster Bedeutung, die er im Gymnasium der 
Jesuiten in der Maximinenstraße empfing, in dessen Büchern er 
sich zuerst 1558 genannt findet, im selben Jahre, in dem er am 
23. Juli immatrikuliert wurde. 1558 stieg er als zweiter der auf- 
geführten Schüler aus der poetica in die rhetorica, in der er am 
7. Mai zusammen mit Hieronymus Vedderhenn zur Abwendung 
einer Fieberepidemie vorzutragen hatte. Im Februar 1561 war er 
Schüler der physica; am 14. März 1561 wurde er magister artium 
und bald darauf baccalaureus. 1562 wird er als Novize des Jesuiten- 
ordens genannt, dem er aber jedenfalls nur kurze Zeit angehörte. 
Hartzheim nennt als seine Lehrer Rhetius und Kessel; er selbst 

78 



erwähnt außerdem als bedeutende Gelehrte des Kölner Ordens- 
hauses den beredten Balduinus Leodiensis, den Philosophen Petrus 
Sylvius und die Theologen Theodor und Peter Busaeus. 1560 gab 
Kessel in seinem Monatsbericht eine ausführliche Charakteristik 
Georgs, welcher damals Schüler der logica war, eine Schilderung, 
welche Kessel als einen guten Menschenkenner erscheinen läßt, 
da in Brauns späterem Leben, soweit wir es kennen, gerade die 
erwähnten Fähigkeiten zum Teil hervortreten. Kessel schrieb von 
ihm: „iuvenis natura satis modestus boni autem ingenii et iudicii, 
gratiam habebit concionandi docendi philosophiam bonus videtur 
magisternostrorum puerorum ac discipulorum, habet gratiam conver- 
sandi etiam cum viris magnae autoritatis, sie satis idoneus ad 
quemcunque rerum externarum executionem". 

An der Universität erwarb Georg den Grad eines Licentiaten 
der Theologie. Um 1570 scheint er Hilfsgeistlicher in der Columba- 
pfarre gewesen zu sein. 1575 versprach der Rat als Gegengabe 
für die Widmung eines Exemplares des Städtebuches, sich um 
eine geistliche Pfründe für ihn zu bewerben, und verehrte ihm 
50 Reichstaler. 1578 wurde er quaestor und fiscus an der neu- 
gegründeten theologischen Lehranstalt, deren Gründer, der um die 
Erhaltung der katholischen Konfession bemühte Johannes Swolgen, 
Dechant an St. Andreas und St. Georg, ein Freund und Gönner 
der Jesuiten war; zur Eröffnung des Collegium Swolgianum, das 
sich an der Stelle des heutigen Marzellengymnasiums befand und 
über dessen Tür in goldenen, in Stein gemeißelten Buchstaben 
sein Name prangte, gab Georg Braun eine Beschreibung der 
Anstalt und des Lehrplanes mit seinen acht Klassen heraus; er 
hielt auch am 11. Juli 1578 die Eröffnungsrede über das Studium 
der Theologie und deren Lehranstalten, welche in der Beschreibung 
mit einem Anhange, einer Disputation darüber, ob die Theologie 
die hervorragendste Wissenschaft sei, abgedruckt ist. Bald nachher 
wurde Georg Kanonikus an der St. Georgskirche und am 5. Juni 1585 
Dechant des Stiftes St. Maria ad gradus, dessen schöne Kirche 
östlich vom Domchor lag, bevor sie zu Anfang des 19. Jahrhunderts 
abgebrochen wurde. Als Dechant dieser Kirche war er zugleich 
Archidiakon von Dortmund, ein Amt, das seit Erzbischof Annes 
Zeit mit dem des Dechanten an St. Maria ad gradus verbunden 
war. Georg bewohnte seitdem bis zu seinem Tode das 1489 ge- 
stiftete, in der Immunität des Stiftes gelegene Dekanatsgebäude, 
das Ausblick in den Garten der Kirche hatte. Er starb am 
10. März 1622, einundachtzig Jahre alt, und wurde in der 

79 



St.NikolauskapelleseinerKirche begraben. Seine Grabinschrift geben 
Hartzheim und Büllingen an; sie lautete: „Admodum reverendus 
ac magnificus vir ac dominus Georgius Braun Agrippinas huius 
Collegiatae ecclesiae Beatae Mariae virginis ad gradus per 37 annos 
decanus et archidiaconus Tremoniensis optime meritus hoc epita- 
phium in sui memoriam una cum aliis legatis piarum imaginum 
ac contemplationum picturis ecclesiae suae donavit aetatis 81 obiit 
ao. salutis 1622 die 10 martiis." 

Aus der Grabschrift geht hervor, daß er die Stiftskirche reich 
bedachte und insbesondere mit Bildern schmückte, von denen eines, 
welches im nördlichen Seitenschiff aufgehängt wurde, ihn selbst 
darstellte; nach diesem Bilde schuf der Stecher Rösel um die Mitte 
des 18. Jahrhunderts den Stich, der uns Brauns kluges, ernstes, 
wohlwollendes, nach der Tracht der Zeit spitzbärtiges Gesicht über- 
liefert hat. Zum Ausdruck dieses Bildes paßt die kurze, aber treffende 
Charakteristik, die Hermann von Weinsberg 1585 von Georg Braun 
gab, indem er ihn „gar wolgeleirt und politissimus" nannte. 

Häufig erhielt Braun ehrenvolle Aufträge von seifen der kirch- 
lichen Behörden: so wurde er, als er 1592 in Neuß mit dem Nuntius 
über die dortige Errichtung eines Jesuitenkollegs verhandelte, zur 
Begrüßung der Herzogin-Regentin Jakobine von Kleve-Jülich-Berg 
nach Düsseldorf geschickt, mit der diplomatische Verhandlungen 
wegen einer Stärkung der katholischen Partei in ihren Ländern 
gepflogen wurden; so war er im Juni 1602, zusammen mit Johannes 
Swolgen und dem Obersiegier Ludwig von Heresbach, der Vertreter 
des apostolischen Stuhles bei der feierlichen Einweihung der neuen 
Franziskanerkirche in der Streitzeuggasse, ein Ereignis, auf das 
er eine Medaille prägen ließ. 

Von Georgs Tätigkeit als Geistlicher zeugen sein Testament, 
durch das er in seiner Stiftskirche den Gottesdienst zu Ehren des 
Namens Jesu begründete, und viele seiner Schriften, darunter eine, 
die sich mit dem Kommentar des belgischen Bischofs Cornelius 
Jansenius zu dessen Evangelienharmonie befaßte und die 1579 
erschien. Als Geistlicher mußte er vor allem zu dem Streit der 
Konfessionen Stellung nehmen, der damals in und um Köln ent- 
brannt war. Die Erziehung Georgs im Jesuitenorden und seine 
Beziehungen zu Johannes Swolgen lassen es als selbstverständlich 
erscheinen, daß er in diesem Streit vollständig auf der Seite der 
katholischen Kirche stand; er weist denn auch in seinen Schriften 
die Lehren des Velsius und Leichius als Ketzereien zurück und 
vergißt anderseits in seinem Städtebuch nie, die Institute der 

80 



römischen Kirche, die Ordensniederlassungen der Jesuiten und 
ihre führenden Männer zu erwähnen. Als Archidiakon von Dort- 
mund versuchte er besonders, allerdings ohne Erfolg, dort den 
Protestantismus zurückzudämmen, gegen den er 1605 eine Druck- 
schrift „Catholicorum Tremoniensium adversus Lutheranicae ibidem 
factionis praedicantes defensio" erscheinen ließ; auch sein Vertreter 
und Offizial in Dortmund, der Pastor Schmalbein von Büderich, 
wirkte in seinem Auftrage den protestantischen Predigern entgegen. 

Es scheint also, daß Georg an der Seite seines Bruders 
Melchior kämpfte, welcher 1582 eine Flugschrift mit dem Titel 
herausgeben ließ: „Ablienung und gruendtliche Widerlegung der 
übel gegründten Supplikation so etliche der Augsburg. Confession 
vermeinte verwandten umb einräumung einer öffentlicher Platz zu 
ihres Glaubens exercitium einen hochachtparn und weisen Rhatt 
der heyligen Statt Colin übergeben haben". Diese Flugschrift, 
die sich auf Ratsbeschlüsse und Reichstagsabschiede stützt, erhielt 
eine weite Verbreitung und 1649 eine zweite Auflage; sie ist in 
einem lebendigen Stil geschrieben, der es ahnen läßt, daß Melchior 
ein guter Prediger war, der auf die Allgemeinheit Eindruck zu 
machen wußte. Georg dagegen wandte sich schon durch die 
lateinische Sprache seiner Schriften an einen kleineren Kreis; er 
geht auch bei seinen religiösen Auffassungen vorwiegend von der 
Geschichte aus, und es ist bezeichnend, daß er in dem auf Dortmund 
bezüglichen Buche gegen die Lutheraner fast nur deren Uneinig- 
keit und Unbeständigkeit und die Jugend ihrer Kirche anführt. 

Die Gegenreformation begnügte sich aber nicht mit der 
Abweisung der protestantischen Ansprüche, sondern suchte auch 
die eigene Kirche zu kräftigen und zu festigen und ihre Schäden 
zu heilen; auch dabei finden wir Melchior Braun mit tätig und 
von seinem Bruder Georg unterstützt. Es galt besonders, den 
Pfarrerstand in Köln zu heben ; zumal Melchiors Vorgänger als 
Pfarrer von St. Aposteln war ein ganz ungelehrter Mann. Als 
ein Mittel zur Gewinnung tüchtiger Pfarrer erschien eine bessere 
Bezahlung ihrer Dienste, die man durch Aufhebung der allzu 
zahlreichen Präbenden an mehreren Kölner Kirchen ermöglichen 
wollte, ein Beginnen, für das sich besonders der Rat interessierte. 
Dessen Wünsche in dieser Hinsicht vertrat Melchior 1580 in Rom 
bei dem Papste; im Februar 1581 kehrte er von seiner, mit vollem 
Erfolg durchgeführten Reise zurück. Georg Braun, der schon mit 
seiner ersten bekannten Schrift ,, oratio quodlibetica contra con- 
cubinarios sacerdotes" vom Jahre 1566 für die Reformation des 

6 81 



geistlichen Standes eingetreten war, hatte kaum das Dekanat am 
Marienstift erlangt, als (am 17. Oktober 1586) zwölf Präbenden des- 
selben (sicherlich nicht ohne seine Mitwirkung) aufgehoben wurden. 

Ein so lebhafter Anhänger der katholischen Kirche aber Georg 
auch war und so wenig Zweifel er auch daran aufkommen ließ, 
so war er doch persönlich durchaus tolerant und von aller Feind- 
schaft frei. Sein Lebenswerk, das Städtebuch, brachte ihn in 
Beziehungen zu gelehrten Protestanten und zu protestantischen 
Städten ; in seinem Text enthält er sich aller feindlichen Bemerkungen. 
Ja, er stand mit mehreren religiösen Gegnern in naher Freund- 
schaft, besonders mit dem trefflichen Georg Cassander, einem 
1515 in Brügge geborenen Gelehrten und Feinde der Jesuiten, 
der seit 1544 in Köln für eine Wiedervereinigung der beiden 
Konfessionen auf einer mittleren Grundlage wirkte und in Brauns 
Wohnung in der Columbapfarre am 3. Februar 1566 starb; ferner 
mit dem Kupferstecher Franz Hogenberg aus Mecheln, der selbst 
ein Anhänger der Augsburger Konfession war und wiederholt 
ihre Prediger anhörte. 

Wie viele Gelehrte seiner Zeit, so hatte auch Georg Braun 
überhaupt einen zahlreichen Freundeskreis und wahrscheinlich auch 
einen regen Briefwechsel, von dem leider nur ein paar, seine Schriften, 
besonders das Städtebuch, betreffende Stücke erhalten sind. Ganz 
abgesehen von den vielen Gelehrten, die er im Städtebuch als 
seine Freunde bezeichnet oder die ihn in ihren zur Einleitung 
dienenden Lobsprüchen ihren Freund nennen und von welchen 
nur die Kölner Wilhelm Salzmann und der Kanonikus des Stiftes 
St. Maria ad gradus Melchior Hittorf erwähnt seien, stand Georg 
in nahem, freundschaftlichem Verkehr mit dem etwas jungem 
Dr. jur. Stephan Brölmann, der bald nach ihm (am 10. November 
1622) starb und der in seinen „Epideigmata" 1595 eine Karte 
Europas dem „durch Frömmigkeit und Bildung ausgezeichneten 
Georg Braun, dem Theologen und Erläuterer der Städte des Erd- 
kreises, seinem alten Freunde und Mäcen" widmete. Mit Georg 
verkehrte ferner freundschaftlich Hartger Henot in den Jahren, 
welche dieser als Kanonikus an St. Andreas, Domherr und späterer 
Protonotar in Köln verbrachte. Henot, der Sohn des Taxisschen 
Postmeisters in Köln und ebenfalls ein Schüler des Tricoronatum, 
wurde 1588 zum Priester geweiht, später als Diplomat am Kaiser- 
hof hochgeschätzt und erlangte zahlreiche geistliche Würden ; 
gegen das Ende seines Lebens wurde er aber durch einen Prozeß 
verbittert, den man gegen seine geschäftstüchtige Schwester, die 

82 



Postmeisterin Katharina Henot, wegen Hexerei führte und der 1628 
mit ihrem Tode auf dem Scheiterhaufen endete; ja, man wagte es 
sogar, den Domherrn selbst der Zauberei zu beschuldigen. Ein Bild 
dieses Zöglings der Jesuiten und Freundes des Georg Braun befindet 
sich im Gebäude der Kölner Studienstiftungen am Gereonshof. 

Das Hauptgebiet von Georgs gelehrter Tätigkeit war die 
Geschichtsschreibung, die er als ein Freund der Kunst an die 
Erscheinungen der Städte, kirchlichen Gründungen und Bauten 
anknüpfte, welche er als greifbare, augenfällige Zeugen der Ge- 
schichte auffaßte. So war neben dem Städtebuch auch die 
„Rapsodia Coloniensis" geartet, eine Geschichte der Kölner Stifter 
und Orden, Hospitäler und Konvente, der Fahnen und Siegel der 
Stadt, der Ratskapelle und der erzbischöflichen Residenz, der ein 
kurzer Abriß der allgemeinen, hauptsächlich der römischen Stadt- 
geschichte wie eine Art Vorwort vorangesetzt ist. Diese Schrift, 
die in der Alfterschen Sammlung des Stadtarchivs (Band 44) 
erhalten ist, hat Braun anscheinend bis zu seinem Tode beschäf- 
tigt und ist als Fragment liegen geblieben und in fremde Hände 
übergegangen; es sind noch Ereignisse aus den Jahren 1614/15 
erwähnt, allerdings zum Teil nicht mehr wie die übrigen Sätze 
der Handschrift in lateinischer Sprache, sondern in deutscher und 
von anderer Hand niedergeschriebener, so daß es scheint, als habe 
der selbst im Lateinischen so gewandte, alte Dechant diese späteren 
Ereignisse einer fremden Person diktiert. Braun hatte mit der 
Rapsodia kein geringeres Werk vor, als es später Aegidius Gelenius 
in seinem Buche de admiranda magnitudine Coloniae 1645 voll- 
endete. Gelenius hat offenbar die Braunsche Schrift nicht benutzt, 
da diese manch wertvolle Notiz, z. B. von den Klöstern St. Pan- 
taleon und St. Mauritius, enthält, die bei Gelenius fehlt; um so 
mehr wäre es verdienstlich, die Rapsodia trotz ihres fragmen- 
tarischen Charakters herauszugeben und einem weitern Kreise 
zugänglich zu machen. Natürlich enthält sie auch eine ausführ- 
liche Geschichte des Jesuitenordens in Köln und seines Gymnasiums 
bis zum Jahre 1598. An dieses Werk Brauns schließt sich eine 
Geschichte des Stiftes St. Maria ad gradus mit zweiunddreißig 
Kapiteln an, die sich in der geistlichen Abteilung des Stadt- 
archivs (Nr. 166) befindet. 

Brauns unvergängliche Bedeutung beruht aber auf dem Städte- 
buch, dem „theatrum orbis terrarum civitatum" (oder „Beschreibung 
und Contrafaktur der vornembster Stät der Welt"), womit er sich 
früh beschäftigt haben muß, da der erste Band schon 1572 erschien. 

c* 83 



Die Idee, die größeren oder docli aus irgend einem Grunde 
interessanteren Städte der damals bekannten Welt in Bild und Wort 
vorzuführen, lag wohl, nachdem Abraham Orttelius in Antwerpen 
und Arnold Mercator in Duisburg ihre großen und schönen Karten- 
werke herausgegeben hatten, gewissermaßen in der Luft; ja, 
Braun hatte einen Vorgänger in Sebastian Mtinster, dem Ober- 
ingelheimer Gelehrten, welcher 1552 in Basel eine Kosmographie 
erscheinen ließ, die aber durchaus der streng wissenschaftlichen 
Grundlage entbehrte und vor allem auch des großartig geplanten 
Bilderschmuckes und der Reichhaltigkeit des Braunschen Werkes. 
In der Art und im Umfang der Münsterschen Kosmographie hielt 
sich später das „Stättebuch" des Abraham Säur, das von 1593 ab 
erschien und vorzugsweise deutsche Städte behandelt, während 
Mathaeus Menan, der tüchtige Frankfurter Kupferstecher, in seiner 
Topographie von 1646, ebenso wie vorher der Mediziner und 
Mathematiker Johannes Gigas in seinem Prodromus geographicus 
Coloniensis von 1620, zum guten Teil die Braunschen Abbil- 
dungen und Angaben benutzt. Bis heute steht das theatrum 
orbis terrarum civitatum, das in sechs Bänden 192 deutsche, 
108 niederländische, 21 englische, 35 dänische und skandinavische, 
45 französische, 53 spanische, 68 italienische, 19 ungarische, 
17 polnisch-russische, 16 türkische, 7 afrikanische und 12 ost- 
und westindische Städte behandelt und mit ihnen eine Beschreibung 
aller Verhältnisse und Kulturen der damals bekannten Erdteile 
gibt, unerreicht da. 

Freilich gebührt das Verdienst der Herausgabe dieses Monumen- 
talwerkes nicht Braun allein ; als Herausgeber des ersten und zweiten 
Bandes zeichnen Georg Braun, der Kölner Kupferstecher Franz 
Hogenberg und der Radierer Simon Novellanus (van den Noevel), 
als Herausgeber des dritten, vierten und fünften Bandes Georg Braun 
und Franz Hogenberg; beide scheiden dann bei der Herausgabe 
des sechsten Bandes aus, der 1618 erschien und den der Kölner 
Verleger Anton Hierat und Abraham Hogenberg, wahrscheinlich 
ein Sohn Franz Hogenbergs und wie er Kupferstecher, besorgten. 
Abgesehen von den Herausgebern waren aber noch viele Personen 
an dem großen Werke beteiligt, und zwar lag das in seinem Plane, 
bat doch Georg Braun in einem seiner Vorworte die Leser, sie 
möchten ihm für die folgenden Bände Berichtigungen und bessere 
Ansichten zusenden; daß dieses häufig geschah, geht daraus hervor, 
daß mehrere Städte mehrfach abgebildet und besprochen werden. 
Auf der lebhaften Anteilnahme, die das Städlebuch in ganz Europa 

84 



fand, beruht gerade sein Hauptwert, seine über die Gewohnheit 
der damaligen iiosmographischen Litteratur hinausgehende Treue; 
denn, wenn auch Braun, wie aus allem hervorgeht, zweifellos 
selbst weitgereist war und vieles vom Augenschein kannte, wenn 
auch Hogenberg, der z. B. um 1560 in England lebte, manche 
Stadtansicht nach der Natur gezeichnet hatte, so mußten doch 
die Gaben fremder und einheimischer Gönner, die Arbeiten anderer, 
vielgewanderter Künstler ergänzend hinzutreten. Der Kölner Bürger- 
meister Constantin von Liskirchen schenkte z. B. die Bilder aus 
Asien, Afrika und beiden Indien im ersten Bande, Georg Sylvius 
und Gerard von Groesbeck in Lüttich das Bild ihrer Stadt, Hiero- 
nymus Scholeus die Beiträge Elsenor und Bergen im 4. Bande, 
Herr Johannes Muflin, admirator picturarum et antiquitatum, das 
Bild von Bilbao. Sehr wesentlich war die Gunst des Heinrich von 
Rantzau, der 1556 bis 1598 Statthalter in Schleswig-Holstein war, 
sich prächtige Schlösser gebaut und eine Bibliothek von 6000 Bänden 
eingerichtet hatte, der dem Braunschen Werke fast alle däni- 
schen und schleswig-holsteinischen Bilder zur Verfügung stellte 
und dessen Enkel, vielleicht nicht ohne Anregung durch das 
Städtebuch, weite Reisen unternahm. Von auswärtigen Künstlern 
sind der kaiserliche Hofmaler Egidius von der Reye, ein Belgier, 
mit dem Bilde von Klausenburg, der in Nürnberg und Wien tätige 
Maler Lucas von Valkenborch aus xMecheln mit Ansichten von 
Linz und anderen österreichischen Städten vertreten, von ein- 
heimischen Künstlern bereits im ersten Bande Abraham Hogen- 
berg mit dem Stich von Straßburg. Wohl bei weitem die meisten 
Bilder lieferte aber der Antwerpener Georg Houfnagel, der eben- 
falls in Wien als Hofmaler tätig war und in Begleitung des 
großen Kosmographen Abraham Orttelius und allein weite Reisen 
gemacht hatte; so sind südfranzösische Bilder von seiner Hand 
mit 1561, spanische mit 1564, 1565, 1566 und 1593, italienische 
mit 1564, 1578, 1580, 1582, ein Bild Münchens mit 1586, nord- 
französische Ansichten mit 1596 und 1597 bezeichnet. Georg 
Houfnagel benutzte bei seinen Stichen mehrfach fremde Zeich- 
nungen, wie die des Spaniers Cornelius Chaymox, des Lukas von 
Valkenborch, das Bild Messinas von Pieter Brueghel, den Plan 
des italienischen Architekten Caesar Porta zu der Festung Petrina, 
sowie die Zeichnungen seines Sohnes Jakob, der ihm als 
Hofmaler in Wien folgte, von den Städten Regensburg (1594) 
und Fus an der Enns (1617). Der zweite Band bringt unter 
anderm auch ein nach einer Zeichnung des ,, alten" Hogenberg 1544 

85 



gefertigtes Bild von Bilbao; dieser alte Hogenberg wird wohl 
der Vater des Franz Hogenberg (der weitgereiste Hans Hogenberg?) 
gewesen sein. 

Georg Braun fiel die Aufgabe zu, zu sammeln, was auf den 
Ursprung und die Geschichte der einzelnen Städte Bezug haben 
könnte; dem unterzieht er sich mit großem Fleiß und Erfolg. 
Vieles schreibt er aus eigener Anschauung nieder, vieles nach 
alten und neuen Schriftstellern, die er gewissenhaft anführt. Seine 
Texte beginnen meist mit Erklärungen des Namens, die er nicht 
kntiklos wiedergibt; es folgt dann die äußere Geschichte der 
Stadt, eine Erwähnung der Stadtanlage, der Bodenbeschaffenheit, 
der Hauptbauten, Wahrzeichen, Plätze, der berühmten Männer, 
welche die Stadt geboren, besonders auch noch lebender Gelehrter 
der Universitätsstädte, zuweilen die Angabe alter Inschriften und 
Denkmäler, endlich eine Charaktenstik der Bevölkerung und ihrer 
Lebensweisen und Trachten, wozu wir auf den Städtebildern mit 
ihren Volksszenen, ihren Aufzügen, Jagden, Fischfängen usw. die 
Illustrationen finden. Aus Köln z. B., von dem Braun nach 
Mathias Quad, teutscher Nation Hedigkeit, 1609, unter den vielen 
Beschreibungen der Stadt der Kürze nach die beste gibt, erwähnt 
er im Index außer vielen Kirchen und Klöstern das Rathaus mit 
der neuen Vorhalle, dem Turm und Uhrblatt, das schöne Gemälde 
in der Ratskapelle, die prächtigen Wohnhäuser der Bürgermeister 
von Liskirchen (Neumarkt, jetzt Heusersches Haus) und von Siegen 
(Holzmarkt, jetzt abgebrochen), die Altertumssammlung des Johann 
Helman, die Universität mit ihrer Geschichte, den Jesuitenorden 
und das furchtbare Ende der beiden Regenten Rhetius und Kessel, 
die alte Römermauer mit ihren Türmen und Toren und vieles 
andere. Den Einzeltexten schickt Braun in jedem Bande ein 
Vorwort voraus, das sich mit der Entstehung und der verschieden- 
artigen Anlage der Städte, mit der verschiedenen Bauweise der 
einzelnen Völker, mit den Stadtverfassungen usw. beschäftigt, 
insbesondere auch mit der Knegsbaukunst, die in erster Linie die 
Bedingungen für den früheren Städtebau stellte. 

Neben den Städteansichten findet man auch einzelne Bauten 
abgebildet, z. B. den Campanile von Sevilla, die Alhambra, den 
Escurial, die Schlösser von Richmont, York, Fontainebleau, St. Ger- 
main en Laye und andere, ferner Trachten- und Waffentafeln, z. B. 
vom Hennegau und von den baskischen und den schottischen 
Provinzen. Mehrere Städte nehmen zwei oder mehr Tafeln in An- 
spruch, wie Antwerpen, Krakau, Rom und Jerusalem, von welchen 



beiden letzten Städten Rekonstruktionen ihres Zustandes im Altertum 
versucht sind, welche naturlich nicht frei von Phantastik sind. 
Übrigens macht sich auch bereits eine damals noch seltene Freude 
an der Landschaft bemerkbar, ist doch manches Bild ausdrücklich 
der eigenartigen Lage der Stadt wegen aufgenommen. Für uns 
heute ist die Sammlung alter Stadtansichten, wie sie das Braunsche 
Werk bietet, ganz unschätzbar, zeigen sie doch nicht nur unter- 
gegangene und zum Teil nirgend sonst abgebildete Bauten, vor 
allem die städtischen Festungswerke, die Schlösser und Burgen 
der Umgegend, sondern auch vollständige Stadtanlagen, alte Häfen 
und Kanäle, Platzbildungen usw., die inzwischen verschwunden 
sind; man denke nur an die durch Erdbeben oder Brand zerstörten 
Städte, wie Lissabon und London, oder an die in der Barockzeit und 
später ganz umgewandelten Pläne von Paris, Nancy, Salzburg u. a. 
Man kann wohl sagen, daß die geschichtlichen Angaben, die uns 
das Braun-Hogenbergsche Werk bietet, noch bei weitem nicht 
vollständig verwertet worden sind, auch wenn man ganz davon 
absieht, eine wie wertvolle Übersicht über die Bauweise des ganzen 
Abendlandes das Buch gibt. 

Zur Zeit seiner Herausgabe erfuhr es von allen Seiten eine 
freudige Zustimmung, die auch in langatmigen Gedichten an 
Brauns Adresse ausgedrückt ist, welche den einzelnen Bänden vor- 
angestellt wurden. Ausführlich schreibt über den Wert des Werkes 
der Brügger Gelehrte Dominicus Lampsonius, der den Genuß der 
Leser an der Lieblichkeit der dargestellten Landschaften hervor- 
hebt, den Architekten die Kenntnisnahme der Bauten, insbe- 
sondere der Wälle und Kriegsmaschinen, den Staatsmännern die- 
jenige der Einrichtungen, Verfassungen und Gebräuche der ver- 
schiedenen Völker, den Kranken und Müßigen die Lektüre zur Freude 
und Erholung, den Malern zum Studium für die Hintergründe der 
Bilder (anstelle ihrer bisherigen Phantasieen), den Reiselustigen 
zur Vorbereitung auf ihr Ziel empfiehlt. In der Tat erfuhren die 
Bände, die von den deutschen Kaisern und spanischen Königen 
privilegiert wurden, auch eine weite Verbreitung; sie wurden ins 
Deutsche, Niederländische und Französische übersetzt. Die deutsche 
Übersetzung soll Melchior Braun besorgt haben, eine Nachricht, 
die sich aber nur auf die ersten Bände beziehen kann, da Melchior 
schon 1605 starb. Die ersten fünf Bände erhielten 1612 eine 
zweite Auflage. Im sechsten Bande, an dessen Herausgabe Georg 
Braun nicht mehr beteiligt zu sein scheint, sind die Begleittexte 
wesentlich kürzer und weniger eingehend gehalten und fehlt eine 

87 



Einleitung ganz; die Ansichten haben dagegen an Schönheit 
nichts verloren. 

Die Ausstattung des ganzen Werkes ist sehr sorgfältig; den 
Bänden sind Titelblätter mit allegorischen Darstellungen voran- 
gesetzt, die gut gestochen und schön zusammengestellt sind; die 
einzelnen Ansichten sind geschmackvoll im Stile der Ornamentik des 
spätem 16. Jahrhunderts mit Kartuschen, Fruchtschnüren, Grottesken 
usw. umrahmt, worin sich besonders Houfnagel, der auch als 
Ornamentist tätig war, auszeichnet; nirgends fehlen hübsche Ini- 
tialen, ein guter, deutlicher Druck und gefälliger Schriftsatz. Zu 
den Bildern selbst sind die trefflichsten Künstler herangezogen: 
Hogenberg, dessen Kunstfertigkeit Braun selbst mehrfach rühmt, 
Simon van den Noevel, der eine ,, lustige, freie, kluge und ver- 
ständige Hand" besaß, Houfnagel, dem der „Preis in Steffen, 
Prospekten, Blumen und Geweren" gebührte. Übrigens zeichnen 
sich auch die andern Schriften Brauns durch ihre sorgfältige Aus- 
stattung mit Randleisten, Initialen usw. und durch die gute Ver- 
teilung des Satzes aus, so daß sie auch äußerlich zu dem Bilde 
des kunstsinnigen, geschmackvollen, gelehrten Mannes passen. 

Georg Braun war vielleicht für anderthalb Jahrhunderte und 
länger der letzte in Köln wirkende Gelehrte, der weit über die 
Grenzen seiner Vaterstadt, ja ganz Deutschlands hinaus bekannt 
und wirksam war, und die letzte ganz von echtem Renaissance- 
geist erfüllte Erscheinung der Kölner Geschichte; noch vor seinem 
Tode begann der lange, verwüstende Krieg, der für Deutschland 
das Ende seiner Renaissancekultur bedeutete. 



Literatur. 

A. Handschriften: Universität: Nr. 74, 158. — Geistliche Abteilung: 
Nr. 166. — Kirchenbuch St. Maria ad gradus. — Ratsregister vom 9. 9. 1575. 
— Testamente : B 759 u. 760, B 768, B 987. — Schreinsbücher St. Laurenz : Nr. 98, 
105. — Chronil<en und Darstellungen: Nr. 182 II. — Alftersche Sammlung Band 44. 
Sämtlich im Kölner Stadtarchiv. 

B. Druckwerke: Die aufgeführten Werke von Melchior und Georg 
Braun (ausgenommen die mir nicht erreichbaren von Georg Braun über die 
Bücher des Cornelius Jansenius und contra concubinarios sacerdotes); Bianco, 
Die alte Kölner Universität. — Steph. Broeimann, Epideigma, Köln 1595. — 
Ennen, Geschichte der Stadt Köln, 1865—80. — Gelenius, Aegidius, De 
admiranda magnitudine Coloniae, Köln 1645. — Gigas, Joh., Prodromus geo- 
graphicus archiepiscopatus Coloniensis, Köln 1620. — Hansen, J., Kölner Jesuiten- 
akten des 16. Jahrhunderts, Köln 1910 — Hartzheim, J., Bibliotheca Coloniensis, 



Köln 1747. — Höhlbaum u. Lau, Das Buch Weinsberg, 1886—1898. — 
Lempertz, H., Niederrhein. Annalen, Bd 34, S. 180. — Merlo, J, Nachrichten 
aus dem Leben und den Werken kölnischer Künstler, Düsseldorf 1895. — Merian, 
Mathäus, Topographia, 1646. — Münster, Sebast , Kosmographia, Basel 1552. — 
Quad, Math, von, Teutscher Nation Herligkeit, Köln 1609. — Säur, Abr., 
Stättebuch, 1593—1658. — Unkel, Karl, Niederrh. Annalen, Bd. 54, S. 137. — 
Vogts, H., Das Kölner Wohnhaus bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts (noch 
nicht veröffentlicht). — Wiepen, E., Korrespondenzblatt d. Westd. Zeitschrift, 
XV., Sp. 20. — 

Aus der Allgemeinen deutschen Biographie: Braun, Augustin; Broelmann, 
Stephan; Jansen, Cornelius; Hogenberg, Franz und Abraham; Mercator. Gerhard; 
Münster, Sebastian; Orttelius, .Abraham ; Rantzau, Heinrich. — Siebertz, Künstler- 
lexikon. — Nag 1er, Künstlerlexikon. 




90 



Titelblatt der Annales Trevirenses 
von Brower und Masen, Leodii 1670. 



Christoph Brower und Jacob Masen. 

Von Bernhard Duhr S. J. in München. 

Unter die Schüler des Jesuitengymnasiums in Köln, welche 
sich bei der Mit- und Nachwelt einen geachteten Namen er- 
worben haben, müssen mit Fug und Recht auch CHRISTOPH 

Brower und Jacob Masen gerechnet werden. 

Christoph Brower (Brouwer) war geboren am 10. November 

1559 zu Arnheim in Geldern. Seine Studien machte er teils zu 

Nymwegen, teils am 
Jesuitengymnasium zu 
Köln. Nachdem er hier 
die Laurea in der Philo- 
sophie erworben, trat 
er am 12. März 1580 in 
das Noviziat der Jesui- 
ten zu Trier. Nach 
einem arbeitsreichen 
Leben als Professor, 
als Oberer und als 
Schriftsteller starb er 
am 2. Juni 1617 zu 
Trier, wohin erzurVoll- 
endung seiner Trierer 
Annalen gesendet wor- 
den war. ') 

Brower ist ohne 
Zweifel einer der be- 
deutendsten Historiker 
seinerzeit. Seine Leis- 
tungen sind umsomehr 
anzuerkennen, als er 

vielfach mit wichtigen Ämtern betraut, sich gleichsam die Zeit 

stehlen mußte für seine mühevollen Arbeiten in den Archiven. 




') Vergl. Reiffenberg, Historia Soc. Jesu ad Rhen. Inferior. (1764) 1, 534 ff., 
Sotvellus, Bibliotheca Scriptorum S. J. (1676) 139. Das Verzeichnis der Schriften 
am genauesten bei De Bacl<cr-Sommervogel, Bibliotheque de la Compagnie de 
Jesus 2 (1891) 218 ff. — Der 1567 zu Arnheim geborene Everhard Brouwer, der 
von 1607—10 als Regens am Tricoronatum wirkte, ist wohl der jüngere Bruder 
oder ein entfernterer Verwandter von Christoph. 



91 



Seine Stoffe sind deutsche Städte, wie Fulda und Trier, deutsche 
Heilige, wie Ludger, Meinwerk, Pyrmin, Sturmius, Godehard, Bern- 
ward, und deutsche Dichter, wie Venantius Fortunatus und 
Hrabanus Maurus. Als einziges Ziel verfolgt er die historische 
Wahrheit, die ihm wie ein Abglanz der ewigen Wahrheit ist. 

Gelegentlich seiner Antiquitates Fuldenses (1612) urteilt ein 
neuerer Kritiker: „Man muß ihm zugestehen, daß er entfernt von 
jeder tendenziösen Geschichtskünstelei, unzweifelhaft ein gewissen- 
hafter, gründlicher und wirklich gelehrter Forscher ist und seine 
wissenschaftliche Überzeugung zu wahren weiß. . . . Seine be- 
rühmteste Leistung ist der Geschichte des Hochstifts Trier gewidmet. 
Es ist das Hauptwerk seines Lebens, an welchem er mit zäher 
Ausdauer fast ein Menschenalter hindurch gearbeitet hat, ein opus 
immortale, wie es Hontheim später etwas überschwenglich genannt 
hat. ... Es zeichnet sich aus durch alle die Vorzüge, die wir 
bereits in seinen Fulda'schen Antiquitates hervorgehoben haben, 
und ist neben der Schrift Kyrianders grundlegend für die Ge- 
schichte von Trier geworden, dieselbe Gelehrsamkeit, dieselbe 
Gründlichkeit, dieselbe Unabhängigkeit und allerdings auch die- 
selbe nicht überall zureichende Kraft in der Unterscheidung des 
Wertes der verschiedenen Quellen." ^) 

Als Rektor des Jesuitenkollegs in Fulda beschäftigte sich 
Brower mit der Sammlung der alten Urkunden über Fulda. Der 
General Aquaviva hatte die Erlaubnis zu dieser Arbeit gegeben 
in der Hoffnung, daß die pflichtmäßigen Arbeiten des Rektors 
darunter nicht leiden würden. -) Für die Veröffentlichung äußerte 
der General aber große Bedenken. Am 1. Dezember 1605 schrieb 
er an den Provinzial Busaeus und wiederholte dies am 8. No- 
vember 1606 in einem Briefe an dessen Nachfolger Scheren: „Die 
Veröffentlichung wird offenbar Anstoß erregen, weil, wie ich ge- 
hört, Gebrechen des Klosters Fulda, wenn auch schon alten 
Datums, behandelt sind, und deren Erinnerung durch uns er- 
neuert wird. Die Dominikaner, die Franziskaner usw. können, 
wenn sie ihre Geschichte schreiben, ihre eigenen Fehler erzählen, 
auch wir die unsrigen; uns aber will es nicht geziemen, die 

1) Wegele, Geschichte der deutschen Historiographie (1885) 406 ff. Wie 
Hontheim spenden auch Ludewig und Boineburg dem Histonl<er Brower das 
größte Lob. Vergl. Duhr, Die deutschen Jesuiten als Historiker in der Zeitschrift 
für iMthol. Theologie XIII, 68. 

2) Aquaviva an Brower 28. Jan. 1605. Original-Register ad Rhenum (Ordens- 
besitz). 

92 



Gebrechen andrer Orden aufzudecken " ^) Wohl infolge dieser 
Schwierigkeiten erschienen die Antiquitates Fuldensiium erst sechs 
Jahre später. 

In der Widmung der „Fuldensium Antiquitates" vom 12. März 
1612 an den Fürstabt Johann Friedrich von Schwalbach betonte 
Brower nachdrücklich die Wichtigkeit der Geschichte nicht allein 
für den Mann des öffentlichen Lebens, sondern auch für das 
Privatleben. Ohne die Leuchte der Geschichte hat der Mensch 
keine großen Vorbilder und keine warnenden Beispiele. Im Gegen- 
satz zu der damals schon grassierenden, durch den dreißigjährigen 
Krieg später noch gesteigerten Auslandssucht hebt er hervor: In 
fremde Länder reisen und in einer fremden Sprache reden gilt 
heute als etwas Nobles, aber die Tugend der Vorzeit und die 
Treue der Voreltern kennenzulernen, ihren geraden Sinn und ihre 
Redlichkeit nachzuahmen, liegt wenigen am Herzen. Dann schildert 
er, welchen Eindruck das Studium der Geschichte auf ihn gemacht: 
Als ich die alte Geschichte Fuldas studierte, wurde ich innerlich 
ergriffen, feurige Liebe zu dem Lande erfaßte mich. Möchte doch 
ein Funken von dem Feuer, das in der Brust unserer Voreltern 
glühte, hervorbrechen und von neuem zünden. In seinem Werke 
schildert er dann an der Hand der besten Quellen und Urkunden 
die Geschichte der Benediktiner-Abtei in Fulda, zeigt die großen 
Verdienste der Benediktiner für Deutschland, besonders auch für 
die Wissenschaft. Bei der Fuldaer Schule hebt er mit Nachdruck 
hervor, daß das Kloster blühte, solange Arbeit und Studium in 
Blüte waren. Brower schließt mit der Wahl Johann Friedrichs (1 606); 
er will den Lebenden nicht loben, um auch den Schein des 
Schmeichlers zu meiden und zugleich der Bescheidenheit andrer 
und dem eigenen Zartgefühl nicht zu nahe zu treten. Das Buch 
ist mit guten Stichen (alte Siegel von Fulda, Gewandung der 
Benediktiner usw.) ausgestattet. 

Noch bedeutender als die Geschichte Fuldas sind die Trierer 
Annalen. Das Werk hat eine lange Leidensgeschichte durchgemacht.^) 
Schon im Jahre 1591 war dasselbe beinahe fertig. Der rheinische 
Provinzial Jacob Ernfelder schreibt darüber von Trier 18. Januar 
1591 an Aquaviva: Die Geschichte der Trierer Kirche, welche 
unser Bruder Christophorus Arnimiensis bis jetzt sammelt, geht 
fast ihrem Ende entgegen und der Erzbischof (Johann von Schönen- 
berg) drängt auf die Drucklegung. Wegen des Namens auf dem 

') Orig.-Reg. ad Rhen. 

2) Vergl. Hontheim, Historia Trevirensis diplom. (1750) 1, V und 3, 993. 



Titel haben wir beraten. Der Name des Erzbischofs geht nicht, 
weil er über sich selbst sprechen müßte. Auch der Name des 
Kollegs, von dem der jetzige Erzbischof und sein Vorgänger Jacob 
das Werk erbeten, scheint ebenfalls nicht angängig, weil diese 
Geschichte vielleicht nicht in allem allen gefallen wird und Anstoß 
erregen kann. In letzterem Falle ist es besser, daß der Anstoß nur 
eine Person, den Sammler, trifft. Deshalb stimmten alle für den 
Namen des Verfassers. Derselbe ist so bescheiden, daß er auf 
seinem Namen nicht bestehen würde, wenn das Buch unter einem 
andern Namen erschiene. Aber dadurch würden wir alle Freunde 
und besonders den Erzbischof, dem er sehr teuer ist, beleidigen; 
auch ist allen bekannt, welche Arbeit der Verfasser darauf ver- 
wendet hat.^) 

Aquaviva findet in seiner Antwort vom 29. März 1591 bei 
dieser Lösung die Schwierigkeit, daß der Anstoß gegen den einen 
Jesuiten auch die Gesellschaft treffen könne. Deshalb erscheine es 
doch besser, den Namen eines Auswärtigen, Nicht- Jesuiten, dem 
Buche vorzusetzen. 2) In einem Briefe vom 17. Mai 1593 kommt 
der Provinzial Ernfelder auf diese Antwort zurück: Der Erzbischof 
ist gegen einen fremden Namen, da so das Buch nicht abgehen 
werde. Anstoß, so meint der Erzbischof, werde nicht erregt, da 
ja alles auf öffentlichen Urkunden beruhe. Alle Konsultoren 
stimmen für die Ansicht des Erzbischofs, die ja auch ehrenvoll 
für die Gesellschaft ist, da das Werk von allen, die es gelesen, 
gelobt wird und weil dasselbe in herrlicher Weise den Eifer und 
die Frömmigkeit dieser Kirche beleuchtet. Eine baldige Entschei- 
dung ist nötig, denn zum Tröste des guten, vom Alter gebrochenen 
Erzbischofs müssen wir etwas tun, und vielleicht möchte er auch 
selbst vor seinem Tode etwas sehen, obgleich er das nicht aus- 
drücklich sagt.^) 

Die Sache kam nicht weiter. Am 14. September 1599 wandte 
sich Brower selbst an Aquaviva. Dieser antwortete am 13. November 
1599, daß über sein vor einigen Jahren geschriebenes Werk schon 
früher verhandelt worden: er sei bei dergleichen Schriften stets 
für die größte Vorsicht gewesen, um Anstoß bei den Fürsten und 
andern zu vermeiden. Wenn die Zensoren ihr Urteil gefällt, werde 
er eine Entscheidung treffen. Das Urteil in der Provinz war 
günstig, jedoch wünschte Aquaviva wegen der Wichtigkeit des 

') Orig. Germaniae Epistolae 30, 156 (Ordensbesitz). 

2) Orig.-Reg. ad Rhen. 

s) Orig. Germ. Epp. 32, 234. 

94 



Werkes, dasselbe solle auch der Zensur der Generalrevisoren in 
Rom unterworfen werden.') Bald darauf wurde Brower Rektor in 
Fulda. Am 8. September 1601 ermutigte ihn Aquaviva zu dem 
neuen Amte und fügte bei, in betreff der Trierer Annalen halte 
er daran fest, daß dieselben zur Zensur nach Rom gesandt 
würden.-) 

In Rom scheint eine neue Verzögerung eingetreten zu sein. 
Der rheinische Provinzial Theod. Busaeus drängte am 23. Novem- 
ber 1603 auf Erledigung, denn der Erzbischof von Trier (Lothar 
von Metternich) wünsche die Drucklegung. Aquaviva versprach 
am 14. Februar 1604 alle Förderung: „Obgleich das Buch schon 
lange nach Rom geschickt worden sein soll, so habe ich von 
seiner Zensur noch nichts gehört." Dann heißt es weiter in einem 
Briefe Aquavivas vom 8. Oktober 1605 an Busaeus: Er stimme 
dem Wunsche des P. Brower um Befreiung vom Rektorat bei; 
derselbe könne dann mit mehr Muße sich seiner Trierer Geschichte 
widmen. Da der Provinzial für die Revision in der Provinz sei, 
gestatte er (Aquaviva) dieses, aber unter der Bedingung, daß die 
Urteile der Zensoren nach Rom geschickt und die Entscheidung 
des Generals abgewartet würde. Die Zensoren müßten sorgfältig 
darauf achten, daß weder eine Familie noch ein Land sich beleidigt 
fühlen könnten. Das sei ja der Grund gewesen, weshalb er die 
Sendung des Buches nach Rom verlangt habe, zumal da einige 
seine Befürchtung als nicht unbegründet bezeichnet hätten.') 
Warum nun trotz alles Drängens aus der rheinischen Provinz die 
Annalen zu Browers Lebzeiten nicht erschienen, läßt sich nicht 
mit voller Klarheit ermitteln. 

Nachdem dann endlich alle Anstände der Ordenszensur beseitigt 
waren, trat der inzwischen (seit 1623) auf den erzbischöflichen Stuhl 
gelangte Kurfürst Philipp Christoph von Sötern hindernd in den 
Weg. Schon war ein großer Teil des Werkes in Köln gedruckt, als er 
die Fortsetzung des Druckes zu verhindern wußte.'') Am 10. Oktober 
1626 schreibt darüber Vitelleschi an den rheinischen Provinzial 



') Aquaviva an Brower in Würzburg 30. Juni 1601. Orig.-Reg. ad Rhen. 

^ Orig.-Reg. ad Rhen. 

^ Orig.-Reg. ad Rhen. 

*) Nach einer Mitteilung, die der Nuntius Chigi 9. März 1642 nach Rom 
sandte, soll der Kurfürst einige angeblich fehlerhafte Blätter haben wegnehmen 
lassen ; darauf seien die so verstümmelten E.xemplare von der Frau des inzwischen 
erkrankten Druckers als Makulatur an Apotheker und Oewürzkrämer verkauft 
worden. Rom, Bibl. Valic, Barberini, Lat. 6203. Vergl. dagegen S. 96 Anm. 2). 

96 



Baving: Ich höre, daß die Herausgabe der mit großer Mühe von 
P. Brower verfaßten Geschichte von Trier verhindert wird, weil 
einige Stellen über das Kloster St. Maximin dem Kurfürsten 
nicht gefallen. Abgesehen von dem Schaden für den Drucker 
und andern Nachteilen mißfällt mir besonders, daß der Erz- 
bischof die Geschichte mit Zusätzen und Änderungen heraus- 
geben will. Deshalb möge der Fürst gebeten werden, lieber von 
der Ausgabe ganz abzustehen. Will er das nicht, so soll ihm 
in aller Bescheidenheit mitgeteilt werden, daß wir im Falle einer 
verstümmelten Ausgabe gezwungen würden, durch ein anderes 
Werk die Änderungen und Zusätze als solche kenntlich zu 
machen, um so den Anstoß bei andern zu vermeiden. Damit es 
nicht so weit kommt, muß alles darangesetzt werden, daß der 
Erzbischof das Autograph der Gesellschaft zurückstellt; diese 
wird dann eine Herausgabe gegen den Willen des Fürsten ver- 
hindern.^) 

Der Kurfürst gab aber das Autograph nicht zurück. Erst nach- 
dem er infolge seiner reichsverräterischen Verbindung mit Frank- 
reich gefangengenommen und nach Wien abgeführt worden war, 
konnten die Jesuiten in den Besitz eines gedruckten Exemplars 
kommen. In einem Briefe vom 28. Juli 1635 an den Trierer 
Rektor Wimpfeling- drückt der General Vitelleschi seine große 
Freude darüber aus, daß es gelungen, eines gedruckten Exemplars 
habhaft zu werden, und einige Aussicht vorhanden sei, das Auto- 
graph wiederzubekommen. Den Wunsch des Generals, auch ihm 
ein Exemplar zu besorgen, konnte der Rektor erfüllen, bevor ein 
Dekret des Kapitels alle weitere Hoffnung abschnitt. Weiterhin 
wünschte der General wenigstens eine Abschrift des nicht gedruck- 
ten Teiles zu erhalten, doch scheint die Erfüllung dieses Wunsches 
nicht möglich gewesen zu sein.-) 

1) Orig.-Reg. ad Rhen Vergl. Vitelleschi an den Trierer Rektor Aldenhoven 
27. März 1627, wo er den Rektor tröstet wegen der Unterdrückung des Buches, weil 
so auch aller Anstoß vermieden werde. Quod tarnen non ideo a me scribitur quasi 
librum tot annis elaboratum et a tot censoribus probatum ob huiusmodi 
metum meum perpetuo premi velim. 

-) Vitelleschi an Wimpfeling 30. Mai 1636. Am 30. Mai 1637 zeigte 
Vitelleschi dem Rektor den Empfang des gedruckten Exemplars an. Später gab 
sich der Präfekt der Vaticana, Lucas Holstein, viele Mühe, ein Exemplar zu 
erhalten. Holstein an Chigi, 3. Januar und 5. April 1642. Rom, Bibl. Chigi 
A III 59. Chigi konnte dem Wunsche Holsteins durch Vermittlung des Provinzials 
der niederrheinischen Provinz entsprechen. Vergl. S. 95 Anm. ■■). Chigi 9. März 
1642 an den Staatssekretär. Bibl. Vatican. Barberini Lat. 6203. 

96 



Die wenigen unfertigen Exemplare der Annalen ruhten ver- 
borgen in einigen Bibliotlieken, bis erst mehr als 30 Jahre später 
(1670) P. Masen eine neue Ausgabe besorgte. ^) 

P. Masen machte auch ein weiteres Werk Browers über Trier, 
die Metropolis Ecclesiae Trevericae, für den Druck fertig. Das- 
selbe mußte aber zwei Jahrhunderte warten, bis es im Jahre 1855 
durch den Rheinischen Antiquarius Christian von Stramberg das 
Licht der Well erblickte. Eine Notiz des Rektors von Tner im 
Eingange des Manusknptes besagt, die Verfasser seien Brower und 
Masen ; das Werk sei von letztern zusammengestellt und von unsern 
Zensoren approbiert, die Drucklegung aber von den fürstlichen 
Räten verhindert worden, weil die Verfasser einige Grenzen als 
strittig bezeichnet hätten. Hontheim gibt in seinem großen Werk 
über Tner einen Auszug aus der Metropolis; er wollte dieselbe 
in die von ihm projektierte Collectio Scriptorum Trevirensium 
ganz aufnehmen. -) 

In der Vorrede zu den Tnerer Annalen erzählt Brower, daß 
er das Werk in seiner Jugend angefangen und wegen Behinderung 
durch andere Arbeiten später vollendet habe, ausgerüstet mit der 
Kenntnis der Archive, vor allem aber mit Eifer für die Wahrheit, 
denn Zuverlässigkeit und Wahrheit sei seine Hauptsorge gewesen, 
weshalb er auch lieber die Worte der Urkunden als seine eigenen 
gebe. Manche Ausstellungen würden gewiß gemacht werden, denn 
Vollkommenheit in solchen Arbeilen sei unmöglich. Alle Fehler 
bitte er zu verbessern und ihm zuzuschreiben, alles Gute aber Gott, 
dem Urheber alles Guten. Im 1. Kapitel verbreitet sich dann Brower 
auch über die historische Wahrheit: Gott ist ihm Quelle und Leuchte 
der Wahrheit, deshalb muß sich alle historische Untersuchung von 
diesem Lichte leuchten lassen und ohne Leidenschaftlichkeit und 
Eitelkeit geführt werden. Am Schluß des 22. Buches (des letzten 
aus der Feder Browers) bittet er, man möge ihm nicht übelnehmen, 
wenn er nur auf die Wahrheit gesehen, auch wenn dieselbe Anstoß 
erregen könne; alle Parteilichkeit habe er ausgeschlossen: virtutem 
sequamur, vitia nesciamus, coelum cogitemus et aeternitatem. 

') Eine Untersuchung über das Verhältnis der Masenschen Ausgabe zu dem 
ersten Kölner Druck und besonders zur Handschrift des P. Brower steht noch 
aus. Ein Exemplar des Kölner Druckes, welches P. Vervaux benützt hat und 
ergänzen ließ, befindet sich in der Staatsbibliothek zu München. Die Handschrift 
des Werkes üb V-XIII und XII-XXII bewahrt die Universitätsbibliothek zu Bonn: 
ein Zettel von der Hand des P. IVlasen besagt, daß er diese Handschrift aus der 
Trierer Metropolitan-Bibliothek entliehen habe. 

-0 Hontheim, Historia Trevirensis diplomatica (1750), 3, 991 ff., 1028. 

7 97 



Die Ewigkeit hatte der verdiente Forscher sein ganzes Leben 
vor Augen gehabt, er konnte ihr ruhig entgegengehen. Als man 
ihn in den furchtbaren Schmerzen der letzten Krankheit trösten 
wollte und fragte, ob ihn etwas drücke, da faltete er die Hände und 
antwortete mit großer Innigkeit: Divina Providentia quantum bonum 
est in Societate moril 

Bald darauf gab er ruhig seine Seele in die Hände ihres 
Schöpfers zurück am 2. Juni 1617; er erreichte ein Alter von 

58 Jahren, von denen 
er 37 der Gesellschaft 
Jesu geweiht hatte. 

« 
* ■•■ 

In dem Szenar 
des großen Dramas 
Stephanus, welches 
in Köln am 16.-18. 
November 1627 von 
den Schülern des 
Jesuitengymnasiums 
aufgeführt wurde, fin- 
det sich unter den fast 
200 Namen des Per- 
sonen-Verzeichnisses 
auch mehrmals ge- 
nannt „JACOBUS 

Masen Dalens. Phy- 
SICUS", d. h. Jacob 
Masen aus Dalen, 
Hörer der Physik 
(2. Jahr der Philoso- 
phie). Masen trat in 
dem Stück in vier Rollen auf: als Kardinal, als Hofkaplan, als 
Gefolgsmann und als Verschworener. ^) Auch die zwei Jahre 
später (1629) verfaßte Festschrift „Die eucharistische Prozession 
der Väter der Gesellschaft Jesu bei der Übersiedelung in die neue 
Kirche", die aus Beiträgen der Schüler des Jesuitengymnasiums 
besteht, enthält einen Aufsatz von JACOB. MASEN Philos. Licent. -) 




') Das gedruckte lateinische Szenar mit Personenverzeichnis findet sich in 
Codex 6 des Pfarrarchivs von S. Aposteln. 

2) Supplicatio solemnis eucharistica 1629 im Kölner Stadtarchiv Jes. 46. 



Einige Monate nach dieser großen Feier trat Masen am 
14. Mai 1629 in das Noviziat der Jesuiten zu Trier. Da er am 
23. März 1606 geboren war, hatte er bei seinem Eintritt das 
23. Lebensjahr vollendet. Später wirkte er 14 Jahre als Lehrer 
der Poesie und Rhetorik am Jesuitengymnasium in Köln. Alle 
seine Bücher für die Schule und viele seiner andern Schriften 
erschienen in Köln. Hier in Köln starb er am 27. September 1681. 

Neben der Schule entfaltete Masen eine große Tätigkeit als 
Prediger und Schriftsteller. Außer vielen Schulbüchern verfaßte er 
geschichtliche, polemische und aszetische Schriften. „Masen war 
das treue Charakterbild eines Schulmannes und Schriftstellers aus 
der alten Jesuitenschule des 17. Jahrhunderts." ^) 

Das alte Gymnasium hatte sich vorgesetzt, in der Grammatik 
den richtigen, in der Poetik den schönen, in der Rhetorik den 
überzeugenden Ausdruck des Gedankens zu lehren und durch 
viele Übung auch das Können zu vermitteln, ^j Als Lehrer der 
Poetik und Rhetorik verfaßte Masen eine Reihe von Schulbüchern, 
die dem Ziele dieser Klassen dienen sollten. Außer einem Buche 
über Epigrammatik (1649) und Symbolik (1650) verfaßte Masen 
eine Palaestra eloquentiae ligatae (1654), die im 1. Teil die all- 
gemeine Poetik, im 2. Epik und Lyrik, im 3. die Dramatik enthält. 
So behandelt Masen in der allgemeinen Poetik die dichterische 
Konzeption und die äußere Form. Dabei geißelt er auch die aus 
sklavischer Nachahmung des Altertums eingerissene Unsitte der 
Humanisten, überall auch bei christlichen Stoffen von Göttern, 
Göttinnen und Nymphen zu singen. Für die Sprache verlangte 
er das Beste, d. h. die Sprache des goldenen Zeitalters. Den damals 
überhand nehmenden Schwulst vergleicht er mit dem klingenden 
und blinkenden Schmuck, womit die Fuhrknechte ihre Gäule be- 
hangen. Masens Poetik bedeutet gegen die frühern Arbeiten einen 
wirklichen Fortschritt. Noch mehr ist dies der Fall bei der spe- 
zieilen Poetik. Wie Masen überall Musterbeispiele der Theorie 
anfügt, hat er als Muster für die Epopöe die „Sarkotis" gegeben, 
die eine gewisse Berühmtheit erlangt hat nicht allein durch ihre 
vielen Ausgaben und Übersetzungen ins Deutsche, Französische, 
Italienische und Spanische, sondern auch durch die viel erörterte, 
fast international gewordene Streitfrage, ob Milton die Sarkotis 
für sein Verlorenes Paradies benutzt hat. Soweit ein Urteil möglich 



') Vergl N. Scheid, Der Jesuit Jakob Masen ein Schulmann und Schriftsteller 
des 17. Jahrhunderts. Köln 1898, 72. 

-) Vergl. Duhr, Die Studienordnung der Gesellschaft Jesu (1896) 79ff. 



7« 



99 



ist, scheint Milton die Sarkotis gekannt und in freier selbst- 
ständiger Weise benutzt zu haben. ^) 

Besondern Einfluß hauptsächlich auf die Ordensschule hat die 
Dramatik Masens gewonnen. Wahl des Stoffes, Aufbau, Aus- 
arbeitung und die ganze äußere Technik des Jesuitendramas hat 
Masen lange Zeit beeinflußt: „Er rechnet zu den führenden Geistern 
in der Blütezeit des Jesuitendramas." „Für das Jesuitentheater in 
Deutschland bedeutet Masens Auftreten ... die Höhe einer stufen- 
weisen Entwicklung in der Theorie sowohl als auch in der An- 
wendung der aufgestellten Kunstregeln." -) 

Eine neuere Fachstudie legt im einzelnen dar, welche Fort- 
schritte Masens Dramatik aufweist: klarere Begriffsbestimmungen, 
Entwicklung des Chores zur Theatermusik, welche die Handlung 
einleitet und begleitet, sittliche Reinheit der Stoffe usw. Der Ver- 
fasser dieser Studie urteilt: „Hiermit schließe ich diesen Auszug 
aus Masenius, welcher uns den Scharfsinn vor Augen führt, mit 
dem die Jesuitendramaturgie auch die feinen Schönheiten der 
dramatischen Technik herausfand." ^) 

Seiner Dramaturgie hat Masen als Proben einige von ihm ver- 
faßte Dramen beigegeben. Es sind meist Schauspiele, die während 
der Jahre 1640 — 50 in Köln, Emmerich und Münster aufgeführt 
wurden. In der Einleitung zu den Schauspielen bemerkt Masen: 
Ich werde jetzt die gemischten komisch-tragischen Stücke vorlegen, 
die früher bei der Darstellung auf dem Theater mehr als die Komö- 
dien und Tragödien großen Beifall gefunden haben, besonders in 
Münster 1647 und 48. Und für seine den Schauspielen voraus- 
gehenden Lustspiele bittet er um Nachsicht, daß sie nicht hin- 
reichend geglättet seien, weil „ich das meiste mit jugendlicher 
Feder zu Papier gebracht".*) Es gehören mithin alle uns be- 
kannten Dramen des P. Masen der Zeit vor 1650 an. Auch seine 



') Vergl. M. Dinouart, La Sarcothee (1757) 11 ff. 

») Scheid 11 ff. 36, 71. 

ä) Nik. Neßler, Dramaturgie der Jesuiten Pontanus, Donatus und Masenius, 
Progr. des k. k. Gymnasiums zu Brixen 1905 16 ff. 43. Vergl. Herder, Kenota- 
phium des Dichters Jakob Bälde in s. Terpsichore (Hempel S. 237). 

*j Masen, Palaestra eloquentiae ligatae (1657) 210. Die obige Angabe über 
die Aufführungen in Münster findet sich in der Ausgabe von 1664 p. 312. Von 
Josaphat wird auch in der 1. Ausgabe ausdrücklich bemerkt, daß er 1647 vor den 
Friedensgesandten in Münster gespielt worden sei. In Mainz wurde 1637 ein 
Josaphat, 1642 ein Mauritius aufgeführt. In den Jahresberichten von Münster 
wird bemerkt, daß dort von 1642 — 48 viele Komödien besonders von P. Masen 
gespielt worden seien. 

100 



Theorie über das Drama war wahrscheinlich schon vor 1650 ge- 
schrieben, weil er das wiedergibt, was er vorher in der Schule 
gelehrt und weil er schon im Jahre 1649 auf ihr Erscheinen ver- 
weist. ^) 

Ein hervorragender Kritiker rühmt von Masen, daß er die 
bizarren Auswüchse am Drama seines Zeitalters bekämpft habe: 
.Nicht rauschende Musik, die durch wilden Lärm oder den Reiz 
der Neuheit das Ohr betäubt und die Nerven aufregt, nicht 
Spektakelstücke mit mancherlei Maschinenwerk, wo Phaeton den 
Himmelswagen lenkt, Kometen erscheinen, Drachen und Genien 
durch die Luft fliegen, Seeschlachten auf den Brettern geliefert 
werden', machen (nach Masen) ein kunstgerechtes Stück, sondern das 
Drama muß ein lebendiges Gemälde sein, das uns die Wirklich- 
keit in künstlerischer Verklärung wiedergibt. Eine Art Lessing 
des Schul- und Jesuitentheaters also ... hat er seine Theorien 
auch selbst ins Praktische umgesetzt und, ohne das eigentliche 
Wesen eines Dichters zu besitzen, eine Anzahl von Dramen ge- 
schaffen, die nicht bloß durch ihren Einfluß als Musterbeispiele, 
sondern auch durch sich selbst die Beachtung derLiteraturgeschichte 
verdienen. Seine einzige in sein Buch aufgenommene Tragödie 
.Mauritius Orientis Imperator' ist eine der besten Bearbeitungen 
des für die Jesuitenbühne so häufig gewählten tragischen Stoffes. 
Von seinen Schauspielen behandeln zwei in ernster und ergreifender 
Weise Parabelstoffe, die den Menschen als solchen, seinen Fall 
und seine Erlösung zum Gegenstand haben. Sein Bestes aber 
gibt Masen auf dem Gebiete des Lustspiels. Die ,011aria', die 
Heilung eines jungen Geizhalses nach einer Erzählung Petrarcas, 
baut sich mit regelmäßiger, steigender Entwicklung, Höhe im 
dritten und heiterer Lösung im 5. Akt sehr einfach und ganz 
nach Masens Theorie auf. ,Bacchi schola eversa' hat trotz einzelner 
trefflich gelungener Szenen doch wesentlich nur kulturhistorischen 
Wert; der ,Rusticus imperans' dagegen, die Komödie vom .Träu- 
menden Bauer', der einen Tag lang König war, zeigt künstlerischen 
Meistergriff und hat als das vielleicht ,beste Lustspiel der ganzen 
Jesuitendramatik' zahlreiche Aufführungen erfahren. Masen ist nach 
Bidermannder bedeutendste . . . Dramatiker des Ordens gewesen.^) 

Für die Rhetorik verfaßte Masen zunächst eine Stilistik 
(Palaestra stili Romani 1659). Dieselbe enthält an erster Stelle 
eine Gymnasialpädagogik, die sich vielfach an die klassischen 

*) In der Vorrede der Nova ars argutiarum (1649). 

^ Dürrwächter in den Histor.-Polit. BläUern, Bd. 124, 288 f. 

101 



Ausführungen Quintilians anschließt, aber auch manche EinbHcke 
in die Methode des damaligen Unterrichts gewährt. Sehr fein- 
sinnig behandelt Masen nebenbei die Frage nach der Verschieden- 
heit der Beredsamkeit bei den verschiedenen Nationen. Das 
3. Buch der Stilistik ist dem antiken Sprichwort, das 4. Buch 
ziemlich ausführlich (200 S.) den lateinischen und griechischen 
Altertümern (Topographie, Sakral, Staats- und Rechts-Altertümer 
usw.) gewidmet. 

In der eigentlichen Lehre von der Beredsamkeit (Palaestra 
oratoriae 1659) dringt Masen besonders auf die alte erprobte Lehre: 
wenig Vorsdiriften, viel Lektüre, beständige Übung. Letzterer sollen 
dann besonders eine Sammlung von Musterbeispielen (Exercitationes 
oratoriae 1660) dienen. 

Auch als Kanzelredner hat Masen ein „großartiges Andenken" 
hinterlassen. Von seinem projektierten Predigtwerke, welches mehr 
Grundrisse als vollständige Predigten geben will, sind nur zwei 
Bände erschienen, der erste über die vier letzten Dinge, der zweite 
über die hl. Schrift, Genesis bis zur Sintflut. ^) Weitere Bände über 
die hl. Schrift waren vorbereitet. Bei diesen Predigten über 
die hl. Schrift sucht Masen mit der Homilie die Anwendung auf 
das Leben des Menschen, sein Ziel, Unterwürfigkeit unter Gottes 
Willen usw. in praktischer Weise zu verbinden. 

In seinen geschichtlichen Werken strebt Masen wie Brower 
danach, ohne Liebe und Haß die Wahrheit zur Darstellung zu 
bringen. Er ist sich der Schwierigkeit seiner Aufgabe voll bewußt; 
ja er meint, es sei leichter, durch große Taten das Material zur 
Geschichte zu liefern als dieses Material unparteiisch und voll- 
kommen zur Darstellung zu bringen. -) Seinem Abriß der Geschichte 
Karls V. und Ferdinands l. hat er als Motto die Worte Diodors 
vorgestellt, auf die sich auch schon Brower berufen hatte: Nihil 
utilius jucundiusque cogitari potest quam in humanae vitae theatro 
quod historia partibus Omnibus mire instructum habet sedentem 
periculis aliorum sine suo periculo cautum sapientemque fieri. ^) 
Im allgemeinen läßt Masen nur die Tatsachen sprechen und ent- 
hält sich der eigenen Reflexion, aber sein warm deutsch fühlendes 
Herz ist nicht zu verkennen. 



') Orthodox! concionatoris antiqui novi tomus primus de fine hominis usw. 
Mogunt. 1678. 

^) Annales Trevirenses 2, 435. 

') Anima Historiarum huius temporis in Caroii V et Ferdinand! I imperio 
expressa. Coloniae 1672. Vergl. seine Epitome Annal. Trevirensium. Aug. Trevir. 
1676 Widmung und Vorwort. 

102 



Es berührt überhaupt angenehm, in den Zeiten des dreißig- 
jährigen Krieges und seinen düstern Nachwehen, wo so viele 
Deutsche allen Sinn für deutsches Wesen und des Deutschen 
Reiches Macht und Herrlichkeit verloren hatten, in dem Professor 
unseres Jesuitengymnasiums einen wahrhaft deutschen Mann zu 
finden. Wie Herder den Jesuitendichter Jakob Bälde als wahren 
Patrioten und einen Dichter Deutschlands für alle Zeiten rühmt, ^) 
so dürfen wir auch Masen als einen echten deutschen Patrioten 
ansprechen. Gleich Bälde, der in seinen Gedichten den Jammer 
Deutschlands beklagt und die Friedensgesandten in Münster be- 
schwört, dem zerrissenen Vaterland den Frieden zu schenken, so 
hat Masen eine Epistel verfaßt (2. Teil seiner Palaestra lig.), in 
welcher er im Jahre 1646 die Gesandten in Münster, besonders 
den ihn persönlich bekannten Nuntius Chigi,-) bittet, sie möchten 
doch endlich dem armen Vaterlande den Frieden wiedergeben: 
Fort mit dem Krieg! Nicht mehr gezögert! so ruft er den Gebietern 
des Krieges und den Herren des Friedens zu: 

Nicht mehr gezögert! So wünscht es der Landmann, wünscht es der Bürger; 

Euch beschwören zugleich flehend die Stadt und das Land. 
Mancher verlor zwar kämpfend den Arm im blutigen Kriege: 

Hebt er die Hände nicht mehr, fleht doch sein Auge zu euch. 
Seht, wie dem Armen die Träne auf narbige Wangen herabrinnt: 

Spricht denn die Träne nicht mehr, spricht denn die Narbe umsonst? 
„Nicht mehr gezögert! Ihr Freunde des Friedens, entsaget dem Schwerte!" 

Ruft aus vereinsamtem Haus klagend die Witwe zu euch; 
Oder vertrieben vom Haus, umgeben von hungernden Kindern, 

Sehnet sie kummergebeugt Tage des Friedens herbei. 
Und mit den Klagen der Witwe vermischt sich die Klage der Jungfrau: 

Ihr ist der Friede nicht bloß, ihr ist die Unschuld geraubt. 
Mancher sah, wie die Hütte des Vaters zu Asche verbrannte; 

Soll sie ihm wieder erstehn, braucht er des Friedens vorerst. 
Mancher entsandte den Freund, entsandte den Bruder aufs Schlachtfeld; 
Hoffnung, sie wiederzusehn, gibt ihm der Friede allein. 3) 

In seiner Epopöe Tunisias beklagt Masen die Uneinigkeit der 
deutschen Fürsten dem Vordringen des Halbmonds gegenüber und 
preist den Kaiser Karl als Bezwinger Barbarossas und seiner 

') Kenotaphium des Dichters Jakob Bälde in Terpsichore 238. 

^) Die Bekanntschaft des Kölner Nuntius Chigi hatte Masen in Köln gemacht. 
Nachdem Chigi als Alexander VII. 1655 den päpstlichen Stuhl bestiegen, wünschte 
ihm Masen am 1 1. Mai Glück und Segen zur höchsten Würde, und am 15. Dezember 
1655 sandte er ihm den zweiten Band seiner Palaestra. Die Schreiben von der 
Hand Masens liegen im vatik. Arch. in Rom, Lettere di Particolari vol 30 u. 31. 
Ein Brief Masens an Chigi aus dem Jahre 1653 in Rom, Bibl. Chigi B I, 1. 

*) Übersetzung von Scheid 17. 



103 



Hauptstadt Tunis. Seine Liebe zum deutschen Vaterland findet 
besonders Ausdruck in seinen Oden. Eine hat er ganz gegen 
die damals grassierende undeutsche Ausländerei und das stets 
wachsende fremdländische Wesen gerichtet. Er findet die Deutschen 
von einem wahren Schwindel erfaßt. Alles will in fremde Länder, 
und statt des gesuchten Glückes bringen sie heim leere Taschen, 
verdorbene Sitten und Entfremdung von der einzig beglückenden 
heimatlichen Scholle, als eine gerechte Strafe solcher Torheit: 
Caeci vertimus exules — Ejecti patria — cui vilis patria est, sit sine 
patria, dem das Vaterland nichts gilt, der wird ein Vaterlandsloser! ^) 
In einer andern Ode ruft er Karl den Großen zum Schutz für das 
arme Deutsche Reich an, er zeigt dem Kaiser all den Jammer und 
das Elend seines ehemaligen Reiches. -) Auch seiner Liebe zur 
engern Heimat hat Masen ein schönes Denkmal gesetzt in einer 
Ode auf seine Vaterstadt und auf sein Heimatland, das ihm 
in früher Jugend als blühende Jungfrau so schön und reich 
geschmückt vor der Seele stand. ^) 

Ganz besondern Schmerz bereitete Masen die religiöse Zer- 
rissenheit seines Vaterlandes. Im Jahre 1658 erhielt er den Auftrag, 
für den kaiserlichen Wahltag zu Frankfurt ein Gutachten für die 
Vereinigung der Protestanten mit den Katholiken zu verfassen. 
Dasselbe wurde gedruckt und später erweitert. ^) Sein innigster 
Wunsch war, es möchte Deutschland zurückkehren zur Einheit des 
alten Glaubens, von der es zu seinem Verderben und zur Stärkung 
der für ganz Europa so gefährlichen Türkenmacht abgefallen sei, 
und zu dieser Rückkehr ladet er alle im Glauben Getrennten in 
Liebe ein. ^) 

Nationale Übelstände suchte er zu bekämpfen, wo er nur 
konnte; deshalb sein Kampf gegen die Trunksucht, gegen die 
Duelle, gegen Astrologie und Aberglauben usw. In der Gerichtsver- 
handlung, ob der Wein dem Wasser vorzuziehen sei, plädiert er 
ähnlich wie sein Ordensgenosse Drexel für Freundschaft zwischen 
Bacchus und Neptun, d. h. für alle zukünftigen Zeiten solle der 
Wein mit Wasser gemischt werden, nur ist er insofern milder 
als Drexel, indem er durch den Schiedsspruch Jupiters eine Aus- 



*) Od. 1, 4 in Palaestra eloq. (1655) ligatae — Heroica poesis p. 352. 

2) Od. 2, 1 p. 385 s. 

3) Od. 2, 10 p. 410. 

*) Meditata concordia protestantium cum catholicis. Colon. 1661. Der I.Teil 
ist Alexander VII. gewidmet. 

^) Nova praxis orthodoxae fidei discernendae. Colon. 1668. 

104 



nähme für die Deutschen, „die ältesten Alumnen des Bacchus", 
statuieren läßt, weil ihr Magen das kalte Wasser nicht gut ver- 
tragen könne. ^) Er will den Deutschen einen Trunk gestatten und 
beruft sich dafür auf den Nuntius Chigi, der ihm gesagt, man 
müsse den Deutschen im Trinken etwas nachsehen, weil sie erst 
nach einem guten Trunk auftauten. 2) An einer andern Stelle 
erinnert Masen an einen Ausspruch Karls V., den Deutschen sei 
das Trinken ebenso schwer abzugewöhnen, als den Spaniern das 
Stehlen.») 

Diese Nachsicht hindert ihn aber nicht, mit großem sittlichen 
Ernst und ergreifender Kraft gegen das Laster der Trunksucht, 
besonders das in Deutschland übliche Wettrinken zu eifern.*) 

In seiner Dramatik schreibt er: Unsern Zweck, die Schändlich- 
keit der Trunksucht, die gemeinhin bei den Deutschen nicht für 
so groß erachtet wird, zu zeichnen und vor ihr zu warnen, haben 
wir in der ausgefegten Bacchusschule durch eine offene Fiktion 
erstrebt, durch eine versteckte und zugleich parabolisch imTelesbius, 
durch ein geschichtliches Beispiel im „Bauer und Fürst". Im ersten 
Stück hat man die Eigenschaften der Trunksüchtigen, im letzten ihre 
Irrtümer, im zweiten ihre schweren Fehler und Strafen. ^) 

In der „Ausgefegten Bacchusschule" beklagt Masen mit großem 
Schmerz die in Deutschland eingerissene Trunksucht. Ganz Deutsch- 
land leidet und stöhnt unter dieser Schmach, weil das Schlemmen 
bei hoch und niedrig im Schwung; **) er malt die sporenklirrenden 
Zechbrüder, die nie einen Gaul bestiegen, die zu Haus Weib und 
Kind darben lassen, alles versaufen und schließlich in Banden 
raubend und mordend das stille Heim des Landmannes überfallen. 
In dem Epilog schildert er den unter das Vieh gesunkenen Trunken- 
bold: Wann werden die Deutschen lernen, weniger grausam gegen 
sich zu wüten? Ein Heer von Krankheiten züchten sie, Gicht, Delirium, 
Stupidität und Krätze. Wenn man die Trunksucht öffentlich brand- 
marken und verspotten wollte, würde Deutschland bald weniger 



') Exercitationes oratoriae (1660) p. 128. 

2) quod post liberalem haustum maximo sint homines. Utiiis curiositas de 
huius vitae felicitate (1672) p. 230. 

•') Familiarum Argutiarum Fontes - (1660) p. 389. 

*) L. c. 373, 378 ff. 

') Masen, Palaestra eloquentiae ligatae, dramatica (1657) 37 f. 

") Inde tot calamitates 

Nostra fert Germania 
Quod per vulgus et magnates 

Regnet haec insania. 

106 



Trunkenbolde zählen. Also lernet Nüchternheit, gedenket stets, daß 
in jedem unmäßigen Trunk zugleich auch Gift getrunken wird! 

Dabei bekommen die deutschen Fürsten ihren Teil mit, beson- 
ders in dem „Bauerund Fürst". Als sich herausstellt, daß der Pseudo- 
fürst nicht lesen kann, entschuldigt das einer der Umstehenden 
mit den Worten: Nun ja, mit solchen Künsten sich zu beschäftigen, 
ist nicht üblich bei den Fürsten, andere müssen für sie studieren, 
die Fürsten haben die große Mühe, für andere zu trinken und zu 
essen. Das findet der neue Fürst ganz erträglich und verspricht 
in diesem Stück seine Pflicht vollauf zu tun. ^) Die ausländischen 
Moden verspottet Masen auch hier, indem er den Barbier fragen 
läßt, ob er spanisch, französisch oder mehr deutsch den Bart 
richten solle. Dafür erhält der Barbier von einem Hofdiener die 
Rüge: Du kennst also den heutigen Brauch nicht: Kleidung 
französisch, Frisur spanisch. Trinken deutsch! 

Die damals in Deutschland in großem, und zwar sehr verderb- 
lichem Ansehen stehende Astrologie nimmt Masen scharf her und 
überschüttet sie mit Spott. In einer Streitrede, ob die Astrologen 
oder die Bauern besser über die Zukunft urteilen können, fällt die 
Entscheidung dahin, daß der Fürst sich schließlich einen Bauern zum 
Astrologen erwählt und seinen Astrologen zum Pfluge schickt, damit 
er mit dem Bauer lerne vernünftig zu werden, den Fürsten vor 
Täuschung und sich vor dem Verdacht der Lüge zu bewahren. -) 

Auch sonst bieten die Schriften Masens interessante Einblicke 
in die Kulturgeschichte seiner Zeit, so z. B. wo er die Torheit 
der Eltern geißelt, die ihre Söhne noch als Kinder für Domherrn- 
stellen bestimmen: wie solchen Domherren dann die erzwungene 
Enthaltsamkeit und Frömmigkeit am Herzen liege, dafür brauche 
man die Beispiele nicht in der Ferne zu suchen. ^) 

In der großen sozialen Not, die als unmittelbare Folge des 
dreißigjährigen Krieges Deutschland heimsuchte und manche zur 
Verzweiflung brachte, griff Masen ein mit der Trost- und Warnungs- 
schrift „Das Gold der Weisen oder die Kunst ohne Frevel reich 
zu werden". Hier legt er die christlichen Grundsätze über die 
Gegensätze zwischen arm und reich und deren Ausgleichung 
in schöner und herzlicher Weise dar. 

Sein letztes Werk, das in Köln erschienen ist, trägt den Titel 
„Nützliche Neugierde über das Lebensglück" (1672); es ist im 

') Vergl. Scheid, Masen 45 f. 

2) Exercitationes oratoriae (1660) p. 359. 

') Utilis curiositas p. 293 f. 

106 



wahren Sinn des Wortes eine Lebenweisheit für alle Stände; auch 
hier sind es deutsche Männer und deutsche Frauen, auf deren 
Beispiel er verweist, auch hier sind es die deutschen Fürsten, die 
er zur Eintracht aufruft. 

In dem Kapitel dieser Lebensweisheit, wo Masen die hohe Be- 
deutung von Bildung und Wissenschaft für das Lebensglücli 
auseinandersetzt, zeigt er sich als ein wahrer Verehrer der Wissen- 
schaft und ihrer Verbreiter, der Lehrer und der Schriftsteller. 
Für den Lehrerberuf ist er begeistert. Er preist den großen Wert 
der Lehrer, den frühere Zeiten durch ungeheure Honorare anerkannt. 
Die Lehrer sind ihm die wahren Weltbeglücker. Wer die Gelehrten 
und ihre Werke als nutzlos verdammt, der weist von sich die 
Sonne, die Tugend und das herrlichste irdische Glück. Die 
Schriftstellerei ist ihm nur Fortsetzung, Erweiterung, ja Verewigung 
der Lehrtätigkeit. Wo in der Welt kann eine Beschäftigung erdacht 
werden, die nützlicher, würdiger wäre als jene der Gelehrten, 
wenn sie den reichen Schatz ihres Wissens in schriftlichen Denk- 
mälern der Nachwelt überliefern und so gleichsam als unsterbliche 
Lehrer auf dem Lehrstuhl sitzen zur Ehre Gottes und zum Heil 
der Staaten! Ihr Leben und ihre Lehrtätigkeit, die auf Jahrhunderte 
auszudehnen die Natur versagt hat, setzen sie so für die nach- 
folgenden Geschlechter fort, gleich als ob sie erklärt, ihr ganzes 
Leben, und sollte es ewig dauern, zum Dienste Gottes und zum 
Nutzen des Staates zu verwenden. So sollen sie ewig leben, wenn- 
gleich von ihren Arbeiten und aus dieser Zeitlichkeit geschieden. ^) 

Eine so große schriftstellerische Tätigkeit konnte Masen neben 
der vollen Hingabe an seinen Lehrerberuf und bei der treuesten 
Erfüllung seiner Verpflichtungen nur ermöglichen durch rastlose 
Arbeit und peinliche Ausnutzung der Zeit. Im Angesicht des 
Todes bekannte er, daß er viel gelesen und viel geschrieben, 
aber bei all seiner Arbeit keinen andern Zweck verfolgt, als daß 
ihm kein Teilchen der so kostbaren Zeit unbenutzt zur Ehre 
Gottes, zum Heil des Nächsten und seiner eigenen Seele entschwinde. 
Und seine Mitbrüder loben in dem Nachruf seine rastlose Arbeit 
verbunden mit stets ungetrübter Heiterkeit seines Gemütes; noch 
als hochbetagter Greis habe er unermüdlich mit voller Geistesfrische 
an seinen gelehrten Werken gearbeitet, bis ihm der Tod die Feder 
aus der Hand genommen. -) 

') Utilis curiositas de humanae vitae felicitate per varios hominum status 
(1672) p. 122. Vergl. 96 ff 114 ff. 

^ Hartzheim, Bibliotheca Coloniensis 147. Vergl. Scheid 4. 

107 



Cornelius a Lapide. 

Von Domkapitular DR. ARNOLD STEFFENS. 

Unter den Schriftauslegern der hh. Bücher des Alten und 
des Neuen Testamentes gibt es wohl kaum einen, der 
allerorts bekannter wäre als Cornelius a Lapide. Der- 
selbe wurde geboren am 18. Dezember 1566 zu Bocholt bei Lüttich 
und entstammte der Familie van den Steen. Auch sein Vater 

muß wohl den Vor- 
namen Cornelius ge- 
führt haben; denn 
die Zensoren seiner 
Bücher nennen ihn 
Cornelius Cornelii 
a Lapide. In den 
Schulerlisten des Tri- 
coronatum ^) finden 
wir unter den Zög- 
lingen, die am 4. No- 
vember 1578 aus der 
Syntax nach der Poe- 
sie aufsteigen, an er- 
ster Stelle unsern 
Cornelius Bocholtz 
verzeichnet, dem eine 
etwas spätere Hand 
die latinisierte Form 
seines Familienna- 
mens, a lapide zuge- 
fügt hat. Am 12. April 
1580 wird Cornelius 
Buchholtius (zugeschrieben a lapide) in die Rhetorik versetzt. 
Am 6. November 1581 steht Cornelius Bocholt a lapide an erster 
Stelle unter denen, die zur Logik aufrücken, am 9. November 1582 
Cornelius Bucholt a lapide an achter Stelle unter denen, die nach 
der Physik versetzt werden. Am 4. März 1583 wurde er Baccalaureus. 
Unter denen, die am 23. Februar 1584 öffentlich zu Lizenziaten 
der freien Künste promoviert werden, steht an achter Stelle 

') Fasti et Ephemerides gymnasii novi trium coronarum. Kölner Stadt- 
archiv U. IX. 604, S. 160 u. ff. 




106 



Cornelius a Lapide, Bocholt, und am 7. März 1584 wurde unser 
Cornelius Bocholt a Lapide unter dem Vorsitz des Konrad Hünsen 
zum Magister promoviert, womit er, 17 Jahre alt, als Laureat seine 
Laufbahn am Tricoronatum beschloß. 

Zum Studium der Theologie bezog Cornelius die Universität 
Löwen, trat dort am 8. Juli 1592 in die Gesellschaft Jesu ein und 
wurde im Jahre 1595 zum Priester geweiht. 

Zwanzig Jahre hindurch lag er in Löwen der Lehrtätigkeit 
ob, indem er zunächst Latein dozierte, dann aber Vorlesungen 
über die h. Schrift hielt. Auch leistete er während dieser Zeit 
vielfach Aushilfe in der Seelsorge. Viele Jahre hindurch fand 
er sich zu diesem Zwecke an den Hauptfestzeiten im Dome zu 
Mecheln ein und hatte dann sein Absteigequartier beim Dom- 
dechanten Heinrich Franz van der Burch, der später Bischof von 
Gent und dann Erzbischof von Cambrai wurde. Innigste Freund- 
schaft verband die beiden Männer, deren liebste Erholung es war, 
selbst bei Tische Bibelfragen zu erörtern. Cornelius nennt diesen 
Kirchenfürsten in der Widmung seiner Auslegung des Pentateuch 
Studienfreund. Am Tricoronatum zu Köln hatte Cornelius im Jahre 
1582 zwar einen Georg van den Burck und im Jahre 1584 einen 
Theodor van der Burch zu Mitschülern. Heinrich Franz van der 
Burch wird wohl ein Bruder dieser beiden gewesen sein, sein Name 
ist jedoch in den Schülerlisten des Tricoronatum nicht verzeichnet. 

In große Lebensgefahr geriet Cornelius im Jahre 1604, als 
er in dem bei Löwen gelegenen Wallfahrtsorte Scherpenheuvel 
(Montaigu) in der Oktav von Maria Geburt im Predigen und 
Beichthören Aushilfe leistete. Holländische Reiterei überfiel am 
Festtage selbst (8. September) den vielbesuchten Wallfahrtsort, 
verwüstete alles mit Feuer und Schwert, und unser Cornelius, der 
das heiligste Sakrament aus der Wallfahrtskirche wegtrug, um es 
vor Verunehrung seitens der andersgläubigen Kriegshorde zu 
schützen, geriet in augenscheinliche Lebensgefahr. Er entging 
jedoch wie durch ein Wunder der Gefangennahme und Verwundung. 
Der Vorfall machte indes auf ihn einen solchen Eindruck, daß er 
ihn zeitlebens nicht vergessen konnte. In seinem frommen Sinne 
hätte er gewünscht, bei dieser Gelegenheit für den Herrn sein 
Leben zu lassen, und das Verlangen nach der Ehrenkrone des 
Martyriums verließ ihn seitdem nicht mehr. 

Der gelehrte und fromme belgische Jesuit hatte die Aufmerk- 
samkeit der höchsten Stelle des Ordens auf sich gelenkt. Er wurde 
im Jahre 1616 nach Rom berufen, woselbst er zunächst mehrere 

100 



Jahre hindurch mit großem Erfolge Vorlesungen über die h. Schrift 
hielt, dann aber sich ganz exegetischer Schriftstellerei hingab, die 
seinen eigentlichen Lebensberuf bildete und der er auch bis zu 
seinem Tode ununterbrochen treu blieb. Er hat die Riesenarbeit 
geleistet, zu allen Büchern der h. Schrift Alten und Neuen Testa- 
mentes Kommentare zu schreiben, die Psalmen und das Buch Job 
allein ausgenommen, und auch die Erklärung dieser beiden Bücher 
war von ihm in Angriff genommen, als der Tod ihn zwang, die 
Feder aus der Hand zu legen. Die Kommentare zu den einzelnen 
Büchern erlebten sehr viele Auflagen. Auch wurden zahlreiche 
Gesamtausgaben seiner Werke ^) veranstaltet bis in die neueste 
Zeit, ein Beweis dafür, daß sie bis heute ihren Wert noch nicht 
verloren haben. Unter allen Schriftauslegungen ist unter der Seel- 
sorgsgeistlichkeit am meisten verbreitet und am längsten in fort- 
währendem Gebrauch geblieben unseres Cornelius Bearbeitung 
des Neuen Testamentes, obwohl sie vielfach überholt wurde von 
spätem Exegeten. Der von Cornelius gebotene Reichtum patris- 
tischer Auslegungen meistens nach vierfachem Sinne, dem Wort- 
sinne, dem typischen, moralischen und allegorischen Sinne, scheint 
diese Vorliebe erzeugt und erhalten zu haben. Bestimmend war 
für ihn nach seinem eigenen Geständnis der vom Dichter aus- 
gesprochene Grundsatz: „Omne tulit punctum qui miscuit utile 
dulci." 

So bringt Cornelius aus dem unermeßlichen Schatze seiner 
Belesenheit und der staunenswerten Fülle seines vielseitigen 
Wissens zur Erklärung des h. Textes eine Menge von Material 
herbei, das unter vielem Zutreffenden auch manches Weitabliegende 
und Fremdartige enthält. Auch bedürfen die eingeflochtenen 
Geschichten vielfach kritischer Sichtung. Nach allgemeinem Urteile 
werden die Kommentare zum Pentateuch und zu den paulinischen 
Briefen für die gelungensten unter seinen Arbeiten gehalten. Sie 
zeichnen sich nämlich aus durch sorgfältige Durcharbeitung, und 
das Abgehen von den strengen Gesetzen der Hermeneutik macht 
sich in ihnen weniger fühlbar. Von seiner Bearbeitung der vier 
großen Propheten sagt Reinke:-j „Diese Kommentare sind noch 

1) Gesamtausgaben: Antwerpen 1681. 10 Foliobände (sehr geschätzt); 
Venedig 1708, 16 Bände; 1740, 11 Bände; Antwerpen 1714, 11 Bände; Köln 
1732, 11 Bände; Lyon 1840, 11 Bände in quarto; Malta 1843—1856, 10 Bände 
in quarto; Paris 1855, 20 Bände in quarto; Neapel 1854—1860, 18 Bände in quarto; 
Paris 1867, 20 Bände in quarto, 1868, 24 Bände in quarto; Lyon 1872, 20 Bände. 

-) Kommentar zu den messianischen Weissagungen bei den großen und kleinen 
Propheten 1859/62 1. Bd. Einl. § 11. 

110 



mit Nutzen zu gebrauchen, da derVerfasser nicht bloß einen großen 
Scharfsinn besaß, sondern auch die frühern Ausleger, namentlich 
Sanchez und die Kirchenväter fleißig benutzt hat." Die philo- 
logische, rhetorische und philosophische Schulung, die Cornelius 
auf dem Tricoronatum erhalten, kommt in seinen Werken glänzend 
zur Geltung. Er handhabt die lateinische Sprache nicht nur mit 
Leichtigkeit und Gewandtheit, sondern auch, besonders in den 
Widmungen, mit Anmut und Schönheit. Auch beherrscht er das 
Griechische und bekundet zudem allenthalben in seinen Schriften 
eine wenn auch nicht gerade hervorragende Kenntnis des Hebrä- 
ischen und Syrischen. 

Cornelius war eine rechte Gelehrtennatur. Er lebte nur der 
Wissenschaft und dem Gebete. Eine Selbstschilderung seiner 
Seelenstimmung soll hier in urschriftlichem Wortlaut angeführt 
werden, die zugleich eine Stilprobe seiner Handhabung der latei- 
nischen Sprache liefert. 

Nihil in hoc mundo a quoquam mortalium exspecto,') quia nihil 
desidero'). Aulas et oras fugio: silentium et secessum mihi iucun- 
dum aliisque non inutilem sequor cum s. Basilio, Gregorio, Hiero- 
nymo, cuius sanctam Bethleem ab eo in Palaestina sollicite quae- 
sitam ego Romae iuveni. Olim iunior agi Martham, nunc in devexa 
aetate magis Magdalenam ago et adamo, memor brevis aevi, memor 
Dei, memor instantis aeternitatis. Cellae (quae mihi fida, amica, 
tota terra carior est adeoque coelum terrestre videtur) et silentii 
solius sum incola; cellicola et musei sacri assecla, coelicola esse 
contendo, sanctae contemplationis, lectionis, scriptionis otium, imo 
negotium persequor. Deo uni et trino, eius oraculis et inspi- 
rationibus excipiendis, meditandis, celebrandis iucumbo, ad 
Christi pedes sedeo, ut ab ore eius pendulus verba vitae hauriam, 
quae deinceps in alios effundam." -j 

In den Ergüssen seiner Frömmigkeit tritt auch mitunter der 
Kölner Einschlag zu Tage. So flehte er, als er sich anschickte, 
die Weisheitsbücher der h. Schrift zu erläutern, die Gottesmutter 
an, ihm die Erleuchtung seitens des h. Geistes zu vermitteln, wie 
sie es Albert dem Großen und Rupert von Deutz gegenüber getan. 
Cornelius war ein überaus frommer Priester. Er stand bei seinen 
Zeitgenossen im Rufe der Heiligkeit. Täglich las er, was damals 
bemerkenswert war, die h. Messe. Tag und Nacht war die Lesung 
und Betrachtung der h. Schrift die Nahrung seines Geistes und 
das Labsal seines Herzens. An Gehorsam gegen die Obern und 

') Widmung des Kommentars zum Pentateuch, -) desgl. zum Propheten Isaias. 

111 



an Strenge in der Beobachtung der Ordensregeln ließ sich der ehr- 
würdige Gelehrte von niemandem übertreffen. Wiewohl er stets 
von sehr schwacher Gesundheit war, wollte er durchaus nicht, 
daß ihm etwas Besonderes an Nahrung vorgesetzt werde. Die 
Wahrheit ging ihm über alles. Er war so bescheiden und demütig, 
daß er gegen Ende seines Lebens von sich sagte: „Ich beschäftige 
mich nun schon vierzig Jahre lang mit dem Studium der h. Schrift 
und seit dreißig Jahren ist ihre Erklärung meine einzige Be- 
schäftigung, und doch werde ich inne, wie wenig Fortschritte ich 
in ihrem Verständnis gemacht habe." Als er die Erklärung der vier 
großen Propheten beendet hatte, flehte er diese großen Gottes- 
männer an, ihm die Gnade des Martertodes zu erwirken: „O h. 
Propheten des Herrn, ich bitte euch inständig, laßt mir doch zuteil 
werden euer Martyrium, damit ich die Wahrheit, die ich aus euren 
Büchern geschöpft, die ich andere gelehrt und die ich niederge- 
schrieben habe, mit meinem Blute besiegele.. . Ich habe für euch 
meine Lebens- und Körperkraft erschöpft, nun will ich noch mein 
Blut hingeben." 

Der Herr ersparte das blutige Martyrium seinem getreuen 
Diener, der im Studium und in der Erläuterung des niedergeschrie- 
benen Gotteswortes sein Leben verzehrt hatte. Er starb zu Rom 
im 71. Jahre seines Alters am 12. März 1637 und wurde dort 
begraben, wie er gewünscht, daß seine Gebeine bei den Gebeinen 
der Heiligen ruhen möchten. 



112 



Friedrich Spee. 

Von Dr. pliil. JOS. GÖTZEN. 

Es gibt wenige bedeutende Männer, über die das Urteil der 
Nachwelt so einmütig und uneingeschränkt lobend lautet, 
wie über FRIEDRICH SPEE. Wo immer der Name dieses 
schlichten Ordensmannes genannt wird, geschieht es mit hoher 
Achtung und Anerkennung. Die Wirksamkeit Spees fällt in die 

unglückliche Zeit des 
dreißigjährigen Krie- 
ges, dessen Schrecken 
in Deutschland noch 
durch das Toben des 
unseligen Wahnes der 
Hexenprozesse ver- 
mehrt wurden. In die- 
ser traurigen Zeit ist er 
der einzige, der den 
Muthat.nichtachtend 
der Gefahr für eigene 
Ehre und Sicherheit, 
anzukämpfen gegen 
eine wahnwitzige Gei- 
stesverirrung, die es 
als etwas Verdienstli- 
ches betrachtete, zahl- 
lose blutige Opfer zu 
denen des Krieges 
zu häufen. Und in 
derselben Zeit, in der 
der künstlerische Ge- 
schmack darniederlag, dichtete er als fast einziger Vertreter wahrer 
Poesie liebliche Lieder, die aus dem Reimgeklingel seiner Tage 
hervortönen wie der Gesang der Nachtigall aus dem der anderen 
Vögel. 

Friedrich Spee stammte aus dem alten, jetzt gräflichen 
Geschlechte der Spee, und zwar aus der Linie von Langenfeld. 
Sein Vater Peter Spee war Burgvogt und Amtmann des Kurfürsten 
von Köln zu Kaiserswerth bei Düsseldorf. Hier wurde Friedrich 
Spee am 25. Februar 1591 geboren. Über seine Jugendzeit ist 




113 



nichts bekannt; nur soviel läßt sich sagen, daß die frommen 
Eltern ihre sechs Kinder, von denen unser Friedrich wahrschein- 
lich das jüngste war, in echt christlicher Weise erzogen. Mit etwa 
zwölf Jahren kam der Knabe nach Köln auf das Jesuitengymnasium 
zu den drei Kronen, das er aber später verließ, um auf das 
Montanergymnasium überzugehen, aus welchem Grunde, ist nicht 
bekannt. Der junge Spee war ein fleißiger und talentvoller Schüler; 
das zeigt schon die einzige Tatsache, die aus seiner Studienzeit 
bekannt ist: beim Aufsteigen in die Klasse der Humanität im 
Jahre 1604 erhielt er das erste Prämium in der lateinischen 
Sprache. Nachdem er die sechs Klassen des Gymnasiums absol- 
viert hatte, trat er im Jahre 1610 im Alter von 20 Jahren in die 
Gesellschaft Jesu ein. Zu diesem Schritt bewog ihn hauptsächlich 
der Gedanke, später seine Kraft in den Dienst der Heidenmission 
zu stellen, ein Wunsch, der freilich nicht in Erfüllung ging. Die 
Novizenjahre verbrachte Spee in Trier und in Fulda; von hier 
wurde er im Jahre 1612 zur Vollendung seiner philosophischen 
Studien nach Würzburg geschickt. Im Jahre 1616 kam er nach 
Speyer und wirkte hier als Lehrer am Gymnasium; im folgenden 
Jahre wurde er nach Worms beordert, um dort die Humaniora 
zu lehren. Im Jahre 1618 beriefen ihn die Oberen nach Mainz, 
wo er die höchste Gymnasialklasse, die Rhetorik, übernahm. Nach- 
dem er so einige Zeit als Lehrer tätig gewesen war, begann er 
im Jahre 1620 in Mainz seine theologischen Studien. Einunddreißig 
Jahre war er alt, als er im Jahre 1622 zum Priester geweiht 
wurde. Noch ein Jahr lang setzte er seine Studien fort, dann 
wurde er nach gut bestandenem Schlußexamen von seinen Oberen 
im Herbst 1623 als Professor der Philosophie an die im Jahre 
1614 gegründete Universität Paderborn berufen, obgleich er das 
vorgeschriebene dritte Noviziatsjahr noch nicht absolviert hatte. 
Als im Jahre 1626 in Paderborn die Pest ausbrach, kam Spee 
wieder nach Speyer und vollendete hier sein Noviziat. Seine 
Oberen hatten ihn für die Seelsorge ausersehen. Bei der Teilung 
der rheinischen Ordensprovinz im Jahre 1626 war Spee der nieder- 
rheinischen Provinz zugewiesen worden. Infolgedessen wurde er 
jetzt nach Wesel geschickt, um hier in der Seelsorge tätig zu sein. 
Lange kann er aber in Wesel nicht gewirkt haben, denn im Anfang 
des Jahres 1628 finden wir ihn wieder in Köln. Von hier begab 
er sich noch im selben Jahre als Missionar nach Peine, einem 
Städtchen im Hildesheimischen, dem Hauptorte der gleichnamigen 
Grafschaft. Seine Aufgabe war, das Ländchen, in dem der Pro- 

114 



testantismus Verbreitung gefunden hatte, wieder der alten Lehre 
zurückzugewinnen. Durch sein müdes und versöhnliches Auftreten, 
dem das eigene, von echter Frömmigkeit und aufopferndem Edel- 
mut getragene Leben überzeugenden Nachdruck verlieh, gelang 
es ihm verhältnismäßig leicht, seinen Auftrag mit Erfolg auszu- 
führen. Sogar die früheren protestantischen Prediger schlössen sich 
dem katholischen Glauben wieder an, und einer von ihnen, der 
„tolle Herr Tyle", wurde Spees vertrauter Freund. Freilich erweckte 
ihm seine Tätigkeit auch Feinde, wie das kaum anders zu erwarten 
war. An einem Sonntagmorgen im April 1629 ritt er nach einem 
Dorfe in der Nähe von Peine, um dort Messe zu lesen. Nicht 
weit vom Ziele sah er sich in einem Walde plötzlich angegriffen. 
Ein Mann ritt ihm entgegen und feuerte zwei Schüsse auf ihn 
ab, die aber beide fehlgingen. Wütend über das Mißlingen seines 
Anschlages hieb der Reiter nun mit dem Schwerte auf den Wehr- 
losen ein, dessen Pferd unglücklicher Weise zu Fall gekommen 
war. Aus sechs schweren Wunden am Kopfe und zwei an der 
Schulter blutend, gelang es Spee, dem Mörder zu entkommen. 
Weinend sahen die Leute des Dorfes, wie übel ihr guter Missionar 
zugerichtet war. Notdürftig verbunden, bestieg er trotz seiner 
Schmerzen die Kanzel und verlas das Evangelium des Tages vom 
guten Hirten; dann brach er ohnmächtig zusammen. Auf seinen 
Wunsch wurde der Schwerverwundete nach Peine zurückgebracht; 
der tolle Herr Tyle ließ es sich nicht nehmen, seinem Freunde 
diesen Liebesdienst zu erweisen. Die Meucheitat rief auch in 
Peine allgemeine Entrüstung und großes Mitleid mit dem unschul- 
digen Opfer hervor. Die Nachforschungen nach dem Täter, die 
sofort aufgenommen wurden, blieben ohne Ergebnis. Von Peine 
wurde der Todkranke in einem Wagen nach Hildesheim gebracht. 
Mehrere Monate lag Spee an seinen Wunden darnieder, deren 
Nachwirkungen sich in seinem späteren Leben in heftigen Kopf- 
schmerzen und Schwindelanfällen häufig bemerkbar machten; 
auch blieben die Narben immer deutlich sichtbar. Zur weiteren 
Erholung suchte er das Kloster Corvey auf, dessen Prior ein 
Verwandter von ihm war. Von hier sandten ihn seine Oberen in 
das nahe gelegene, der Gesellschaft gehörige Kloster Falkenhagen, 
damit er sich hier in ruhiger und idyllischer Waldesfrische weiter 
kräftige. Im Herbst des Jahres 1629 war er so weit wieder herge- 
stellt, daß er in Paderborn den Lehrstuhl für Moraltheologie über- 
nehmen konnte. Seine Lehrtätigkeit fand aber ein unerwartet 
schnelles Ende: mitten im Studienjahre 1630/31 wurde er auf 

8* 116 



Betreiben des Rektors der Paderborner Niederlassung seiner Pro- 
fessur entlioben, obschon er gebeten tiatte, man möge ihm doch 
diesen Schimpf nicht antun. Schon seit einiger Zeit hatten sich 
aus dem Orden heraus Widersprüche gegen Spee erhoben. Man 
warf ihm vor, er hege Ansichten, die nicht geeignet seien, bei 
seinen Schülern die Hochachtung vor dem Orden zu heben. Man 
geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß bei diesen Beschul- 
digungen auch die Ansichten über die Hexenprozesse eine Rolle 
spielten, mit denen Spee sich schon damals im Gegensatz zu vielen 
seiner Mitbrüder befand. Spee hatte zwar die Genugtuung, daß 
die gegen ihn erhobenen Beschwerden vom Ordensgeneral für 
unbegründet befunden wurden, aber seine Professur erhielt er nicht 
wieder; seit dem Jahre 1631 fungierte er in Paderborn nur als 
Beichtvater. In dieser Stellung hauptsächlich gewann er den tiefen 
Einblick in die Hexenprozesse, der ihm die Feder in die Hand 
zwang. An zweihundert unglückliche Opfer menschlichen Aber- 
witzes geleitete er zum Scheiterhaufen. Die traurigen Erfahrungen, 
die er dabei sammelte, das unsägliche Elend, dessen er Zeuge 
war, ließen ihn nicht mehr schweigen, und er schrieb jene Schrift, 
deretwegen allein schon sein Name für alle Zeiten mit Ehren 
genannt zu werden verdient: die Cautio criminalis. Man hat früher 
allgemein angenommen, die Cautio criminalis sei in Würzburg 
geschrieben worden; in Würzburg sei Spee als Beichtvater der 
Hexen tätig gewesen. Aber abgesehen von den früheren Studien- 
jahren 1612—1616, findet sich in Spees Leben keine Zeit, die für 
eine längere Tätigkeit in Würzburg Raum böte. Es bleibt also 
nur die Möglichkeit, daß es in Paderborn gewesen ist, wo Spee 
das Material für die Cautio criminalis gesammelt hat. Überall in 
Deutschland — und nicht nur in Deutschland allein — wütete 
damals gleich einer epidemischen Krankheit das grausame Vorgehen 
gegen die Hexen, und zwar in gleicher Weise in den katholischen 
wie in den protestantischen Ländern. Es ist hier nicht möglich, 
ein Bild jener unsäglichen Greuel zu geben, in denen mensch- 
licher Aberwitz und menschliche Grausamkeit die traurigsten 
Triumphe feierten, wo zu Tausenden greise Männer und Frauen, 
blühende Jünglinge und Jungfrauen und sogar zarte Kinder den 
unmenschlichen Qualen der Folter und grausamem Tode über- 
liefert wurden. Es wird erzählt, der gute Pater Spee sei einmal 
gefragt worden, warum sein Haar bereits so früh ergraut sei, und 
er habe geantwortet, die Schuld daran trüge das furchtbare Elend, 
dessen Zeuge er als Beichtvater der Hexen gewesen sei. „Ich 

116 



beteure unter einem Eid," sagt er in der Cautio criminalis, „dass 
ich bis jetzt iicine Angeklagte zum Scheiterhaufen geführt habe, 
die ich nach reiflicher Erwägung aller Umstände für schuldig 
erklären konnte. Dasselbe habe ich von zwei scharf beobachtenden 
Theologen gehört, und doch habe ich alle nur erdenkliche Mühe 
angewendet, die Wahrheit zu ergründen." In 51 Fragen (Dubia) 
geht er in der Cautio criminalis den Verteidigern der Hexenprozesse 
zu Leibe, mit soviel Klarheit und Beweiskraft, mit soviel Sachlich- 
keit und zugleich edler Entrüstung, mit solcher überlegenen 
Gewandtheit und mutiger Unerschrockenheit, daß kein vernünftig 
Denkender sich seinen Schlußfolgerungen entziehen kann. Das 
Buch erschien zuerst in Rinteln im Jahre 1631 ; der Titel lautet: 
„Cautio criminalis, seu de processibus contra Sagas Liber. Ad 
Magistratus Germaniae hoc tempore necessarius, tum autem con- 
siliariis et confessariis principum, Inquisitoribus, ludicibus, Advocatis, 
Confessariis Reorum, Concionatoribus caeterisque lectu utilissimus. 
Aucfore Incerto Theologo Romano." Die mutige Schrift erregte 
gewaltiges Aufsehen; in wenigen Monaten war die ganze Auflage 
vergriffen, so daß selbst für teures Geld kein Exemplar mehr zu 
erhalten war, ein für die damalige Zeit ganz ungewöhnlicher Erfolg. 
Im folgenden Jahre 1632 erschienen gleichzeitig zwei neue Aus- 
gaben in Frankfurt am Main und Köln. Deutsche Übersetzungen 
folgten in Bremen 1647, Frankfurt am Main 1649 und Amsterdam 
1657. Eine holländische Übersetzung erschien 1657, eine franzö- 
sische 1660. Die Veröffentlichung des Werkes war ohne Vorwissen 
Spees geschehen, wenn auch die vollendete Tatsache ihm sicher- 
lich nicht unerwünscht gewesen ist. Er hatte das Manuskript 
einigen Freunden zum Lesen überlassen, und von diesen wurde 
es dem Druck übergeben, weil sie wohl dadurch der Absicht des 
Verfassers zu entsprechen glaubten. Daß Spees Name verschwie- 
gen wurde, hatte seinen guten Grund; man kannte die Geneigt- 
heit der Richter, jeden Verteidiger der Hexen als mit ihnen im 
Bunde stehend zu betrachten und ihm als hinlänglich verdächtig 
den Prozeß zu machen. Innerhalb des Ordens war der Name des 
Verfassers aber schon bald allgemein bekannt. Dem mutigen 
Pater erwuchsen daraus nicht geringe Anfeindungen und Schwierig- 
keiten, da es auch unter seinen Ordensgenossen nicht wenige gab, 
die in den krankhaften Ideen des Hexenwahnes befangen waren. 
Eine Zeitlang bestand sogar die Absicht, Spee aus dem Orden 
zu entlassen oder ihn zum freiwilligen Austritt zu bewegen. Aber 
schließlich behielt doch die Vernunft die Oberhand; denn selbst- 

117 



verständlich gab es unter Spees Mitbrüdern auch viele, die seine 
Ansichten teilten und sein Vorgehen billigten. Waren ihm doch 
schon innerhalb des Ordens Paul Laymann und Adam Tanner 
im Kampfe gegen den Hexenwahn voraufgegangen; besonders 
auf Tanner beruft sich daher Spee öfter bei seinen Ausführungen 
in der Cautio criminalis. Überhaupt darf nicht unerwähnt bleiben, 
daß Spee nicht der erste gewesen ist, der seine Stimme gegen 
die Hexenprozesse erhob. Angefangen von dem rheinischen Arzte 
Dr. Johann Weyer (1563) bis auf seinen Ordensgenossen Tanner 
(1627) hatte schon eine ganze Reihe mutiger Männer gegen den 
verderblichen Wahn angekämpft. Aber keiner hatte mit solch ein- 
dringlicher Wucht der Beweisgründe, mit solch logischer Folge- 
richtigkeit und dialektischer Gewandtheit, mit solch überzeugender 
Anschaulichkeit, die fortwährend aus eigener Erfahrung schöpfte, 
seine Sache vertreten. Spee erreichte auch keineswegs, ebenso- 
wenig wie seine Vorgänger, durch seine Schrift ein Aufhören der 
Prozesse. Dazu saß der Wahn viel zu tief und hatte zu viele 
Anhänger, die aus seinem Fortleben klingenden Vorteil zogen. 
Aber ganz ohne Erfolg blieb die Cautio criminalis doch nicht. 
Manche bisherige Begünstiger der Hexenverfolgungen, nament- 
lich unter den Fürsten, wurden durch die schweren Anklagen des 
Buches nachdenklich und drängten auf Einschränkung der Prozesse, 
einige wenige ließen sie sogar gänzlich einstellen. Unabhängig 
vom Erfolg aber bleibt die Bedeutung der Cautio criminalis; sie 
ist eines der verdienstvollsten Bücher, die in Deutschland geschrie- 
ben worden sind, und ihr Verfasser hat sich einen Platz unter 
den größten Wohltätern der Menschheit erworben. 

Bald nach dem Erscheinen der Cautio criminalis kam Spee 
nach Köln; er sollte hier aufs neue die Professur für Moral- 
theologie übernehmen, von der man ihn in Paderborn so eilig 
enthoben hatte. Aber neue Klagen wurden gegen ihn laut, und 
zwar vermutlich von solchen, denen sein mannhaftes Auftreten 
gegen den Hexenwahn ein Ärgernis war. Der Ordensgeneral dachte 
daher, wie bereits erwähnt wurde, an eine Entlassung des Pater 
Spee aus dem Orden oder an einen freiwilligen Austritt. Aber 
noch ehe es hierüber zu einer Entscheidung kam, änderte sich 
die Ansicht der Oberen über Spee zum Besseren. Seit dieser Zeit 
konnte er sich unbehelligt seiner Lehrtätigkeit widmen. Sie bot 
ihm Gelegenheit, auch seiner Ansicht über das Hexenwesen unter 
den jungen Theologen Verbreitung zu verschaffen, was ihm mit 
um so größerem Erfolge gelang, als seine Schüler mit Liebe und 

118 



Verehrung zu ihrem edlen, mildgesinnten Lehrer aufsahen. Einer 
seiner Schüler, P. Hermann Busenbaum, hat später die Vorlesungen 
Spees bei der Ausarbeitung seiner berühmt gewordenen ,,Medulla 
theologiae moralis" benutzt, was er mit warmem Dank gegen seinen 
trefflichen Lehrer im Vorwort des Werkes hervorhebt. Daß Spee 
neben seiner Lehrtätigkeit auch noch eine eifrige Wirksamkeit als 
Seelsorger entfaltete, braucht wohl kaum besonders erwähnt zu 
werden; die Geschichte weiß uns davon rührende Beispiele zu 
erzählen. Nur zwei Jahre dauerte Spees Tätigkeit in Köln. Im 
Jahre 1633 finden wir ihn wieder in Trier, und zwar ebenfalls als 
Professor der Moraltheologie und als Beichtvater. In Trier, wo er 
sein Ordensleben begonnen hatte, sollte er es auch beschließen. 
Der damalige Kurfürst von Trier, Philipp Christoph von Söteren, 
hatte sich ganz in die Hände der Franzosen gegeben, ihnen sein 
Land und seine Festungen ausgeliefert und den französischen 
Kardinal Richelieu zu seinem Koadjutor und Nachfolger auf dem 
bischöflichen Stuhle ernannt. Die Jesuiten, die treu zum Kaiser 
hielten, entgingen nur mit Not der Landesverweisung; aber ihre 
Schulen wurden geschlossen und ihre Niederlassungen gebrand- 
schatzt. Indessen schon nahten die kaiserlichen Truppen zur Be- 
strafung des ungetreuen Reichsfürsten. In der Nacht zum 26. März 
1635 drangen sie in die Stadt ein, in deren Straßen sich alsbald im 
Dunkel der Nacht ein wütender Kampf entspann. Der edle Spee 
war beim Beginn des Gemetzels sofort herbeigeeilt und hatte sich 
mitten unter die Kämpfenden gemischt. Die Verwundeten trug er 
aus dem Gewühl, wusch und verband ihre Wunden und spendete 
den Sterbenden den letzten geistlichen Trost. Als der Kampf am 
Morgen sein Ende fand, waren 500 Franzosen getötet, die übrigen 
mit dem französischen Obersten und dem Kurfürsten gefangen 
genommen. Spee verwendete sich für die Gefangenen beim kaiser- 
lichen Befehlshaber, bettelte für sie Kleider und Almosen zusammen 
und erwirkte ihre Entlassung in die Heimat. Da brach in der 
Stadt ein pestartiges Fieber aus. Unermüdlich war nun Spee in 
den Spitälern tätig, pflegte und tröstete die Kranken, schleppte 
ihnen Speise und frisches Wasser aus dem Stadtbrunnen herbei 
und bereitete die Sterbenden zum Tode vor. Aber die übermensch- 
lichen fortwährenden Anstrengungen hatten seinen Körper so ge- 
schwächt, daß er selber von der Krankheit ergriffen wurde. Am 
7. August 1635 nachmittags 1 Uhr verschied er sanft und gott- 
ergeben. In der Gruft der ehemaligen Jesuitenkirche wurde er bei- 
gesetzt; auf dem Sarge, der seine sterblichen Überreste umschließt, 

119 



steht die einfache Inschrift: ,,Hic iacet Fridericus Spe." Im Jahre 
1907 ist ihm in der Jesuitenkirche von späten Verehrern ein würdiges 
Denkmal gesetzt worden. Das einzige Bildnis, das uns von Spee 
erhalten ist, befindet sich im Besitz des Marzellengymnasiums; es 
hing in der Aula des alten Gebäudes. Fortan wird es auch in der 
Aula des neuen Heims einen ehrenvollen Platz finden, wie es dem 
edlen Manne gebührt, dessen fleckenloses und heiligmäßiges Leben 
sich verzehrt hat im Dienste reinster Gottes- und Menschenliebe. 
Im Jahre 1649, also vierzehn Jahre nach Spees Tode, erschien 
in Köln bei Wilhelm Friessem ein Büchlein ,, Trutz Nachtigal, oder 
Geistlichs-Poetisch Lust-Wäldlein, deßgleichen noch nie zuvor in 
Teutscher sprach gesehen. Durch den Ehrw. P. Fridericum Spee, 
Priestern der Gesellschaft Jesu. Jetzo, nach vieler wünsch und 
langem anhalten, zum erstenmahl in Truck verfertiget." Das Büch- 
lein bildet eine merkwürdige Erscheinung in der gleichzeitigen 
Literatur. Was es ,,trutz allen Nachtigallen süß und lieblich singet", 
kommt aus einer reinen, vom Glück innigster Gottesliebe erfüllten 
Seele, die in der Natur allenthalben die Größe und Güte des 
Schöpfers bewundert. Das Büchlein enthält nur geistliche Gedichte: 
,,dann je anders nichts allhie gesucht noch begehrt wird, als daß Gott 
auch in teutscher Sprach seine Poeten hätte, die sein Lob und 
Namen ebenso künstlich, als andere in ihren Sprachen singen und 
verkünden könnten". Bei Tag und Nacht beschäftigen den Dichter 
die Großtaten des Schöpfers; er findet und bewundert sie in der 
kleinsten Blume, in der Stille des Waldes, im Brausen des Meeres, 
im Gesang der Vögel, im Treiben der geschäftigen Bienen wie 
in den gewaltigen Wunderwerken des gestirnten Himmels. Gerade 
dieses innige Sichversenken in die Natur hebt die Gedichte Spees 
weit heraus aus der Literatur seiner Zeit. So hatte vor ihm noch 
keiner gesungen; und es quillt ihm alles aus einem übervollen 
Herzen, das nicht lange nach Worten zu suchen braucht, um seinen 
Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Mit überlegener Meisterschaft 
handhabt Spee die Sprache, ungezwungen fließt ihm der Reim, 
und zwar in solcher Fülle, daß er sich oft kaum genug darin tun 
kann. So haben seine Gedichte für ihre Zeit etwas ungemein 
Frisches und Anziehendes. Gewiß ist für den heutigen Leser 
manches Tändelnde und Spielende, manches Weichliche und Süß- 
liche nicht mehr recht genießbar; das sind Dinge, die aus dem 
Geiste der Zeit heraus beurteilt werden müssen. Wer aber an 
Spee herantritt vom Standpunkte des Literarhistorikers, dem einzigen 
Standpunkt, der zu einer gerechten Beurteilung des Dichters führen 

12D 



kann, der findet in seinem Büchlein so viel Schönes und Erfreuliches, 
daß darüber die kleinen, in der Zeitrichtung begründeten Mängel 
zurücktreten. Besondere Hervorhebung verdient die metrische Form 
der Gedichte. Es muß als ausgemacht gelten, daß Spee ganz 
unabhängig von seinem Zeitgenossen Opitz zu dem neuen Be- 
tonungsgesetz gelangt ist, das noch heute in der deutschen Poesie 
Geltung hat und um dessen Erfindung Opitz soviel gepriesen 
worden ist: die regelmäßige Abwechslung zwischen betonten und 
unbetonten Silben. In der Vorrede zur Trutz-Nachtigall hat Spee 
dieses neue metrische Gesetz knapp und klar entwickelt. Über die 
Entstehungszeit der Gedichte Spees sind wir nicht unterrichtet; 
manche mag er wohl der Ruhe und Muße in dem idyllischen 
Falkenhagen verdanken, als er dort zur Erholung von seinen 
Wunden weilte. Andere gehen aber sicherlich schon auf viel frühere 
Jahre zurück, in denen eine Beeinflussung durch Opitz noch gar 
nicht möglich war. Aus innerstem Drang, ganz aus sich selbst 
heraus ist Spee zum Dichter geworden. Am Gymnasium seiner 
Zeit hatte weder die deutsche Sprache noch die deutsche Literatur 
eine Stätte, so daß ihm von dort eine Anregung zu dichterischem 
Schaffen nicht gekommen sein kann. Wir haben von Spees Trutz- 
Nachtigall zwei Handschriften, die vom Dichter selbst geschrieben 
sind: eine in Straßburg und eine in Trier. Die Trierer Handschrift 
war offenbar zum Druck bestimmt; aber der frühe Tod des Dichters 
verhinderte die Ausführung des Planes. Spees Beichtkind Wilhelm 
Friessem in Köln hat dann das Werk nach einer Abschrift, deren 
mehrere in den Händen von Freunden und Verehrern des frommen 
Dichters waren, zum Druck befördert. Neue Auflagen des Büchleins 
erschienen in Köln bei Friessem in den Jahren 1656, 1660, 1664, 
1672, 1683 und 1709. Auch ins Lateinische und Böhmische wurde 
es übersetzt. Hundert Jahre lang blieb dann die Trutz-Nachtigall 
vergessen; die Zeit des Rationalismus hatte für Spee kein Ver- 
ständnis. Erst die Romantik brachte ihn wieder zu Ehren. Im 
Laufe des 19. Jahrhunderts erschienen zahlreiche Neuausgaben 
der Trutz-Nachtigall, meistens Erneuerungen und Umarbeitungen, 
die den Gedichten viel von ihrem ursprünglichen Reize nahmen. 
Eine solche umgearbeitete Ausgabe veranstaltete auch Wilhelm 
Smets; sie erschien ein Jahr nach seinem Tode unter dem Titel 
„Fromme Lieder von Friedrich Spee" 1849. 

In demselben Jahre 1649, in dem die Trutz-Nachtigall erschien, 
beförderte Wilhelm Friessem in Köln noch ein zweites Werk von 
Spee zum Drucke: „Güldenes Tugend-Buch, das ist, Werck und 

121 



Übung der dreyen Göttlichen Tugenden, des Glaubens, Hoffnung 
und Liebe. Allen Gottliebenden, andächtigen, frommen Seelen: und 
sonderlich den Kloster- und anderen Geistlichen Personen sehr 
nützlich zu gebrauchen, durch den Ehrw. P. Fridericum Spee, 
Priestern der Gesellschaft Jesu." Das Güldene Tugendbuch ist ein 
Erbauungsbuch in Prosa mit eingestreuten Gedichten, von denen 
manche auch in der Trutz-Nachtigall sich finden. Entstanden ist 
es in der Zeit des Kölner Aufenthaltes 1631 — 1633. Es gehört 
zu den schönsten und innigsten Werken dieser Art, die in Deutsch- 
land geschrieben worden sind. Freilich muß es noch viel mehr 
aus seiner Zeit heraus beurteilt werden als die Trutz-Nachtigall; 
denn manche allzu naive und süßlich tändelnde Ausführungen 
vermögen beim heutigen Leser nur ein Lächeln zu erregen. Aber 
kein geringerer als Leibniz verehrte und schätzte gerade dieses 
Werk des frommen P. Spee; er nennt es „eines der solidesten 
und rührendsten Andachtsbücher, die ich jemals gesehen habe". 
Das Güldene Tugendbuch ist in noch höherem Grade als die Trutz- 
Nachtigall das Zeugnis einer kindlich reinen Seele; es gibt uns 
am meisten ein Bild von des Verfassers eigner Geistesrichtung. 
Da ist alles so voll treuherziger Innigkeit und ergreifender Ein- 
dringlichkeit, daß selbst derjenige daran Gefallen finden kann, der 
sich sonst mit dem Inhalte nicht zu befreunden vermag. Was aber 
besonders an dem Buche hervorgehoben werden muß, das ist der 
meisterhafte und bewundernswerte Stil, in dem es geschrieben ist, 
an dem nicht nur die klare und faßliche Art der Darstellung, die 
anschaulichen und trefflichen Vergleiche und Bilder zu loben sind, 
sondern auch die prächtige Sprache, deren Wohllaut und Fluß in 
gleichzeitigen Schriften kaum ihresgleichen finden dürfte. Neue 
Auflagen erlebte das Güldene Tugendbuch in den Jahren 1656, 
1666, 1688 und 1749. Bei dem treuherzigen Inhalt, der das Buch 
auszeichnet, ist es nicht zu verwundern, daß auch verschiedene 
Neubearbeitungen im 19. Jahrhundert noch manche dankbare Leser 
gefunden haben. 



122 



Paulus Aler. 

Von Prof. Dr. Alfons Fritz in Aachen. 

Im Bereiche der niederrheinischen Jesuitenprovinz haben zwei 
Jesuiten namens Aler, beide aus dem freundlichen Eifelstädtchen 
St. Vith stammend, eine bedeutsame Stellung eingenommen: 
Paul geb. am 9. November 1656, Peter geb. am 11. April 1685. 
Die Gemeinsamkeit des Familiennamens und des Heimatortes läßt 
verwandtschaftliche Beziehungen vermuten und hat früher sogar eine 
Verwechslung beider Persönlichkeiten veranlaßt. Über das bis jetzt 
unbekannte Verhältnis, in dem sie zueinander standen, klärt uns 
der ältere im Tagebuch des Gymnasiums zu den drei Kronen unter 
dem 29. Juni 1711, als Peter Aler und Kaspar Gilson in der Kölner 
Jesuitenkirche ihre Primiz feierten, dahin auf, daß der eine ein 
Sohn seines Bruders, der andere ein Sohn seiner Schwester sei. 
Als Lehrer haben beide Aler segensreich gewirkt, als Schrift- 
steller nur der ältere. Daher finden wir auch nur über ihn in 
dem alten Schriftstellerlexikon des Jesuiten Joseph Hartzheim 
(Bibliotheca Coloniensis, Köln 1747) einige Bemerkungen, die 
seinen Entwicklungsgang veranschaulichen und beweisen, daß 
Paul Aler in Köln seine zweite Heimat gewann. Denn er, der 
später mehr als 30 Jahre am Gymnasium zu den drei Kronen tätig 
war, darunter 23 Jahre in der Regentschaft, empfing hier auch 
seine humanistische Bildung und wurde hier im Jahre 1676 unter 
dem Lehrer der Philosophie Adolf Neißen zum Grade eines 
Magisters befördert. Der Eintritt in den Jesuitenorden am 6. No- 
vember desselben Jahres entfernte ihn nur für kurze Zeit und 
führte ihn nach Trier, wo das Novizenhaus der Provinz sich be- 
fand. An das Noviziat schloß sich, wie bei den Jesuiten üblich, 
die Lehrtätigkeit in den fünf niederen Schulen, die nach der fort- 
schreitenden Einführung in die lateinische Sprache als Infima, 
Secunda, Suprema (Syntaxis) Grammatices classis, als Poesis 
(Humanitas) und als Rhetorica bezeichnet wurden. Der hier u. a. 
gepflegten Kunst, „leicht und geschmackvoll lateinische Gedichte 
jeder Art zu verfassen", diente seine 1683 in Köln bei P. Th. Hilden 
erstmalig verlegte Praxis poetica, ein in vier weiteren Auflagen 
erschienenes Lehrbuch, dem er als Proben eigenen poetischen 
Schaffens in den folgenden Jahren lateinische Gelegenheits- 
gedichte zu Ehren des wittelsbachisch-bayrischen Hauses und 
besonders des aus ihm hervorgegangenen Kurfürsten Maximilian 

123 



Heinrich von Köln folgen ließ. Ähnlich erinnern an die nach- 
folgende Lehrtätigkeit in der Philosophie am Kölner Jesuitengym- 
nasium die im Januar 1692 von Alers Schülern öffentlich verteidigten 
Conclusiones ex universa philosophia. 

Zu jener Zeit versah Aler aber schon ein weiteres, wichtigeres 
Amt, durch das ihm, wenn auch zuerst noch nicht in vollem 
Umfange, die Leitung des Dreikronen-Gymnasiums anvertraut war. 
Über diese eine Seite seiner umfangreichen Tätigkeit möchte vor- 
liegender Aufsatz neues Licht verbreiten. Sie ist für den in unserer 
Festschrift eröffneten Rückblick auf die Vergangenheit des Gym- 
nasiums jedenfalls die wichtigste. 

Die notwendigsten chronologischen Angaben, teils einer Apo- 
logie Alers (1711), teils dem Tagebuche der Anstalt entnommen, 
seien vorausgeschickt. Am 25. April 1690 wurde Aler Subregens 
des Gymnasiums. Nachdem der bisherige Regens Henricus Cuperus 
am 21. November 1702 gestorben war, verwaltete er, wenigstens 
seit dem 14. Februar 1703, auch das Amt eines Regenten; die förm- 
liche Ernennung teilte ihm sein Rektor erst am 2. März d. J. mit. 
Die Überlastung mit beiden Ämtern dauerte bis zum 17. Juli 1709, 
als Aegidius Parent Subregent wurde, aber die Erleichterung in 
den Berufsgeschäften hielt nicht lange an. Am 9. Januar 1710 
übernahm Aler im Nebenamte noch die Leitung des Xaverianischen 
Konvikts. Am 20. April 1713 wurde er von Köln nach Trier und 
damit von seiner langjährigen Regentschaft abberufen. 

Die Titel eines Regenten und Subregenten deuten die ent- 
sprechende Tätigkeit und Stellung im allgemeinen genügend an, 
legitimieren aber nicht ihren Träger innerhalb der Ordenshierarchie 
und sind der Studienordnung der Jesuiten fremd. Während bei 
den anderen Gymnasien des Ordens der Mann, der unter der Ober- 
leitung des Rektors — in diesem gipfelte schließlich jede Art der 
Tätigkeit eines Jesuitenkollegs — die Schulverwaltung versah, 
Studienpräfekt genannt wurde, hieß er in Köln in Anlehnung an 
die Amtsbezeichnung der Leiter des Montaner- und des Lauren- 
tianergymnasiums und entsprechend der Tradition der Dreikronen- 
Burse, welche die Jesuiten seinerzeit übernommen hatten, Regent, 
und da bei ausgedehnten Schulen die Studienordnung der Jesuiten 
einen zweiten Präfekten für die niederen Klassen zuließ, der dem 
ersten unterstellt war, so ergab sich für Köln, welches die größte 
Jesuitenschule der Provinz besaß, von selbst sowohl die Notwendig- 
keit eines zweiten Präfekten wie seine Bezeichnung als Subregent. 
Weil dieses Verhältnis, besonders außerhalb Kölns, nicht klar war, 

124 



ließ sich Aler am 24. August 1704 für einen in Rom anhängigen 
Prozeß seitens des Rektors Dham und zweier anderen Patres das 
Zeugnis ausstellen, daß derSubregens des Dreikronen-Gymnasiums 
nur praefectus studiorum inferiorum sei, und mit Rücksicht darauf, 
daß er 1702/03 die Regentschaft angetreten hatte, bezeichnete er 
sich in der Ausgabe des Dictionarium germanico-latinum vom 
Jahre 1727 als studiorum viginti quinque annis praefectus. 

Ein Unterschied in seiner Tätigkeit als Subregent und Regent 
läßt sich heute nicht mehr nachweisen. Es scheint vielmehr, daß 
Aler bereits als Subregent die Seele der Schulverwaltung war und 
später als Regent sich durch den ihm schließlich beigegebenen 
Gehilfen wenig entlasten ließ. In der Apologie des Jahres 1711 
übernimmt er die Verantwortung für die Schule seit dem Jahre 
1690, also seit dem Beginn der Subregentschaft. Er verrichtet 
die Obliegenheiten, die an anderen Orten für den Studienpräfekten 
charakteristisch sind. Er teilt beim Anfang des Schuljahres (Anfang 
November bis Ende September) den Ascensus mit, liest am Er- 
öffnungstage der Studien das feierliche Hochamt, schickt die Zettel 
mit seinen Anordnungen durch die Klassen usw. Die anderswo 
dem Studienpräfekten obliegende Führung der Tagebücher hat er, 
soweit sie überhaupt für seine Zeit vorhanden sind (1692-1712), 
selbst besorgt, wie schon die charakteristische Handschrift zeigt. 
Er schien zum Regenten wie geschaffen. Schon als Knabe, berichtet 
Hartzheim, übernahm er unter den Mitschülern des Tricoronatum, 
dem Cyrus ähnlich, die ihm freiwillig übertragene Herrschaft. 

Eine willensstarke Persönlichkeit als Leiter tat den damaligen 
Gymnasien noch mehr not als den heutigen, weil die Auflösung 
der staatlichen Ordnung sich in Disziplinlosigkeiten und Gewalt- 
akten widerspiegelte, wie sie bei unserer studierenden Jugend nicht 
mehr möglich wären. Zwar werden auch jetzt noch gelegentlich zur 
Verewigung des eigenen oder anderer teueren Namen neue Schul- 
bänke mit Messern bearbeitet, wogegen Aler am 28. April 1706 
in der Logikklasse mit Geldstrafen von einem Reichstaler einschritt, 
und verhältnismäßig harmlos mag noch das Vergnügen der Schüler 
der verschiedenen Gymnasien gewesen sein, sich gegenseitig Hüte 
und Mäntel abzureißen und als Beute fortzutragen, wozu der da- 
malige Leiter des Xaverianischen Konvikts die unschuldige Ver- 
anlassung gab, als er die für die Studenten charakteristischen 
Erkennungszeichen einem Montaner abnahm (Dezember 1702). 
Aber wenn die Eifersucht der Gymnasien aufeinander zu blutigen 
Straßenkämpfen und zu Beschädigungen der Anstaltsgebäude führte 

125 



oder jugendlicher Übermut zu Kämpfen auf Leben und Tod mit 
den Stadtsoldaten verlockte, so sind das doch für uns ungewohnte 
Erscheinungen. Merkwürdig ist es, daß selbst die Betätigung 
religiöser Gesinnung bei den sogenannten Römerfahrten statt zu 
friedlichem Einverständnis in der Regel zu blutigen Streitigkeiten 
Veranlassung gab und daß bei der fröhlichen Nikolausbescherung 
die Jugend aufgeregt auf die Straße lief und Händel suchte. 
Wenn Aler auch alle Kämpfe energisch zu hindern suchte, so war 
ihm doch die Sitte nicht recht, die sich im Jahre 1708 einbürgerte, 
daß die Trikoronaten am Nikolausfeste sich mit den Montanem 
und Laurentianern zu einem Trünke einluden. Am 13. März 1708 
bedurfte es der besonderen Energie Alers, um Ausschreitungen 
zu verhindern, die den städtischen Magistrat mit dem Könige von 
Preußen und somit die Schule mit dem Magistrate in Konflikt 
zu bringen drohten. Wie in den konfessionell abgeschlossenen 
Reichsstädten des katholischen Westens noch während des 18. Jahr- 
hunderts wiederholt sich gezeigt hat, reizte die ungewohnte Er- 
scheinung des Protestantismus die Studenten leicht zu GewaU- 
tätigkeiten. So waren denn auch nach Alers Schilderung am 
Morgen dieses Tages in der Stadt Zettel angeschlagen, in denen 
alle Studenten der drei Gymnasien aufgefordert wurden, in dem 
vom preußischen Könige gekauften Hause in der St. Johannis- 
straße den vom preußischen Residenten von Diest trotz wieder- 
holter Warnung abgehaltenen akatholischen Gottesdienst zu stören. 
Durch Änderung des schulfreien Tages und strenges Verbot erreichte 
es Aler, daß kein Schüler seines Gymnasiums sich an den Unruhen 
beteiligte und diese vom städtischen Militär leicht unterdrückt 
werden konnten. Es ist anzunehmen, wenn auch Aler es nicht 
angibt, daß, als am 30. April wiederum die Zettel erschienen, um 
10 Uhr die Fenster am Hause des Residenten eingeschlagen wurden 
und das preußische Wappen, vielleicht durch das Ungestüm der 
Verteidiger, auf die Straße fiel, die Trikoronaten unbeteiligt waren. 
Trotz aller Strenge liebte Aler seine Schüler überaus, und 
sein Herz empörte sich, wenn er sie ungerecht bestraft glaubte. 
Im November und Dezember 1705 waren die Streitigkeiten der 
Trikoronaten mit den Laurentianern und Montanem besonders 
heftig, und während einer Reise Alers nach Düsseldorf ging man 
sich mit Steinen und Feuerwaffen zu Leibe. Darauf wurden am 
Tricoronatum einige Schüler der niederen Klassen mit Ruten ge- 
züchtigt. ,, Trotzdem," bemerkt Aler im Tagebuch, „wurden die 
Händel nicht beigelegt, was leicht hätte erreicht werden können; 

126 



denn, wenn die Unsern bestraft werden, die immer von den 
anderen angegriffen werden, die Laurentianer und Montaner 
dagegen, die immer die Angreifer sind, nicht ebenso, so werden 
die Unsern erbittert und verteidigen sich um so mehr. Wäre ich 
zugegen gewesen, so hätte ich die Bestrafung der Unsern nicht 
geduldet, wenn nicht zugleich und zur selben Zeit einige von den 
Laurentianern und Montanem bestraft worden wären. Das hat 
aber der Rektor Dham getan." Es ist nicht zu verkennen, daß 
hier eine gewisse Voreingenommenheit für seine Anstalt und 
seine Schüler hervortritt. Sie verleitet ihn auch bei andern Gelegen- 
heiten zu einseitigen Urteilen, besonders am Anfang des Schul- 
jahres, wenn der von den Schülern nicht selten vorgenommene 
Wechsel der Anstalt die gegenseitige Eifersucht der Gymnasien 
weckte. Die Rhetoren, die zur Logik des Laurentianergymnasiums 
übertreten, sind in seinen Augen nichts wert, aber rühmenswert 
die Schüler, die sich zum Tricoronatum gemeldet haben (No- 
vember 1707). Bei ihm steht es fest, ,,daß niemals einer vom 
Tricoronatum weggeht, weil er bei den anderen die Disziplin, den 
Unterricht und die religiöse Erziehung für besser hält, sondern 
nur wegen der Freiheit, die er anderswo genießt" (November 1705). 
Über die Aufführungen, welche die Laurentianer an drei Tagen 
des September veranstalteten, hat er stets nur Worte tiefster Vei- 
achtung, während er die gleichzeitigen der eigenen Anstalt mit 
Lobsprüchen bedenkt. Peinliche Vorfälle an den anderen Gym- 
nasien, im besonderen Zusammenstöße mit Stadtsoldaten, ver- 
säumt er nicht im Tagebuch des Gymnasiums zu berichten, wenn 
sie auch zu diesem keine Beziehung haben. 

Es fällt ihm eben schwer, den anderen Gymnasien gerecht zu 
werden, aber der Grund zu dieser Abneigung liegt nicht bloß 
in den andauernden Streitigkeiten der Kölner Lehranstalten, son- 
dern vor allem, und das ist das Versöhnliche, in der übergroßen 
Liebe zu der ihm anvertrauten Schule. Wie freut er sich, wenn 
er von früheren Schülern Rühmliches berichten oder ihnen Vor- 
teile, z. B. Präbenden verschaffen kann! Und wenn er auch auf 
adelige Schüler stolz ist, weil sie seiner Anstalt Ansehen und 
Glanz verleihen, so liegen ihm doch die armen besonders am 
Herzen. An ihnen fehlte es gerade dem Tricoronatum nicht. Beim 
Examen der Logiker z. B. im Juni 1707 hatten die Montaner 
30 Reiche, keinen Armen, die Laurentianer 11 Reiche und 3 Arme, 
die Trikoronaten 22 Reiche und 10 Arme. Arme Studenten 
wurden nun von den Magistraten der Reichsstädte möglichst ab- 

127 



geschoben, weil sie den Bürgern keine wirtschaftlichen Vorteile 
brachten, vielmehr durch ihr Betteln lästig fielen. Aber Aler ließ 
sich durch Maßregeln des Kölner Magistrats, z. B. eine Aufforderung 
an die Regenten der Gymnasien, ein Verzeichnis ihrer armen 
Studenten einzureichen (1. Juli 1707), nicht in seiner Fürsorge 
beirren, getreu dem Geiste seines Ordens, der ja bereits im 16. Jahr- 
hundert auf die Unentgeltlichkeit des Studiums wie überall, so 
auch in Köln hingewirkt hatte. Eine besondere Aufmerksamkeit 
schenkte er der Vermehrung der Stiftungen, die einer langen Reihe 
von Studentengenerationen die Studien erleichtern oder ermög- 
lichen sollten. Ihnen galten die zahlreichen Reisen durch die 
Provinz, besonders in den Jahren 1704 und 1705. War auch kein 
Monat der eigentlichen Studienzeit von ihnen freizuhalten, so be- 
nutzte der unermüdliche Mann doch mit Vorliebe für sie den 
Ferienmonat, den Oktober. Während dann die Professoren in 
Rheindorf ihrer Erholung lebten, brach er meist schon nach einigen 
Tagen den dortigen AufenthaU ab und ergriff den Wanderstab. 

Nur eine Reise ist in den Tagebüchern erwähnt, bei der per- 
sönliches Interesse angenommen werden kann. Am 11. No- 
vember 1701 verließ Aler mit zwei anderen Patres Moers und 
Wyrich das Kölner Kolleg, um in Trier die theologische Doktor- 
würde zu erlangen. Nach der ersten Nachtruhe in Rheindorf ging 
die Reise durch die Eifel, und zwar in Anbetracht der winterlichen 
Jahreszeit ziemlich rasch. Nach weiteren Nachtlagern in Hönningen 
an der Ahr und Wittlich kam man bereits am 14. gegen 3 Uhr 
nachmittags in Trier an. Am 15. und 16. fanden die Disputationen 
der Reisegenossen statt, und zwar am 15. nachmittags die Alers 
über die Inkarnation. Am 17. war die Promotio baccalaureatus, 
am 21. die Promotio licentiae, am 24. die Promotio doctoralis. 
Am 28. ging es von Trier moselabwärts nach Coblenz, das am 
30. erreicht wurde. Am 4. Dezember gegen 4 Uhr langten die 
Reisenden wieder in Köln an. 

Die theologische Doktorwürde mag Aler zustatten gekommen 
sein für die theologische Hausprofessur (Moral), die er in den 
Jahren 1701 und 1702 auf Büchertiteln hervorhebt und für das 
Schuljahr 1704/05 im Tagebuch anführt. Daß er die Würde in 
Trier, nicht in Köln sich verschaffte, war eine Folge seines gespann- 
ten Verhältnisses zur Kölner Universität, das bald in eine Reihe 
von Beleidigungsprozessen (6) auslief. Die Andeutungen Hartz- 
heims über die unerquicklichen Vorgänge sind irreführend, aber 
auch die aus Universitätskreisen stammende und wahrscheinlich 

128 



vom derzeitigen Dekan der theologischen Fakuhät Peler Haustnan, 
Pastor in St. Kolumba, veraniaßte zusammenhängende Darstellung 
ist keineswegs einwandfrei. Sie führt den Titel: Vera relatio cum 
actis pacificationis super diversis causis ac litibus a patre Aler 
S. J. contra diversos in alma universitate Coloniensi ab anno 1701 
excitatis et finitis anno 1708, SO'"" Augusti. Dieser Darstellung 
zufolge ging der Streit von Aler aus, der sich über die Komödien 
der Laurentianer lustig machte und in einem 1701 gedruckten 
Büchlein Appendix ad praecepta literarum humaniorum ihre Pro- 
sodie verspottete. Als die Laurentianer nun in einer Schrift Dica 
contra dicacem sich zur Wehr setzten, verbot der Rektor der Uni- 
versität Johannes Forsbach, um Aufläufe und Zusammenstöße der 
Studenten zu verhindern, das Erscheinen weiterer Streitschriften. 
Aler veröffentlichte trotzdem eine Replik unter dem Titel Appen- 
dix contra dicam etc. und überbrachte sie dem Rektor persönlich. 
Dieser, der darin eine Verhöhnung sah, warf die Schrift ins 
Feuer und lud wegen Geringschätzung seines Dekrets Aler zur 
Verantwortung. Aler erschien nicht und wurde darauf aus der 
Universitätsmatrikel gestrichen. Da der verfügbare Raum es hier 
nicht zuläßt, auf die von Aler angestrengten Prozesse ein- 
zugehen, so sei zur Richtigstellung obiger Darstellung nur be- 
merkt, daß die Schrift der Laurentianer voll persönlicher Belei- 
digungen war, ferner der Rektor der Verbrennung von Alers Re- 
plik einen öffentlichen Charakter gab und gegen Aler auch dann 
noch mit der Streichung aus der Universitätsmatrikel vorging, als 
dieser bereits gegen des Rektors Handlungsweise gerichtliche 
Berufung eingelegt hatte. Kurz, der leidenschaftliche Übereifer 
der Gegner bot Aler eine ebenso bequeme Handhabe, Prozesse 
gegen sie wie gegen andere Universitätsmitglieder, welche die 
Auffassung des Rektors teilten oder die Partei der Laurentianer 
ergriffen, anzustrengen, als ihre Zerfahrenheit und Lässigkeit ihm 
den Sieg an den Kölner Gerichten und, soweit die Gegner an 
die Rota appellierten, auch in Rom erleichterte. Die Früchte seiner 
Siege ließ sich Aler durch die Vermittelungsvorschläge des Dekans 
Peter Hausman nicht entreißen, obgleich es diesem unter Über- 
nahme der Prozeßkosten gelang, durch den Erlaß des päpstlichen 
Nuntius Johann Baptist Bussi in Köln vom 30. August 1708 einen 
allgemeinen Frieden zu bewirken und so auch den letzten Streit 
beizulegen, der nach Alers Auffassung zugleich der erste gewesen 
war; er betraf eine bösartige, mit Hilfe des Buchdruckers Arnold 
Metternich ausgeführte Fälschung des Augustiner-Eremiten Nikolaus 

9 129 



Girken zum Schaden und Schimpf der ganzen Gesellschaft Jesu. 
Suchen wir nach dem untersten Grunde der unerquicklichen 
Streitigkeiten, so finden wir ihn in der unnatürlichen Stellung 
des Jesuitengymnasiums zur Universität. Während die Jesuiten- 
schulen anderswo, nur von den Oberen des Ordens abhängig 
und nach den Grundsätzen seiner Ratio studiorum verwaltet, sich 
vollständiger Unabhängigkeit erfreuten, hatte der Orden in Köln, 
um in den schwierigen Zeiten des 16. Jahrhunderts festen Fuß 
fassen zu können, die von ihm übernommene Schule im Uni- 
versitätsverbande lassen müssen, was den Regenten und die Lehrer 
zugleich vom Rector Magnificus und den Beschlüssen der Uni- 
versität abhängig machte. Als einen Teil der über ein Jahrhundert 
geführten Kämpfe zwischen Universität und Jesuitenkolleg sehen 
denn auch mit Recht die Annuae des Jahres 1708 die Prozesse 
an und geben der Freude Ausdruck, daß es unter dem Einfluß 
des Sieges dem Jesuitenkolleg gelungen ist, in Bezug auf die 
theologischen Vorlesungen und die Stiftungen eine größere Un- 
abhängigkeit von der Universität zu erlangen, ohne ein Recht an 
und in der Universität preiszugeben. Den Ruhm, mit der eigenen 
Ehre das Ansehen des Ordens gewahrt und dessen Interessen 
vertreten zu haben, durfte Aler sich zuschreiben, aber in den 
Kreisen der theologischen und philosophischen Fakultät hatte er 
zugleich den Ruf eines masculus litigiosus, eines streitsüchtigen 
Männleins, erhalten. 

Dafür gab es aber andere Kreise, die ihn verehrten, vor allem 
die, welche ihn als Präses der lateinischen Sodalität oder als 
Dichter und Leiter des Schultheaters kennen gelernt hatten. Da 
in der Sodalität unter dem Titel der Virgo Annunciata, der so- 
genannten lateinischen, sich die Studenten von der Logikklasse auf- 
wärts mit den gelehrten oder vornehmen Laien der Stadt, an einigen 
Orten auch mit WeHgeistlichen, zusammenfanden, so war Präses 
gewöhnlich der Studienpräfekt. Dem entsprechend ist auch die 
Kölner Kongregation gleichen Namens elf Jahre hindurch bis zum 
Dezember 1701, also vom Beginn der Subregentschaft an, von 
Aler geleitet worden, und wenn er später mit Ausnahme des 
Schuljahres 1706/07 sie anderen Patres überließ, so lag der Grund 
wohl in Überhäufung mit anderer Arbeit. Die Andachten der So- 
dalität besuchten die Honoratioren der Stadt und — was die Ver- 
merke in den Tagebüchern besonders hervorheben — vor allem 
die Bürgermeister. Aler hat sich als Präses stets der eifrigen Be- 
teiligung dieser Herren zu erfreuen gehabt und ihnen am 8. Sep- 

130 



tember 1698, als „fünf Bürgermeister (ein sechster war verreist) 
und andere zahlreiche und hervorragende Magistratspersonen die 
Sodalität besuchten", durch eine Lobrede auf die Stadt Köln 
jedenfalls eine besondere Freude gemacht; vielleicht steht hiermit 
die Colonia Agrippina, herausgegeben im Jahre 1699, die er den 
Bürgermeistern und dem Vorstand der Sodalität widmete, in Be- 
ziehung. Der Gewohnheit der Jesuitenkollegien, auch außerhalb 
der Sodalität mit den Würdenträgern der Stadt freundschaftlichen 
Verkehr zu pflegen, entsprach Aler, wenn er im Interesse des 
Ordens und der Schule seine Rednergabe wie sein Dichtertalent 
in den Dienst solcher Verbindungen stellte. Fanden sich die 
Bürgermeister im Kolleg ein, was regelmäßig im September im 
Anschluß an die von der Jesuitenkirche nach der Kirche Beatae 
Virginis in der Kupfergasse geleitete Prozession geschah, und ver- 
ehrten eine kleine Weinspende (vinum senatorium), so erwies sich 
Aler als guter Tischredner, und wie die Themata seiner erbau- 
lichen Sodalitätsreden, so können wir auch die seiner launigen 
Tischreden in den Tagebüchern nachlesen. Dem am 31. Juli 1711 
im Refektorium des Kollegs bewillkommneten päpstlichen Legaten 
Annibal von Albani gefiel Alers Panegyris so gut, daß er sich 
den Text ausbat und Aler ihn drucken ließ. Am 21. Juli 1699 
erfreute er den Bürgermeister von den Hövel, zu dessen Ehren 
der Unterricht ausfiel, durch ein von ihm verfaßtes Gratulations- 
gedicht. Trotzdem vergab er seiner Würde nichts. Als der Bürger- 
meister Beyweg ihn rufen ließ und von ihm verlangte, in kürzester 
Frist ein Tischlied zu Ehren eines hohen Magistratsgastes zu ver- 
fassen, lehnte Aler ab und empfahl für Tisch Instrumentalmusik 
(17. November 1705). 

Die freundschaftliche Beteiligung der Bürgermeister zeichnete 
in den Augen der damaligen Zeil u. a. einen Vorgang aus, der 
Alers Gedächtnis in Köln lange erhalten hat, bei der Weihe einer 
Marienstatue im Atrium des Gymnasiums. Hartzheim rechnet sie 
wohl mit Recht Aler als Verdienst an, verlegt den Vorgang aber 
irrtümlich ins Jahr 1691. Tatsächlich wurde nach dem Zeugnis der 
Tagebücher am 7. Juli 1696 der Grundstein von P. Henricus Cuperus 
Regens und P. Paulus Aler Subregens gelegt, am 16. August die 
Säule errichtet, am folgenden Tage die Statue aufgesetzt und am 
22. August die Weihe vollzogen. Dem Grundstein waren außer den 
Namen Jesus und Maria und dem Kreuz in der Mitte zum Gedächtnis 
an den Regenten und Subregenten die Initialen P. H. C. R. und 
P. P. A. S. eingemeißelt. Die Weihe schloß sich an eine feierliche 

9. 131 



Prozession der Schule an, an der fünf Bürgermeister als Mitglieder 
der Sodalitas Annunciata major in Mitte eines Ehrengefolges von 
Stadtsoldaten teilnahmen. 

Während die Mariensäule, in anderen Kollegien, z. B. 1707 in 
Aachen, 1715 in Essen nachgeahmt, Jahrzehnte hindurch die ins 
Gymnasium tretenden Schüler zur Verrichtung einer kleinen Andacht 
eingeladen hat, verfiel ein anderes Werk Alers kurz nach seinem 
Tod einem großen, am 11. November 1727 ausbrechenden Brande: 
das neue Schultheater, dessen kostspieliger und prächtiger Bau 
auf Geheiß des Provinzials Heinrich Weisweiler am 9. März 1700 
begonnen und bereits im Herbst ds. J. durch eine sechsmalige, 
auch durch die Anwesenheit des Kurfürsten Joseph Clemens aus- 
gezeichnete Aufführung von Alers Musikdrama ,, Urania" eingeweiht 
wurde, und das im Jahre 1709 hinzugefügte sogenannte Antitheater, 
ein amphitheatralisch aufsteigender Zuschauerraum, dessen vordere 
Bänke für die Vornehmen mit rotem Leder oder grünem Tuch 
ausgestattet waren. Hartzheim beschreibt uns in seiner 1747 erschie- 
nenen Bibliotheca Coloniensis, also lange nachdem im Jahre 1729 
den Litterae annuae zufolge eine neue Bühne erstanden war, mit 
lebhaften Farben die durch Gegengewichte ermöglichte Leichtigkeit 
des Dekorationswechsels und die großartigen Maschinen, durch 
die u. a. Entführung und Flug von Personen durch die Luft, der 
Niedergang von Genien und ganzen Chören aus den Wolken 
dargestellt werden konnten. Wie Aler in seiner Apologie (1711) 
angibt, war das Werk ein Konkurrenzunternehmen gegen die 
Laurentianer: ,,Weil die Professoren des Laurentianum durch Auf- 
führungen in ihrem neuen Theater sich in den ersten Jahren einen 
großen Namen gemacht hatten, so hielten unsere Obern es für 
durchaus nötig, daß wir ein neues Theater errichteten." Ist das 
richtig, so dürften wir, selbst wenn Alers Nekrolog in den Litterae 
annuae (1727) es nicht andeutete, annehmen, daß die Konkurrenz 
auch bei den Hauptaufführungen am Schluß des Schuljahres 
(September) insofern eine Rolle spielte, als Aler nicht, wie sonst 
üblich, dem jeweiligen Magister der Rhetorik die Bearbeitung eines 
Stückes überließ, sondern sie selbst in die Hand nahm. Jedenfalls 
hatte die Konkurrenz hier eine erfreuliche Wirkung. Indem sie Aler, 
der stets aus den praktischen Bedürfnissen des Tages heraus zur 
Feder griff, zu immer neuen und immer vollendeteren dichterischen 
und musikalischen Schöpfungen antrieb, hat sie einen der begab- 
testen und fruchtbarsten Theaterschriftsteller der Jesuiten hervor- 
gebracht. Die Zahl seiner Dramen, auf die des näheren einzugehen 

132 



hier der Raum mangelt, ist wie die der übrigen Werke nach meinen 
Untersuchungen durch die Aufzählungen Bahlmanns und Sommer- 
vogels keineswegs erschöpft. Wenn seine Poesie bald darauf dem 
Spotte des Kölner Satirikers Lindenborn verfiel, so lag der Haupt- 
grund wohl darin, daß der Zeitgeschmack sich allmählich vom 
Barockdrama der Jesuiten abwandte. Von anderen Stücken erschien 
in der Regel nur das Programm (Synopsis) in Druck, von Alers 
Dramen der ganze Text, auch bei verschiedenen Neubearbeitungen. 
Die September-Aufführungen fanden meist zweimal statt, und an die 
zweite schloß sich die Preisverteilung an; Alers Stücke wurden oft 
und seit 1707 sogar stets dreimal gegeben, vielleicht in Konkurrenz 
mit den Laurentianern, bei denen die dreimalige September-Auf- 
führung Sitte war. Auch bei besonderen festlichen Gelegenheiten 
stellte sich seine dramatische Muse ein, so bei einer Ehrung zweier 
Kirchenfürsten und anderer hohen Herren im Jesuitenkolleg am 
22. August 1706 und beim Jubelfest der Bürgersodalität am 
14. September 1708, als der Kölner Magistrat dem Dichter als Aner- 
kennung 200 Ratszeichen (zu 1 Gulden 15 Albus) verehrte. Über 
diese Aufführung, die als Schlußvorstellung des Schuljahres noch 
dreimal wiederholt wurde, vgl. auch A. Müller, Die Kölner Bürger- 
sodalität (1608-1908), Paderborn 1909, S. 115 ff. Während Aler 
für solche großen Aufführungen auch die Regie übernahm und 
sogar persönlich in der Bonner Theatergarderobe des Kurfürsten 
die Kostüme aussuchte, überließ er die Dialoge der Infimisten, 
Sekundaner und Syntaxisten, ferner die teils wöchentlichen, teils 
monatlichen Deklamationen der Poeten und Rhetoren während 
des Schuljahres meist den Lehrern. Aber auch bei diesen in be- 
scheidenem Rahmen gehaltenen Übungen merkt man den Geist 
Alers in der ungewöhnlichen musikalischen Umrahmung der einen 
oder anderen. Zwar tadelte er die Lehrer der Infima und Sekunda, 
die für die Dialoge ihrer Klassen am 5. und 6. Juni 1710 Trompeten 
und Pauken zugezogen hatten, aber er vergaß, daß er selbst kurz 
vorher, am 29. März, eine gewöhnliche wöchentliche Deklamation 
der Poeten zu einem Ohrenschmaus hoher Zuhörer ausgestaltet 
hatte, als er den Schüler dieser Klasse Johann Jakob von Hittorf 
aus Köln ein von ihm verfaßtes Lied, „das auch in Druck erschien", 
singen ließ. Gerade dieser Schüler lieferte den Beweis, daß die 
andauernden deklamatorischen, gesanglichen und schauspielerischen 
Übungen, in Verbindung natürlich mit guten Anlagen, auch höheren 
Anforderungen genügende künstlerische Leistungen zu Wege brach- 
ten. Er hatte bereits im September 1709 in einem Stücke, das die 

133 



Rückkehr des jungen Tobias aus der Stadt Rages schilderte, in 
der Rolle der Sara durch sein schauspielerisches Geschick, durch 
Gesang und Saitenspiel allgemeine Bewunderung hervorgerufen 
und wurde im September 1711, als er mit der Partie der Ansberta 
in dem Stücke ,, Ansberta und Bertulfus" vier Jahre nacheinander 
eine Hauptrolle übernommen hatte, durch einen ersten Preis für 
gutes Spiel auf offener Bühne ausgezeichnet. Gerühmt wurden als 
Spieler auch der Kölner Kaspar Godesberg und der Bassist Berning, 
beide wiederholt mit ersten Rollen betraut, doch scheint letzterer 
kein Schüler gewesen zu sein. 

Besonders strenge sah Aler darauf, daß bei den kleinen Auf- 
führungen der unteren Klassen im Sommer keine Frauen zugelassen 
wurden, worauf seit 1714 die Provinziale auch die Aufmerksamkeit 
der anderen Ordensgymnasien mehr hinlenkten, und ließ lieber 
im Mai 1699 besondere Vorstellungen für Frauen geben — er 
hielt es später in Aachen (1722) ebenso — , als daß er sie unter 
den Zuschauern duldete. Zwar drängte sich zu einer Komödie der 
Syntax (20. Juli 1705) die Mutter des erwähnten Godesberg ein, 
weil ihr Sohn mitspielte, während der Bürgermeister Beyweg, der 
aus dem gleichen Grunde erwartet wurde, sich damit begnügte, 
den Lehrern seines Sohnes Naschwerk und Wein zu schicken. 
Als aber acht Tage später bei einem Dialoge der Infimisten zwei 
Kölner Damen den Versuch wiederholten, blieb Aler selbst weg, 
um nicht, wie er sagt, durch die Anwesenheit des Regenten die 
Anwesenheit der Damen zu rechtfertigen. Seitdem ist es, soweit 
wenigstens Alers Tagebücher reichen, keiner Kölnerin mehr ge- 
lungen, das Theaterspiel der Kleinen zu beobachten. 

Die gleiche Strenge zeigte Aler im eigentlichen Schulbetrieb. 
Wenige Studienpräfekten haben wohl so oft, wie er, durch münd- 
liche Prüfungen und Aufgabe schriftlicher Arbeiten, nicht etwa 
bloß am Schluß, sondern im Laufe des Schuljahres sich von den 
Fortschritten der Schüler und den Leistungen der Lehrer persönlich 
überzeugt. Galt es den durch besondere Vorrechte ausgezeichneten 
Klassenmagistrat zu bestellen, der aus den besten Leistungen in 
den Klassenarbeiten hervorging, so nahm er wenigstens einmal 
jährlich in jeder Klasse dem Lehrer die Sache aus der Hand, 
indem er selbst das Thema stellte und die Arbeiten bewertete. 
Von den Übersetzungsvorlagen, die er in Köln gab, ist meines 
Wissens nichts erhalten, doch sind die später am Aachener 
Gymnasium gestellten Aufgaben von ihm in seiner Theoparusia 
(1722) herausgegeben worden. Ich veröffentlichte sie z. T. in der 

134 



Geschichte dieses Gymnasiums als Beweise der weitreichenden 
Lateinl<enntnisse an den damaligen Jesuitenschulen sowie als Proben 
eines guten d. h. volkstümlichen Deutsch aus einer Zeit, in der 
die deutschen Texte der Latein schreibenden Gelehrten, auch der 
Jesuiten, meist nur durch wortgetreue Übertragung ins Lateinische 
verständlich werden. 

Die Strenge des Studienpräfekten ist den Lehrern wohl mitunter 
unbequem geworden, aber sie fanden, wie sich aus den Tagebüchern 
ergibt, am Rektor Dham einen um so nachgiebigeren Oberleiter, 
so der Magister der Rhetorik, als er am 7. März 1705 erst die 
zweite wöchentliche Deklamation des Jahres „wegen körperlicher 
Schwäche" abhielt. Am 13. November 1705 kam es zwischen Aler 
und seinem Rektor zu einer Auseinandersetzung, weil dieser den 
Lehrer des Griechischen Pater G. Koch zum Ärger der übrigen 
Lehrer für eine Woche vom Unterricht befreit hatte. Auf die Vor- 
stellungen Alers wurde der Rektor zornig und rief: „Ich bin der 
Rektor und will es so haben." Aler erklärte, daß er sich bei den 
Obern beschweren werde. Seit der Zeit häufen sich bei ihm die 
Verstimmungen gegen den Rektor, wie gegen diejenigen, die ohne 
sein Wissen mit dem Rektor die Schule berührende Abmachungen 
trafen. Er vermerkt es im Tagebuch übel, daß der Leiter der 
lateinischen Sodalität Moers die Andacht ausfallen ließ (29. Novem- 
ber und 20. Dezember 1705), daß seitens des akademischen 
Kanzelredners Koch die Vorlesung der Passion oder die Predigt 
unterblieb (31. März und 30. Mai 1706), daß der Professor der 
Logik Heinsberg sich im Katechismusunterricht vertreten ließ, weil 
er mit dem Rektor in die Stadt zu seiner Mutter ging (11. April 
1706). Etwas boshaft ist sogar Alers Bemerkung im letzten Falle: 
„Pater Weisweiler erlaubte nie, daß einer der Lehrer aus der Schule 
blieb wegen eines Essens in der Stadt, weil die Schüler sofort 
bemerken, ihr Lehrer sei zu einer Kneiperei gegangeii." Die 
Verstimmung zwischen Aler und seinem Rektor, für die auch 
die Vermerke in den Tagebüchern zum 14. Dezember 1705 und 
15. Mai 1706 zeugen, scheint frühe außerhalb des Kollegs bekannt 
geworden zu sein. Erklärte doch in einer Verhandlung der theo- 
logischen Fakultät am 29. Mai 1705 nach den Aufzeichnungen 
Alers der ihm nicht gewogene Peter Hausman: den Pater Aler 
könne selbst die Gesellschaft Jesu nicht in Schranken halten. 

Derartige Unstimmigkeiten im Kolleg müssen wir berühren 
zur Erklärung einer im Jahre 1711 verfaßten Apologie Alers, von 
der sich leider nur einige Blätter des ersten Entwurfs im historischen 

136 



Archiv der Stadt Köln erhalten haben. Gegen wen die Apologie 
gerichtet ist, wird hier nicht gesagt, doch können es keine Gegner 
außerhalb des Ordens, sondern nur innerhalb des Ordens gewesen 
sein, weil Aler seine Verdienste um den Orden und das Jesuiten- 
gymnasium hervorhebt, an denen kein Auswärtiger Interesse hatte: 
die von ihm für den Orden glücklich gewonnenen Prozesse, die 
von ihm bei der Universität im Jahre 1709 wieder durchgesetzte 
Verleihung von praebendae tertiae gratiae an frühere Schüler des 
Tricoronatum, die lange Reihe der unter seiner Regentschaft zu 
Benefizien gelangten Pastöre. Wichtig für den Besuch der Anstalt 
war es, daß, wie Aler hier angibt, durch seine Bemühungen beim 
Kölner Magistrat den Präzeptoren der Gymnasien (d. h. den älteren 
oder früheren Schülern, diefür die jüngeren in der Stadt sogenannte 
Silentien abhielten) das von Pastoren, Elementarlehrern usw. 
angefochtene Recht nicht verkümmert wurde, nicht nur Schüler des 
Gymnasiums zu unterrichten, sondern auch den zur Aufnahme in 
die unterste Klasse erforderlichen Anfangsunterricht im Lateinischen 
den sogenannten Tirones zu erteilen; denn hätten die Lehrer und 
Unterlehrer der Pfarrschulen, so erläutern die Annuae des Jahres 
1708, das Monopol des Vorbereitungsunterrichtes erhalten, so würden 
die Abc-Schützen unter dem Einflüsse ihrer Lehrer, die meist 
andere Gymnasien besucht haben, dem Tricoronatum ferngeblieben 
sein. Auf anderen Blättern beweist Aler — und aus der Verteidigung 
ergeben sich die ihm gemachten Vorwürfe von selbst — , daß das 
Tricoronatum mit Berücksichtigung der Umstände an Zahl wie an 
gesellschaftlichem Rang der Schüler vor dem Laurentianum und 
gegenüber früheren Jahren nicht zurücksteht, aber auch, absolut 
genommen, mehr blüht als früher, daß im besonderen gleichviel 
oder noch mehr Einheimische es besuchen als sonst. Einige be- 
sonders interessante Angaben mögen hier Platz finden: 

1. Unter die Umstände, die nach Alers Ansicht das Studium 
in Köln seit den Jahren 1660—1670 ungünstig beeinflußt haben, 
ist die Konkurrenz neuer Anstalten im westlichen Deutschland, 
im besonderen die Einrichtung des philosophischen Studiums in 
Luxemburg, Aachen, Düsseldorf, Coblenz usw. und der niederen 
Schulen in Attendorn, Wipperfürth, Linz, Berchem, Kaster usw. 
zu rechnen, ferner der Ausschluß aller aus Frankreich, auch aus 
dessen neuen Gebietsteilen stammenden Schüler und die Kriegs- 
wirren im allgemeinen. 

2. Aus den folgenden Abschnitten, die beweisen sollen, daß 
seit dem Beginn von Alers Subregentschaft das Laurentianum dem 

136 



Tricoronalum inbezug auf Vornehmheit und Zahl der Schüler 
nachsteht, ist die Aufzählung der vielen Söhne von Fürsten, Grafen, 
Baronen, Kölner Patriziern, Ratsmitgliedern und Großkaufleuten 
wichtig, die unter Aler das Tricoronalum besucht haben. Da ihm 
die Schülerlisten des Laurentianum nicht zu Gebote stehen, so 
verweist er für den Zweck seines Beweises auf die Auszählungen 
der Laurentianer, besonders der Schüler „mit den roten Mänteln' 
(der Vornehmen) anläßlich der letzten Römerfahrt und andere un- 
genaue Quellen. Zuverlässig erscheint hier nur das Zeugnis 
der Universitätskataloge, wonach bei der Immatrikulation der 
Philosophen in den Jahren 1710 und 1711 die Jesuiten 20 
beziehungsweise 14, die Laurentianer nur 10 beziehungsweise 5 
Nobiles hatten. Die Gesamtzahl der immatrikulierten Logiker war 
im letzten Jahre beim Tricoronatum 104, beim Laurentianum 89 
(unter ihnen 10 frühere Rhetoriker der Jesuiten). Daß die Lauren- 
tianer im Jahre 1711 mehr Baccalaureen als die Jesuiten hatten, 
führt er auf einen Betrug jener zurück. Er beschuldigt sie ebenso 
wie die Montaner auf Grund der Mitteilungen des Professors der 
Montaner Stangenfelt, sich die Logiker mit Geld zu kaufen, für 
die Römerfahrt, die öffentlichen Disputationen in der Schola Artium, 
die Entlassung der Metaphysiker und andere feierliche Gelegenheiten 
herumstrolchende Studenten anzuwerben, in ihren Thesenverzeich- 
nissen die Namen längst abgegangener oder verstorbener Logiker 
zu drucken und so auch bei den Promotionen zum Baccalaureat 
sich Leute durch Erlaß der Gebühren und freie Bewirtung zu 
verschaffen. Nur für ein einziges Jahr (seit 1690) gibt Aler zu, 
daß die Logik der Laurentianer besuchter gewesen sein könnte 
als die der Jesuiten. 

3. Festere Grundlagen gewinnt Aler erst, als er den Beweis 
antritt, daß das Tricoronatum nicht nur in Anbetracht der (oben 
erwähnten) Umstände, sondern auch absolut genommen, mehr 
Schüler und im besondern auch mehr Kölner Schüler zählt als 
vor seiner Regentschaft. Hier kann er etwa 40 Jahre rückwärts 
die Frequenz jeder Klasse angeben. Fassen wir sein Zahlen- 
material der Kürze wegen zusammen, so hatte die Rhetorik des 
Tricoronatum in den Jahren 1671 — 1675: 63—88 Schüler, in den 
Jahren 1685—1690: 73—89, seit 1690 zu Alers Zeit 80— 113; die 
Poetik in den angeführten Zeiten 87-97, 73—100, 90—107 Schüler; 
die Syntax 115, 105—137, 118—150 Schüler. Die Sekunda hatte 
vor Aler gewöhnlich 93— 96, ausnahmsweise 131, seit 1690 gewöhn- 
lich 98 — 108, ausnahmsweise 143 Schüler. In der Infima saßen vor 

J37 



Alers Subregentschaft 143—195, seit dieser Zeit 152—207 Schüler. 
Wie diese unsere heutige Lehrerschaft erschreci<enden Gesamt- 
zahlen, dürften auch in Zusammenfassung die Zahlen der Ein- 
heimischen interessieren. Vor dem Jahre 1690 befanden sich in 
der Rhetorik 35—40, in der Poetili 37—46, in der Syntax 53 -69, 
in der Sekunda 38—59, in der Infima 64—93 Kölner, seit der Zeit 
(bis 1711 einschließlich) in der Rhetorik 40—50, in der Poetik 
41—57, in der Syntax 52-86, in der Sekunda 49-62, in der 
Infima 80—98 Kölner. 

Aus den vorliegenden Zahlen ergibt sich ohne Zweifel, daß das 
Tricoronatum unter Alers Leitung an Schülerzahl nicht ab-, sondern 
zugenommen hat. Und wenn der aus der Art seiner Verteidigung 
abzuleitende Vorwurf von Ordensgenossen, er habe durch seine 
Strenge Schüler des Tricoronatum, besonders die Kölner Jugend, 
von diesem weg und den Konkurrenzanstalten zugetrieben, inso- 
fern begründet sein sollte, daß verschiedentlich ältere Schüler 
(Rhetoriker) zur Philosophie bei den Laurentianern übertraten, 
weil sie dort mehr Freiheit genossen, so würde das für Aler 
keinen Tadel, sondern ein Lob bedeuten, weil eine hohe Frequenz 
nur dann Beachtung verdient und den gesunden Zustand einer 
Lehranstalt bezeugt, wenn sie nicht durch Minderforderungen an 
Arbeitsleistungen und Disziplin der Schüler billig erkauft wird. 
Aber vielleicht war es nicht die Strenge gegen die Schüler, welche 
ihm einzelne Ordensgenossen übelnahmen, sondern sein strenges 
Wesen im Verkehr mit ihnen selbst. Er, der in der gewissenhaften 
Erfüllung seiner vielen Amtsgeschäfte in Verbindung mit einer 
umfangreichen Schriftstellerei sich die größten Anstrengungen zu- 
mutete und eine Erholung kaum kannte, hat jedenfalls die pein- 
liche Auffassung der Pflicht, an die er sich gewöhnt hatte, auch 
von anderen gefordert. Wo er in den Tagebüchern gegen Ordens- 
genossen bittere Bemerkungen macht, geschieht es, wie wir oben 
sahen, wegen einer von ihm angenommenen Lässigkeit. Ein 
solcher Fall führte auch zu einem nachhaltigen Konflikt mit dem 
Rektor Dham, wobei Aler, so Recht er im Grunde haben mag, 
vergißt, daß dieser auch in Schulangelegenheiten sein Vorgesetzter 
ist, dem er besonders als Jesuit sich einfach unterzuordnen hat. 
Dazu mögen noch andere Gegensätze gekommen sein. In den 
Streitschriften der Feinde Alers in der Universität wird oft der 
Kampfeslust Alers die Friedensliebe anderer Kölner Jesuiten gegen- 
übergestellt. Sicher ist, daß der Rektor Dham seinem Regenten 
in den verschiedenen Prozessen alle Unterstützung geliehen hat, 

138 



und doch erklärt der Pastor von St. Kolumba Peter Hausman in 
seiner dritten Suppliii an den päpstlichen Nuntius vom 3. April 1708 
(Vera relatio) den Rektor des Kollegs für einen zum Frieden 
geneigten Mann, während er die Neigung zur Fortsetzung der 
Streitigkeiten mit verblümten Worten Aler zuschiebt. Zu der Feind- 
schaft, die dieser durch die im Interesse des Ordens geführten 
Prozesse sich in der Kölner Universität zugezogen hatte, scheint 
in Ordenskreisen eine Gegnerschaft seines Systems gekommen zu 
sein, das bei der strengen Vertretung der Ordens- und Schul- 
interessen persönliche Rücksichtnahme nicht duldete. Ob dadurch 
die Tätigkeit Alers in der Art erschwert wurde, daß seine Obern 
ihn abberiefen, wissen wir nicht, besonders da Aler sich im Tage- 
buch völlig ausschweigt und vom 2. Januar 1712 bis zum 20. April 
1713 jede Eintragung unterläßt. Unter letzterem Datum findet sich 
nur die kurze Notiz: „P. Paul Aler schied aus dem Amte eines 
Regenten und ging von Köln nach Trier am 20. April (1713). 
Als Nachfolger ließ er zurück P. Peter Dham" (also seinen früheren 
Rektor). Sollte die Absicht der Jesuitenobern gewesen sein, den 
nachgiebigeren Dham zur Versöhnung persönlicher und anderer 
Gegensätze zu bestellen, so werden sie doch nicht die außer- 
ordentlichen Verdienste verkannt haben, die sich Aler um den 
Orden und seine Kölner Schule, zu deren größten Regenten er 
zu rechnen ist, erworben hatte. Ihm selbst war die Tätigkeit als 
Studienpräfekt in einem kleinern Wirkungskreis, den er in Jülich 
schloß, wohl zu gönnen. Nachdem ihn dort ein Schlaganfall 
getroffen hatte, lebte er noch zwei Jahre im Dürener Krankenhaus. 
An der linken Seite vom Kopfe bis zu den Füßen so gelähmt, 
daß er ohne Hilfe weder das Bett verlassen noch im Bette selbst 
die Lage ändern konnte, mußte er, der früher rastlos tätige Mann, 
die erzwungene Untätigkeit um so schmerzlicher empfinden; aber 
aus dem unerbittlichen, ja rücksichtslosen Kämpfer für seine Ideale 
war ein Held der Geduld und christlichen Ergebenheit geworden. 
Rührend ist in dem Nekrolog, den ihm ein Dürener Genosse in den 
Annuae des Jahres 1727 schreibt, die Mitteilung, daß, wenn er 
aus der Betäubung, in die er oft verfiel, zu sich kam und gefragt 
wurde, wohin sich seine Gedanken verloren hätten, er lächelnd zu 
sagen pflegte: „ich wollte Theaterstücke schreiben." Am 2. Mai 
1727 starb der Mann „von kurzen Schultern, aber herkulischem 
Geiste", trotz seiner mehr als 70 Lebensjahre noch nicht ergraut, 
als starker und doch starrer Charakter ein echter Sohn des 
Eifellandes. 

139 



Hermann Joseph von Hartzheim. 

Von Oberlehrer Dr. Kemp in Köln-Kalk. 

Im 18. Jahrhundert steht unter den Regenten des Dreikronen- 
gymnasiums der Dr. theol. Hermann Joseph von Hartzheim 
wegen seines wissenschaftlichen Eifers und seiner gelehrten 
Kenntnisse ohne Zweifel an erster Stelle. Er entstammt einer alt- 
angesehenen Kölner Familie. Sein Vater, der Ratsherr Dr. utriusque 

juris Ignaz Konrad 
von Hartzheim, besaß 
aus seiner Ehe mit 
Gudula Sophia von 
Herrestorff neun Kin- 
der, unter denen sich 
vornehmlich drei 
Söhne als wissen- 
schaftlich tüchtige 
Männer durch ihr 
Wirken in Staat und 
Kirche hervorgetan 
haben. Sie haben alle 
drei den auch damals 
noch sehr geschätzten 
Unterricht der Jesu- 
iten am Dreikronen- 
gymnasium erhalten. 
Der ältere Gottfried 
Balthasar (geb. 14. 
Sept. 1676, gest. 12. 
Dez. 1731) trat in die 
Fußstapfen desVaters; 
als Ratsherr und vielfach Mitglied bei der Verwaltung der städ- 
tischen Ämter hat er sich durch Berufstüchtigkeit und Pflichteifer 
ausgezeichnet. Der durch weite Reisen gebildete Mann legte ein 
umfangreiches Kunstkabinett an und sammelte als erster in Köln, 
dem Zuge seiner Zeit folgend, naturwissenschaftliche Seltenheiten. 
Diese Sammlungen kamen nach seinem Tode in den Besitz der 
Jesuiten. Ein Verzeichnis und eine Beschreibung der später 
zerstreuten wertvollen Stücke verdanken wir seinem Freunde, 
dem Geographen und Historiker Ignaz von Roderique. 




]40 



Sein jüngerer Bruder Kaspar (geb. 26. Mai 1678, gest. 2. April 
1758) nahm, nachdem er im Jaiire 1698 an der artistischen Fakultät 
der Kölner Hochschule mit Auszeichnung die Würde eines Magisters 
erworben hatte, am 31. Mai desselben Jahres das Ordenskleid des 
hl. Ignatius. Er hat später als Professor an den Jesuitengymnasien 
zu Münstereifel, Trier, Paderborn, Coblenz und Düsseldorf gewirkt; 
am Dreikronengymnasium in Köln verwaltete er lange das Amt 
eines Subregens, noch dann, als sein Bruder Hermann Joseph, 
der einst seinen Unterricht genossen hatte, dort Regens war. In Köln 
starb er hochbetagt an Wassersucht. Schriftstellerisch trat er durch 
eine Reihe von Abhandlungen meist theologischen Inhalts hervor; 
wichtiger ist seine auch heute noch lesenswerte Schrift über den 
Kirchenpolitiker und Philosophen Kardinal Nikolaus von Cues. 

Weitreichender und fruchtbarer war das Wirken des jüngsten 
Sprossen aus dem Hartzheimschen Hause. Hermann Joseph wurde 
am 12. Januar 1694 in St. Lupus zu Köln getauft. Auf dem Drei- 
kronengymnasium vorgebildet, bestand er am 6. Juni 1710 die 
zur Aufnahme in die artistische Fakultät befähigende Prüfung; 
am 19. Januar 1712 erwarb er dann die Würde eines „Magister 
artium", wodurch ihm eine der drei übrigen Fakultäten offen stand. 
Der Jüngling aber folgte vorerst dem Beispiele seines Bruders 
Kaspar; am 3. Mai 1712 begann er sein Noviziat im Jesuiten- 
kloster zu Köln. Sein Probejahr verbrachte er in Trier und wirkte 
darauf mehrere Jahre als Lehrer an der Jesuitenschule zu Luxem- 
burg. Seiner, wie uns versichert wird, recht segensreichen Lehr- 
tätigkeit verdanken zwei Schriftchen, die er damals herausgab, 
ihren Ursprung. Neben einem Lehrbuche der Weltgeschichte 
bereicherte er die Jesuitenbühne durch die Tragödie Belisar; das 
Theaterstück wurde erstmals am 23. Februar 1718, nachmittags 
2 Uhr, von der Poetica (4. Klasse) des Luxemburger Gymnasiums 
aufgeführt. 

Im Jahr 1719/20 widmete er sich theologischen Studien an 
der Kölner Hochschule und ward dann zur weiteren Vertiefung 
seiner Kenntnisse von seinen Ordensoberen nach Mailand gesandt. 
Dem Prinzip des Lernens und Lehrens entsprechend, das, wie im 
Mittelalter, so auch die Einrichtung der damaligen Universitäten 
noch beherrschte, lehrte Hartzheim in Mailand gleichzeitig die 
Elemente der griechischen und hebräischen Sprache. Dieser drei- 
jährige Aufenthalt in Italien aber ward bedeutungsvoll für den 
lebhaften, wißbegierigen Jüngling, einmal durch die reichen An- 
regungen, die ihm aus dem Besuche der wertvollen Bibliotheken 

141 



und Archive flössen, und dann wieder durch die auch später fort- 
gepflegte Freundschaft mit hervorragenden Gelehrten, die gerade 
das damalige Italien in stattlicher Zahl aufzuweisen hatte. In 
Mailand selbst wirkte sein Ordensbruder, der als Mathematiker 
und Dichter gleichberühmte Tommaso Ceva; mit ihm sowie mit 
Italiens bedeutendstem Historiker Lodovico Antonio Muratori, 
der damals Bibliothekar in Modena war, trat Hartzheim in freund- 
schaftlichen Verkehr. Bei einem Besuche in Rom machte er die 
Bekanntschaft des gefeierten Orientalisten Assemani und des ge- 
lehrten Sammlers Kardinal Dominicus Passionei. Ihm, dem nach- 
maligen Präfekten der Vatikanischen Bibliothek, pflegte Hartzheim 
noch in späteren Jahren die Werke seines gelehrten Fleißes in 
dankbarer Erinnerung zu übersenden. 

Den Jesuiten kam es natürlich darauf an, einem so vielver- 
sprechenden Geiste wie Hartzheim, der zudem einer der führenden 
Kölner Familien entstammte, Eingang in den Lehrkörper der 
Universitätseiner Vaterstadt zu verschaffen. Nach altem Herkommen 
aber konnte nur derjenige Anspruch auf einen Lehrstuhl an einer 
der drei Fakultäten machen, der in Köln den Doktorgrad erworben 
hatte. An Hartzheims Promotion knüpft sich nun ein in den 
Kölner Universitätsakten viel berührter Streit. Am 14. Dezember 
1723 wird er nebst Daniel Ramus von dem Rektor des Jesuiten- 
kollegs der theologischen Fakultät zur Promotion präsentiert. Die 
Fakultät wies beide zurück, Hartzheim, weil er sich damals noch 
in Mailand aufhielt, also ortsabwesend sei. Freilich war der Zeit- 
punkt recht ungünstig gewählt; noch zitterte die Erbitterung gegen 
die Jesuiten nach, die kurz vorher mit Unterstützung des Rates 
versucht hatten, gegen den Willen des übrigen Lehrkörpers Vor- 
lesungen über kanonisches Recht und Geschichte zu halten. Im 
Verlauf des Streites hatte sich der P. Rektor in einem Briefe an 
den Rector Magnificus zu der Bemerkung verstiegen, daß sie, 
die Jesuiten, weder der Universität noch dem Rector Magnificus 
unterständen. Erst nach langen Verhandlungen und einem klugen 
Einbiegen der Jesuiten wurden die Kandidaten am 30. Mai 1724 
,,ad utrumque principium et licentiam" zugelassen. Der feierliche, 
damals mit großem Gepränge verbundene Promotionsakt fand 
am 7. Februar 1730 unter gewaltigem Zulauf statt; die Feier 
beschloß ein „wahrhaft akademisches" Mahl im Jesuitenkolleg. 

Als Professor behandelte Hartzheim anfangs die Dogmatik und 
widmete sich später vornehmlich der Bibelexegese. Es wird berich- 
tet, daß zu seiner Zeit und hauptsächlich auf seine Anregungen 

142 



hin das theologische Studium an der Kölner Universität einen 
neuen Aufschwung genommen habe. Er reorganisierte die gelehrten 
Disputationen, und noch in späteren Jahren pflegte man mit 
Bewunderung darauf hinzuweisen, wie unter seinem Vorsitze sein 
Schüler Jakob Settegast in griechischer Sprache über einige Glau- 
benssätze disputiert habe. Er regte seine Schüler zu wissenschaft- 
lichen Arbeiten an und gab selbst, jeweils am Schlüsse des Sommer- 
semesters, eine historisch-kritische Arbeit aus dem Gebiete der 
Bibelwissenschaft heraus. 

Im Jahre 1736 wurde ihm die Leitung des Dreikronengymna- 
siums anvertraut, und auch hier hat der pädagogisch tüchtige 
Mann in vierundzwanzigjähriger Tätigkeit Hervorragendes geleistet. 
Aufmerksam überwachte er besonders den Wandel der Studenten, 
er suchte das Studium des Griechischen wieder zu beleben und 
sicherte dem eben erst in den Lehrplan aufgenommenen Studium 
der Geschichte seine Stellung. Die Lehrbücher unterzog er einer 
eingehenden Revision. Durch Beispiel und Rat hat er ebenfalls 
reformierend auf die Gymnasien der ganzen Ordensprovinz ein- 
gewirkt. Die Schülerzahl des Dreikronengymnasiums war, wie 
Hartzheim in seiner Geschichte dieser Schule angibt, wesentlich 
gesunken, vornehmlich infolge der vielen Neugründungen von 
Gymnasien in den Nachbarstädten. Unter seiner trefflichen Leitung 
aber erreichte die Schule noch einmal ihren Ruhm wie in alten 
Tagen. 

Den gleichen tätigen Eifer bekundete er auch seiner geist- 
lichen Behörde gegenüber. Lange Jahre fungierte er als Prosy- 
nodal-Examinator und Prüfungskommissar zum Empfang der hl. 
Weihen. Die apostolischen Nuntien in Köln bedienten sich gern 
seines kenntnisreichen Rates. Nachdem er im Jahre 1759 seine 
Professur und die Leitung des Dreikronengymnasiums niedergelegt 
hatte, wirkte er, unermüdlich tätig bis zu seinem Lebensende, als 
Domprediger. Einst hatte er in Mailand die landfremden deutschen 
Soldaten, die dort zur Besatzung lagen, um sich versammelt und 
durch seine begeisternde Predigt zur christlichen Tugend angeeifert. 
Dürfen wir der Tradition glauben, so hatte er auch im Alter 
nichts von dem Feuer seiner Rede eingebüßt. Seine ebenso geist- 
volle wie volkstümliche Art, die christlichen Wahrheiten darzulegen, 
sicherte ihm einen großen Zuhörerkreis aus allen Berufsständen. 

Hartzheims Name ist bekannter geworden durch eine Reihe 
historischer Schriften, die er in den beiden letzten Jahrzehnten 
seines Lebens herausgab. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 

143 



hatte mit dem Aufschwung der Realien auch das Studium der 
Geschichte an den deutschen Universitäten fast allenthalben Ein- 
gang gefunden. Die katholischen Universitäten West- und Süd- 
deutschlands blieben hierin nicht zurück. In Köln begann im 
Jahre 1723 der Jesuit Ludwig Henseler im Auftrage und auf 
Kosten des Rates seine historischen Vorlesungen in der Aula des 
Dreikronengymnasiums. Der Opposition der anderen Professoren 
gegenüber aber — als „sei das gegen der Universität uralte Privi- 
legien" — mußte der Rat, wie wir sahen, nachgeben; Henseler 
stellte seine Vorlesungen ein. Gleichwohl zeigte sich der neu 
erwachte Zeitgeist stärker als die konservative Engherzigkeit des 
Kölner Gelehrtentums. Im Jahre 1733 erhielt der damals recht 
geschätzte Diplomatiker Johann Ignaz Roderique, der Freund und 
Mitarbeiter Johann Georgs von Eckhart, vom Kölner Rate den 
Auftrag, an der artistischen Fakultät geschichtliche Vorlesungen 
zu halten. Leider haben den kränklichen Mann seine Interessen 
später nach einer anderen Richtung geführt. Sein Jahrhundert 
kennt ihn vornehmlich als hervorragenden Politiker und Publizisten. 
Mit ihm geriet Hartzheim erstmals in einer wissenschaftlichen Fehde 
aneinander. 

In einer gegen den französischen Historiker Martene gerich- 
teten Schrift, die Superiontät der beiden Klöster Stablo und Mal- 
medy betreffend, hatte Roderique, auf Gelenius gestützt, behauptet, 
daß Köln im 8. Jahrhundert unter Karl dem Großen zum Erzbis- 
tum erhoben worden sei. Hartzheim suchte demgegenüber in 
drei Abhandlungen die Richtigkeit der Volkstradition darzutun, 
dergemäß der hl. Maternus, der Sendbote des hl. Petrus, erster 
Metropolit Kölns war. Man wird in diesen Schriften Hartzheims 
große Belesenheit bewundern; in der Wertung und Interpretation 
der Quellen zeigt sich ihm Roderique in seiner durchaus sachlichen 
und ruhigen Gegenschrift überlegen. 

Reichlich zwanzig Jahre später trat Hartzheim für diese seine 
Meinung noch einmal in einem Schriftchen gegen seinen Ordens- 
bruder Jean Perier auf, der für das Monumentalwerk der Acta 
Sanctorum das Leben des hl. Maternus bearbeitet hatte. Da 
Hartzheim in dieser Schrift sich gleichfalls gegen den gelehrten 
Kenner der westdeutschen Kirchengeschichte Johann Nikolaus 
von Hontheim wandte, mit dem er in derselben Angelegenheit 
längere Zeit korrespondiert hatte, so erschien für Hontheim der 
Trierer Professor des kanonischen Rechtes Georg Christoph Neiler 
auf dem Plane. 



144 



Wichtiger als diese StreitscJiriften sind sein 1752 erschienener 
Katalog der Dombibliothek und die 1754 herausgegebene Kölner 
Münzgeschichte. Beide Bücher sind bereits von seinen Zeitge- 
nossen scharf kritisiert worden. Freilich ist die Münzgeschichte, 
besonders hinsichtlich der beigefügten Abbildungen, rasch und 
flüchtig gearbeitet. Hartzheim wollte dem bald darauf erschienenen 
Buche des Hallenser Professors Joachim „Unterricht von dem 
Münzwesen" voraüfkommen. Indes darf man nicht aus dem Auge 
lassen, daß Hartzheim kaum größere Vorarbeiten vorfand. Zudem 
hat seine Münzgeschichte anregend für die weitere Forschung auf 
einem so wichtigen Gebiete wie die Kölner Münzgeschichte ge- 
wirkt, die neben der Trierer bis in die ältesten Zeiten der deutschen 
Geschichte hinaufreicht. Sein Katalog dagegen hat späterhin un- 
schätzbare Dienste geleistet, als es galt, die 1794 nach Arnsberg 
geflüchteten und dann nach Darmstadt verbrachten wertvollen 
Handschriften der Dombibliothek wieder zurückzufordern. 

Im Lebenswerke Hartzheims ragen neben kleineren Schriften 
— einer Erklärung der 1745 zu Hersei gefundenen ubisch-römischen 
Inschrift und einer Zusammenstellung der Akten der Kölner theo- 
logischen Fakultät — besonders zwei Arbeiten hervor, die heute 
für den Forscher noch immer sehr schätzbar sind und dem wissen- 
schaftlichen Eifer sowie dem Bienenfleiße des Verfassers das beste 
Zeugnis ausstellen. Dies sind ein den Bereich des Kölner Erzstifts 
umfassendes Gelehrtenlexikon und eine Sammlung der deutschen 
Konzilien. Das Gelehrtenlexikon ist ein jedenfalls für seine Zeit 
bemerkenswertes Buch; es enthält eine Fülle literarischer und 
biographischer Notizen, die Hartzheim bei dem Mangel größerer 
Vorarbeiten zunächst mühsam aus den Bibliotheken seines Ordens 
und anderer Klöster zusammenstellen mußte. Zwar unterstützten 
ihn dabei einige Kölner Gelehrten; von auswärtigen nennt er selbst 
anerkennend Nikolaus von Hontheim. Eine neue Ausgabe des 
Buches versprach Hartzheim im Jahre 1758, sie ist indes nicht 
erschienen. Sein Handexemplar mit zahlreichen eigenhändig ge- 
schriebenen Zusätzen und Anmerkungen besitzt heute die Kölner 
Stadtbibliothek. 

Die Sammlung der deutschen Konzilien, ein Werk, das die 
letzten Lebensjahre Hartzheims vollauf in Anspruch nahm, unter- 
nahm er auf Wunsch und Anregung des damaligen Erzbischofs 
von Prag, Johann Moritz von Manderscheid-Blankenheim. Dieser, 
der früher Domherr und Domprobst zu Köln gewesen war, hatte 
1735 seinen Kanzler, den ehemaligen Historiographen und Biblio- 

10 145 



thekar des Bischofs von Fulda, Johann Friedrich von Schannat, 
nach Italien gesandt, um dort in den Bibliotheken zu Mailand und 
Rom für eine großangelegte Konziliensammlung Material zu suchen. 
Auf der Rückreise starb Schannat 1739 in Heidelberg. Sein lite- 
rarischer Nachlaß kam größtenteils in die Hände Hartzheims. Der 
Prager forderte nun, damit das wertvolle Material nicht unbenutzt 
liegen blieb, Hartzheim auf, mit Hilfe von Schannats Papieren das 
geplante Werk durchzuführen. 

Der ehrenvolle Auftrag kam Hartzheims Neigungen entgegen. 
Er selbst hatte seit Jahren für eine Sammlung der Kölner Kon- 
zilien Stoff zusammengetragen, wozu ihm die Schätze der Dom- 
bibliothek reiches Material boten. Zudem war Köln eigentlich 
die klassische Stätte für diese Arbeiten; hier waren die ersten ge- 
druckten Sammlungen der Konzilienakten im Laufe des 16. Jahr- 
hunderts von Peter Krabbe (1538), Lorenz Surius (1567) und Severin 
Binius (1606) herausgegeben worden. Im Jahre 1758 kündete 
Hartzheim in einem Programme seine Arbeit an; diesem Programme 
folgte im nächsten Jahre der erste mit dem Bildnis des hoch- 
herzigen Stifters geschmückte Band. Hartzheim selbst hat die 
fünf ersten Bände ediert, fortgesetzt wurde das Werk, größtenteils 
auf Grund von Hartzheims Vorarbeiten, durch den Jesuiten Hermann 
Scholl und nach dessen Tode durch den P. Ägidius Neissen. Es 
umfaßt zehn Bände und einen elften von Joseph Hesselmann be- 
sorgten Index-Band; die Sammlung der Konzilien ist bis zum 
Jahre 1747 durchgeführt. Das Werk darf nebenbei auch als ein 
ehrenvolles Denkmal des Kölner Buchdrucks bezeichnet werden, als 
eine letzte Nachblüte seiner Glanzzeit während des 15. und 16. 
Jahrhunderts. 

Hartzheims handschriftlicher Nachlaß, der viel seltenes, be- 
sonders für die Kirchengeschichte wichtiges Material enthielt, ist 
zum Teil von den Franzosen weggeschleppt worden, einiges be- 
findet sich in den umfangreichen Sammlungen seines Schülers 
Bartholomäus Joseph Blasius Alfter, die heute größtenteils im 
Kölner Stadtarchiv ruhen. Aus dem Nachlasse sind hervorzuheben 
eine fast druckfertige Geschichte des Bischofs Anno mit vielen 
urkundlichen Beiträgen sowie eine Bearbeitung von Schannats 
Geschichte der Nordeifel. Dürfen wir dem gelehrten Sammler 
Baron von Hüpsch Glauben schenken, so war ursprünglich Hartz- 
heim von dem Erzbischof von Prag mit einer historischen Be- 
schreibung der Eifel betraut worden. Hartzheim habe dann dem 
Bischof angeraten, den berühmten Schannat zu berufen. Die Rich- 

146 



tigkeit der Angaben läßt sich nicht weiter nachweisen; doch 
haben nach Schannats Tode zwischen Hartzheim und dem Titular- 
bischof von Rhodiopoli, Franz Kaspar von Franken-Sierstorff, 
Verhandlungen über die Herausgabe dieses in Schannats Nach- 
laß gefundenen Werkes geschwebt. 

Hartzheim endete sein arbeitsreiches Leben als Siebenzig- 
jähriger im Jahre 1763. Als er sich am 14. Januar dieses Jahres 
morgens um 5 Uhr zum Gebet erhoben hatte, wurde er vom 
Schlage getroffen; drei Tage später, am 17. Januar, kurz vor 4 Uhr 
nachmittags hauchte er seine Seele aus. 

Gewiß gehört Hartzheim nicht zu den führenden Historikern 
seiner Zeit; in seinen Werken drängt sich oft zu sehr seine 
theologische Gelehrsamkeit vor. Aber was er als Historiker ge- 
leistet hat, entspringt zumeist der begeisterten Liebe zu seiner 
Vaterstadt, und in der Kölner Gelehrtengeschichte des 18, Jahr- 
hunderts, die nicht besonders reich ist an hervorragenden Köpfen 
und Namen, die auch über das Weichbild der Stadt hinaus Klang 
haben, nimmt er eine geachtete Stellung ein. Wie sehr er von 
seinen Zeitgenossen geschätzt war, kommt, auch wenn wir von den 
Superlativen absehen, die das an Äußerlichkeiten reiche 18. Jahr- 
hundert mit voller Hand verstreut, spontan in den ihm gewidmeten 
Nachrufen zum Ausdruck. Der Dekan der artistischen FakuUät nennt 
ihn „einen über alle Empfehlung erhabenen Mann wegen seiner 
ausgezeichneten Rechtschaffenheit, seiner gewinnenden Freund- 
lichkeit und seiner ausgebreiteten Gelehrsamkeit. So war er eine 
Zierde der Fakultät und das Ergötzen aller, die ihn kannten". 
Sein literarischer Gegner Neiler rühmt „das universale Wissen des 
Polyhistors der Ubier, der durch mannigfache Werke grammatischen, 
historischen, kritischen und polemischen Inhalts sich einen aus- 
gezeichneten Namen erworben und diesen Namen durch Heraus- 
gabe der Konzilien Deutschlands unsterblich gemacht hat'. 



10» 147 



Ferdinand Franz Wallraf. 

Von Prof. Dr. Jos. KLINKENBERG. 

Kölns Glanzperiode war längst dahin. Der großzügige Unter- 
nehmungsgeist von ehedem hatte kleinlicher Plusmacherei 
^oder dumpfer Gleichgültigkeit, der „däftige" Wohlstand 
schlecht verhüllter Armut, einträchtiger Bürgersinn widerwärtigen 
Sonderbestrebungen, hoher Gedankenflug engherziger, geisttöten- 
der Absperrung das 
Feld geräumt. Nur 
die Erinnerung an die 
dereinstige Herrlich- 
keit warf noch einen 
matten Verklärungs- 
schimmer auf die 
Trostlosigkeit der Ge- 
genwart. Inmitten sol- 
cher Verhältnisse er- 
blickteam20Julil748 
Ferdinand Franz 
Wallraf das Licht 
der Welt, ein Mann, 
dem Mutter Natur 
ein warmes Herz für 
die große Vergangen- 
heit, aber auch ein 
offenes Auge für die 
klägliche Gegenwart 
seiner Vaterstadt als 
köstliches Angebinde 
mitgegeben hatte. So 
wurde er befähigt, in 
den wilden Stürmen, 
die die altehrwürdige Colonia bald verheerend umbrausten, als ihr 
machtvoller Schirmherr die wertvollen Reste ihrer glorreichen Ver- 
gangenheit zu retten, das Unhaltbare ihrer gegenwärtigen Zustände 
zeitgemäß umzugestalten und sie so einer glücklichern Zukunft 
entgegenzuführen. Es kann hier nicht meine Aufgabe sein, das 
Wirken des vielseitigen Mannes, des Retters der alten Kölner Kunst 
und zumal unserer einzig großartigen Stiftskirchen, nach allen Rich- 




Ferdinand Franz Wallraf. 



1-18 



tungen hin zu schildern. Aber Waliraf ist von Haus aus und bis 
in sein Greisenalter Schulmann gewesen und hat sich, wie um das 
kölnische Schulwesen überhaupt, so um das Marzelleng3'mnasium 
insbesondere als Lehrer und Vizedirektor hohe Verdienste erwor- 
ben. Darum gebührt ihm auch in dieser Festschrift ein Ehrenplatz. 
Im 18. Jahrhundert befand sich das Kölner Schulwesen in einem 
verwahrlosten Zustande. Von Volksbildung im eigentlichen Sinne 
des Wortes war keine Rede: die sogenannten Trivialschulen, Tiro- 
cinien oder Silentien waren im wesentlichen Vorbereitungs- oder 
Hilfsanstalten für den höhern Unterricht und vielfach auch einem 
Gymnasium direkt angegliedert. Den höhern Unterricht selbst ver- 
trat die Universität, zu deren artistischer oder philosophischer 
Fakultät die drei Gymnasien gehörten. Allein der Gymnasialunter- 
richt hatte mit den Forderungen der Zeit nicht gleichen Schritt 
gehalten; sowohl in seiner humanistisch-rhetorischen wie zumal in 
seiner philosophischen Abteilung huldigte er mehr oder minder 
einem öden Formalismus und vernachlässigte in ungebührlicher 
Weise die deutsche Sprache, für deren gewaltigen Aufschwung um 
die JVlitte des Jahrhunderts die gebildeten Kreise Kölns kein Ver- 
ständnis hatten. Die Besoldung der Lehrer wurde am Montanum 
und Laurentianum vor wie nach aus Pfründen, die der Silentiarier 
aus dem kargen Schulgeld bestritten; der Magistrat tat nichts für 
Gehaltsaufbesserung, und infolge der nicht selten gedrückten Lage 
war auch der Pflichteifer nicht groß. Von praktischer Ausbildung 
der Lehrer für ihren Beruf war keine Rede; als solche fungierten 
mit Vorliebe Kandidaten des Priestertums, die sich durch diese 
Tätigkeit dem Kursus im erzbischöflichen Priesterseminar entzogen. 
Daß die angedeuteten Mißstände am Tricoronatum, dessen Lehrer 
als Mitglieder der Gesellschaft Jesu an den Präbenden keinen Teil 
hatten und der Ordenszucht unterstanden, nicht oder doch nur in 
geringem Maße zutage traten, liegt in der Natur der Sache. Dieser 
Anstalt stellt vielmehr Waliraf in der Biographie seines Altersge- 
nossen und Freundes Peter Anth, des 1810 verstorbenen stadt- 
kölnischen Hauptpfarrers zu St. Maria im Kapitol, eines ausgezeich- 
neten Schülers unseres Tricoronatum, das rühmliche Zeugnis aus: 
,Im Gymnasio Tricoronato der Jesuiten hatte der Geist der Wissen- 
schaften schon lange vorher sich höher gehoben. Man lehrte da- 
selbst bereits die logische Kritik und Analytik und bei einem an- 
sehnlichen Instrumentenvorrate die fast vollständigen, für höhere 
Philosophie und Weltkenntnis so nötigen mathematischen und 
physischen Wissenschaften." Unter den Instrumenten verdienen die 

149 



zahlreichen und wertvollen astronomischen besondere Erwähnung, 
von denen sich manches interessante Stück noch in unserer heuti- 
gen physikalischen Sammlung vorfindet. 



., ^"1 




Astronomische Instrumente in der pliysikalischen Sammlung 
des Marzcllengymnasiums. 

Noch verhängnisvoller als mit den Gymnasialstudien sah es 
mit der Universität aus. Während die Hochschulen des deutschen 
Ostens unter dem Einflüsse der reformatorischen Bewegung ein 
reiches wissenschaftliches Leben entwickelten, beherrschte die Kölner 
Universität der Geist der Erstarrung, Trägheit und Selbstgefällig- 
keit, so daß ihre einsichtigen Freunde sie mit Schmerzen um ein halbes 
Jahrhundert hinter ihren Schwestern zurückbleiben sahen, während 
ihre Feinde sie hohnlachend als Hochburg des Obskurantismus 
bezeichneten. So konnte der Professor der Medizin, Hofrat Dr. 
Menn, einer der wenigen Universitätslehrer, die dieses Namens wert 
waren und Auge und Herz für den Verfall der Kölner Hochschule 
hatten, in seiner Rede bei der Eröffnung des neuen medizinischen 
Hörsaales 1777 mit Recht klagen: „Es waren Zeiten, wo sich unsere 
Vaterstadt das Athen am Rheine nennen durfte. Kölns angenehme 



150 



Lage unter einem gesunden Himmelsstriche, Katheder für alle 
Wissenschaften, mit den geschicktesten Männern besetzt; Freiheit, 
Ruhe und was immer für Bequemlichkeiten ein für Studierende 
bestimmter Aufenthalt erfordert: alles das machte die hiesige hohe 
Schule weiland zu einer der blühendsten in Deutschland . . . Aber 
warum mußte doch unser Athen dem alten auch darin gleich werden, 
daß die Wissenschaften von ihm auswanderten und dieser Wohnsitz 
in gänzlichen Verfall geriet? Seit anderthalb Jahrhundert zog sich 
ein immer trüberer Nebel um uns her, der auch sogar von dem 
im übrigen Europa mehr und mehr aufgehenden Lichte keinen 
Strahl zu uns durchließ. Es verscheuchten wohl innerliche Unruhen 
oder Kriegsläufte die Musen eine Zeitlang von ihrem geliebten 
Wohnsitze; aber ist es nicht eine unverzeihliche Sache, daß hier 
statt einer vernünftigen Gelehrsamkeit der Sphinx jener rätselhaf- 
ten, abgezogenen und leeren Schulweisheit unter der Larve einer 
systematischen Philosophie sich vor das feiernde Heiligtum lagerte 
und es bisher gegen die Ansprüche der zurückkehrenden Wahr- 
heit mit Vorurteilen behauptete? Daher kam jene düstere Periode, 
in welcher Köln fast ein von der übrigen gelehrten Welt abgeson- 
dertes Eiland war, da entstand jene Hartnäckigkeit, welche wirk- 
lich noch Wissenschaften verachtet, die sie nicht kennet, und an 
andere nicht glaubet, denen man schon in dem tiefen Norden Throne 
bauet . . . Unsere Zeiten sind zu aufgeklärt, um sich dieses Ge- 
ständnisses schämen zu dürfen." 

Unser Wallraf fand mehr als genug Gelegenheit, sich der 
Mängel des Kölner Schulwesens bewußt zu werden. Mit zwölf 
Jahren wurde er Schüler des Montanergymnasiums, wo den talent- 
vollen, wissensdurstigen Jüngling der pedantische Unterrichts- 
betrieb aufs heftigste abstieß. „Ich hatte das Unglück," so äußert 
er sich selbst, „in eine Lehranstalt zu geraten, wo es erst gar 
spät und eigentlich fast gar nicht Tag werden durfte." Das Studium 
der Philosophie, das er nach der am 23. Mai 1765 bestandenen 
Baccalaureatsprüfung aufnahm, befriedigte ihn ebensowenig: bei 
den öffentlichen Disputationen, an denen sich die philosophischen 
Klassen aller drei Gymnasien beteiligten, „wurden die leersten 
Auseinandersetzungen über das Ens rationis getrieben". Wallrafs 
Abneigung gegen die herrschende Richtung im Unterrichtswesen 
fand reiche Nahrung in der kunst- und literaturfreundlichen Familie 
des Hofrates Menn, in die er um diese Zeit eingeführt wurde. 
Nach zweijährigem Studium der Philosophie, römischen Literatur 
und Geschichte errang er die Würde eines Magister liberalium 

151 



artium am 26. Februar 1767 und verteidigte am 23. Mai 1769 in 
der Aula des Montanergymnasiums eine Anzahl philosophischer 
Thesen, um an dieser Anstalt eine Professur zu erlangen. Der 
Erfolg war günstig; aber da er bald an dem herrschenden Klassen- 
lehrersystem, das keine Vertiefung in einen einzelnen Wissenszweig 
zuließ, frei und offen Kritik übte, zog er sich das Mißfallen seiner 
Kollegen zu, und man entledigte sich seiner dadurch, daß man 
ihm ein abgelegenes, ärmliches Silentium übertrug. Mochten ihm 
aber auch hier Not und Elend in der schärfsten Weise zusetzen, 
Wallraf verlor doch den Mut nicht. Während er durch Privatunter- 
richt an den jungen Grafen von Sternberg seine äußere Lage zu 
bessern suchte, verwandte er seine knapp bemessene freie Zeit, 
um sich mit allem Eifer dem Studium der Theologie zu widmen, 
und da ihm die Vorlesungen an der Universität nicht genügten, be- 
suchte er auch noch solche im Augustinerkloster. Im Dezember 1772 
empfing er die Priesterweihe und feierte am Dreikönigenfeste 1773 
sein erstes heiliges Meßopfer. Professor Menn, sein opferwilliger 
Gönner während seiner theologischen Studienzeit, hatte ihm den 
Weihetitel gestellt. Der Eintritt in den Priesterstand verbesserte 
Wallrafs äußere Lage nur wenig. Er warf sich deshalb mit aller 
Kraft auf das Studium der Mathematik, Physik und Ästhetik, hielt 
am 27. August 1779 eine öffentliche mathematische Disputation 
am Montanergymnasium und eröffnete nun neben seinem sonstigen 
Unterricht mathematische Lehrstunden für die philosophischen 
Klassen dieser Anstalt. Jetzt erst wurde er vom Silentium abbe- 
rufen und als Professor der Rhetorik angestellt; aber noch immer 
verfolgte den Neuerungssüchtigen die Feindseligkeit seiner Kolle- 
gen, die ihm mehrere Jahre den Freitisch sperrte, auf den er 
Anspruch hatte. Aber Wallraf ließ jetzt erst recht nicht nach, auf 
den mangelhaften, unzeitgemäßen Unterrichtsbetrieb am Gymna- 
sium wie an der Universität hinzuweisen und auf Abhilfe zu 
drängen, zumal da dem Rate das große Vermögen des aufgehobenen 
Jesuitenkollegs, das ihm durch Reichs-Hofrats-Konklusum vom 
20. Oktober 1774 zum Besten seiner Unterrichtsanstalten und zur 
Erfüllung der stiftungsmäßigen Verbindlichkeiten zugefallen war, 
reichliche Mittel für eine durchgreifende Reform bot. Doch die 
Schwierigkeiten, die der Kurfürst von Köln machte, ließen den 
anfänglichen Eifer der von gutem Willen beseelten Kommission 
wieder erlahmen, und es blieb alles beim Alten. Da trat ein 
Ereignis ein, das selbst die träge Energielosigkeit der reichs- 
städtischen Verwaltung aufzurütteln vermochte. 

152 



Im Gegensatze zu der auf streng kirchlichem Boden stehen- 
den, jeglicher Neuerung abholden Kölner Hochschule hatte Kur- 
fürst Max Friedrich 1777 in Bonn eine akademische Lehranstalt 
gegründet, die, ganz vom Geiste des Josephinismus und Fabronia- 
nismus erfüllt, die neuzeitlichen Ideen der Aufklärung unter der kur- 
kölnischen Jugend verbreiten sollte. Diese Akademie hatte bereits, 
wie begreiflich, der Kölner Hochschule sehr starken Abbruch getan; 
wäre sie, wie beabsichtigt, zur vollständigen Universität entwickelt 
worden, ohne daß gleichzeitig eine Reform der Kölner Anstalt 
eintrat, so wäre es um die Existenz der letztern geschehen 
gewesen. Diese Gefahr leuchtete auch dem reichsstädtischen 
Magistrat ein, und so wandte er sich im Herbste 1783 an Wallraf 
mit der Bitte um Vorschläge für eine Reform des Kölner Schul- 
wesens. Dieser hatte gerade den gelehrten und kunstliebenden Vize- 
dechanten des Domstiftes, den Grafen Franz Wilhelm von Oettingen- 
Baldern, auf einer größern Reise nach Süddeutschland begleitet, 
die seinem empfänglichen Geiste in Natur, Kunst und Wissen- 
schaft die reichste Anregung geboten und ihn mit zahlreichen 
Künstlern und Gelehrten in Beziehung gebracht hatte. Ohne die 
schmeichelhafte Aussicht auf eine Professur an der Bonner Aka- 
demie, deren Richtung seinen Anschauungen nicht entsprach, weiter 
zu beachten, machte sich der für das Wohl seiner Vaterstadt 
begeisterte Professor am Montanum sogleich an die Lösung der 
ebenso schwierigen wie undankbaren Aufgabe, das Kölner Schul- 
wesen, zumal die Artistenfakultät und die Gymnasien, in neue 
Bahnen zu leiten. Das Gutachten, das er Anfang 1784 überreichte, 
ist nur noch bruchstückweise vorhanden. Die Grundzüge seines 
Reformplanes sind folgende. 

Der ganz und gar vernachlässigte Volksschulunterricht soll 
durch Begründung und Dotierung von Pfarr- und Armenschulen 
gehoben werden. Das Gymnasium wird nach Eigentum, Personal 
und Unterricht von der Universität getrennt; den Professoren an 
beiden Arten von Anstalten wird ein festes, auskömmliches Gehalt 
zugesichert und so ein besonderer Lehrerstand geschaffen, der 
mit Verständnis und Interesse seiner Tätigkeit obliegt. Zur Hebung 
des nationalen Bewußtseins und zur volkstümlichen Entwicklung 
des wissenschaftlichen Lebens soll die Muttersprache gepflegt, 
zur Förderung einer echt christlichen Erziehung dem Religions- 
unterrichte und der sittlichen Überwachung der Schüler größere 
Aufmerksamkeit geschenkt werden. An die Stelle der bisherigen 
drei, fast an einem Punkte zusammenliegenden Kölner Gymnasien 

1.53 



treten für den Unterricht in den Humaniora deren sieben mit je 
sechs Klassen, wobei die bisherigen Klassennamen Infima, Secunda 
grammatices, Syntaxis, Poesis, Rhetorica als nicht mehr zutreffend 
fortfallen. An jedem Gymnasium unterrichten fünf festangestellte 
Professoren mit ständigen Lehrfächern : einer für mathematische 
Wissenschaften, einer für Geschichte, Geographie und Altertümer, 
einer für Rhetorik, Poesie und Ästhetik mit Erklärung einschlägiger 
griechischen, lateinischen und deutschen Klassiker, zwei jüngere 
endlich für den grammatischen Unterricht in den drei genannten 
Sprachen, den Religionsunterricht, die philosophische Propädeutik 
und die Überwachung der Schüler bei ihren Arbeiten im Studien- 
saal (Museum). Der Unterricht im Französischen, im Zeichnen, 
Singen und andern Kunstfertigkeiten wird von besondern Lehrern 
erteilt. 

Es ist leicht begreiflich, daß die Ausarbeitung dieses Reform- 
planes erneute Angriffe der aus ihrer behaglichen Ruhe aufgerüttelten 
Kollegen auf Wallraf zur Folge hatte. Man bezichtigte ihn der 
Gesinnungsverwandtschaft mit dem frivolen und ungläubigen 
Eulogius Schneider, Professor an der Bonner Universität, und die 
Angriffe waren um so wirksamer, weil seit dem 28. Juli 1781 
sein treuer Freund und mächtiger Gönner Professor Menn das Zeit- 
liche gesegnet hatte. Bei der Kühnheit des Reformplanes, der 
althergebrachten Schwerfälligkeit des Magistrates und dem mäch- 
tigen Einfluß der Freunde des alten Systems kam die Umgestal- 
tung des Unterrichtswesens nicht zustande. Da Wallrafs Stellung 
am Montanum immer unhaltbarer wurde, so erwarb er sich den 
Grad eines Licentiatus medicinae, übernahm bei Erledigung der 
Professur in der Botanik sogleich die botanische Vorlesung, erhielt 
1786 seine Bestallung als ordentlicher Professor der Naturgeschichte, 
womit ein Kanonikat an St. Maria im Kapitol und ein Jahres- 
einkommen von 600 Reichstalern verbunden war, und wurde gleich- 
zeitig Verwalter des ganz vernachlässigten botanischen Gartens, 
für den er aus eigenen Mitteln 2500 neue Pflanzen anschaffte. 
Am 18. November 1788 promovierte er als Doctor medicinae mit 
der Dissertation: De igne et eius combinatione. 

Mit seiner Ernennung zum Professor der Botanik schied 
Wallraf als ordentlicher Lehrer des Montanums aus ; seinen Ab- 
schied bezeichnete er durch einen für seine Bestrebungen charakte- 
ristischen Akt. Alljährlich feierten am Feste des hl. Chrysostomus 
(27. Januar) die Rhetoriker des Montanums den Meister der christ- 
lichen Beredsamkeit durch den Vortrag von Reden und Gedichten, 

154 



die sie selbst oder iiire Professoren verfaßt hatten. Während nun 
bei diesem Deklamationsaiit bisheran nur die lateinische Sprache 
üblich war, ließ Wallraf, der bewährte lateinische Dichter, 1786 
eine von ihm gedichtete deutsche Weiheode „Chrysostomus" 
vortragen, die, ganz im Geiste Klopstocks gehalten, mit den 
Worten beginnt: 

Als einst der Weltenvater den großen Plan 
Zu seinem Kirctienhimmei auf Erden schuf, 
Und die Gestirne erster Größe, 
Jeglicties reihet' in seine Sphäre ; 

Da löste schon die himmlische Weisheit sich 
Den Strahlengürtel, goß auf die Sonnenbahn 
Auch diesen Morgenstern, und freute 
Bald sich der Zeit seines Aufgangs, pflanzte 

In sein durchdringend Auge den Flammenblick 
Und Glut in seine goldene Lefze, sanft 
Erwärmend auf fruchtbarem Boden, 
Aber zerstörend auf Felsenherzen. 

Welch begeisterten Anklang diese Neuerung bei Wallrafs 
Freunden fand, geht aus einem Gedicht des spätem Präfektur- 
rates DuMont hervor: 

Verdunkelt ehdem stellt' an dem Weihetag 
Latein vom hölzern' Alter der Musenzeit 
Den Himmelsbürger dar, und Schüler 
Eiferten Meistern nur nach im Unsinn. 

Erstaunet seh' ich's : heut' in der Muttersprach' 
Geschildert glänzt das Bild des Chrysostomus! 
Geschmack ! O, wie verdrängst du endlich 
Der Idioten Geschwätz in Abgrund ! 

Um sich nicht selbst allen Einfluß auf die Gestaltung des 
Schulwesens abzuschneiden, behielt Wallraf den naturwissenschaft- 
lichen Unterricht am Montanum bei und eröffnete zugleich an 
der Universität — zum ersten Male in Köln — Vorträge „über 
Ästhetik oder die Theorie des Geschmacks in den schönen Künsten 
und Wissenschaften". Als Einleitung gab er „eine Enzyklopädie 
aller jener Wissenschaften und Künste, deren Gegenstand die 
Schönheit in den Formen oder in den Produkten des Geistes 
ausmacht". In diesen Vorlesungen bot sich Wallraf reiche Gelegen- 
heit, auf die Erweckung literarischer und künstlerischer Interessen 
bei seinen Mitbürgern hinzuarbeiten und sie mit den Schriften 
Winckelmanns, Lessings und Goethes bekannt zu machen. Der Er- 

löö 



folg übertraf alle Erwartungen. Wallrafs Worte wirkten wie eine 
neue Offenbarung; Fürsten und Grafen des hohen Domkapitels 
und Mitglieder anderer Stifter, Bürgermeister, Ratsherren und an- 
gesehene Fremde drängten sich um seinen Lehrstuhl. Je mehr 
aber Wallrafs Ansehen wuchs, um so mehr waren auch seine 
Gegner am Werk. Unter anderm machte man ihm zum Vorwurf, 
daß er Mitglied zweier Fakultäten sei, und wußte seinen förm- 
lichen Ausschluß aus der philosophischen Fakultät durchzusetzen, 
wodurch er zugleich aller aus dieser Stellung fließenden Einkünfte 
verlustig ging. So war ihm Köln verleidet, und es fehlte nicht 
viel, so hätte er dem 1791 an ihn ergangenen Rufe des Kurators 
der Bonner Universität, Frhrn. Franz Wilh. von Spiegel, daselbst 
den Lehrstuhl für die schönen Künste einzunehmen, Folge ge- 
leistet; allein im letzten Augenblicke zerschlugen sich die Ver- 
handlungen durch die Höhe seiner Forderungen. Wallraf blieb 
in Köln, und seine Anhänger, deren Zahl sich inzwischen sehr 
vermehrt hatte, setzten seine Wahl als Rektor der Universität durch. 
Er war seit hundert Jahren das erste Mitglied der medizinischen 
Fakultät, das diese Würde bekleidete, und der letzte Rektor in 
reichsstädtischer Zeit. Noch hatte er nicht den Widerspruch über- 
wunden, den die theologische und philosophische Fakultät unter 
Führung des Exjesuiten JOH. MATTHIAS CARRICH, Regenten des 
Tricoronatum und gewandtesten Kämpfers gegen die Bonner 
Richtung, gegen seine Wahl und alle seine Amtshandlungen 
erhob, als am 6. Oktober 1794 die Franzosen einrückten. Dieses 
Ereignis führte zunächst eine vollständige Stockung des öffent- 
lichen Unterrichtes herbei, da die Studenten nach Ablauf der 
Ferien, in welche dasselbe fiel, sich durch Schrecken und Miß- 
trauen von der Rückkehr abhalten ließen. Erst auf das energische 
Betreiben Wallrafs gelang es, diesen unhaltbaren Zustand zu be- 
seitigen, und die Zahl der Studenten stieg sogar infolge der 
Schließung mancher Lehranstalten in Belgien und des sichern 
Untergangs der Bonner Universität auf 1500. Die französische 
Republik hatte sich das Recht freier Verfügung über das Schul- 
vermögen zugesprochen und drohte, diesen Grundsatz in Köln 
zur Anwendung zu bringen. Wallrafs Vorstellungen in einer 
Eingabe an die Zentralverwaltung in Aachen wandten das Unheil 
wenigstens für den Augenblick ab. Aber kaum war diese Schwierig- 
keit beseitigt, da erging an sämtliche Behörden, auch an die Uni- 
versität, die Aufforderung, der Republik den Eid der Ergebenheit 
zu leisten. Während die Professoren der Theologie, Jurisprudenz 

156 



und Philosophie sich mit einer Ausnahme zu der Eidesleistung 
in bestimmter Form verstanden, weigerten sich deren fünf Profes- 
soren der medizinischen Fakultät unter Führung des Rektors 
Wallraf mit der Erklärung, daß sie den zwischen der französischen 
Republik und dem Deutschen Reiche in Rastatt schwebenden 
Friedensunterhandlungen nicht vorgreifen dürften und wollten. 
Sofort wurden sie und der eidweigernde Professor der Jurispru- 
denz ihres Amtes enthoben und durch Verfügung des Substitut- 
Kommissars Rethel vom 4. und 7. Nivöse VI (24. u. 27. Dez. 1797) 
der Professor der Anatomie und Physiologie Dr. Best zum Rektor 
erhoben ; in die medizinische Fakultät traten vier neue Professoren 
ein. Allein noch in demselben Jahre fand die Universität ihren 
Untergang. Der Gouvernements-Kommissar Rudier beabsichtigte 
nämlich, das ganze Universitätsvermögen zugunsten der stets 
leeren Generaldomänenkasse zu veräußern. Zwar gelang es den 
Bemühungen der nach Mainz entsandten Bürger zur Hoven und 
Dr. Best, diesen vernichtenden Schlag von dem Kölner Schul- 
wesen abzuwehren ; aber sie konnten doch nicht verhindern, daß 
dasselbe in die französisch-republikanischen Formen umgegossen 
wurde. Unterm 9. Floreal VI (28. April 1798) ordnete Rudier die Auf- 
hebung sämtlicher Unterrichtsanstalten in Köln und den Ersatz der- 
selben durch Primärschulen (Elementarschulen) und eine Zentral- 
schule an, und im Verfolg dieser Verordnung verfügte die Aachener 
Zentralverwaltung unterm 12.VendemiaireVII (3 Oktober 1798) die 
Unterdrückung der Universität und der drei Gymnasien und die Errich- 
tung einer mit den städtischen Unterrichtsfonds dotierten Zentral- 
schule des Roer-Departements in den Gebäuden der ehemaligen 
Jesuiten. Rektor der Anstalt und zugleich Chef des öffentlichen 
Unterrichtes wurde Dr. Best mit der Weisung, der städtischen Ver- 
waltung keinen Einfluß auf den Unterricht oder das Vermögen 
einzuräumen. Die feierliche Errichtung der Zentralschule erfolgte 
am 1. Frimaire VII (21. Nov. 1798); am 14. Frimaire (4. Dez.) 
leisteten die Professoren den Eid, und am l.Pluviöse (20 Jan. 1799) 
begannen die öffentlichen und unentgeltlichen Vorlesungen. Unter 
den zehn Professoren, die sämtlich das gleiche Gehalt von 2500 
Frcs. erhielten, finden wir auch unsern Wallraf als Lehrer der 
schönen Wissenschaften wieder. Ähnlich wie seine frühern Uni- 
versitätsvorträge bezwecken auch die an der Zentralschule, „junge 
Leute, die in die Welt treten sollen, zu kritischen Beurteilern und, 
wo Geist und Kraft dazu ist, zu Selbstschöpfern des Schönen in 
jeder Art der redenden als bildenden Künste" zu machen. Daher 

]57 



bot er seinen Zuhörern zunächst „eine raisonnierende Enzyklopädie" 
aller schönen Künste „mit Vorzeigung und Anwendung der besten 
und besonders der erhabensten Muster in jeder derselben" und 
brachte dabei auch die alte deutsche Kunst zu Ehren, indem er 
auf die Harmonie und Erhabenheit unseres Domes und auf die 
unvergleichliche Anmut so mancher Gemälde seiner Sammlung 
hinwies. Sodann gab er „eine Erklärung des Schönen überhaupt, 
seiner Arten und Mißarten, seines Begriffs und der Anordnung 
seines Kanons auf jede Produktion in redenden und bildenden 
Künsten, im Sittlichen und Anständigen, im Intellektuellen". Durch 
diese ästhetischen Vorträge wie durch seinen bezaubernden per- 
sönlichen Einfluß wurde Wallraf der geniale Lehrmeister, von 
dem unter dem Drucke der Fremdherrschaft neue Begeisterung 
für Literatur und Kunst und neues frisches Kunstschaffen aus- 
ging. An der Zentralschule saß zu seinen Füßen der frühere 
Schüler des Tricoronatum MARCUS THEODOR DUMONT, der als 
Inhaber der Kölnischen Zeitung, fortwährend von Wallraf be- 
raten, sein Organ zum Mittelpunkte der literarischen Bestre- 
bungen in Köln machte; ihm verdanken die mannigfaltigsten An- 
regungen ein HOFFMANN, GAU, DE NOEL, HITTORF, BEGAS und 
Cornelius, die die deutsche Kunst im In- und Auslande wieder 
zu Ehren gebracht haben. 

Die Zentralschule als solche konnte jedoch den Wünschen 
der Bürgerschaft in keiner Weise genügen. Ihr Studienplan setzte 
eine Vorbildung voraus, die die Elementarschulen nicht zu geben 
vermochten, und es fehlte an einer Anstalt, welche die Vermittelung 
zwischen beiden gebildet hätte. Die einzelnen Fächer waren zu 
kärglich mit Lehrkräften besetzt, es fehlte an den erforderlichen 
literarischen, kunstgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen 
Hilfsmitteln, und der Lehrplan trug den Charakter der Oberfläch- 
lichkeit an sich. Geradezu abstoßend aber wirkte der antireligiöse 
und antideutsche Geist, der die Anstalt beherrschte. Auch regie- 
rungsseitig erkannte man allmählich die Unzulänglichkeit der 
Zentralschulen. Auf Grund der Reorganisation des öffentlichen 
Unterrichtes, die Napoleon als erster Konsul herbeiführte, entstand 
zunächst am l. Frimaire XII (23. November 1803) in den Räumen 
des Laurentianer-Gymnasiums an der Rechtschule eine Ecole se- 
condaire communale, auch Gymnasium genannt, als Vorbereitungs- 
anstalt für den höhern Unterricht unter der Direktion des frühern 
Professors der Philosophie am Laurentianum WiLH. LEHMANN, sodann 
durch kaiserliches Dekret vom 22. Brumaire XIV (13. Nov. 1805) 

163 



eine die höhern Kurse umfassende Schule unter dem Titel Ecole 
secondaire communale de second degre, die der Leitung des Richters 
VON Heinsberg unterstellt und im Gebäude des frühern Jesuiten- 
kollegiums untergebracht wurde. Sämtliche Güter, Kapitalien und 
Einkünfte des aufgehobenen Jesuitenordens sollten zum Unterhalte 
der beiden neuen höhern Lehranstalten dienen. Unter den sieben 
Professoren der Sekundärschule zweiten Grades ragen am meisten 
hervor die beiden für die schönen Wissenschaften Wallraf und 
Friedrich Schlegel. Letzterer war der Hauptstreiter in dem 

Kampfe der Roman- 
tiker gegen die das 
Mittelalter verkennen- 
den Klassizisten. Er 
wollte wieder deut- 
sches Leben in die 
deutsche Nation ein- 
führen, deutsche Bau- 
kunst und Malerei 
wieder auf deutschen 
Boden verpflanzen. 
Reiche Nahrung fand 
sein edles Streben in 
dem Studium der 
nach Paris zusammen- 
geschleppten deut- 
schen Kunstschätze 
(1802). Mit drei Köl- 
ner Kunstfreunden, 
die sich ihm in der 
französischen Haupt- 
Friedrich Schlegel Stadt angeschlossen 
hatten, den Brüdern BOISSEREE und BERTRAM, kam er 1803 nach 
Köln und fand in Wallraf einen kundigen Führer durch die dortigen 
Kunstschätze und einen gleichgestimmten Freund. 

Wenn aber auch die Sekundärschule mehr befriedigte als ihre 
Vorgängerin, so konnte doch die Bürgerschaft den Verlust ihrer 
ehrwürdigen Universität nicht verschmerzen. Sie bemühte sich 
angelegentlich bei der kaiserlichen Regierung um die Errichtung 
einer Akademie in Köln, und Wallraf versprach sogar in einem 
Briefe vom 20. Juni 1810 an Gottfr. Wilh. Daniels, General- 
Prokurator beim Kassationshofe in Paris, am Tage ihrer Eröffnung 




159 



sein Vermögen im Betrage von 120000 Frcs. der Stadt zur Ver- 
fügung zu stellen; doch ohne Erfolg. Schon war die Völkerschlacht 
bei Leipzig geschlagen, da langte vom Minister des Innern die 
Mitteilung an, daß der Kaiser unterm 29. August 1813 die Errichtung 
eines Lyzeums im Jesuitengebäude genehmigt habe. Das Dekret 
blieb unausgeführt. Am 14. Januar 1814 rückten die ersten Abtei- 
lungen der Verbündeten in Köln ein, aufs lebhafteste begrüßt vom 
größten Teile der Bürgerschaft, die in ihrem Erscheinen die 
Morgenröte einer bessern Zukunft erblickte. 

Die Zeit vom Abzüge der Franzosen bis zur Neuordnung der 
politischen Verhältnisse glaubte der auf das Wohl und die Ehre 
seiner Vaterstadt stets bedachte Wallraf zur Lösung einer dreifachen 
Aufgabe nutzen zu müssen: es galt, ihr die geraubten Kunstschätze, 
die untergegangene reichsstädtische Freiheit und die verlorene 
Universität wiederzuverschaffen. Das erste Ziel wurde zumal durch 
die Mitwirkung des dem Kronprinzen von Preußen als Adjutant 
beigegebenen Everhard von Groote, eines Schülers von Wallraf, 
leidlich erreicht; der Hoffnung, den zweiten Wunsch verwirklicht 
zu sehen, bereitete das Besitzergreifungspatent König Friedrich 
Wilhelms III. vom 15. Mai 1815 ein jähes Ende, und auch die 
Aussichten auf Wiedererlangung der Universität erwiesen sich schließ- 
lich als eitel. Der Generalgouverneur des Mittel- und Niederrheins, 
Geh. Staatsrat Sack, berief nämlich zum „Direktor des öffentlichen 
Unterrichtes" für die Übergangszeit den bisherigen Direktor des 
Gymnasiums zu Prenzlau Dr. Karl Friedr. Aug. Grashof, einen 
ebenso zielbewußten und tatkräftigen wie mit Verständnis für 
rheinische Eigenart ausgestatteten Mann. Schon im August 1814 
gab der Kölner Gemeinderat die Erklärung ab, daß er für die 
Errichtung einer rheinischen Universität in Köln jährlich 21 500 Frcs. 
zur Verfügung stelle. Aber bevor noch Kölns Ansprüche auf eine 
solche eine sachgemäße Begründung in der Öffentlichkeit oder an 
zuständiger Stelle erfahren hatten, erschien eine Schrift des Bonner 
Kreisdirektors Rehfues, in der die neue Rheinuniversität für die 
ehemalige kurfürstliche Residenzstadt Bonn gefordert wurde. Grashof 
war von Wallraf bald für Köln gewonnen. Als daher Sack die 
Einrichtung von zwischenzeitlichen akademischen Kursen für die 
rheinische Jugend anregte, vertrat er mit Entschiedenheit die Sache 
Kölns. „Es würde mir schwer fallen," so schrieb er, „den Kölnern 
etwas abzuschlagen, was ihnen zu gewähren in meiner Macht läge. 
Sie haben sich überall, wo ich ihren Nationalcharakter zu beobachten 
Gelegenheit gehabt habe, als ein sehr biederes, deutsches, auf ihre 

160 



alten Rechte und Sitten zwar stolzes, aber gerade darum kräftiges 
Volk gezeigt, mit dem durch Gewalt wenig, aber durch Überzeugung 
und Geradheit alles auszurichten ist." In den Regierungskreisen 
dagegen war gegen Köln trotz des inzwischen eingetretenen Um- 
schwungs noch immer das Vorurteil des Obskurantismus verbreitet, 
während Bonn von jeher in dem Rufe einer aufgeklärten Stadt 
stand. So kam es, daß der Generalgouverneur das Anerbieten Kölns 
nicht annahm, und Grashof nur die Erlaubnis erwirkte, daß im 
dortigen Jesuitenkolle gium einstweilen akade- 



mische Kurse einge 

daß jedoch die 

Anrecht auf die 

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Dr. K F.A.Grashof. 



richtet wurden, ohne 
Stadt daraus ein 
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sität ableiten 
Wallrafs Be- 
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nuar 1815 
sie sollten 
bieten, 
besondere 
gehender 
Mediziner 
Studien- 
nen habe. 
BLANCHARD 
schichte mit 
der Institu- 
)'HAME medi- 
pädie; Dr. 
Prof. Dr. CASSEL 
schichte und Pflanzen- 



physiologie,im Sommer " Botanik nach Linne und 

die natürliche Methode; Prof. HEUSER Logik und Metaphysik; Dr. 
VON GROOTE Kritik der philosophischen Systeme; Prof. WalL- 
RAF allgemeine Enzyklopädie und Philosophie des Schönen, im 
Sommer Archäologie; der evangelische Pfarrer Dr. BRUCH klas- 
sische Altertumskunde und Literaturgeschichte der Griechen und 
Römer mit vergleichender Erklärung einiger Komödien des Terenz, 
Plautus und Aristophanes, für evangelische Theologen Enzyklo- 
pädie der theologischen Wissenschaften. Für katholische Theo- 



161 



logie hatte sich kein geeigneter Lektor gefunden. Die Professoren 
entwickelten großen Eifer; aber die Studenten erschienen nicht in 
der erhofften Anzahl, und vor allem fehlte es gegenüber der Rüh- 
rigkeit der Bonner Partei an einer geschickten, wirksamen Vertretung 
der Kölner Ansprüche an maßgebender Stelle. Die Widerlegung 
der Broschüre von Rehfues, an der nacheinander von Groote, 
Schmitz, Cassel und Wallraf arbeiteten, wollte keine befriedigende 
Gestalt annehmen, und schließlich war Köln, wie De Noel sich 
äußerte, über seinem Mangel an Universalität um die Universität 
gekommen. Schon die kgl. Kabinettsorder vom 22. Oktober 1815 
sprach sich grundsätzlich für Bonn aus, und trotz aller Bittschriften, 
die 1816 und 1817 der städtische Magistrat, der Präsident Daniels 
und Wallraf beim preußischen Ministerium für Köln einreichten, 
bestimmte doch der König unterm 26. Mai 1818 Bonn definitiv 
zum Sitze der rheinischen Universität. 

In den akademischen Kursen des Jahres 1815 hat Wallraf zum 
letzten Male eine öffentliche Lehrtätigkeit ausgeübt. Dagegen hat er 
sich, wie um diese Zeit, so auch nachher noch große Verdienste um 
die Einrichtung des preußischen Gymnasiums erworben. Durch eine 
Instruktion des Generalgouverneurs vom 18. September 1814 waren 
die Leiter der höhern Lehranstalten mit den Grundsätzen der 
bevorstehenden Reorganisation des höhern Schulwesens bekannt- 
gemacht worden. Von nun an sollte, wie in Preußen schon früher, 
das Gymnasium von der Universität streng getrennt sein und in 
einem fest geregelten Lehrgange auf diese vorbereiten; das Abitu- 
rientenexamen sollte die Eingangspforte zur Universität bilden. Vom 
Staate geprüfte, angestellte und besoldete Lehrer sollten fortan an 
den Gymnasien wirken, und letztere, den Utilitätsbestrebungen 
der französischen Schulpraxis entrückt, zu Pflanzstätten idealer, 
von klassischem und deutschem Geiste getragener Bildung werden. 
Kein Mann war so geeignet, die Überleitung in die neuen Schul- 
verhältnisse zu bewerkstelligen wie Wallraf, der schon in jungen 
Jahren eine Umgestaltung des Kölner Schulwesens vergebens an- 
gestrebt hatte und dessen Reformideen sich in vielen Punkten mit 
dem preußischen Schulideal berührten. Nach den Vorschlägen 
Grashofs trat an die Stelle der aufgelösten Kommunalschule zweiten 
Grades „das Kölnische Gymnasium", das seinen Sitz im ehemaligen 
Jesuitengebäude erhielt und die vier Klassen Prima bis Quarta 
umfaßte; an die Stelle der Kommunalschule ersten Grades traten 
zwei Vorbereitungsanstalten für das Gymnasium mit den drei 
Klassen Quinta, Sexta superior und inferior, das Jesuiten- und das 

162 



Karmeliterkollegium, benannt nach den ehemaligen klösterlichen 
Instituten, in denen sie untergebracht waren. Jede dieser drei An- 
stalten hatte einen besondern, Jahr um Jahr wechselnden Vorsteher, 
alle drei aber unterstanden der Oberleitung des Direktors des Köl- 
nischen Gymnasiums. Als solcher wurde Prof. Seber aus Aschaffen- 
burg berufen, dem Wallraf als Vizedirektor an die Seite trat. 

Am 24. April 1815, dem Tage nach der Feier der Vereinigung 
Kölns mit der Krone Preußen, eröffnete Grashof die neuen Anstalten 
durch einen Festakt in der nach Wallrafs Angabe geschmückten 
Aula unseres Gymnasiums. Nachdem er in mustergültiger Weise 
den Geist der neuen Jugendbildung dargelegt hatte, dankte er dem 
abtretenden Direktor von Heinsberg für seine Mühewaltung und 
wandte sich dann an Wallraf: 

„Nächst den Dienern und Lehrern der Religion übergebe ich 
dem Direktor der neuen Anstalten und in dessen Abwesenheit 
Ihnen, Herr Vizedirektor Wallraf, mit der Leitung des Ganzen auch 
die Sorge für das Wohl dieser Jugend. Wenn ich auch selbst 
noch eine Zeitlang an Ihrer Seite stehen werde, so sollen Sie doch 
eigentlich der Vollstrecker des Willens sein, der von höherer Be- 
hörde durch mich Ihnen kuiidgetan wird. Die Achtung, zu welcher 
Ihr Alter und Ihre Verdienste Ihnen ein so wohl gegründetes Recht 
geben, die Erfahrungen, welche Sie auf dem langen, mühevollen 
Wege Ihres Lebens gesammelt haben, werden Ihnen in allen schwie- 
rigen Fällen des nicht ganz leichten Direktionsgeschäftes Entschlos- 
senheit und Ihren Entschlüssen Nachdruck geben. Wachen Sie vor 
allem über die Herzen der Ihnen anvertrauten Jugend und schützen 
Sie kräftigst die Diener und Lehrer der Religion, die in Ihrem 
Bunde stehen, wo diese Ihre Wirksamkeit in Anspruch nehmen. 
Dem Unglauben und der Freigeisterei sei der Weg in dieses Heilig- 
tum versperrt! Weder unter den Lehrern noch Schülern werden 
Sie eine Spur davon dulden; Sie werden am Eingange stehen und 
ihn mutig verteidigen gegen alles, was unheilig ist. Erhalten 
werden sie sorgsam das Band der Einheit und der Freundschaft 
unter den Lehrern dieser Anstalt; jedes persönliche Interesse wird 
unter Ihnen dem allgemeinen weichen; denn nur, wo alle Glieder 
des Bundes in einem Geiste handeln, nur wo freundliche Kräfte 
vereint nach einem Ziele streben, nur da kann das wahre Gute 
gedeihen." 

Bis zu seinem Lebensende am 18. März 1824 hat der greise 
Wallraf unter den Direktoren Seber und Heuser getreulich in 
diesem Sinne gewirkt. Wiederholt hatte unser Gymnasium Gelegen- 

n* 163 



heit, seinen Verdiensten um Schule, Wissenschaft und Kunst laute 
und feierliche Anerkennung zu zollen. Als am 20. Juli 1823 das 
goldene Priesterjubiläum Wallrafs mit außerordentlichem Glänze be- 
gangen und das Fest zu einer allseitigen Ehrung des „Erzbürgers" 
von Köln ausgestaltet wurde, da trat Gymnasiallehrer Kreuser als 
Abgeordneter der Wissenschaft, Religionslehrer Dr. Smets als Ver- 
treter der Kunst auf, und der eine setzte nach einem entsprechen- 
den Vortrag dem Gefeierten einen Lorbeerkranz, der andre einen 
Blumenkranz auf das ehrwürdige Haupt. Am 31. März 1824 beging 
das Gymnasium in seiner Aula eine Gedächtnisfeier an den heim- 
gegangenen Vizedirektor mit Trauergesängen der Schüler und einer 
vom Gymnasiallehrer Kreuser gehaltenen, warm empfundenen Ge- 
dächtnisrede. An demselben Tage verabschiedete sich Dr. Bruch, 
der nach dem Tode Heusers die Direktionsgeschäfte geführt hatte, 
vom Lehrerkollegium, um am folgenden Tage die Akten dem neuen 
Direktor Dr. Birnbaum zu überreichen. Dieser widmet im Programm 
desselben Jahres Wallraf folgenden Nachruf: „In dem am 18. Mai 
d. J. verstorbenen hochverdienten und hochgefeierten weil. Herrn 
Dr. F. F. Wallraf hat das Gymnasium seinen Senior und Vize- 
direktor, einen treuen, wohlwollenden Freund verloren, der in den 
letzten Jahren seines reichen, tätigen Lebens zwar nicht mehr durch 
unmittelbares Eingreifen in den Gang unseres Unterrichts- und 
Erziehwerkes, aber stets durch seinen rastlosen Eifer für alles 
Schöne und Gute, durch seine zahlreichen und umfassenden Samm- 
lungen, deren Benutzung uns einst die wichtigsten Hilfsmittel bieten 
wird, sowie durch sein hohes Beispiel vielfältige und dauernde 
Verdienste um dasselbe sich erworben hat und unter uns ein 
klassischer Name geworden ist. Möge sein Geist freundlich und 
segnend über uns walten, mögen seine großen Ideen und Ent- 
würfe immer mehr ins Leben treten!" 



Literatur. 

Handschriften: Wallrafs handschrifüicher Nachlaß über Schulangelegen- 
heiten im Kölner Stadtarchiv. 

Druckwerke: Wallrafs Werke, insbesondere Biographie des H.H. Peter 
Anth, Köln 1810. — Wallrafiana, Stadtbibliothek M. 5162.— W. Smets, Ferd. Franz 
Wallraf, Köln 1825. — J. v. Bianco, Die alte Universität Köln I, Köln 1855 — 
L. Ennen, Zeitbilder aus der neuern Geschichte der Stadt Köln, Köln 1857. — Ders., 
Ausgewählte Schriften von F. F. Wallraf, Köln 1861. — [Buschmann,] Die akade- 
mischen Vorlesungen zu Köln im Jahre 1815: Köln. Ztg. 1897 Nr. 971 und 975 vom 
1. und 2. Nov. 

164 



Ohm, der grofse Physiker. 

Von Prof. Dr. Bermbach. 

Unter den Lehrern der Anstalt, die Weltruhm erlangt haben, 
nimmt OHM wohl den ersten Platz ein. Mit ihm beginnt 
eine neue Epoche in der Geschichte der Elektrophysik; 
es beginnt die Zeit zielbewußten Arbeitens über die strömende 
Elektrizität, besonders in quantitativer Hinsicht. Das Jahr, in 
dem Ohm das nach ihm benannte Gesetz aufstellte, kann als das 

Geburtsjahr der Elek- 
trotechnik bezeichnet 
werden ; diesesGesetz 
bildet die Grundlage 
für die Lehre von der 
fließenden Elektrizität 
und damit zugleich 
die Grundlage für die 
elektrische Kraftüber- 
tragung; es ist eines 
jener Naturgesetze, 
deren Nutzen auch 
von dem Laien leicht 
erkannt wird. 
Georg Simon Ohm') 
wurde im Jahre 1787 
zu Erlangen als Sohn 
eines Schlossermeis- 
ters geboren. Sein 
Vater, dereinen mäch- 
tigen Drang, sich mit 
den Wissenschaften 
zu beschäftigen, in 
sich fühlte, betrieb in 
seinen Mußestunden mathematische und philosophische Studien. 
Er brachte es darin so weit, daß er seine beiden Söhne, als sie 
das Gymnasium besuchten, in der Mathematik unterrichten konnte. 

') Quellen für diesen Artikel waren u.a.: Allgemeine deutsche Biographie, 
Band 24; Bauernfeind, Gedächtnisrede auf G. S. Ohm, den Physiker, München 
1882; Handbuch der Elektrotechnik, Band I, 1; E. Hoppe, Geschichte der Elek- 
trizität, Leipzig 1884. 




165 



Ohms Universitätsstudium begann im Jahre 1805 in Erlangen. 
Als Student bildete er sich im Schlosserhandwerk weiter aus, 
damit er den Vater unterstützen könne. Die mechanische Fertig- 
keit, die er sich infolgedessen erwarb, kam ihm später bei 
seinen physikalischen Arbeiten, besonders als ihm nur beschränkte 
Mittel zur Verfügung standen, sehr zu statten. Schon nach drei 
Semestern mußte Ohm wegen Mangels an Mitteln das Studium 
unterbrechen, und er nahm eine Stelle an einem Unterrichtsinstitut 
an. Es erklärt sich so, daß er erst im Oktober 1811 zum Doktor 
promovierte. Als Privatdozent in Erlangen hielt er mathematische 
Vorlesungen. Aus ökonomischen Gründen mußte er jedoch sich 
nach einer gewinnbringenden Beschäftigung umsehen, und so 
finden wir ihn zuerst als Lehrer an der Königl. Realstudienanstalt 
in Bamberg, dann am Progymnasium derselben Stadt. An der 
letzteren Anstalt mußte er zu seinem größten Leidwesen latei- 
nischen Unterricht erteilen. Später wirkte Ohm als Lehrer in 
einer Abteilung der Bamberger Oberprimärschule. Auch hier ent- 
sprach seine Beschäftigung nicht seinen Kenntnissen und Nei- 
gungen, wie man aus einer Eingabe an die vorgesetzte Behörde 
schließen muß. Es wurde ihm die Versicherung gegeben, daß 
er, sobald als möglich, wieder im Lehrfache der Mathematik 
angestellt werden solle. 

Im Jahre 1817 erschien Ohms erstes Werk: „Grundlinien zu 
einer zweckmäßigen Behandlung der Geometrie", in dessen Vor- 
rede er eine Reihe von herrlichen Gedanken entwickelt. Er zeigt, 
daß die Geometrie den Übergang vom Anschauen zum Denken 
erleichtere; ihr höchst einfacher und doch so vernunftgemäßer Bau 
mache sie in hohem Grade geeignet, den Menschen aus dem Gebiete 
des imitativen Verstehens in dasjenige des produktiven Forschens 
überzuleiten. Diese Schrift trug viel dazu bei, daß Ohm vom 
Königlichen Konsistorium in Köln a. Rh. einen Ruf an das Jesuiten- 
gymnasium als Oberlehrer der Mathematik und Physik erhielt. 
Im November 1817 trat er in sein neues Amt ein. Ungefähr 
neun Jahre lang hat Ohm an unserer Anstalt höchst segensreich 
gewirkt und die mathematischen Studien zu hoher Blüte gebracht. 
Zu seinen Schülern gehörte auch der berühmte Mathematiker 
Lejeune-Dirichlet und der verdienstvolle Astronom Heis. Auch 
die Schüler, die sich für die exakten Wissenschaften nicht er- 
wärmen konnten, hingen mit großer Liebe und Verehrung an 
ihrem Lehrer, und manche haben ihrer Hochachtung gegen Ohm 
im späteren Leben beredten Ausdruck verliehen. Die ganze Art 

166 



und Weise, wie Ohm lehrte, sein frisches und gesundes Wesen 
erwarben ihm die Zuneigung alier seiner Schüler. 

Während seiner Tätigl<eit an unserer Anstalt entstanden die 
Arbeiten, die Ohms Weltruhm begründeten, nämlich seine experi- 
mentellen und theoretischen Arbeiten über den elektrischen Strom. 
Was man damals über die fließende Elektrizität wußte, war nicht 
viel. Man kannte wohl die wichtigsten Wirkungen des Stromes, 
u. a. auch die Ablenkung der Magnetnadel, aber von dem Wesen 
der Kraft, durch die die Elektrizität einer Stromquelle in Be- 
wegung gesetzt wird, hatte man höchst unklare, ja falsche Vor- 
stellungen. Es waren aber einige Erscheinungen und Tatsachen 
aufgefunden worden, die später durch das Ohmsche Gesetz auf- 
geklärt wurden. So hatte z. B. Pfaff (1801) gefunden, daß die 
Wirkung der Voltaschen Säule durch Vergrößerung der Platten- 
oberflächen verstärkt wurde. Einige Jahre später (1805) stellte 
Ritter einen Satz auf, der gleichsam ein Vorläufer des Ohmsclien 
Gesetzes war; er sagt nämlich, daß der „Effekt" der Säule (z. B. 
die Stärke der Wasserzersetzung) bei gleicher Spannung abhänge 
von der Summe der Leitung in der Säule und dem schließenden 
Bogen. Ferner hatte Örstedt gefunden, daß die Erwärmung eines 
Leiters direkt proportional dem Widerstände sei. Als Vorarbeiter 
Ohms kann auch der Physiker Erman gelten, der die Beobachtung 

gemacht hatte, daß die Spannung 
in dem äußeren Stromkreise von 
dem Kupferpol zum Zinkpol fällt, 
und nachwies, daß die Stromstärke 
in allen Querschnitten des Kreises 
die gleiche ist. Endlich ist hier der 
große Davy zu nennen, durch dessen 
experimentelle Arbeiten der Nach- 
weis zutage gefördert wurde, daß 
das Leitungsvermögen der Metalle 
im umgekehrten Verhältnisse der 
Länge und im geraden Verhältnisse 
des Querschnittes stehe, daß aber 
die Größe der Oberfläche keine 
Rolle spiele. 

Ohm benutzte für seine Arbei- 
ten ein von ihm konstruiertes Gal- 
vanometer, das mit einer Coulomb- 
schen Drehwage in mancher Hinsicht Ähnlichkeit hat. Der Metall- 




Zn 



167 



streifen (siehe Figur), der vom Strome der Hydroi<ette, eines gal- 
vanischen Elementes mit großen Platten, durchflössen wird, ist 
horizontal gespannt; der Strom wirkt auf die an einem Kokonfaden 
aufgehängte Magnetnadel m. Durch Drehen des Torsionsknopfes g 
kann die Nadel wieder in ihre Ruhelage — parallel zu dem Metall- 
streifen — zurückgeführt werden. Man kann also die Kraft, mit 
der der Strom auf die Nadel in der Ruhelage wirkt, bestimmen. 
Daß Ohm keinen sogenannten Multiplikator, d. h. ein Galvanoskop 
mit vielen Drahtwindungen benutzte, der in den Jahren 1820 — 25 
von Schweigger, Poggendorf, Nobili ausgebildet worden war, 
halte seine guten Gründe. Es sei hier nur erwähnt, daß bei Ohms 
Meßinstrument der Widerstand vom Elemente bis zu den Queck- 
silbernäpfen ein verschwindend kleiner war. Die Kraft, mit der 
der Strom auf die Nadel einwirkte, wenn die beiden Quecksilber- 
näpfe durch einen kurzen dicken Draht miteinander verbunden 
waren, also die Kraft bei Kurzschluß, diente als Normalkraft. 
Wurden statt des dicken Drahtes nacheinander dünnere Drähte 
von verschiedenen Längen eingeschaltet, so ergab sich ein „Kraft- 
verlust". Für diesen stellte Ohm eine Formel auf, die aber, wie 
er später fand, der Wirklichkeit nicht entsprach. Dieser Umstand 
ist darauf zurückzuführen, daß die Hydroketten nicht konstant 
sind, eine Entdeckung, die übrigens Ohm selbst gemacht hatte; 
er fand, daß die elektrische Kraft einer geschlossenen Hydrokette 
gleich nach Stromschluß schnell und dann langsam abnimmt. Er 
schreibt dies einer Polarisation im Elemente zu. 

Auf Anraten Poggendorfs benutzte Ohm bei seinen späteren 
Versuchen ein Thermoelement, dessen eine Lötstelle durch Wasser- 
dampf auf 100" und dessen andere durch schmelzendes Eis kon- 
stant auf 0" gehalten wurde; er erhielt so eine Stromquelle von 
sehr großer Konstanz. Die gefundenen Zahlen für die elektrische 
Kraft — nach unsern heutigen Begriffen für die Stromstärke — 
lassen sich, so schloß Ohm, sehr genügend durch die Gleichung 

X = ; darstellen, wo x die Länge des untersuchten Drahtes 

b -hx 

ist, a und b aber Konstante sind, von denen die erstere von der 
erregenden Kraft und die letztere vom Leitungswiderstande der 
übrigen Teile der Kette abhängig ist. Da die Widerstände der 
Verbindungsdrähte, die nach den beiden Näpfen hinlaufen, ver- 
schwindend klein sind, so ist b der innere Widerstand des Ele- 
mentes. Ohm führte zuerst die erregende Kraft oder Spannung 
als treibende Kraft, den Widerstand als eine von der Spannung 

163 



unabhängige Ursache ein, die für die Stromstärke in zweiter Linie 
maßgebend ist; die Stromstärke ist für ihn die in der Zeit- 
einheit bewegte Elektrizitätsmenge ^). Eben diese klare Begriffs- 
bildung war von weittragendster Bedeutung. Ohm zeigte in der- 
selben Abhandlung, wie man auf Grund seines Gesetzes mehrere 
Elemente schalten müsse, um den besten Effekt zu erzielen. 

Eine weitere überaus wichtige Arbeit Ohms erschien 1826 in 
Poggendorfs Annalen, die klärend wirkte. In dieser stellte er 
theoretische Betrachtungen über die galvanische Kette an; u. a. 
wies er nach, daß sich das von ihm gefundene Gesetz auf einen 
beliebigen Teil des Stromkreises übertragen lasse. Hierdurch wurde 
er zu der heutigen Fassung seines Gesetzes geführt, in der das 
Leitungsvermögen, der Querschnitt des Leiters und seine Länge 
sowie die „an seinen Enden hervortretende elektrische Spannung" 
vorkommen. 

Das zweite Ohmsche Gesetz, das weniger bekannt ist, kann 
das elektroskopische genannt werden; es zeigt, wie man die 
„Stärke der Elektrizität" in jedem Querschnitte des Kreises aus- 
drücken kann. 

Um sich seinen Studien mit mehr Ruhe widmen zu können, 
suchte Ohm im April 1827 einen längeren Urlaub nach, der ihm 
auch unter Anerkennung seiner Leistungen gewährt wurde. Kurze 
Zeit darauf erschien sein schon während seiner Tätigkeit an 
unserer Anstalt fast vollständig ausgearbeitetes, zusammenfassendes 
Werk: „Die galvanische Kette, mathematisch bearbeitet". Trotz 
seiner eminenten Bedeutung wurde dieses in der ersten Zeit nicht 
allgemein beachtet und nur von einigen wenigen Physikern in 
seiner Tragweite erkannt; ja, andere Forscher äußerten sich sogar 
wegwerfend. 

Fechner in Leipzig, damals einer der hervorragendsten Physiker, 
war wohl der erste, der das Ohmsche Gesetz experimentell nach- 
prüfte. In einer 1831 erschienenen Schrift sagt er: „Ich kann nicht 
umhin, Ohm das Verdienst beizumessen, mit den wenigen Buch- 
staben seiner einfachen Formel eine neue Epoche für die Lehre 
vom Galvanismus begründet zu haben." Er wünschte, daß den 
Verdiensten Ohms eine größere Anerkennung zuteil werde. 

Ohms sehnlichster Wunsch, nämlich der Wunsch, in die aka- 
demische Laufbahn einzutreten, wurde von der vorgesetzten Behörde 
nicht gefördert. Man schreibt dies u. a. dem Umstände zu, daß 
der damalige einflußreiche Ministerialreferent ein Anhänger der 

«) Hoppe I. c. S. 255. 

169 



Hegeischen Philosophie war, welcher Ohm als exakter Natur- 
forscher keinen Geschmack abgewinnen konnte. Eine mündliche 
Besprechung mit dem Dezernenten führte zum Bruche, und Ohm 
reichte sein Abschiedsgesuch ein. Nichts konnte ihn bewegen, 
dieses Gesuch zurückzunehmen, und durch Verfügung vom 29. März 
1828 wurde er aus seiner Stellung als Lehrer unserer Anstalt 
entlassen. In der „Einladungsschrift zu den öffentlichen Prü- 
fungen" des Jesuiten-Gymnasiums vom Jahre 1828 findet man: 
„Der vormalige Oberlehrer der Mathematik, Herr Dr. Ohm, ist 
nunmehr auf sein Ansuchen definitiv entlassen" — weiter nichts! 
Die folgenden sechs Jahre waren wohl in jeder Hinsicht die 
unfruchtbarsten in Ohms Leben; mit dem kleinen Gehalt, den 
er für drei wöchentliche Unterrichtsstunden an der Allgemeinen 
Kriegsschule zu Berlin bezog, fristete er sein Leben. Diesem 
traurigen Zustande machte die Berufung als Lehrer an die Poly- 
technische Schule in Nürnberg ein Ende. Dort blieb Ohm neun 
Jahre lang. 

Das Jahr 1837 bildet in Ohms Leben einen Wendepunkt. In 
diesem legte nämlich Pouület der Akademie der Wissenschaften 
zwei Arbeiten vor, die zur Folge hatten, daß man überall Ohms 
Untersuchungen über den elektrischen Strom Beachtung schenkte. 
Besonders in England beschäftigten sich die Physiker eingehend 
mit der von Ohm aufgestellten Theorie der Kette und zollten ihr 
volle Anerkennung. Die Society Royal verlieh dem verdienstvollen 
Forscher die goldene Copley-Medaille, eine der höchsten Aus- 
zeichnungen, die einem Naturforscher damals zuerkannt werden 
konnte. In der betreffenden Urkunde heißt es: „Wäre das Werk 
Ohms früher erkannt worden, so hätte sich der Fleiß der Ex- 
perimentatoren besser gelohnt." Einige Jahre später wurde Ohm 
„wegen seiner eminenten mathematischen und physikalischen 
Untersuchungen" zum auswärtigen Mitglied der Society Royal 
gewählt. 

Außer den mehrfach erwähnten theoretischen und experi- 
mentellen Untersuchungen über den elektrischen Strom verdankt 
die Physik Ohm noch verschiedene höchst wertvolle Arbeiten und 
Werke. Von hervorragender Bedeutung ist zunächst die im Jahre 
1843 in Poggendorfs Annalen erschienene Arbeit: „Über die 
Definition des Tones und die Theorie der Sirene und ähnlicher 
tonbildender Vorrichtungen". In dieser zeigt er, daß ein tönender 
Körper außer dem Grundtone gleichzeitig verschiedene Obertöne 
erzeugt, daß man also jede zu einem solchen Tone gehörige 

170 



periodische Luftbewegung in eine Reihe pendeiartiger Schwingungen 
zerlegen könne. Dieses Gesetz, das vielfach irrtümlicherweise 
Helmholtz zugeschrieben wird, hat Ohm mathematisch abgeleitet 
und experimentell geprüft. 

Im Jahre 1849 erschien „Die analytische Geometrie am schief- 
winkligen Koordinatensystem", die man als den ersten Band eines 
großartig angelegten, leider nicht vollendeten Werkes, das den 
Titel Molekularphysik erhalten hat, ansehen muß. Der zweite Band 
lag schon vollständig ausgearbeitet vor, als der erste erschien. Ohm 
wollte aber diesen Teil nicht eher veröffentlichen, bis die anderen 
Bände ausgearbeitet seien. Es ist hier nicht der Ort, den eminenten 
Wert der vorhandenen Teile der Molekularphysik für die Wissen- 
schaft darzulegen. Für die Physik ist es ein unersetzlicher Verlust, 
daß Ohm sein großes Werk nicht vollenden konnte. 

In demselben Jahre, in dem der erste Teil der Molekular- 
physik erschien, ging Ohms Herzenswunsch, in die akade- 
mische Laufbahn einzutreten, endlich in Erfüllung. Er wurde 
als Konservator der mathematisch-physikalischen Sammlungen bei 
der Münchener Akademie der Wissenschaften und als Referent 
für die Telegraphenverwaltung nach München berufen; gleichzeitig 
wurde ihm die Aufgabe übertragen, als ordentlicher Professor Vor- 
lesungen über Mathematik und Physik an der Universität zu halten. 
Einige Jahre später gab Ohm die beiden zuerst genannten Ämter 
ab und übernahm die Professur für Experimental-Physik. Die zahl- 
reichen Pflichten, die ihm aus seiner Berufung nach München 
erwuchsen, hatten zur Folge, daß er an seiner Molekularphysik 
einstweilen nicht weiter arbeiten konnte. In München verfaßte 
Ohm eine hochbedeutende mathematische Abhandlung über die 
Interferenzerscheinungen in Kristallplatten, die sich durch Scharf- 
sinn und Eleganz auszeichnet. Von seiner hervorragenden Begabung, 
seinen umfassenden Kenntnissen und seinem ausgezeichneten Lehr- 
talent legt das „Kompendium der Physik" Zeugnis ab. „Dieses 
Lehrbuch," sagt Bauernfeind, Ohms Biograph, „gehört zu denje- 
nigen, weiche den Beweis liefern, daß ein gutes Lehrbuch zu 
schreiben eine wahrhaft wissenschaftliche Aufgabe für einen gereiften 
Forscher und Lehrer ist." 

Nachdem Ohm Ostern 1854 von einem Schlaganfall betroffen 
worden war, der einen starken Kräfteverfall zur Folge hatte, machte 
ein zweiter Schlaganfall am 6. Juli 1854 seinem arbeitsreichen 
Leben ein Ende. Kurze Zeit vor seinem Tode soll er noch von seinen 
Erlebnissen in Köln den Bekannten, die um ihn waren, erzählt haben. 

171 



Ohm war ein äußerst schlichter und einfacher Mann, der nur 
seinen Schülern, Amtsgenossen und Freunden näher bekannt war 
und näher trat. Seine Bescheidenheit erlaubte ihm nicht, einem 
Maler oder Bildhauer zu sitzen. Nur einmal hat er einem Anfänger 
der photographischen Kunst gestattet, ihn aufzunehmen. Das so 
entstandene ziemlich schlechte Bild und eine ohne sein Wissen 
angefertigte Profilzeichnung bildeten die Unterlagen für das Öl- 
gemälde im Sitzungssaale der Königl. Akademie der Wissenschaften 
zu München und für die Marmorbüste in der bayerischen Ruhmes- 
halle. Das hier reproduzierte Bildnis des großen Physikers kann 
daher nicht den Anspruch auf genaue Ähnlichkeit erheben. 

An Auszeichnungen hat es Ohm, besonders in den letzten 
Jahren seines Lebens, nicht gefehlt. Aber auch die Nachwelt hat 
das Andenken des großen Mannes geehrt. In München wurde ihm 
ein Marmorstandbild errichtet. Das schönste Denkmal aber, das 
man Ohm widmen konnte, besteht darin, daß auf dem Pariser 
Kongreß der Physiker und Elektrotechniker (1881) eine der wich- 
tigsten elektrischen Einheiten nach ihm benannt wurde — wahr- 
lich ein Denkmal aere perennius. 



172 



Wilhelm Smets. 

Von Dr. phil. JOS. GÖTZEN. 



Der erste katholische Religionslehrer für das nach der fran- 
zösischen Fremdherrschaft neu eingerichtete königliche 
Gymnasium an Marzellen wurde am 2. Februar 1824 ernannt. 
Es war WILHELM SMETS, der neben seiner neuen Stellung zugleich 
Kaplan und Sonntagspre diger am Dom war und 



als Dichter bereits 
Der neue Rel 
26 Jahre alt; 
würdiges uni 
ben lag be 
ihm: Frei 
ger, Frei 
fer und 
Schauspie 
und Leh 
er gewe 
er im theo 
Beruf das 
Lebens ge 
Wilhelm 
seinem vol \ 
Philipp Karl 
Johann Wil 
war geboren am 
1796 in Reval im 
lande. Sein Vater 




Namen hatte, 
slehrerwarerst 
iber ein merk- 
bewegtes Le- 
reits hinter 
heitssän- 
heitskämp- 
Offizier, 
1er, Literat 
rer war 
sen, ehe 
logischen 
Ziel seines 
funden. 
Smets, mit 
len Namen 
JosephAnton 
heim Smets, 
15. September 
russischen Est- 
Johann Nikolaus 



iCCZ^ ^^-4-,i ^■'r-'' — -^^ 

Wilhelm Smets stammte aus der Gegend von Aachen. Er war ein 
begabter, aber etwas exzentrisch veranlagter Mann, der eine ge- 
sicherte juristische Laufbahn verlassen hatte, um eine adelige Dame 
zu entführen und sich mit ihr unter dem angenommenen Namen 
StoUmers der Bühne zu widmen. So war er nach Rußland verschlagen 



173 



worden, hatte seine treue Gattin nach kurzer, glücitlicher Ehe 
verloren und lebte in Reval, um im Auftrage des russischen Gouver- 
neurs von Estland, des bekannten dramatischen Dichters August 
von Kotzebue, für die größeren Städte der baltischen Provinzen 
ein wanderndes Theater zu organisieren und zu leiten. Auf der 
Suche nach geeigneten Kräften lernte er die jugendliche Schau- 
spielerin Sophie Bürger kennen, deren noch schlummernde Talente 
er mit sicherem Blick erkannte. Er übernahm zunächst die Aus- 
bildung des Mädchens, das als Schauspielerkind ohne jede Schule 
aufgewachsen war und weder lesen noch schreiben konnte, und 
um sie ganz unter seinen Einfluß zu bringen, heiratete der Dreißig- 
jährige die kaum Vierzehnjährige, die nicht einmal den wirklichen 
Familiennamen ihres Mannes kannte. Das ungleiche Verhältnis 
führte indessen zu baldiger Trennung. Nachdem Smets mit seiner 
jungen Frau noch ein Jahr am Wiener Theater tätig gewesen war, 
ließ er sich im Jahre 1799 in Breslau gerichtlich von ihr scheiden. 
Zwei Kinder hatte sie ihm geboren, von denen aber nur das älteste, 
der Sohn Wilhelm, am Leben geblieben war. Das Theater war 
ihm verleidet, und er wandte sich wieder seiner juristischen Lauf- 
bahn zu, die er dreizehn Jahre vorher mit so vielen Hoffnungen 
verlassen hatte. Er kehrte in seine Heimat zurück und wirkte in 
Aachen als praktischer Rechtsgelehrter, später auch als Ergänzungs- 
richter beim Friedensgericht. Seine Frau heiratete im Jahre 1804 
in Hamburg den Schauspieler und Sänger Friedrich Schröder. Als 
Sophie Schröder ist sie — ebenso wie ihre Tochter Wilhelmine 
Schröder-Devrient — berühmt und unsterblich geworden, „Deutsch- 
lands grösste Tragödin", die bedeutendste Vertreterin der klassischen 
Schauspielkunst. 

Das Kind aus seiner kurzen Ehe hatte der Vater an sich ge- 
nommen. In Aachen wuchs nun der begabte Knabe auf, an dessen 
Wiege schon der ganze Jammer des Lebens gestanden hatte. Den 
ersten Unterricht übernahm der Vater und ein Hauslehrer; dann 
kam der Knabe auf die Sekundärschule in Aachen. In den Schüler- 
listen der ficole secondaire communale d'Aix-la-Chapelle, die von 
1806 — 1811 reichen, ist er eingetragen als Guillaume Smets de 
St. Petersbourg{!), zuletzt als Schüler der dritten Klasse; er ist also 
trotz einiger Prämien, die er erhielt, nicht immer versetzt worden. 
Besondere Vorliebe und Veranlagung zeigte der Knabe für die Dicht- 
kunst und die Malerei; der Vater beförderte diese Neigungen und 
suchte seinen Sohn schon frühzeitig für die besten Erzeugnisse 
der deutschen Literatur zu begeistern. Wenn auch die sorgende 

174 



Liebe der Mutter dem Knaben fehlte, so verlebte er doch in Aachen 
glückliche Kinderjahre, an die er sich im späteren Leben gern 
erinnerte. Aber im Jahre 1812 entriß ihm der Tod den Vater plötzlich 
im besten Mannesalter. Verwandte mußten sich jetzt des Eltern- 
losen annehmen, der nicht wußte, daß er noch eine Mutter hatte. 
Auf Veranlassung seiner Großmutter kam er im Jahre 1812 auf 
das Lyzeum in Bonn. Hier herrschte ein ganz französischer Geist, 
der dem für sein deutsches Vaterland begeisterten jungen Smets 
in keiner Weise zusagte, zumal er vom Vater einen starken Wider- 
willen gegen alles Französische eingesogen hatte. Das Studium 
der deutschen Dichter, seine Lieblingsbeschäftigung, wurde ihm in 
Bonn untersagt, und ihre Werke, deren Besitz sein Stolz und seine 
Freude war, wurden ihm abgenommen. Aber man konnte ihn nicht 
hindern, daß er in eigenen Dichtungen ihnen nachzueifern strebte; 
namentlich Schiller, der beredte Verteidiger der Freiheit, war sein 
Vorbild, für das er auch seine Mitschüler zu begeistern suchte. Mit 
gleichgesinnten jugendlichen Schwarmgeistern gründete er einen 
geheimen Bund, dessen Mitglieder schworen, für Deutschlands Ehre 
und Freiheit Gut und Blut zu opfern. Aber die Sache wurde ver- 
raten, und Smets bekam von der Entdeckung noch gerade früh- 
zeitig genug Ahnung, um sich einer strengen Bestrafung durch 
die Flucht nach Aachen entziehen zu können. Er hielt sich bei 
seinen Verwandten in der Nähe von Aachen verborgen, und da bald 
darauf infolge des siegreichen Vorgehens der Verbündeten gegen 
Napoleon die französische Herrschaft am Rhein ins Wanken geriet, 
brachte der unzeitige Eifer für Deutschlands Ehre dem jungen 
Heißsporn weiter keine üblen Folgen. Nur mit Mühe hielten die 
Verwandten den schwärmerischen, aber körperlich schwachen Jüng- 
ling davon zurück, beim Übergang der verbündeten Truppen über 
den Rhein in die Reihen der Verteidiger des Vaterlandes einzutre- 
ten. Er lebte jetzt eine Zeitlang in Aachen und dessen Umgegend 
bei seinen Verwandten, hauptsächlich mit dem Studium der deutschen 
Schriftsteller und eigenen dichterischen Versuchen beschäftigt. Im 
Herbst des Jahres 1814 übernahm er eine Hauslehrerstelie bei dem 
Freiherrn von Mylius auf Schloß, Reuschenberg bei Opladen. Hier 
verlebte er angenehme und behagliche Tage im häuslichen Kreise 
einer feingebildeten Familie, die den für alles Edle und Schöne 
begeisterten Jüngling wie einen der Ihrigen behandelte. Sein dich- 
terisches Schaffen fand in der anregenden Umgebung reichliche 
Nahrung. Aber diese schöne Ruhe sollte nicht lange währen. Als 
Napoleon im März 1815 den Versuch machte, seine verlorene 

175 



Herrschaft wiederzugewinnen, da hielt es den jungen Smets nicht 
mehr zurück. Mit warmen Empfehlungen seines Gönners, des 
Freiherrn von Mylius, der seinen Hauslehrer nur ungern scheiden 
sah, trat er in die Schar der niederrheinischen Freiwilligen ein, 
in der er zur Anerkennung für seine begeisterten patriotischen 
Dichtungen bald zum Offizier befördert wurde, eine Auszeichnung, 
auf die er mit Recht nicht wenig stolz war. Er wurde dem Haupt- 
quartier Gneisenaus zugeteilt, der den jungen Offizier gern in seiner 
Nähe sah. Smets nahm teil an der Schlacht bei Belle-Alliance; 
er blieb unverwundet und zog mit dem siegreichen Heere nach 
Paris. Nach Abschluß des zweiten Pariser Friedens schied er im 
Anfang des Jahres 1816 aus dem Heeresdienste als Leutnant des 
3. Rheinischen Landwehr-Infanterie-Regiments. Er kehrte nun 
wieder nach Aachen zurück und veröffentlichte hier seine erste 
Gedichtsammlung „Versuche in Gedichten" (Köln 1816). Im Sommer 
des Jahres 1816 übernahm er eine Erzieherstelle bei dem nach 
Österreich ausgewanderten Freiherrn von Forst-Gudenau, der da- 
mals mit seiner Familie bei seinem Schwager, dem Grafen von 
Mirbach-Harff, zu Besuch weilte. Im Herbst desselben Jahres reiste 
Smets mit seinen beiden Zöglingen nach Wien. Die Reise ging 
den Rhein hinauf bis Straßburg, dann bis Ulm und von hier die 
Donau hinunter nach Wien. Die Fahrt war für den jungen Dichter 
reich an bleibenden Eindrücken und bot ihm Stoff für zahlreiche 
Gedichte. Kaum ein paar Monate, nachdem er in Wien ange- 
kommen war, gab er plötzlich seine Stellung als Erzieher auf. Ein 
unerwartetes Ereignis, das tief in sein Leben eingriff, bestimmte 
ihn dazu: er hatte seine Mutter wiedergefunden. Der Vater sowohl 
wie seine Anverwandten hatten den jungen Smets in dem Glauben 
gelassen, daß seine Mutter tot sei. Aber ein vorwitziger Einblick 
in die Papiere seines geistlichen Oheims, des Kanonikus Johann 
Franz Smets in Aachen, hatte ihn in seinem bisherigen Glauben 
wankend gemacht. Qualvoll lastete die Ungewißheit über das 
Schicksal seiner Mutter auf ihm. Vielleicht hatte ihn der Gedanke 
an seine Mutter mitbestimmt, die Erzieherstelle bei dem Freiherrn 
von Forst-Gudenau anzunehmen. Aber zweifellos war es ein Un- 
recht, wenn die Familie glaubte, er habe auf diese Weise nur nach 
Wien zu seiner Mutter gelangen wollen, denn Smets wußte nicht, 
wo seine Mutter war. Eines Abends war er im Burgtheater, wo 
Sophie Schröder damals auftrat. Plötzlich erkannte er in ihr die- 
jenige, die ihn geboren hatte. Er hat uns die Erkennungsszene 
selber in einem Gedichte geschildert: 

176 



,Gott, wie wurde mir da! Ganz deutlicli vernahm ich die eigne 
Stimme, so wie sie mir selbst tönt aus der volleren Brust, 
Tränenden Blicks entdeckt' ich im Antlitz die eigenen Züge: 
Stirn und Augen und Mund, selbst auch das Grübchen im Kinn. 
— „Mutter, Du bist's! Ich zweifle nicht mehr, es lebet dein Kind noch!" 
„„Wilhelm! mein ältester Sohn!'" Rief sie, und sank mir ans Herz." 
Man kann sich leicht deniien, wie tief dieses unerwartete 
Wiederfinden einer so lange tot Geglaubten in das Gemüt des 
empfänglichen Jünglings eingriff. Mutter und Sohn blieben seit 
jener Stunde in inniger Liebe verbunden, und nichts vermochte 
den Sohn auch später, nachdem er Priester geworden war, in der 
Liebe zu seiner Mutter wankend zu machen, obgleich das Ver- 
hältnis bei manchen engherzigen Seelen Anstoß erregte. In Wien 
begann nun für Smets ein neues Leben voller Hoffnungen und 
Pläne. Er widmete sich der Erziehung seiner jüngeren Halbge- 
schwister und besuchte fleißig das Theater und die Kunstsamm- 
lungen. Durch seine Mutter wurde er bald mit hervorragenden 
Künstlern, Gelehrten und Schriftstellern bekannt. Nicht ohne Ein- 
fluß seiner Mutter faßte er den Plan, selber Schauspieler zu werden. 
Er trat in mehreren Rollen auf und fand auch Anerkennung; aber 
schon nach kurzer Zeit kam er doch zur Erkenntnis, daß die 
Bühne nicht der Ort für seine Talente sei. Das Leben eines 
Schauspielers, von dem er bisher nur ideale Vorstellungen gehegt 
hatte, zeigte ihm bald auch seine vielen Schattenseiten, und so 
gab er den Plan, in die Fußstapfen seiner berühmten Mutter zu 
treten, wieder auf. Nur etwa drei Monate hatte seine Bühnenlauf- 
bahn gedauert. Er wandte sich nun, um seinen Lebensunterhalt 
zu verdienen, der Schriftstellerei zu, da seine Mutter nicht in der 
Lage war, ihn zu unterstützen. Er wurde Mitarbeiter an verschie- 
denen Zeitungen, für die er Theaterrezensionen und andere Bei- 
träge lieferte. Mit allen literarisch bedeutenden Männern des da- 
maligen Wien war er bekannt geworden, von denen nur Zacharias 
Werner, Anton und Georg Passy und Johann Emanuel Veith 
genannt seien. Auch mit dem bekannten Redemptoristenpater 
Clemens Maria Hofbauer, den die katholische Kirche heute zu 
ihren Heiligen zählt, kam er in Verbindung. Hofbauer, der schon 
so mancher wankenden Existenz wieder aufgeholfen hatte, nahm 
sich auch des verzweifelnden Smets an, dessen Lage von Tag zu 
Tag drückender und hoffnungsloser geworden war. Auf Hofbauers 
und der übrigen Freunde Rat verließ der junge Dichter, um viele 
Hoffnungen ärmer, im Spätherbst des Jahres 1817 die Stadt Wien, 
um wieder an den Rhein zurückzukehren. Ohne ausreichende 

12 177 



Mittel trat er die Reise an, zu deren Fortsetzung er sich unter- 
wegs das Geld erst verdienen mußte. Von Linz aus, wo er des 
Erwerbes wegen längeren Aufenthalt nahm, schrieb er in drücken- 
der Lage an seine Aachener Jugendfreunde, die ihn daraufhin 
mit einigen Mitteln für die Weiterreise versahen. So kam er unter 
manchen Entbehrungen nach Coblenz. Durch die Hilfe von Joseph 
Görres erhielt er hier eine Anstellung als Lehrer an der Kriegs- 
schule und später als Hilfslehrer am Gymnasium. In Coblenz 
veröffentlichte er mehrere seiner Werke, die zum Teil schon früher 
entstanden waren. Im Jahre 1818 erschien sein „Taschenbuch für 
Rheinreisende", im selben Jahre die „Poetischen Fragmente aus 
Theobalds Tagebuch" und das Trauerspiel „Die Blutbraut"; im 
Jahre 1819 folgten das Trauerspiel „Tassos Tod" und das Schau- 
spiel „Soldatenglück". Das Jahr 1819 bedeutet den Wendepunkt 
für sein Leben; er hatte den Entschluß gefaßt, Priester zu werden. 
Die Beweggründe zu diesem Schritt sind nicht ganz aufgeklärt; 
aber er hatte so viele Hoffnungen zu Grabe getragen, daß es ihm 
leicht und begehrenswert erscheinen mochte, der Welt zu entsagen 
und im Dienste der Religion Ruhe und Frieden zu finden. Indessen 
zur Ausführung seines Vorhabens fehlte es ihm an Geld. Da kam 
ihm Hilfe von einer Seite, von der er es wohl am wenigsten 
erwartet hätte: die jüdische Gemeinde in Coblenz setzte ihm für 
drei Jahre ein Gehalt aus, das ihm das Studium der Theologie 
ermöglichen sollte. Das war so gekommen. Smets hatte in einer 
Theaterkritik energisch Front gemacht gegen eine judenfeindliche 
Posse „Unser Verkehr", die damals in Deutschland über viele 
Bühnen ging, und hatte es dadurch erreicht, daß das Stück nicht 
mehr gegeben wurde. Aus Dankbarkeit hatte nun die jüdische 
Gemeinde den Beschluß gefaßt, ihrem Verteidiger auf die ange- 
gebene Weise zu helfen. Smets weigerte sich zwar zunächst, das 
Geschenk anzunehmen; aber den Bitten des Juden, der als Abge- 
sandter der Gemeinde bei ihm erschienen war und die erste Rate 
des Gehaltes bereits in blanken Talern auf den Tisch gezählt 
hatte, konnte er doch nicht widerstehen, und er dankte mit 
Tränen in den Augen. Im Herbst des Jahres 1819 nahm er von 
seinen Wohltätern, Freunden und Schülern in Coblenz Abschied 
und ging nach Münster, wo damals Georg Hermes durch seine 
theologischen Vorlesungen Aufsehen erregte. Im Jahre 1820 trat 
Smets zur Fortsetzung seiner Studien in das Priesterseminar in 
Köln ein. Am 14. Februar 1821 erhielt er von der Universität 
Jena die philosophische Doktorwürde auf Grund einer Schrift: 

178 



„Was bestimmt den Menschen, seine Vorstellungen durch die 
Sprache auszudrücken, und auf welchem Wege gelangt er zur 
eigentlichen Sprache?". Im selben Jahre veröffentlichte er eine 
Sammlung von Aphorismen unter dem Titel „Hieroglyphen für 
Geist und Herz", die im Jahre 1823 in zweiter Auflage erschien. 
Am 8. Mai 1822 wurde er in Köln zum Priester geweiht. Die 
geistliche Behörde hielt ihn in Köln, obgleich seine Coblenzer 
Freunde sich für eine Überweisung nach seinem früheren Wirkungs- 
kreise verwandten. Als Domkaplan und Sonntagsprediger am Dom 
wurde er bald in der ganzen Stadt bekannt; von allen Seiten 
strömte man herbei, um seine inhaltreichen, von dichterischem 
Schwung getragenen Reden zu hören. Zur Erweiterung und Ver- 
tiefung seiner theologischen Kenntnisse besuchte er noch über ein 
Jahr lang einzelne Vorlesungen im Priesterseminar. Am 2. Februar 
1824 erfolgte seine Ernennung zum Religionslehrer am königlichen 
katholischen Gymnasium; seine Stellung am Dom behielt er bei. 
Der neue Religionslehrer widmete sich seiner Aufgabe mit 
Ernst und Eifer, und er hatte Erfahrungen genug gesammelt, um 
der heranwachsenden Jugend ein Rater und Führer sein zu können. 
Über die Zeit dieser Lehrtätigkeit sagt er in seinem Gedichte „Des 
Dichters Lebensbilder", das dreizehn Bilder aus seinem „ernsten 
Lebensgang" skizziert: 

„Das achte zeigt daneben 
Manch reines Jünglingsherz, 
Mir innig hingegeben. 
Mich fiügelnd himmelwärts; 
Des Schülers Blicke sehen 
Begeistert auf mich hin, 
Nicht ahnend mein Gestehen, 
Wie unwert daß ich bin." 

Die Schüler hingen mit großer Liebe und Verehrung an ihrem 
Lehrer, der ihnen nicht nur Wissensstoff beizubringen, sondern sie 
vor allem zu einer lebendigen Betätigung der Religion anzuleiten 
suchte. Die meisten bewahrten ihm auch im späteren Leben treue 
Anhänglichkeit. „Er übte etwas von der Einwirkung des alten 
Hellenen Sokrates," sagt einer seiner Schüler, „so daß er in jedem 
der jüngeren Freunde die eigentümlichen Geisteskräfte aufsuchte 
und weckte. Er erzählte gern und anziehend, besonders aus den 
Feldzügen." Er selbst schreibt über seinen Unterricht in einem 
Briefe an seine Mutter: ,,Auch mein Unterricht am Gymnasium 
gewinnt immer mehr Aufsehen, weil ich mit scharfer, beizender 

12» 179 



Kritik, geschichtlicher Forschung und getreuem Mute und Ver- 
trauen auf meine gute Sache den reinen, vernunftgemäßen Katho- 
lizismus aufzustellen mich bemühe; genug verlästert von den 
dunkeln Kreaturen, die durch ihre Unwissenheit ebensogut wieder 
den tötenden Spalt einer Reformation verursachen würden, wie 
vor dreihundert Jahren, wenn jetzt nicht welche unter uns auf- 
stehen, die Feuereifer mit Gelehrsamkeit und Festigkeit mit Ruhe 
verbinden." Die Einwirkung auf seine Schüler beschränkte sich 
nicht auf den Unterricht. Er sammelte einen Kreis von Jünglingen 
um sich, denen er Vorträge aus allen Wissensgebieten hielt; beson- 
ders für die Erzeugnisse der schönen Literatur suchte er sie zu 
erwärmen und in deren Verständnis sie einzuführen. Da er selber 
ein guter Deklamator und Rezitator war, so boten gerade diese 
Stunden den Teilnehmern reiche Anregung. Einmal freilich wurden 
ihm von seiner Gymnasialjugend die Fenster eingeworfen, weil 
er einige Schüler, die er auf verbotenen Wegen in einer Wirtschaft 
ertappte, zur Anzeige gebracht hatte. Aber das war nur ein kleines 
Augenblicksintermezzo, ein mehr humoristisch aufzufassender 
Rachestreich, der auf die allgemeine Verehrung, die Smets unter 
seinen Schülern genoß, keinen Rückschluß gestattet. 

Obgleich Smets durch sein Doppelamt nicht wenig in An- 
spruch genommen war, ruhte doch seine schriftstellerische Tätig- 
keit nicht. In Köln herrschte gerade damals ein ziemlich an- 
geregtes literarisches Leben, an dem Smets sich eifrig beteiligte. 
Selbst in das Getriebe des Karnevals, für dessen Hebung und Neu- 
belebung damals die bedeutendsten Männer in Köln ihre Kraft 
einsetzten, wurde er hineingezogen; der Geistliche und Religions- 
lehrer wurde, wenn die närrische Zeit kam, gelegentlich auch 
zum Karnevalsdichter. Im Januar 1825 hatte das Karnevalskomitee 
den Altmeister Goethe, der das Kölner närrische Treiben mit In- 
teresse verfolgte, zur Teilnahme am Karneval eingeladen. Goethe 
antwortete bald darauf mit einem launigen Gedichte. Das Komitee 
bat nun Smets, einen poetischen Gegengruß an Goethe zu ver- 
fassen. „Durch dieses Gedicht," schrieb er an seine Mutter, 
„welches sich, wie das allgemeine und von Gelehrten und Un- 
gelehrten ausgesprochene Urteil aussagte, neben dem Goetheschen 
nicht unwürdig zeige, habe ich mir einen neuen großen Stein im 
Spielbrette der öffentlichen Meinung gewonnen." Im Jahre 1824 
hatte Smets seine zweite Sammlung ,, Gedichte" herausgegeben. 
Im Herbst desselben Jahres machte er eine Reise nach Wien zu 
seiner Mutter, die ihn dann ein Jahr darauf, bei Gelegenheit eines 

180 



Gastspieles in Aachen, mit ihrem Besuch erfreute. Obgleich so 
die Kölner Zeit unserem Smets manche Freude und Anregung 
brachte, so fehlte es doch auch nicht an Enttäuschungen und 
trüben Erfahrungen. Sein für die damalige Zeit etwas freies und 
weltmännisches Auftreten, das nie ganz den gewesenen Schau- 
spieler verleugnete, seine Herliunft und der Verkehr mit seiner 
Mutter, der Schauspielerin, deren Leben nicht ohne Fehltritte war, 
und nicht zuletzt seine dichterische Tätigkeit erregte bei manchen 
seiner geistlichen Amtsbrüder Anstoß; man nannte ihn wohl 
spöttisch den ,, verdorbenen Schauspieler". Der damalige Erz- 
bischof von Köln Graf von Spiegel war ihm zwar sehr gewogen 
und wollte ihn durch Beförderung zum Domkapitular ganz in 
seine Nähe ziehen; aber dieser Plan scheiterte am Widerstand der 
älteren Domherren, angeblich wegen zu großer Jugend des 
Kandidaten. Diese Kränkung empfand Smets um so schwerer, als 
er nach Beförderung nicht gestrebt hatte. Auch die Leitung der 
von ihm gegründeten katholischen Monatsschrift, die er vom Jahre 
1826—1828 führte, brachte ihm Anfeindungen und Verdruß. Zu- 
dem litt er öfter an Brustkrampf, so daß er gezwungen war, von 
der ihm liebgewordenen Stellung als Domprediger sich entbinden 
zu lassen. Er wollte fort aus Köln und sehnte sich nach der Ruhe 
einer ländlichen Pfarre. Im März 1828 wurde sein Wunsch erfüllt: 
es wurde ihm die Pfarre Hersei bei Bonn übertragen. Indessen 
ein Unterleibsleiden, an dem er krankte, verschlimmerte sich der- 
artig, daß er sich einer schweren Operation unterziehen mußte, 
die zwar glücklich gelang, aber doch nicht imstande war, ihm für 
immer die volle Gesundheit wiederzugeben. In Hersei war er 
neben seiner seelsorgerischen Tätigkeit auch bald wieder schrift- 
stellerisch eifrig beschäftigt. Im Jahre 1829 veröffentlichte er eine 
„Kurze Geschichte der Päpste", der im Jahre 1830 als Supplement 
,,Das Märchen von der Päpstin Johanna" folgte. Im Jahre 1831 
erschienen seine ,,Neue Dichtungen aus den Jahren 1824—1830", 
im Jahre 1832 ,, Spruchlieder". Eine Reihe kleinerer Schriften 
religiösen oder polemischen Inhaltes lief nebenher. Besuche seiner 
Mutter und seiner Schwester Wilhelmine sowie kleinere Reisen 
brachten angenehme Abwechslung in sein stilles Pfarrerleben. Wenig 
erfreulich stand es aber mit seiner Gesundheit. Das wirkte auch 
ungünstig auf seine seelische Verfassung; wie so viele kränkliche 
Menschen war er empfindsam und leicht reizbar. Eine kleine 
Veranlassung genügte, um ihm seine Pfarrstelle zu verleiden. 
Seine Pfarrkinder sahen ihn nur sehr ungern scheiden. Im Oktober 

181 



1832 übernahm er die Stelle eines Oberpfarres in Münstereifel, 
mit der zugleich die Schulpflege über 26 Ortschaften verbunden 
war. Den Anstrengungen, die dieses Amt von ihm forderte, war 
sein schwächlicher Körper nicht lange gewachsen. Unzufriedenheit 
und Uniuhe kam über ihn. Im November 1835 vertauschte er 
seine Stelle mit der eines Oberpfarrers in Nideggen ; aber schon 
im Herbst 1836 verließ er Nideggen wieder, um die Pfarre Blatz- 
heim im Kreise Bergheim zu übernehmen. Nur wenige Monate 
verwaltete er diese Stelle. Da seine Kränlilichkeit immer mehr 
zunahm, sah er sich gezwungen, um seine Versetzung in den 
Ruhestand zu bitten. Sein Gönner, der Erzbischof Graf von Spiegel, 
war inzwischen gestorben. Im Jahre 1837 erhielt er seine Ent- 
lassung unter Gewährung einer kleinen Pension. 

Smets begab sich nun wieder nach Köln und lebte hier ganz 
seinen literarischen Arbeiten. Aber die Einnahmen aus dieser 
Tätigkeit reichten neben der kärglichen Pension nicht aus, seinen 
Lebensunterhalt zu bestreiten. Er geriet manchmal in arge Not, 
aus der ihn der Verkauf des Wenigen, was er besaß, darunter 
auch eines Teiles seiner wertvollen Bibliothek, nur für kurze Zeit 
befreite. Seine Mutter und besonders seine Schwester, wie auch 
einige gute Freunde halfen ihm öfter aus der Verlegenheit. Im 
Jahre 1838 veröffentlichte er seine neuesten Dichtungen unter dem 
Titel „Efeukränze", nachdem eine andere Sammlung „Kleinere 
epische Dichtungen" bereits im Jahre 1835 erschienen war. Dann 
arbeitete er an einer Gesamtausgabe seiner Gedichte, die Cotta 
in Stuttgart im Jahre 1840 in Verlag nahm. Zugleich redigierte 
er die Feuilletonabteilung der Kölnischen Zeitung. Sodann 
beschäftigte er sich mit einer Ausgabe und Übersetzung der 
Beschlüsse des Tridentinischen Konzils, die im Jahre 1844 er- 
schien und fünf Auflagen erlebte. Die schönste Zeit des Jahres 
verbrachte er meistens auf der idyllischen Rheininsel Nonnenwerth, 
die sein Lieblingsaufenthalt war. In Köln lebte er ganz zurück- 
gezogen; Verkehr pflog er nur mit einigen wenigen Familien. 
Besonders mit dem Appellationsgerichtsrat Ernst von Schiller, dem 
jüngeren Sohne des großen Dichters, verband ihn innige Freund- 
schaft. Schon lange hatte er den sehnlichen Wunsch gehegt, 
Italien zu sehen; „Roma aeterna noch, und dann will ich sterben," 
pflegte er zu sagen. Im Jahre 1841 hatte er sich endlich so viel 
ersparen können — gute Freunde hatten das Fehlende beigesteuert 
— , daß er die Reise antreten konnte. Der freundliche und ehren- 
volle Empfang durch den Papst und mehrere Kardinäle in Rom 

182 



war ihm eine große Genugtuung für die vielen Anfeindungen, die 
er von seinen Amtsbrüdern erfahren hatte, und trug nicht wenig 
dazu bei, sein Ansehen in der Heimat wieder zu heben. In Rom 
kam er auch mit dem damaligen preußischen Gesandten Grafen 
Brühl in Verbindung, und dieser Bekanntschaft verdankte er es, 
daß er zwei Jahre nach seiner Rückkehr aus Italien zum Kanonikus 
an der Stiftskirche in Aachen ernannt wurde. 

Am 17. Juni 1844 wurde er feierlich in sein neues Amt ein- 
geführt. So war der Dichter also wieder in die Stadt verpflanzt, 
in der er seine Jugendjahre verbracht hatte und mit der ihn so 
manche teuere Erinnerungen verbanden. In Aachen lebte er von 
neuem auf ; frei von Sorgen konnte er sich ganz seinen Lieblings- 
beschäftigungen hingeben. Freilich bei seiner Mildtätigkeit, die 
mit den Armen alles teilte, geriet er auch hier noch oft in Ver- 
legenheit, so daß seine Freunde in unauffälliger Weise eingriffen 
und halfen. Seine Predigten übten große Anziehungskraft, und 
bei allen festlichen Veranstaltungen war er ein gern gesehener 
und gefeierter Gast und Redner. Da sein Amt ihm viel freie Zeit 
ließ, so widmete er sich wieder eifrig literarischer Tätigkeit. Neben 
verschiedenen Übersetzungen theologischer oder philosophischer 
Werke lieferte er manche Aufsätze für Zeitschriften. Vom Jahre 
1847 bis zu seinem Tode redigierte er das in Aachen erscheinende 
„Album für Leben, Kunst und Wissen", das viele Beiträge aus 
seiner Feder enthält. Auch seine dichterische Tätigkeit ruhte 
nicht. Im Jahre 1847 erschien eine neue Sammlung „Gedichte" 
und im Jahre 1848 „Jesus Christus und das Symbol der Apostel, 
gefeiert in Gesängen und Liedern". Eine Ausgabe und Bearbeitung 
der Gedichte von Friedrich von Spee unter dem Titel „Fromme 
Lieder von Friedrich Spee" wurde erst nach seinem Tode im 
Jahre 1849 gedruckt. Er hatte sich ein einfaches, aber behag- 
liches Heim eingerichtet, in dem er gern den Besuch guter Freunde 
empfing. Seine Mutter verbrachte im Jahre 1846 mehrere Wochen 
bei ihm. Mit vielen bedeutenden Männern seiner Zeit stand er 
in brieflichem Verkehr. Auch am politischen Leben beteiligte er 
sich wieder. Nur mit seiner Gesundheit war es nicht gut bestellt, 
so daß er sich im Jahre 1847 wieder zu einer Badekur genötigt 
sah. Das Jahr 1848 ließ auch im Herzen des gut deutsch gesinnten 
Smets die alte Hoffnung auf ein geeintes Deutschland neu auf- 
leben, für das schon der Jüngling in den Kampf gezogen war. 
Am 10. Mai wurde er in Aachen als stellvertretender Abgeordneter 
für das Frankfurter Parlament gewählt. Da der an erster Stelle 

183 



gewählte Kandidat David Hansemann das Mandat ablehnte, ließ 
Smets sich trotz der fürsorglichen Bitten seiner Mutter bewegen, 
die Wahl anzunehmen. Erst am 26. Mai konnte er die Reise 
nach Frankfurt antreten, da er noch am Wahltage infolge der 
vielfachen Aufregungen wieder von heftigen Krämpfen heimgesucht 
worden war. Die Anfälle wiederholten sich auf der Reise, so daß 
er nach mehrfachen Unterbrechungen erst am 3. Juni in Frank- 
furt anlangte. Die großen Hoffnungen, die er, wie so viele 
andere, auf die Einberufung des Frankfurter Parlamentes gesetzt 
hatte, wichen bald arger Enttäuschung; gleichwohl beteiligte 
er sich eifrig an den Versammlungen. Aber die aufs neue aus- 
brechende Krankheit zwang ihn, das nahe gelegene Bad Soden 
aufzusuchen, wo er sich zwar wieder erholte, aber doch zu der 
Überzeugung kam, daß er sein Mandat nicht weiter ausüben könne. 
Anfang September reiste er nach Aachen ab; leidend und voll- 
ständig gebrochen kam er an. In kurzer Zeit verschlimmerte sich 
seine Krankheit so, daß die Kunst der Ärzte vergebens war. Am 
15. Oktober, morgens 5 Uhr, schlummerte er gottergeben in ein 
besseres Jenseits hinüber. Am Morgen des 17. Oktober geleitete 
ein feierlicher Zug, an dem sich reich und arm beteiligte, den 
toten Dichter hinaus auf den Friedhof. Über seinem Grabe 
errichteten Freunde und Verehrer ihm im Jahre 1859 ein würdiges 
Denkmal. 

Smets war ein reiner und edler Charakter, ein untadeliger 
Priester, duldsam und mild gegen Andersdenkende, ein Freund 
und Wohltäter der Armen und Bedrückten. Die ideale Begeisterung 
für alles Edle und Gute, die schon den Knaben und Jüngling 
erfüllte, half auch dem Manne hinweg über manche schwere 
Stunde, deren ihm das Leben ein überreiches Maß zugemessen 
hat. Er war eine durchaus dichterisch veranlagte Natur, der sich 
jede Stimmung und jedes Erlebnis fast von selbst in Verse um- 
formte. Er ist daher am bedeutendsten als Lyriker. Manches 
treffliche Gedicht ist ihm gelungen, voll tiefer Empfindung und 
in glücklicher Form. Es ist freilich eine hochgestimmte Lyrik, 
die gebildete Leser und Hörer voraussetzt; es fehlt ihr jene an- 
spruchslose Unmittelbarkeit und Einfachheit, die sie auch dem 
Volke vertraut machen könnte: volkstümlich ist sie nicht. Eigen 
ist fast allen seinen Gedichten eine gewisse wehmütige Stimmung, 
der Reflex der vielen traurigen Schicksale und Erfahrungen seines 
Lebens. Die dichterischen Formen handhabt Smets leicht und 
mit Meisterschaft. Eine besondere Vorliebe hat er für das Sonett, 

184 



an dessen eigensinniger Prägnanz er seine dichterische Fertigkeit 
recht betätigen konnte. Außer lyrischen Gedichten ist ihm auch 
manche Romanze und kleinere epische Erzählung gut gelungen. 
Knapp und anschaulich versteht er darin zu schildern, lebendig 
den Gang der Darstellung zu entwickeln und oft auch einen 
volkstümlichen Ton zu treffen. Am wenigsten ist Smets Dramatiker. 
Seine Dramen sind, bei mancher Schönheit im einzelnen, im 
ganzen doch als verfehlt zu betrachten, auch „Tassos Tod", 
obgleich das Stück mehrmals aufgeführt worden ist. Es sind 
Jugendprodukte, und in richtiger Selbsterkenntnis hat der Dichter 
sich in seinen späteren Jahren auf diesem Gebiete nicht mehr 
versucht. Kein großer, aber doch ein gottbegnadeter Dichter 
war Smets, der es verdient hätte, mehr bekannt zu sein, als er 
es heute ist. 



186 



Professor Johann Kreuser. 

Von Gymnasialdirektor Dr. ANTON KREUSER in Jülich. 

Seitdem Köln unter preußischer Herrschaft steht, hat das 
Marzellengymnasium kaum einen Lehrer gehabt, dessen 
Name enger mit der Anstalt verknüpft ist als der des Pro- 
fessors Johann Kreuser. ^) Länger als ein Menschenalter hat er 
an dem Gymnasium unterrichtet von 1820—1860, und eine außer- 
gewöhnlich große Zahl von Kölnern hat ihn als Lehrer gehabt. 
In der Erinnerung aller, die ihn persönlich gekannt haben, lebt 
er zunächst fort als das Urbild eines alten Professors. In stark 



altfränkischer Tracht, leicht 
tige Haupt von strähni 
umwallt, mit der einen 
Zylinder tragend, der 
Taschentuch in sei 
in derandern einen 
stock führend, wan 
mit seltenerRegel 
Eigelsteinstoraus 
jüngeren Gene 
bekannte Glacis. 
fürchten, daß hinter 
mit zahlreichen witz 
des geistreichen Man 
überliefert wird und 
scheinen läßt, das Ver 




vornübergeneigt, das mäch- 

gem, schneeweißemHaar 

Hand den ehrwürdigen 

das bunt gewürfelte 

nem Innern barg, 

spanischen Rohr- 

derte er täglich 

mäßigkeit vom 

durch das der 

ration nicht mehr 

Und es ist fast zu 

diesem Bilde, das 

igen Aussprüchen 

nes der Nachwelt 

ihn als Original er- 

ständnis für seine wahre 



Bedeutung zurücktritt. Er war nicht allein ein Original, sondern 
auch ein überaus kenntnisreicher Lehrer, ein hervorragender 
Gelehrter und ein fruchtbarer Dichter. Durch ausgedehnte schrift- 
stellerische Tätigkeit und sein beredtes Wort hat er in der Dom- 
baufrage und als Förderer des Verständnisses für die christ- 
liche Kunst überhaupt sich ein bleibendes Verdienst erworben. 
Als Mensch verdient er wegen seines biederen, christlich-frommen, 
idealen und hilfbereiten Sinnes besondere Hochachtung. Dazu 
ist er das Muster eines echten Kölners, ausgezeichnet durch 

') Bei der Beschaffung des für die Abfassung des Lebensbildes nötigen 
Materials haben mich außer Herrn Professor Dr. Klinkenberg die Herren Biblio- 
thel<direktor Prof. Dr. Keyßer und Archivdirektor Prof. Dr. Hansen sowie Dom- 
kapitular Dr. Steffens in Köln überaus zuvorkommend unterstützt. Sämtlichen 
Herren sei für ihre Freundlichkeit bestens gedankt- 



186 



Anhänglichkeit an die Vaterstadt und ihre Eigenart und begabt 
mit einem nie versagenden Humor. Desiialb würde die Reihe 
der Lebensbilder bedeutender Männer, die im Laufe der Zeit der 
Anstalt als Lehrer oder Schüler angehört haben, eine Lücke auf- 
weisen, wenn der alte Professor Kreuser darunter fehlte. 

Johann Peter Balthasar Kreuser wurde am 4. August 1795 zu 
Köln geboren. Nach Angabe des Adreßbuches vom Jahre 1797 
wohnte sein Vater Peter Anton Kreuser in der Johannisstraße und 
betrieb dort einen Spezereihandel. Die erste Bildung erhielt er als 
Knabe in der an der Litsch gelegenen Domschule. 

Mit 14 Jahren trat Kreuser in die seit dem Jahre 1803 ein- 
gerichtete Ecole secondaire ein, die im alten Laurentianergymnasium 
an der Rechtschule untergebracht war. ^) Unter den Lehrern dieser 
Anstalt, die nach Art der Gymnasien im allgemeinen eingerichtet 
war, verdient Professor Wallraf hervorgehoben zu werden, zumal 
da ohne Zweifel Kreusers Begeisterung für die Kunst teilweise auf 
seine Einwirkung zurückzuführen ist. Von den Fremdsprachen 
wurde besonders das Französische gepflegt, und schon als Schüler 
erhielt Kreuser einen Preis für ein in dieser Sprache verfaßtes Ge- 
dicht. Trotzdem aber ging nach seiner eigenen Angabe echtdeutsche 
Bildung nicht verloren; 2) hauptsächlich war es Professor Wallraf, 
der sich die Pflege deutschen Wesens angelegen sein ließ. Zudem 
hatten die Franzosen, die seit 1794 in Köln schalteten, durch ihr 
Treiben bei vielen großes Mißfallen erregt. Nur mit Ekel kann 
Kreuser später noch an jene Zeiten zurückdenken, da der Krieg 
eröffnet wurde gegen alles, was ihm heilig und ehrwürdig war, 
da man ohne Scheu die Kirchen ihrer kostbaren Schätze beraubte 
und sie ihrer Bestimmung entzog.^) 

Welche Fülle von Eindrücken mag sein lebhafter Sinn in jener 
ereignisreichen Zeit erhalten haben ! Köln sah damals den stolzen 
Eroberer Napoleon mit seiner Gemahlin Marie Luise in seinen 
Mauern. Und nach dem Abzüge der Franzosen im Jahre 1814 
bot zunächst der Durchzug von allerlei fremdem Kriegsvolk, das 
zu den Heeren der Verbündeten gehörte, ein wechselvolles Bild. 
Außerdem aber nahmen fürstliche Persönlichkeiten, wie der Kaiser 
von Rußland und der König von Preußen, auf der Durchreise 
Aufenthalt in der Stadt. 



') Historisches Archiv, Französische Zeit Kaps. 63, L. 1- 

2) Dreikönigenbuch, S. 110. 

3) Dreikönigenbuch, S. 94 ff. 



187 



Kreuser hatte es seiner Begabung und seinem Fleiße zu ver- 
danken, daß ihm nach Beendigung seiner Studien im Alter von 
19 Jahren im November 1814 eine Lehrerstelle an der vorher von 
ihm besuchten Anstalt übertragen wurde. In dem nämlichen Jahre 
entriß der Tod ihm den geliebten Vater, und fortan war er die 
treueste Stütze seiner Mutter und Schwestern. Der junge Lehrer 
hatte bald die Aufmerksamkeit der Behörde erregt. Deshalb ver- 
anlaßte ihn die preußische Regierung durch Gewährung einer 
Unterstützung, im Herbst 1817 zu weiterer wissenschaftlichen Aus- 
bildung für seine Lehrtätigkeit die Universität Berlin zu beziehen. 
Dort lag er mit großem Eifer zunächst dem Fachstudium ob und 
widmete sich besonders der griechischen Sprache und Literatur. 
Vor allem fand er reiche Anregung bei den großen Philologen 
Friedrich August Wolf und August Böckh, deren Namen er stets 
mit der höchsten Verehrung nennt. Auf den poetisch veranlagten 
jungen Mann wirkte ferner das literarische Leben der preußischen 
Hauptstadt, die damals im Zeichen der Romantik stand, nach- 
haltig ein. Eine Dame, die in der Gesellschaft eine bedeutende 
Rolle spielte und zu den hervorragendsten Männern Beziehungen 
unterhielt, Frau Elisa von der Recke, geborene Reichsgräfin von 
Medem, scheint sich seiner besonders angenommen zu haben. 
Ihr als seiner mütterlichen Leiterin weiht er seine ersten, im Jahre 
1824 erschienenen Dichtungen. Der jugendliche Brausekopf, wie 
er selbst sich nennt, wird der älteren weltgewandten vornehmen 
Frau manchen wertvollen Wink verdankt haben. Von Berlin aus 
unternahm er verschiedene Reisen. Daß er Dresden mit seinen 
Kunstschätzen besucht hat, geht aus einem Gedichte hervor, 
in dem er mit Begeisterung den Eindruck schildert, den er bei 
Betrachtung eines Gemäldes von Correggio in der sächsischen 
Hauptstadt empfunden hat. ') Damals soll er auch bei Goethe 
eingeführt worden sein und freundliche Aufnahme gefunden haben. ^) 

Im Herbste 1820 kehrte er in seine Vaterstadt zurück und 
nahm wieder seine Lehrtätigkeit an dem mittlerweile neu organi- 
sierten Jesuitengymnasium auf. Nachdem er 40 Jahre lang un- 
unterbrochen an derselben Anstalt seinen Beruf ausgeübt hatte, 
wurde er im Oktober 1860 auf seinen Wunsch in den Ruhestand 
versetzt. Im Rheinlande und besonders in Köln war bekanntlich 

') Dichtungen 1824, S. 234. 

2) Nekrolog, Kölnische Zeitung vom 27. OI<tober 1870 Nr. 298. In Goethes 
Tagebüchern aus den Jahren 1817 — 1820 wurde keine Notiz über Kreusers Besuch 
ermittelt. 

188 



die Stimmung der neu begründeten preußischen Herrschaft von 
vornherein nicht günstig. Sulpiz Boisseree schreibt in einem Briefe 
vom 30. Juni 1814,^) daß man lieber französisch als preußisch 
sein wolle. Indes Kreuser, der, wie erwähnt, schon als Knabe 
Abneigung gegen die Franzosen empfunden hatte, war auch später 
nicht freundlicher gegen sie gesinnt. Er bedauert die Zeit, da 
Deutschland nicht nur politisch, sondern auch in künstlerischer 
sowie in jeder geistigen Hinsicht zum Knecht Frankreichs geworden 
ist. Damals sind nach seiner Ansicht die Wege zur Unterjochung 
des Vaterlandes schon für Napoleon gebahnt worden. -) Sein 
Ideal war die große Zeit des Mittelalters, das auch für die Kunst 
die herrlichsten Früchte gezeitigt hat. Er empfand deutsch und 
betätigte diese Gesinnung bei der Erziehung der Jugend. Deshalb 
wurde bei seinem Ausscheiden aus dem Amte von berufener 
Stelle hervorgehoben, daß er zu den Männern gehört habe, die 
nach Befreiung des Rheinlandes von der Fremdherrschaft zur 
Herstellung und Förderung deutschen Wesens und deutscher Bil- 
dung tätig waren. ^) 

In seinem Berufe war ihm seine große Liebe zur Jugend för- 
derlich. Zweifelhaft aber ist, ob er bei ihrer Behandlung stets 
das Richtige traf. Daß er Leben von seinen Schülern verlangte, 
bezeugt die oft von ihm wiederholte Äußerung, wenn Knaben 
und Hunde aneinander vorübergingen, ohne sich zu necken, 
seien beide nichts wert. Für Schelmenstreiche hatte er großes 
Verständnis. Ja die Täter gingen sogar straflos aus, wenn sie 
etwas Originelles geleistet hatten. Freilich, die Wiederholung eines 
solchen Streiches war bei ihm verpönt. So wurden die Schüler 
zwar angeregt, etwas Neues auszudenken, aber nicht immer zu 
ihrem Vorteile. Ihren Wissenstrieb wußte er nicht richtig einzu- 
schätzen. Leicht gelang es ihnen, den kenntnisreichen Lehrer zu 
längeren Abschweifungen auf das sprachwissenschaftliche oder 
archäologische Gebiet zu veranlassen unter dem Vorgeben, daß 
derartige Fragen ihr Interesse erregten. Er war vielleicht zu gelehrt, 
um ein entsprechend erfolgreicher Lehrer zu sein. Von der Art, 
wie er sein Hauptfach, das Griechische, betrieben haben wollte, 
legt eine sehr eingehende griechische Formenlehre *) Zeugnis ab. 
Es verdient hervorgehoben zu werden, daß nach seiner Ansicht 

') Sulpiz Boisseree, Stuttgart 1862. 2 Bde. 

-) Dombriefc, S. 262. 

3) Jahresbericht des Kgl. Kath. Gymnasiums an Marzellen 1870—71. 

*) Paderborn 1856. 



189 



die gelehrte Forschung sich zu wenig mit den griechischen Kirchen- 
vätern und den Byzantinern befaßt und sich so einer für die Ge- 
schichte der Sprachentwicklung wichtigen Erkenntnisquelle beraubt. 
Obwohl das Werk sich lediglich mit der Formenlehre beschäftigt 
und auf die Syntax nicht eingeht, überragt es die jetzt gebräuch- 
lichen Schulgrammatiken an Umfang fast um das Doppelte. Die 
Accentlehre findet eine besonders eingehende Behandlung. Ein 
gütiges Geschick hat es Kreuser erspart, die Bestimmung der 
Lehrpläne vom 29. Mai 1901 kennen zu lernen, wonach Fehlern 
gegen die Accentlehre bei der Beurteilung griechischer Klassen- 
arbeiten keine entscheidende Bedeutung beizulegen ist. 

Sein Äußeres war dazu angetan, die Spottlust der Jugend 
herauszufordern. Beim Sprechen zischte er scharf. Dazu war in 
seinen reiferen Jahren seine Kleidung ausgesucht altmodisch. Aber 
trotzdem genoß er große Achtung. Seine Gelehrsamkeit und Fähig- 
keit, geläufig griechisch zu sprechen und in deutscher und grie- 
chischer Sprache zu dichten, erweckte bei den Schülern Staunen. 
Sie hatten ihre Freude an dem unerschöpflichen Humor, an dem 
treffenden, wenn auch mitunter derben Witz, an dem geraden Sinn 
des ideal angelegten Mannes. Auch entging ihnen nicht die Wert- 
schätzung, die dem Professor in angesehenen Kreisen der Bürger- 
schaft zuteil wurde. Hauptsächlich aber erregte er durch seine 
ausgedehnte schriftstellerische Tätigkeit die Bewunderung der 
jungen Leute. 

Durch seine Studien in Berlin war er zunächst zu verschie- 
denen wissenschaftlichen Veröffentlichungen angeregt worden. Im 
Jahre 1822 erschien eine kleine, dem Dichter Jean Paul Friedrich 
Richter gewidmete Schrift unter dem Titel „Der Hellenen Priester- 
staat mit vorzüglicher Rücksicht auf die Hierodulen". Hierodulen 
nennt man Personen, die den Tempeldienst irgend einer Gottheit, 
und zwar hauptsächlich die niederen Dienste, zu besorgen hatten. 
Aus dem Briefwechsel^) zwischen Goethe und Sulpiz Boisseree erfahren 
wir, daß in der gelehrten Welt die Hierodulenfrage schon im 
Jahre 1818 großes Aufsehen erregt hat. Hierdurch war auch Kreuser 
der Anlaß gegeben, sich mit diesem Gegenstande zu befassen. 

In einem größer angelegten Werke gedachte er die homerische 
Frage zu behandeln. Er teilte nicht die Ansicht, die sein hochver- 
ehrter Lehrer Wolf in den Prolegomena ausgesprochen hatte. In 
dem ersten Teile der Vorarbeiten zu dem geplanten Werke, den er 
Vorfragen zu Homeros nennt, beschäftigt er sich mit der Geschichte 

1) Sulpiz Boisseree S. 219. 

190 



der Schrift und sucht darzutun, daß Wolfs Ansicht über ihren 
späten Ursprung keine Billigung verdiene und die Schrift schon 
in den ältesten Zeiten bei der Verbreitung der homerischen Gedichte 
Verwendung gefunden habe. Der zweite August Böckh gewidmete 
Teil, „Homerische Rhapsoden" '), bestreitet das den Rhapsoden von 
Wolf um die homerischen Gedichte beigelegte Verdienst und sucht 
darzutun, daß sie geschichtlich überhaupt unhaltbar sind. Nach 
diesen Vorarbeiten, in denen er niedergerissen zu haben glaubte, 
was Wolf erbaut hatte, wollte er seine Ansicht über Homer dar- 
legen. Aber er hat den Vorsatz nicht ausgeführt. Diese Bücher 
legen vor allem Zeugnis ab von der Gelehrsamkeit und außer- 
ordentlichen Belesenheit ihres Verfassers, für die Wissenschaft 
haben sie keine nachhaltige Bedeutung gehabt. Ihre Aufnahme 
entsprach nicht Kreusers Erwartungen. Besonders entmutigte ihn 
die Schwierigkeit, die es gekostet hatte, einen Verleger zu finden. 
Deshalb entschloß er sich dazu, wieder zur Leier zu greifen. 
Abgesehen von der schon angeführten griechischen Formenlehre 
und einer ausführlichen Abhandlung über die Züge Alexanders des 
Großen in Indien liegt keine größere Veröffentlichung aus seiner 
Fachwissenschaft mehr vor. Erwähnt sei noch, daß er auf Philo- 
logen-Versammlungen zu Bonn und Ulm über die Accente im 
Griechischen und den Verfall der griechischen Sprache geredet hat. 
Im Jahre 1824 war, wie bereits gesagt ist, ein Bändchen 
Dichtungen erschienen, dem im Jahre 1833 ein Trauerspiel, Die 
Overstolzen, folgte. Das Jahr 1854 brachte wiederum einen Band 
Dichtungen, und das Jahr 1857 „Mahnendes und Unaufgeklärtes, 
ein Liebesbüchlein in Reimen". Der Titel des zuletzt aufgeführten 
Werkes klingt sonderbar. Als Gegner der Aufklärung bringt Kreuser 
keine Aufklärung, sondern Unaufgeklärtes. Eine Dichternatur und 
zu den Romantikern gehörend, fühlt er in sich den Drang, poetisch 
zu schaffen. -) Wie die Sternschnuppen vom Himmel fallen müssen, 
auch wenn keiner des prächtigen Schauspieles achtet, wie die Blumen 
auch im entlegensten Tale blühen, wo kein Auge sie erschaut, wie 
die Nachtigall singt, auch wenn keiner lauscht, so muß auch der 
Dichter singen. Er hat eine stattliche Anzahl von Gedichten ge- 
schaffen und sich auf den verschiedensten Gebieten der Dichtkunst 
versucht. Wir haben neben der schon genannten Tragödie Lieder, 
Balladen und Sprüche. Gern hat er die Form des Sonetts gewählt. 
Manches ist ihm gut gelungen. Besonders spricht eine Reihe von 

«) Köln 1833. 

^ Mahnendes und Unaufgeklärtes S. 503. 

191 



Liedern ') an, die seinen Schmerz um den Tod der Geliebten zum 
Ausdruck bringen. Die Balladen lassen eine Vorliebe für Stoffe, 
die auf die Vaterstadt Bezug haben, erkennen. Hierhin gehören 
Grin, 2) Das Roß Baiard, Das Kreuz, Der Pfarrer Eberhard von 
St. Jakob, Jakorden, Kölnische Sage u. a. Wenig Poesie, aber 
manchen geistreichen Gedanken enthalten die gegen den Geist der 
Aufklärung gerichteten Gedichte. Dem Drama hat sich Kreuser 
hauptsächlich aus Liebe und Begeisterung für seine Heimat zu- 
gewandt. Er glaubt, das im Jahre 1828 in Köln erbaute Theater 
könne bei seiner Eröffnung keine bessere Weihe erhalten als durch 
ein aus der Geschichte der Stadt entlehntes Stück. So entstanden 
die Overstolzen. Der Theaterdirektor nahm das Stück für die Bühne 
an und verteilte die Rollen. Schon hatte man mit dem Einüben 
begonnen, da plötzlich, so erzählt Kreuser selbst, '') ein Blitz aus 
heiterer Luft — die Overstolzen durften die Bretter nicht betreten. 
Diese unerwartete Wendung hat anfangs schweren Unwillen bei 
dem Verfasser erregt. Später wird er anders darüber geurteilt haben, 
da er selbst das Drama als etwas Ungeheuerliches bezeichnete. 
Das Stück, dessen Handlung im Jahre 1267 einsetzt, führt uns die 
Kämpfe vor, die Kölns Bürger unter der Führung des Stadtvogts 
Matthias von Overstolz zur Verteidigung ihrer Unabhängigkeit gegen 
den Erzbischof Engelbert von Falkenburg bestanden haben. 

Obwohl die angeführten Werke schon auf eine erstaunliche 
Arbeitskraft schließen lassen, liegt doch Kreusers Haupttätigkeit 
auf dem Gebiete der christlichen Kunst, soweit sie besonders im 
Kirchenbau zutage tritt. Dem Dom gegenüber geboren und in 
seinem Anblick aufgewachsen, empfand er schon frühzeitig die 
Eindrücke dieses gewaltigen Baues.*) Gereifter war er nach eigener 
Angabe bestrebt, den geistigen Zusammenhang zu erforschen, der 
tief in dem Wirken und Gottesleben des Mittelalters begründet 
ist, und scheinbar anderen Forschungen zugewandt, verlor er die 
Kunst der Väter nie ganz aus den Augen. Als daher eine Anzahl von 
Bürgern Kölns im Jahre 1840 zur Begründung einer Vereinigung 
für die Förderung des Dombaus zusammentrat, nahm Kreuser 
lebhaften Anteil an der Bewegung Er gehörte zu dem Aus- 
schüsse^), der die Bildung des Dombauvereins vorzubereiten hatte, 



1) Dichtungen 1854, S 164 ff. 

2) Ebenda S 16, 24, 32; Mahnendes usw., S. 465, 472, 494. 

3) Die Overstolzen, Vorw. S. V. 

*) Der christliche Kirchenbau II, S. 253. 

°) Vorbericht zum Kölner Domblatt, Beilage A und B. 



192 



und war später bis zu seinem Tode 18 Jahre lang Mitglied des 
Vorstandes. Mit dem damaligen Dombaumeister Zwirner war er 
eng befreundet/) und an ihn richtete er im Domblatt eine Reihe 
von Sendschreiben, die 1844 unter dem Titel Kölner Dombriefe 
oder Beiträge zur altchristlichen Kirchenbaukunst zusammengefaßt 
wurden. Alles, was er über den altchristlichen Kirchenbau und seine 
Symbolik, insbesondere über die Symbolik des Domes, die gotische 
Baukunst, die Bedeutung der Malerei für die Ausschmückung der 
Kirchen und über die Bauhütten mit dem größten Fleiße ermitteln 
konnte, hat er in diesem Werke niedergelegt. Wieviel Wert auf 
sein Urteil gelegt wurde, geht daraus hervor, daß er von dem 
Weihbischof Anton Ciaessen die Aufforderung erhielt,-) einen 
Vorschlag zur Ausschmückung des Domes mit Bildwerk einzu- 
reichen, eine Aufgabe, die er mit Feuereifer in Angriff nahm und 
zu Beginn des Jahres 1846 fertigstellte. Außer ihm lieferten noch 
zwei andere Kunstverständige^) solche Pläne, einer war Sulpiz 
Boisseree. Ausführlicher noch hat Kreuser in dem Werke*) „Der 
christliche Kirchenbau, seine Geschichte, Symbolik, Bildnerei 
nebst Andeutungen für Neubauten" seine Ansichten über die 
Kunst dargelegt. Ausgehend von der Apostelzeit, behandelt er 
die Geschichte der baulichen Einrichtungen der christlichen Kirchen 
bis zum 19. Jahrhundert. Sein Ideal ist die Rückkehr zur alt- 
deutschen Bauweise, die nicht durch Reden und Schriften am 
besten, sondern durch die Tat gefördert wird. Eine solche Tat 
bedeutet für ihn der 4. September 1842, an welchem Tage der 
Grundstein zur Weiterführung des edelsten deutschen Werkes, 
des Kölner Domes, dank dem großsinnigen Könige Friedrich 
Wilhelm IV. gelegt wurde. Der ganze Ton des Buches ist 
polemisch, und der Verfasser hat selbst die Empfindung, daß 
seine Schrift etwas kriegerisch erscheinen könne und als Kunst- 
buch zu katholisch. Aber er will der Zeitrichtung kein Zugeständnis 
machen. Vor allem die Abschnitte über Symbolik und christliche 
Bildnerei bekunden neben einer staunenswerten Beherrschung des 
Stoffes eine tief religiöse Überzeugung. Da bei allen Völkern 
die Künste, vorzüglich die Baukunst, mit der Religion im innigsten 
Zusammenhange stehen, so sind sie aus ihr auch zu begreifen 
und zu erklären. Um so bedauerlicher erscheint es ihm, alles 

') Wiederum christlicher Kirchenbau II, S. 5. 
2) Der christliche Kirchenbau II, S. 253. 
^) Wiederum christlicher Kirchenbau II, S. 4. 
*) 2 Bde. Bonn 1&51. 



13 



193 



Heidnische für beachtenswert und sinnvoll zu halten, im Christen- 
tum und seiner Baukunst dagegen keinen tieferen Sinn zu suchen. 
Sobald der christliche Bildner ein Werk beginnen will, muß er 
die früheren Jahrhunderte um Rat fragen, jene Zeit, wo der christ- 
liche Geist noch lebendig war. 

Zum Schluß wird eingehend erörtert, wie bei Neubauten und 
der Ausschmückung der Kirchen zu verfahren ist. Der christliche 
Kirchenbau erschien einige Jahre später in zweiter vermehrter 
Auflage. ^) Den nämlichen Stoff behandelt Kreuser in dem doppel- 
bändigen Werke „Wiederum christlicher Kirchenbau". ^) Er will 
darin ein Baugesetz für den Dom und alle größeren Münster 
aufstellen. 

In das Gebiet der Symbolik gehört das im Jahre 1863 ver- 
öffentlichte Bildnerbuch. Es stellt die Grundsätze auf, nach denen 
die Künstler bei der Darstellung religiöser Bilder zu verfahren 
haben, besonders welche Attribute den Personen der Heiligen 
beizulegen sind. In dieser Schrift sowie in der Künstlergeschichte ^) 
„Die Maler-Brüder", die den traurigen Untergang eines Malers vor- 
führt, eifert er stark gegen das Nackte in der Kunst und bestreitet, 
daß die Griechen das Nackte geliebt haben. Vor allem bedauert 
er die verderblichen Wirkungen solcher Darstellungen. Ihm miß- 
fällt die moderne Kunst, die ohne Rücksicht auf das christliche 
Volk und sein Verständnis Stoffe aus dem heidnischen Sagenkreise 
entnehme. Kreusers Neigung zur Symbolik führte ihn wohl auch 
dazu, eine für weitere Kreise berechnete Erklärung des hl. Meß- 
opfers*) zu geben. 

Im Juli 1864 waren 700 Jahre verflossen, seitdem die Gebeine 
der hl. Dreikönige nach Köln gebracht waren. Dieser Anlaß drückte 
Kreuser wieder die Feder in die Hand. In scharfen Worten wendet 
er sich wider die Aufklärung, die durch häßliche Kritik dem 
Volke seine Freude verdirbt an allem Schönen in Wahrheit und 
Dichtung, an seinem Glauben, seinen Heiligen, namentlich an allem 
Wunderbaren, und gibt eine Geschichte der Reliquien der hl. 
Dreikönige, wobei er ausführlich die Fortschaffung und Zurück- 
bringung des Domschatzes in der Franzosenzeit beschreibt. Neben 
den erwähnten Werken hat er auch noch eine Reihe von Aufsätzen 



') Regensburg 1860—61. 

-) 1. Bd. Apostolische Baugesetze. Brixen 1868. 2. Bd. Geschichte der Bau- 
kunst. Brixen 1869. 

=) Innsbrucl« 1861. 

*) Paderborn 1854, 2. Aufl. 

194 



über Fragen der christlichen Kunst in Zeitschriften veröffentlicht. 
Es ist erstaunlich, welche Unsumme von Arbeit in diesen Ver- 
öffentlichungen steckt, die allerdings nicht frei von Wiederholungen 
sind. Der Verfasser besitzt eine Belesenheit in den kirchlichen 
Schriftstellern der ältesten Zeit und des Mittelalters, die ihres- 
gleichen sucht. Vornehmlich kennt er die griechischen Kirchen- 
väter genau. Eigentümlich ist ihm ein stark polemischer Ton, er 
muß stets gegen einen Gegner ankämpfen und will lieber Hammer 
als Amboß sein. Gerade diese Polemik hat manchmal Anstoß 
erregt, besonders bei solchen, die Kreusers Eigenart nicht kannten. 
Der modernen Richtung gegenüber zeigt er Ablehnung oder eine 
gewisse Nichtbeachtung. Sie findet keine Gnade vor seinen Augen, 
abgesehen von den Nazarenern und Deger, dem Schöpfer der 
Fresken in der Apollinariskirche zu Remagen. Seine Stellung zu 
der neueren Kunst, seine Neigung zur Polemik, bisweilen ver- 
bunden mit seltsamen Ansichten, bewirkte, daß seine Schriften in 
den Kreisen der Fachgelehrten nicht die von ihm erwartete Be- 
achtung gefunden haben. \) Trotzdem ist seine Tätigkeit für die 
Belebung des Sinnes und Verständnisses für die christliche Kunst 
in weiteren Kreisen von der größten Bedeutung gewesen. Zu- 
nächst hat er in der Dombaufrage manche wertvolle und bei 
seiner Freundschaft mit Zwirner auch erfolgreiche Anregung 
gegeben. Sodann haben die Grundsätze, die der strenggläubige 
Gelehrte für Neubauten und künstlerische Ausschmückung der 
Kirchen aufstellt und mit Feuereifer vertritt, in den Kreisen der 
Geistlichkeit große Beachtung gefunden, und oft sind seine Werke 
in Kunstfragen zu Rate gezogen worden. 

Wer nun glaubt, daß die ausgedehnte schriftstellerische Tätig- 
keit Kreuser stets bei den Büchern festgehalten habe, irrt gewaltig. 
Er war ein Freund des geselligen Lebens, ein heiterer Gesellschafter, 
voll witziger Einfälle, der einen guten Trunk liebte und gern durch 
launige Rede in Knittelversen bei passendem Anlaß die Gesellschaft 
erfreute. Im Gegensatz zu vielen seiner Amtsgenossen trat er häufig 
in der Öffentlichkeit auf, um durch sein Wort seinen Ansichten 
über die Kunst Anhänger zu verschaffen. Als gewandter Sprecher 
wurde er wegen seines treffenden Witzes und seines steten Kampfes 
gegen die Tagesmeinung in den Vereinen Kölns gern gehört. In 
jüngeren Jahren ein eifriges Mitglied des Freimaurerordens, nahm 
er später außerordentlich regen Anteil an dem katholischen Leben. 
Mit Vorliebe besuchte er die seit dem Jahre 1848 veranstalteten 

') Wiederum christlicher Kirchenbau 11, Vorwort. 

la» 195 



Generalversammlungen der Katholiken Deutschlands, und mehr- 
mals ließ er sich bei einer solchen Gelegenheit als Redner ver- 
nehmen, so 1852 in Münster, 1853 in Wien, 1856 in Linz, 1859 
in Freiburg. 

Es ist erklärlich, daß er infolge seiner schon besprochenen 
Abneigung gegen die Aufklärung und alles Neue an der revo- 
lutionären Bewegung wenig Gefallen fand. Mit Vorliebe rühmte 
er sich später, im Jahre 1848 als Offizier der Bürgerwehr den auf- 
geregten Volksmassen entgegengetreten zu sein und das aufrühre- 
rische Gesindel zu Paaren getrieben zu haben. Als echter Kölner 
schwärmte er für alles, was seiner Vaterstadt ein besonderes Ge- 
präge verlieh. Als daher im Jahre 1823 angesehene Bürger eine 
Wiederbelebung des Karnevals versuchten, fanden sie bei ihm rege 
Unterstützung. Manches Lied hat er für die Sitzungen der großen 
Karnevalsgesellschaft geschaffen ^), und noch in hohem Alter er- 
schien er im Jahre 1864 in einer Versammlung der genannten 
Vereinigung, um einen Vortrag über das Gemüt und den Froh- 
sinn der echten Kölner zu halten.-) Unvermählt und persönlich 
höchst anspruchslos sorgte er zeitlebens auf das liebevollste für 
seine Angehörigen. Aber auch über den Kreis der Familie hinaus 
zeigte er ein wahrhaft gutes Herz. Ein Freund der Armen, nach 
Kräften hilfbereit, gehörte er zu den Begründern des Vincenzvereins 
und zu seinen tätigsten Mitgliedern. Zehn Jahre lang hat er sich bei 
körperlicher und geistiger Frische noch der Muße im Ruhestande 
erfreut. Als die große Zeit für unser Vaterland herangebrochen 
war, schied Kreuser am 18. Oktober 1870 aus diesem Leben. Eine 
stattliche Anzahl von Bürgern aller Stände gab ihm das letzte 
Geleit. Die dankbare Verehrung seiner Schüler, die ihm durch 
eine Stiftung den Lebensabend behaglicher ausgestaltet hatte, be- 
reitete ihm auf dem Friedhofe zu Melaten an der Südmauer eine 
würdige, mit seinem Bildnis geschmückte Grabstätte. Um zu ver- 
hüten, daß das Gedächtnis des Mannes entschwände, der, von Liebe 
und Begeisterung für seine Vaterstadt durchdrungen, zugleich ein 
Bild altkölnischer Biederkeit gewesen war, benannten die Stadt- 
verordneten im Jahre 1902 nach ihm eine Straße. Außerdem aber 
wurde dem vielgenannten Professor dadurch noch eine besondere 
Ehrung zuteil, daß die Stadt Köln die dauernde Sorge für die 
Unterhaltung seiner Grabstätte übernahm. 



1) Walter, Der Karneval in Köln, Köln 1873, S. 38. 

2) Ebenda, S. 108. 



196 



Theodor Schwann, 

geboren am 7. Dezember 1810 zu Neuß, gestorben am 11. Januar 1882 zu Köln. 
Von Dr. FRANZ BOSCH, Oberlehrer in Crefeld. 

Erst vor wenigen Monaten wurde der Name THEODOR Schwann 
wieder besonders lebendig. Nicht als ob die drei Dezennien, 
seit er die Augen zum ewigen Schlafe geschlossen, vermocht 
hätten, seinen Namen aus der Erinnerung einer schnell lebenden 
Nachwelt auszulöschen oder auch nur minder eindrucksvoll zu ge- 
stalten, als er zu Lebzeiten 
weit über die Grenzen 
Deutschlands gewesen war. 
Aber die Jahrhundertfeier 
seiner Geburt brachte die 
Gelegenheit, uns mit be- 
sonderer Dankbarkeit die- 
ses großen Mannes und 
seiner glänzenden Leis- 
tungen und segensreichen 
Arbeiten fürden Fortschritt 
der Wissenschaften und für 
das Wohl dermenschlichen 
Gesellschaft zu erinnern. 

Zu Köln steht Schwanns 
Leben in vielfacher Bezieh- 
ung. Hier beendete er seine 
Gymnasialbildung, oft ver- 
brachte er als Lütticher 
Universitätsprofessor die 
Ferien bei seinen in Köln 
lebenden Verwandten, hier beschloß er sein Leben in dem Hause 
Kasinostraße Nr. 8, welches seit dem vorigen Jahre eine darauf 
bezügliche Gedenktafel trägt, und auf dem Friedhofe zu Melaten ist 
er bestattet. So lag gerade für die Kölner Akademie für praktische 
Medizin mehrfacher Anlaß vor, das Zentenarfest seiner Geburt feier- 
lich zu begehen, und an diesem wurde, wie an manchen Orten, so 
auch in Köln in Wort und Schrift der Verdienste des großen Toten 
pietätvoll gedacht. 

Jene Kölner Schule, von der aus Schwann nach bestandenem 
Abiturientenexamen als neunzehnjähriger Jüngling zur Hochschule 
und in die Welt hinauszog, ist unserMarzellengymnasium. Wenn auch 




197 



für eine Bildungsanstalt das Schriftwort gilt: „An ihren Früchten 
werdet ihr sie erkennen", so ist sicherlich unter den vielen bedeuten- 
den Männern, die an dieser Anstalt ihre Ausbildung erhielten und 
deren Namen unser Festbuch zieren, auch der Theodor Schwanns 
geeignet, Zeugnis von dem Werte der hier dargebotenen Lehren 
abzulegen, und da der Ruhm, der ihm zuteil wurde, auch auf die 
Stätte zurückstrahlt, wo er den Grund zu weiterer wissenschaftlichen 
Betätigung gelegt hat, so ist das Marzellengymnasium stolz darauf, 
ihn im Kreise derjenigen zu nennen, die ihm angehört haben, und 
an dieser Stelle von den Erfolgen seines Lebens zu berichten. 
Schwann war ein Sohn des Rheinlandes. Sein Vater, Leonhard 
Schwann, war ebenso wie sein Großvater ursprünglich Goldschmied 
zu Neuß, jedoch entschloß er sich später, eine Buchdruckerei zu 
gründen. Dieser Entschluß wurde von ihm tatkräftig durchgeführt; 
die seinen Namen tragende Verlagsbuchhandlung in Düsseldorf 
verdankt ihm ihre Begründung. Im Verlag des väterlichen Unter- 
nehmens hat Theodor Schwann später mehrfach Arbeiten wissen- 
schaftlichen Inhalts herausgegeben. Aus der Ehe Leonhard Schwanns 
mit Elisabeth Rotteis entstammten dreizehn Kinder; von diesen 
war Theodor das fünfte. Er besuchte das Progymnasium in Neuß 
und kam dann als Schüler an das Marzellengymnasium in Köln. 
Dieses stand damals unter der Leitung des Direktors Birnbaum. 
In dem Zensurbuch der Anstalt findet sich noch sein erstes Zeugnis 
vor; es ist ausgestellt für die Klasse Obersekunda und für das dritte 
und vierte Quartal des Schuljahres 1826-27. In der Liste der 
genannten Klasse ist „Schwann Theodor" am Schlüsse dieses Jahres 
nachgetragen; da er in früheren Schülerlisten nicht zu finden ist, 
so ist er also zu Ostern 1827 oder etwas später eingetreten. Das 
erste Zeugnis nennt seine Ordnungsliebe „groß", Strafen und 
Versäumnisse enthält es keine, von den Zensuren für Leistungen in 
den Unterrichtsgegenständen — je vier für ein Fach — sind 29 
Sehr gut, 11 Gut, 1 — im Hebräischen — Genügend. Das Zeugnis 
für das erste Halbjahr der Prima ist nicht mehr zu finden, das- 
jenige für das zweite Halbjahr trägt die Gesamtnummer „Zwei a", 
in den Leistungen weist es in allem „Gut" auf. Besonders be- 
merkenswert ist das Abgangszeugnis, datiert vom 18. September 
1829. Die Gesamtnote lautet hier: „Nro. Eins". Fernerhin enthält 
es, wie es noch heute in den Abiturientenzeugnissen üblich ist, eine 
ausführliche Charakteristik der Aufführung und der Leistungen des 
Empfängers. Seine „Aufführung gegen Mitschüler und Vorgesetzte" 
zeigt den Vermerk: „Musterhaft; reiner Abglanz eines schönen, 

198 



unbefangenen Gemütes." Sein Fleiß war „höchst lobenswert und 
mit gleicher erfolgreicher Liebe allen Lerngegenständen zugewendet". 
Von der Beurteilung seiner Leistungen ist die folgende durch ihren 
prophetischen Inhalt ebenso zutreffend wie interessant: „Für die 
Mathematik und noch mehr für die Naturwissenschaften zeigte 
er natürliche Vorliebe und recht glückliche Anlagen. Durch diese, 
verbunden mit seinem rühmlichen Fleiße, erwarb er sich ein un- 
gemeines Maß von gediegenen Kenntnissen, die bei weiterer Pflege 
zu schönen Hoffnungen berechtigen." ^) 

Diese natürliche Vorliebe leitete ihn bei der Wahl des Studiums 
der Medizin. Schwann hat freilich die Heilkunst später niemals 
praktisch ausgeübt; seine Interessen waren in erster Linie ihren 
naturwissenschaftlichen Grundlagen, der Anatomie und Physiologie, 
zugewendet. Hier errang er auch seine ersten Erfolge. Seine 
Dissertation handelte über die Rolle des Sauerstoffs bei der Ent- 
wicklung des Hühnchens im Ei Dieser folgten Untersuchungen 
über künstliche Verdauung und das Wesen des Verdauungsprozesses. 
Hierbei hatte er das Glück, in den Säften des Magens das Pepsin 
— von ihm so genannt nach dem Worte ns\pi? = Verdauung — zu 
entdecken. Ein uraltes Problem, das der Urzeugung oder generatio 
spontanea, dessen endgültige Lösung naturgemäß auf theoretischem 
Boden niemals gelungen war, griff er seiner Neigung und Ver- 
anlagung entsprechend experimentell an und bereitete Pasteurs 
Forschungen erfolgreich vor. Im Zusammenhang damit stehen die 
Versuche, welche dartun sollen, daß die alkoholische Gärung durch 
die Tätigkeit eines Lebewesens, des von Schwann entdeckten Hefe- 
pilzes, zustande kommt. Der Hauptgegner dieser Anschauung 
wurde Liebig, welcher die Gärung als einen rein chemischen, 
ohne Beteiligung von Lebewesen stattfindenden Prozeß ansah. 
Lange schien Schwanns Auffassung den Sieg davonzutragen, bis 
es in jüngster Zeit dem Bresiauer Chemiker Eduard Buchner 
gelang, zu beweisen, daß Gärung auch bei Abwesenheit der 
lebendigen Hefepilze eintritt als Wirkung eines Fermentes, das 
aus dem Preßsaft der Hefe isoliert werden kann. 

Die Kenntnis der Gefäße, Muskeln und Nerven des tierischen 
Körpers und ihrer Tätigkeit förderte er durch mehrere mustergültige 
Arbeiten, deren Ergebnisse er größtenteils in dem Handbuch der 
Physiologie seines großen Lehrers Johannes Müller und im ,,Encyklo- 
pädischen Wörterbuch der medizinischen Wissenschaften", heraus- 

') Die Einsicht in die oben erwähnten Zeugnisse verdanke ich der freundlichen 
Vermittlung des Herausgebers dieser Festschrift, des Herrn Prof. Dr. Kiinkenberg. 

199 



gegeben von Professoren der Berliner Universität, veröffent- 
liciite. 

An diesen Arbeiten und unter der sicheren Führung Müllers 
schulte sich Schwanns Tatkraft zu einem Werke, das ihm weit 
mehr noch als die früheren Arbeiten Ruhm und Ehre eintrug. 
Seine weite Auffassungsgabe, seine vorzügliche Beobachtungs- 
kunst, unermüdliche Arbeitskraft und Energie befähigten ihn in 
Verbindung mit der genossenen Ausbildung in hohem Maße zu 
der Gestaltung des großen Schöpfergedankens und wichtigen 
Naturprinzips, als welches die Zelientheorie sich erweisen sollte. 

Es ist bekannt, eine wie große Rolle der Zufall in der 
Geschichte der naturwissenschaftlichen Entdeckungen gespielt hat. 

Aber während die Mehrzahl der Menschen an den Erschei- 
nungen, die die Natur auch ihrem Auge darbietet, vorübergeht, ist 
es das Zeichen des Genius, ihnen nachzuspüren und ihren tiefsten 
Grund in fundamentalen Gesetzmäßigkeiten zu ermitteln. Auch 
die Geschichte der Zellentheorie bietet das Beispiel einer solchen 
„cause occasionelle". Eine Bemerkung Schleidens, des großen 
Botanikers, gelegentlich eines Mittagsmahles hingeworfen, spielt 
hier die Rolle des Newtonschen Apfels. In dem aufmerksamen 
Tischgenossen fand jene Bemerkung einen durch Studien über 
den Bau des tierischen Körpers hinreichend vorbereiteten Boden. 
Dem blitzartig in ihm erwachten Gedanken die Existenzberech- 
tigung zu sichern, darauf waren fortan alle Bemühungen Schwanns 
gerichtet. 

Aber noch in einem anderen Punkte zeigte sich hinsichtlich 
äußerer Umstände, unter denen die Entdeckung erfolgte, Über- 
einstimmung mit anderen von derselben Größe, die zu einem Ver- 
gleich herausfordert. Ostwald bemerkt in den ,, Großen Männern", 
daß bei diesen vielfach das Maximum der Tatkraft bereits vor den 
dreißiger Lebensjahren liegt. Beispiele hierfür bietet das Leben 
eines Newton, Mayer, Joule, Helmholtz. Die Erklärung liegt 
nahe. Abgesehen von der Größe einer jugendlichen Arbeitskraft 
bedingt dieses Alter auch — wie Ostwald meint — den großen 
Problemen gegenüber den unbefangenen Mut, der noch nicht 
durch drückende Erfahrungen des Mißlingens wegen eigener 
Unzulänglichkeit gehemmt wird, ferner Frische der Anschauung 
und Unbefangenheit in der Beurteilung des Neuen und der 
gesamten Sachlage, so daß es aus jener heraus zu einfacher 
Fragestellung und oft ebenso überraschend einfacher Lösung 
kommt. Als Schwann den Nachweis unternahm, daß im Bau der 

200 



Lebewesen überall das gleiche Prinzip herrsche, zählte er eben 
27 Jahre. Mit 29 machte ihn die Veröffentlichung der „Mikro- 
skopischen Untersuchungen" ^) für alle Zeiten unsterblich. 

Ein neuer Gedanke verdient erst dann als ein wahrhaft 
großer angesehen zu werden, wenn er nicht nur auf dem eng- 
begrenzten Gebiete einer SpezialWissenschaft die Erkenntnismenge 
vermehrt, sondern wenn er weit über diese hinausgreifend die 
Gesamtheit des menschlichen Denkens und Wissens heilsam 
befruchtet. Die Idee, die der Zellentheorie zugrunde liegt, er- 
weist sich erst, an diesem Maßstab gemessen, in ihrer ganzen 
Bedeutung. In erster Linie für die Anatomie von außerordentlicher 
Tragweite, hat sie nicht minder alle Zweige der Physiologie, die 
gesamte Lehre vom Leben, auf eine ungeahnte Höhe gehoben, 
aber außerdem eine einheitliche Auffassung vom Aufbau der 
lebendigen Natur vermittelt und der philosophischen Naturbetrach- 
tung wichtiges Rüstzeug zur Bekämpfung falscher und zurGewinnung 
neuer Anschauungen geliefert. Ihre erkenntnistheoretische Bedeu- 
tung liegt vor allem darin, daß sie einem tief in der Menschen- 
seele wurzelnden, uralten Bedürfnis entgegenkommt, dem Bedürfnis, 
die Mannigfaltigkeit in der umgebenden Welt einheitlich zu erfassen, 
sie zu ordnen und gleichsam zu schematisieren, und daß sie auf 
die Frage nach der Existenz einer Einheitlichkeit in der lebendigen 
Natur zum ersten Male eine allgemein gültige Antwort gibt, die 
auf der Beobachtung der Tatsachen beruht und nicht wie die 
Monadenlehren der alten oder der neueren Philosophen das 
Produkt der Spekulation des Menschengeistes ist. 

Auf dem Gebiet der allgemeinen Anatomie machte die Zellen- 
lehre den verschiedenartigsten unklaren Vorstellungen ein Ende. 
Wie bereits vor ihm Schieiden für die Pflanzen, so führte Schwann 
für alle Gewebe des tierischen Körpers den durch umfangreiche 
Beobachtungen gestützten Nachweis, daß auch die Organismen in 
dem anderen großen Reich der Lebewesen, der Tierwelt, aus Ele- 
mentarteilen von einer gewissen Selbständigkeit der Existenz, den 
Zellen, aufgebaut sind. Er tat aber auch weiter dar, daß diesen 
Kräfte innewohnen, die sich in derselben Weise wie bei den Pflan- 

') Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struk- 
tur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen, Berlin, Q. Reimer, 1839. Die 
Ergebnisse hatte er bereits vorher stückweise in der Zeitschrift „Frorieps Notizen", 
1838 veröffentlicht. Das selten gewordene Buch ist im vorigen Jahre neu heraus- 
gegeben worden und bildet in dieser Ausgabe Bd. 176 von Ostwalds Klassikern 
der exakten Naturwissenschaften. 

201 



zenzellen betätigen, und konnte somit die tierisciien und pflanz- 
lichen Zellen als anatomisch und physiologisch gleichwertig neben- 
einander stellen. Hierbei legte er die Vorstellung von der Zelle 
und ihrer Bildung zugrunde, die Schieiden entwickelt hatte. Die 
Teile der Zelle entstehen danach durch Niederschlag in einem 
unorganisierten Zellenkeimstoff, und diese Bildung erscheint als 
das Werk von Kräften, die in den kleinsten Teilen der lebendigen 
Substanz ihren Sitz haben. Der ganze Vorgang vollzog sich vor 
dem Auge Schwanns so ähnlich der Bildung von Kristallen, 
daß er zu dem Schlußergebnis gelangte, die Entstehung der Ele- 
mentarteile der Organismen sei ebenfalls eine Art Kristallisation 
und der Organismus ein Aggregat solcher kristallähnlichen Ge- 
bilde. Wenn nun auch diese Vorstellungen von der fortschreiten- 
den Wissenschaft mit Hilfe der überaus verfeinerten Methoden 
beseitigt wurden, so bleibt doch die Erkenntnis des allgemeinen 
Prinzips das große und bleibende Verdienst Schwanns, und dieses 
wird noch erhöht, wenn man bedenkt, daß er den ersten Anstoß 
zu jenen erfolgreichen Forschungen gegeben hat, denen wir als 
fruchtbares Ergebnis die Klarstellung der Bedeutung, Bildung und 
Vermehrung der Zelle, ihrer Teile und Produkte zu verdanken 
haben. 

Die Kenntnis des Aufbaues irgend eines komplizierten Ge- 
bildes ist die Vorbedingung für das Studium seiner Wirkungsweise. 
Die biologischen Wissenschaften gliedern sich in zwei große Ge- 
biete, von denen das eine die Beschreibung des Anfbaues der Lebe- 
wesen, das andere die Ermittlung der Funktionen der Teile und des 
Ganzen zum Gegenstande hat. Auch hier ist die Lehre von den 
Erscheinungen, die Physiologie, eng an die Fortschritte der 
Schwesterdisziplin gebunden, und so ist es zu erklären, daß sie 
aus der Zellenlehre gewaltigen Nutzen zog. Die Zellularphysio- 
logie wurde jetzt erst begründet und damit die Untersuchung der 
Lebensvorgänge an ihren Herd verlegt. Vor allem hat die Zellen- 
lehre reformatorisch gewirkt für das Zentralproblem der Physiolo- 
gie, die Ernährung. Männer wie Liebig und Pflüger erkannten 
mit scharfem Blick, daß die letzte Ursache der Stoffwechselpro- 
zesse in den Zellen zu suchen sei. Nur dadurch, daß die „groben 
Massenleistungen des Gesamtkörpers in eine Summe von zahl- 
losen Teilprozessen innerhalb der einzelnen Elemente aufgelöst 
wurden", gelang es, auch für jene eine Erklärung zu finden. 

Aber nicht nur die Erforschung der gesunden und normalen 
Prozesse förderte die Zellenlehre. Schon Johannes Müller blieb 



202 



ihre Tragweite für die richtige Beurteilung krankhafter Prozesse 
nicht verborgen; die Zellularpathologie Virchows übertrug die Lehre 
vom zelligen Aufbau auch auf krankhafte Gewebe und Zustände. 
Bei allen Fragen, die den Aufbau der Lebewesen und die 
Wirkungsweise der in ihnen tätigen Kräfte zum Gegenstand haben, 
gelangt die Wissenschaft an eine Grenze, sobald sich die weitere 
Frage nach der letzten Ursache erhebt. Diese Grenze ist aufge- 
baut durch die Unzulänglichkeit der Hilfsmittel. Beobachtung und 
Experiment sind da noch immer außerstande, Antwort zu geben, 
und an ihre Stelle tritt wiederum die Spekulation. Ihr lieferte die 
Zellentheorie neues empirisches Material. Die philosophischen 
Konsequenzen dieser Lehre blieben ihrem scharfsinnigen Schöpfer 
nicht verborgen; wir finden sie in ihren Grundzügen bereits in 
den „iVlikroskopischen Untersuchungen" entwickelt. Der Vitalismus 
stand damals in Blüte. Mit der Lehre vom Zweck in der Natur 
verband er die Vorstellung von einer zwecksetzenden, in jedem 
Organismus wirkenden Lebenskraft. Nun zeigte die Zellentheorie 
in den Zellen selbständig existierende Elementarteile, „die von 
keiner Kraft, die dem Organismus gemeinsam ist, abhängen". 
Dieser Nachweis ließ nur die Möglichkeit, für jede Zelle auch eine 
besondere Lebenskraft — gewissermaßen eine Lebenskraft im 
kleinen — anzunehmen, oder aber mit jener Lehre völlig zu brechen 
und an ihre Stelle eine physikalische Denkweise zu setzen, nach 
welcher auch den Erscheinungen in der lebenden Natur Kräfte zu- 
grunde liegen, die mit blinder Notwendigkeit wirken. Schwann 
glaubte „allen Anlaß zu haben, aus der Gleichförmigkeit in der 
Entwicklung aller Zellen auf das Nichtvorhandensein verschiedener 
Künstler zu schließen, die jeder das Seinige bauen"; er blieb Zeit 
seines Lebens ein entschiedener Gegner des Vitalismus. Eine 
nähere Begründung seiner philosophischen Überzeugungen zu 
geben, hat er noch oft Anlaß genommen, so z. B. in seiner „Popu- 
lären Anatomie", ') in einem Vortrag in der belgischen Akademie 
der Wissenschaften, den er auf eine Interpellation ihres Präsiden- 
ten Omalius d'Halloy dort am 4. Juni 1870 hielt-), in der Dank- 
rede gelegentlich seines Universitätsjubiläums am 23. Juni 1878, ^) 
dann aber auch in den Vorlesungen über die allgemeine Physio- 
logie, die er an der Universität Lüttich als Professor lange Jahre 

') Anatomie du corps hurtiain. Bruxelles 1855. 

=) Rcponse ä linterpellation de M. d'Omalius relative ä la force vitale. 
Bulletin de l'Academie des Sciences de Belgique Bd. 24, p. 683. 1870. 

^ Manifestation en l'honneur de Mr. le professeur Th. Schwann, Düsseldorf, 
Imprimerie L. Schwann 1878. 

203 



abhielt. ^) Wenn nun auch Schwann zwischen den Erscheinungen 
der lebendigen und leblosen Natur einen wesentlichen Unterschied 
nicht machte, so führte ihn diese Auffassung doch keineswegs 
dazu, seine tief gläubige Denkweise zu verlassen. Im Gegenteil, er 
hat die Konsequenzen seiner Naturphilosophie mit einer christlich- 
dualistischen Weltanschauung glänzend zu vereinigen verstanden. 

Es entbehrt nicht der Ironie, daß dieselbe Lehre, die für ihren 
Schöpfer und für weite Kreise gewichtige Argumente zur Be- 
kämpfung des Vitalismus lieferte, denselben anderseits auch wieder 
neu belebte. Gewisse Vorgänge innerhalb der zellulären Lebens- 
einheiten waren und blieben der Forschung verborgen, und die 
zahlreichen ungelösten Fragen entrangen den einen ein verzwei- 
felndes „Ignorabimus", bei den anderen schlich sich die Lebens- 
kraft als der stets hilfbereite und bequeme deus ex machina 
wieder ein, bereit, mit einem Schlag alle Knoten zu entwirren, 
jedoch auch mit dem wenig ermutigenden Ergebnis, daß an die 
Stelle vieler Rätsel e i n neues großes Rätsel trat. 

Nach der Zellenlehre ist Schwann nur noch mit einer Arbeit 
von größerer Bedeutung aufgetreten ; in dieser bewies er die Not- 
wendigkeit der Galle für den normalen Verlauf des Verdauungs- 
prozesses. Hiervon abgesehen bietet Schwanns Leben die merk- 
würdige Erscheinung, daß ein Mann, der während der kurzen 
Spanne von nicht einem ganzen Jahrzehnt Welt und Wissenschaft 
geradezu fürstlich beschenkt hatte, fortan allein aufging in der 
Erfüllung der Pflichten seines Berufes. Vor allem hat diese Zurück- 
haltung ein Charakterzug Schwanns bewirkt, den sein Freund und 
Fachgenosse, der Göttinger Anatom Henle, hervorhebt. Es war 
dies seine ausgesprochene Abneigung gegen Polemik, besonders 
in solchen Kontroversen, die seine eigenen Entdeckungen zur Ur- 
sache hatten. 

Dies bedeutet aber nicht, daß Schwann nunmehr an den Fragen, 
welche die wissenschaftliche Welt bewegten, keinen Anteil mehr 
genommen hätte. Dazu bot ihm das akademische Lehramt hin- 
reichend Gelegenheit. Er hat dieses mehr als vierzig Jahre höchst 
erfolgreich vertreten. Zuerst Professor der Anatomie in Löwen, 

') An Hand der Vorlesungsmanuskripte ist Schwanns Weltanschauung in 
alier Kürze entwickelt bei F. B o s c h , Aus der Geschichte der Zellenlehre, Düsseldorf, 
L. Schwann, 1910 S. 41 ff. Dieser Schrift ist auch mit Genehmigung des Verlags 
das Porträt Schwanns entnommen. Die Vorlesungen, von Schwann bezeichnet 
als ,,Cours de la Physiologie generale", enthalten einen längeren Abschnitt unter 
dem Titel ,, Theorie de la Creation". Einiges über Sch.s Weltanschauung enthält 
auch Henle, Th. Schwann, Nachruf, Bonn 1882. 

204 



hatte er von 1848 an einen Lehrstuhl an der Universität Lüttich 
inne; er vertrat in der dortigen medizinischen Fakultät anfangs 
ebenfalls das Fach der Anatomie, später die Physiologie. In dieser 
Stellung nahm er an den Fortschritten der Wissenschaft bis zu 
seinem Tode das lebhafteste Interesse und gestaltete durch die 
Verwertung ihrer Ergebnisse und der neuesten Apparate und Ver- 
voUkommungen, die die Technik im Verein mit der Theorie brachte, 
seinen Unterricht ebenso interessant wie anschaulich und fruchtbar. ^) 
Ais Schwann im Januar 1882 zur ewigen Ruhe einging, war 
ihm der Dank der Mitwelt für seine Lebensarbeit in hohem Maße 
zuteil geworden. Zahllos waren die Ehrungen, die, aus allen 
Teilen der Erde einlaufend, um die Stirn des großen Denkers 
sich zu dem verdienten Ruhmeskranz vereinigten. Aber seine 
Verdienste erstrecken sich auch in unvermindertem Maße in Gegen- 
wart und Zukunft und geben denjenigen, die sich ihrer erfreuen, 
das Recht und die Pflicht, das Gedächtnis Theodor Schwanns 
bei jeder Gelegenheit zu erneuern, so auch bei der Festfeier der 
Bildungsstätte, welcher er im reichsten Maße das vergolten hat, 
was er selbst von ihr empfing. 

') Die Mitteilungen über Sch.s akademische Tätigkeit verdanke ich der Güte 
des Herrn Professor Leon Fredericq in Lüttich, der als Nachfolger Schwanns 
dessen Lehrstuhl an der dortigen Universität inne hat. 



Eduard Heis, 



geboren am 18. Februar 1806 zu Köln, gestorben am 30. Juni 1877 zu Münster i. W. 
Von Dr. FRANZ BOSCH, Oberlehrer in Crefeld. 

An einer Stelle seines Buches „Die moderne Biologie und die 

/\ Entwicklungstheorie" macht P. Wasmann die Bemerkung, 

J^ \ die mikroskopische Forschung sei durch die modernen 

Methoden ihrer Technik zu einer creatio secunda geworden, durch 

die alle Herrlichkeiten der Schöpfung erst offenbar würden. Die 

Grundlage zu dieser Enthül- 
lung der Schönheiten im Bau 
des Mikrokosmos schuf in den 
dreißiger Jahren des verflos- 
senen Jahrhunderts Theodor 
Schwann, dessen Werk im 
voraufgehenden Lebensbilde 
ausführlicher gewürdigt wird. 
Wenige Jahre vor ihm gehörte 
ein Mann als Schüler dem Mar- 
zellengymnasium an, dessen 
Tätigkeit in der entgegenge- 
setzten Richtung weit über die 
Grenzen unserer Erde hinaus 
in die Unendlichkeit des Welt- 
alls strebte und sich versenkte 
in die Erforschung der Werke 
und Erscheinungen des Makro- 
kosmos. Dieser Mann war der 
Astronom und Mathematiker 
Eduard Heis. 

An der Hochstraße zu 
Köln stand sein Geburtshaus.') 
Schon bei seinen Vorfahren fand die Wissenschaft eifrige Pflege. 
Sein Urgioßvater Johann Wilhelm Heis war Professor der Chirurgie 
und Medizin an der alten Kölner Universität. Dessen ältester Sohn 
Matthias Joseph war Apotheker und Inhaber der noch heute 

1) Für das nachstehende Lebensbild Heis' und die Würdigung seiner Ver- 
dienste sind benutzt worden ein Nachruf in der Vierteljahrsschrift der astronomi- 
schen Gesellschaft 12. Jahrgang 1877 S. 172 ff. und in ausführlicher Weise der 
Aufsatz eines Schülers Heis' in der Kölnischen Voli^szeitung vom 19. Februar 
1906 Nr. 145 gelegentlich der Zentenarfeier seiner Geburt. 




206 



bestehenden Hirschapotheke. Von ihm ging sie an den Vater 
Eduards, Georg Friedrich, über. Von diesem wird berichtet, daß 
er sich neben seinem Beruf viel mit den Naturwissenschaften, 
insbesondere der Physik und Mineralogie, beschäftigte; auch war 
er Liebhaber der Kunst, ein Freund Wallrafs und Mitglied des Vor- 
stands des alten Museums. Von der mütterlichen Seite mag Eduard 
Heis ebenfalls ein Erbteil empfangen haben, das ihn zu wissen- 
schaftlicher Arbeit und literarischer Betätigung befähigte. Seine 
Mutter entstammte der alten Kölner Familie Schauberg; sie war 
eine Tochter des Verlagsbuchhändlers Schauberg und Schwester 
des späteren Verlagsinhabers der Kölnischen Zeitung, Markus 
Du Mont. Als dritter Sohn dieses Ehepaares wurde Eduard Heis 
am 18. Februar 1806 geboren. Anderen irrtümlichen Nachrichten 
entgegen, die ihn als Schüler und Abiturienten des Kölner Friedrich- 
Wilhelm-Gymnasiums bezeichnen, hat Heis vielmehr seine Gymna- 
sialstudien am Marzellengymnasium gemacht. Im Programm des 
letzteren vom Jahre 1824 wird er als Abiturient dieser Anstalt 
aufgeführt. Wie hier bemerkt ist, erhielt sein Reifezeugnis die 
Note „Nro. 2", und der Inhaber desselben wurde zum Studium 
der Philologie und Mathematik entlassen. An der Hochschule zu 
Bonn hörte er zunächst jedoch auch Vorlesungen über katholische 
Theologie. Von dem Fleiß, mit dem er hier seinen Studien oblag, 
und von der Richtung, welche diese inzwischen genommen hatten, 
liefert die Tatsache beredtes Zeugnis, daß er bereits im Jahre 
1826 — also etwa im dritten oder vierten Semester stehend — 
zwei Preisaufgaben in der philosophischen Fakultät erfolgreich 
bearbeitete. Die erste behandelte ein Problem, das zu der Wieder- 
herstellung des teilweise verloren gegangenen Buches des antiken 
Mathematikers Apollonius von Perge, betitelt: ntgl (hüjoia/tiiyijz zofit,? 
in Beziehung stand. Die andere rührte von dem Historiker Niebuhr, 
damals Professor der Geschichte an der Bonner Universität, her. 
Heis hat diese Aufgabe später seiner Sammlung von Beispielen 
aus der Algebra') einverleibt. Es handelte sich bei dieser Aufgabe 
um folgendes. Wenige Jahre vor der Stellung der Aufgabe durch 
Niebuhr war in der Vatikanischen Bibliothek die Schrift Ciceros 
„de re publica" wiedergefunden worden. Hier erwähnt Cicero in 
Anlehnung an den römischen Schriftsteller Ennius eine Sonnen- 
finsternis, die nach diesem um das Jahr 350 der Erbauung der 
Stadt an den Nonen des Juni vorfiel und die er mit den Worten 

') Heis, Sammlung von Beispielen und Aufgaben aus der allgemeinen 
Arithmetik und Algebra. 109.-111. Auflage. Köln 1906. Seite 385 f. 

207 



charakterisiert: Soli luna obstitit et nox. Durch seine Berechnung 
ermittelte Heis die Art und den genauen Zeitpunkt dieser Finster- 
nis für den 21. Juni des Jahres 400 v. Chr. Geb. und erklärte die 
Bemerkung des Ennius: „Der Umstand, daß die Mitte der Fin- 
sternis acht Minuten vor Sonnenuntergang stattfand, gibt der Aus- 
sage des Ennius in Bezug auf das Eintreten der Nacht Bedeutung." 

Im Jahre 1827 schloß Heis seine akademischen Studien ab, 
indem er mit bestem Erfolg das Staatsexamen, die Prüfung pro 
facultate docendi, bestand. Das erste Jahrzehnt seiner Lehrtätig- 
keit verbrachte er an verschiedenen Anstalten seiner Vaterstadt.') 
Zunächst war er von 1828—30 Lehrer an der Realschule, von 
1830—36 am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, von 1837—38 wieder 
an der Realschule. 1838 wurde er als Oberlehrer an die kom- 
binierte Real- und Gewerbeschule — das heutige Realgymnasium — 
zu Aachen berufen. Aus der Zeit seiner Tätigkeit am Friedrich- 
Wilhelm-Gymnasium rührt eine Abhandlung her, die inhaltlich 
ein Gegenstück zu der oben erwähnten Preisaufgabe bildet, ^j 
Diese behandelt die Finsternisse während des peloponnesischen 
Krieges; es sind das die von Thucydides und Plutarch erwähnte 
Sonnenfinsternis zur Zeit des Perikles am 3. August 431 und die 
Mondfinsternis, die im 19. Jahre des peloponnesischen Krieges 
— 431 — die athenische Flotte vor Syrakus beunruhigte. Auch 
diese beiden Berechnungen hat Heis als Aufgaben seiner Samm- 
lung einverleibt. 

Ebenfalls in die Zeit des Kölner Aufenthalts fällt die erste 
Herausgabe dieser Sammlung. Auf dem Boden der Praxis erwachsen 
und für diese bestimmt, hat das Buch außerordentliche Verbreitung 
und Bedeutung für den arithmetischen Unterricht an den höheren 
Schulen Deutschlands erlangt. Im Jahre 1837 in erster Auflage 
im Verlag der DuMont-Schaubergschen Buchhandlung erschienen, 
beging es bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit — 1900 — das 
Jubiläum seiner hundertsten Auflage und ist gegenwärtig — auch in 
fremde Sprachen übersetzt — in mehr als einer halben Million Exem- 
plaren verbreitet. Nach Heis' Tode wurde es lange von dem 1906 

') Die oben genannten Quellen verlegen die ganze Zeit der Kölner leliramt- 
lichen Tätigkeit an das Friedricti-Wilhelm-Gymnasium. In dem Album der philo- 
sophischen Fakultät der Universität Münster findet sich, wie Herr Prof. Meister 
mir mitzuteilen die Freundlichkeit hatte, eine Eintragung über Heis, welche aus- 
drücklich seine Tätigkeit an den beiden oben genannten Anstalten erwähnt. 

-) Die Finsternisse während des peloponnesischen Krieges. Abhandlung 
von Eduard Heis im Programm des Königlichen Friedrich -Wilhelm-Gymnasiums 
zu Köln 1834. 

208 



verstorbenen Rostocker Professor Matthiessen bearbeitet. Es war 
jedoch nicht zu verkennen, daß das Buch, so wertvoll und brauch- 
bar es sich so lange erwiesen, einer umfassenden Veränderung 
bedurfte, wenn es den modernen Anforderungen und den neuen 
Zielen des mathematischen Unterrichts gerecht bleiben wollte. 
Insbesondere fehlte ihm die Einbeziehung des gegenwärtig mit 
Recht betonten Funktionenbegriffs, die Schulung des funktionalen 
Denkens und die Verwertung der graphischen Methoden und 
damit die engere Verbindung mit der Geometrie. Diesem Umstände 
ist inzwischen Rechnung getragen,^) und so wird der alte „Heis" 
im neuen Gewände noch viele Generationen in die Anfangsgründe 
der Algebra einführen und ihnen auch durch die verwickeiteren 
Gebiete des algebraischen Denkens ein zuverlässiger Führer sein. 

Außerdem verfaßte Heis zusammen mit Th. Joh. Eschweiler 
ein mehrfach aufgelegtes Lehrbuch der Geometrie in drei Teilen: 
Planimetrie, Trigonometrie und Stereometrie — zuerst erschienen 
1855 — 67 — und ein „Rechenbuch für Gewerbe- und Hand- 
werkerschulen". Heis hat sich also nicht begnügt, durch münd- 
lichen Unterricht, der in Köln und Aachen bei seinen Schülern 
hochgeschätzt war, die Kenntnis der mathematischen Lehren zu 
verbreiten; die Zahl der geistigen Schüler, die an der Hand seiner 
Lehr- und Übungsbücher ihre mathematische Bildung empfingen, 
mag in die Hunderttausende gehen. 

In der Mathematik zeigte sich Heis also von der fruchtbarsten 
methodischen Seite; eigene wissenschaftliche Forschertätigkeit ver- 
danken wir ihm auf dem Gebiet der Himmelskunde. Wie oben 
schon erwähnt, führten Anwendungen der Rechnung ihn schon 
in jungen Jahren zur Beschäftigung mit astronomischen Aufgaben 
von historischem Interesse. Heis tat aber alsbald einen großen 
Schritt voran und ging zur eigenen, selbständigen astronomischen 
Beobachtung über. Hierzu war er besonders durch sein ausgezeich- 
netes Auge befähigt, dessen Schärfe noch heute allenthalben gerühmt 
wird, und das kam ihm um so mehr zustatten, als er die meiste 
Zeit, besonders naturgemäß in seiner Eigenschaft als Gymnasial- 
lehrer an Orten ohne große wissenschaftliche Einrichtungen, genötigt 
war, mit bescheidenen Hilfsmitteln zu arbeiten. Diese einfachen 
Hilfsmittel bestimmten auch von Anfang an die Richtung seiner 
Arbeiten. Sie erstreckten sich auf Untersuchungen und Beobach- 
tungen der Fixsterne von veränderlicher Helligkeit, der sogenannten 

») Die neue Bearbeitung von 1908 — die 113. Auflage — ist besorgt durch 
Oberlehrer Dr. J. Druxes in Köln. 

14 209 



veränderlichen Sterne, auf die Zahl und Helligkeit der Fixsterne 
überhaupt, ferner auf die Erscheinungen der Sternschnuppen und 
des Zodialtallichtes. Die erste Frucht der Beobachtungen über die 
JV\eteore, zu denen er bereits als Lehrer in Aachen seine Schüler 
mit heranzog, war die Schrift: ,,Die periodischen Sternschnuppen 
und die Resultate der Erscheinungen, abgeleitet aus den während 
der letzten Jahre zu Aachen angestellten Beobachtungen", Köln 1849. 
Das ganze Material, das zu diesem Gegenstande von Heis selbst 
bis in sein hohes Alter im Verein mit vielen Schülern und Mitarbeitern 
gesammelt wurde, ist erst kurz nach seinem Tode 1877 als zweite 
Publikation der Sternwarte zu Münster veröffentlicht worden unter 
dem Titel: „Resultate aus den in den Jahren 1837 bis 1875 
angestelhen Sternschnuppenbeobachtungen". Vorangegangen waren 
1875 als erste Publikation desselben Instituts: „29jährige Beob- 
achtungen über das Zodiakallicht", jenes rätselhafte Phänomen, 
das in unseren Gegenden hauptsächlich in den ersten Monaten des 
Jahres nach Sonnenuntergang längs der Ekliptik zu sehen ist. 

Die Beobachtungen über die veränderlichen Sterne machte 
Heis vielfach zusammen mit dem Bonner Astronomen Argelander, 
mit dem ihn seit Anfang der vierziger Jahre herzliche Freundschaft 
verband. Einige dieser Beobachtungen, z. B. über Mira Ceti, /?-Lyrae, 
??-Aquileiae, jj-Geminorum sind teilweise von Argelander verwertet, 
teilweise auch von Heis selbst an verschiedenen Orten veröffentlicht 
worden. Von seinen langjährigen Notizen war aber zur Zeit seines 
Todes noch wenig bekannt, vollständig sind sie erst ein Viertel- 
jahrhundert später im Jahre 1903 durch P. Hagen von der Sternwarte 
in Washington herausgegeben worden. 

Die astronomischen Arbeiten hatten Heis wie zu Argelander, 
so auch zu Alexander von Humboldt in Beziehung gebracht, dem 
er besonders für den dritten Teil des Kosmos wertvolle Beiträge 
astronomischer Natur lieferte. Humboldts Einfluß im akademischen 
Leben war ein sehr weitreichender, und so war es wohl Humboldts 
Vermittlung zu verdanken, daß Heis 1852 in der Berufung als 
ordentlicher Professor der Mathematik und Astronomie an die 
Akademie zu Münster eine höchst ehrenvolle Auszeichnung und 
Anerkennung seiner bisherigen Arbeiten fand. Das Berufungs- 
schreiben') ist datiert vom 2. Januar 1852 und unterzeichnet von 

1) Die hier und im Folgenden angeführten Aktenstücke befinden sich im 
Besitz der philosophischen Fakultät der Königlichen Wilhelms-Universität zu 
Münster. Durch die dankenswerte gütige Vermittlung des zeitigen Dekans, des 
Herrn Professor Meister zu Münster, und mit Genehmigung der Fakultät konnte 
ich sie für die vorliegende Lebensskizze Heis' benutzen. 

210 



dem damaligen preußischen Kultusminister von Raumer. Es lautet: 
„Nach einem mir vorliegenden Berichte sind Euer Hochwohlge- 
boren für die erledigte ordentliche Professur der Mathematik bei 
der Akademie zu Münster in Vorschlag gebracht worden. Da ich 
mit Rücksicht auf Ihre anerkennungswerten wissenschaftlichen 
Leistungen diesem Vorschlag Folge zu geben beabsichtige, so ver- 
anlasse ich Sie, sich baldmöglichst darüber zu erklären, ob Sie 
zur Annahme der bezeichneten ordentlichen Professur, mit welcher 
eine jährliche Besoldung von 800 Talern verbunden ist, bereit 
sind, und zugleich anzugeben, zu welchem Zeitpunkte Sie aus 
Ihrer dortigen amtlichen Stellung ausscheiden können." Heis 
erklärte alsbald seine Zustimmung zur Übernahme der fraglichen 
Stelle. An die akademische Behörde zu Münster schreibt er am 
9. Januar: „Mein Bestreben wird sein, in die Fußstapfen meines 
würdigen Vorgängers, des Herrn Professors Gudermann, zu treten." 

Da Heis auf dem Gebiet der höheren Mathematik selbst als 
Forscher nicht tätig war und diese Wissenschaft durch eigene, neue 
Erkenntnisse bringende Arbeiten nicht bereichert hat, so scheinen 
Neid und Übelwollen den Versuch gemacht zu haben, ihn für die 
Bekleidung des akademischen Lehramtes als minderwertig hinzu- 
stellen. ^) Aus der Zeit seiner Berufung liegen aber zwei Schrift- 
stücke vor, die wohl geeignet sind, jenen Versuchen die Spitze 
abzubrechen, da in ihnen von maßgebender Stelle aus Heis' Be- 
fähigung und bisherige Tätigkeit höchst ehrenvolle Anerkennung 
findet. Das erste dieser Zeugnisse rührt von keinem Geringeren 
als Argelander her. In einem Briefe vom 18. November 1851 urteilt 
dieser große Astronom folgendermaßen: „Ohne gerade ein Genie 
erster Größe zu sein, besitzt Heis einen scharfen Verstand, der 
ihn dasWichtigevomUnwichtigen unterscheiden läßt, derihn befähigt, 
solche Untersuchungen sich herauszuwählen, die seinen Mitteln 
entsprechen, und die richtigen Wege, diese durchzuführen, zu 
erkennen, wobei er von einem nicht gewöhnlichen praktischen 
Sinn unterstützt wird, sowie von einem Eifer und einer Ausdauer, 
wie sie selten zu finden sind. 

Dies wird in helles Licht treten, wenn die große Arbeit über 
die relative Helligkeit der Sterne erscheinen wird, mit der er seit 
5 bis 6 Jahren beschäftigt ist . . . Daß Heis ein sehr liebenswür- 
diger und bescheidener Mann ist, weißt Du, ebenso daß er in 
Aachen wegen seiner großen Gabe, in populären Vorträgen die 

') Vgl. hierzu den oben zitierten Artikel in der Kölnischen Volkszeitung 
vom 19. Februar 1906. 

211 



Resultate der Wissenschaft dem großen Publikum zugänglich zu 
machen, allgemein beliebt ist." Ebenso günstig über die wissen- 
schaftliche Qualifikation und die Persönlichkeit Heis' spricht sich 
ein Bonner Universitätslehrer ') aus, bei dem er noch als Student 
Vorlesungen gehört hatte. In einem Briefe vom 23. November 1851 
an einen Münsterer Kollegen, der offenbar ebenso wie Argelanders 
Schreiben als Gutachten über den in Aussicht genommenen Pro- 
fessor aufzufassen ist, heißt es: „Ob er in gleichem Grade, als 
er ein kenntnisreicher Lehrer ist, auch die Disziplin in seiner Klasse 
zu handhaben weiß, scheint mir, was man so hört, nicht der Fall 
zu sein. Dagegen ist er in wissenschaftlicher Beziehung ungemein 
regsam und namentlich widmet er alle seine freie Zeit der theo- 
retischen und praktischen Astronomie. Seine desfallsigen Leistun- 
gen haben von dem Direktor unserer Sternwarte, Professor Arge- 
lander, ganz besondere Anerkennung gefunden. Auch hatte er 
Aussicht, der Nachfolger des in Breslau verstorbenen Astronomen 
Bogulawski zu werden: was dazwischen gekommen ist, weiß ich 
nicht. Wissenschaftliche Vorträge, welche Heis zuweilen gehalten, 
sind sehr gerühmt worden. Strebsam ist Heis gewiß in hohem 
Grade. Von Charakter ist er wohlwollend und freundlich. Ob er 
für solche, die ihm und seinem Fache ferner stehen, „etwas lang- 
weilig" ist, darüber wage ich nicht mich entschieden auszusprechen. 
Von seinem „entsetzlichen Dialekte" weiß ich aber nichts; ich habe 
nur den Eindruck behalten, daß er etwas langsam spricht. Er 
ist zwar ein geborener Kölner (Sohn eines Apothekers), hat aber 
nicht den Kölner Akzent. 

Bei der Durchmusterung der mir bekannten Gymnasiallehrer 
katholischer Konfession finde ich keinen, den ich auf Grund seiner 
wissenschaftlichen Tätigkeit für die in Münster vakant gewordene 
Stelle für geeigneter halten könnte, als Heis. Daß seine Mathe- 
matik eine astronomische Beimischung hat, macht ihn vielleicht 
für die dortigen Verhältnisse nur noch empfehlungswerter." 

Heis hat das in ihn gesetzte Vertrauen voll und ganz gerecht- 
fertigt. Auch in seiner neuen Stellung hat er als Lehrer Hervor- 
ragendes geleistet und namentlich auch als ehemaliger Praktiker 
die pädagogische Ausbildung der angehenden Lehrer der Mathe- 
matik gefördert. Die Habilitationsschrift war aus den Beobachtun- 
gen über die Helligkeitsverhältnisse und die Zahl der Fixsterne 
hervorgegangen und trug den Titel: ,De magnitudine relativa 
numeroque accurato stellarum quae solis oculis conspiciuntur 

') Der Name ist mir zur Zeit unbekannt. 

212 



fixarum". Die philosophische Fakultät zu Bonn verlieh ihm anläß- 
lich des Antritts der Professur auf Grund seiner bisherigen Arbeiten 
ehrenhalber den Doktortitel. 

Seine Beobachtungen über die Fixsterne brachte Heis 1872 
durch den Atlas coelestis novus zum Abschluß. In diesem Atlas 
sind die sämtlichen im mittleren Europa am Himmel mit bloßem 
Auge sichtbaren Fixsterne nach Zahl, Größe und Helligkeit ver- 
zeichnet. Die früheren Sternkataloge — die Uranometria Bayers 
aus dem Jahre 1603 und die 1843 erschienene Uranometria nova 
Argelanders — übertrifft der Atlas coelestis zunächst durch die 
weit größere Zahl der aufgenommenen Sterne. Argelander ver- 
zeichnete ihrer rund 3250, Heis' viel schärferes Auge unterschied 
aber nahezu fünfeinhalbtausend Objekte. Die Milchstraße, die 
dem unbewaffneten Auge als leuchtender Wolkenzug erscheint 
und deren einzelne Sterne durch ihre Kleinheit diesem verborgen 
bleiben, war in den früheren Atlanten entweder unberücksichtigt 
geblieben, so in der Uranometria nova, oder falsch aufgefaßt 
und dargestellt. Auch in diesem Punkt bedeutete Heis' Arbeit 
einen wesentlichen Fortschritt, insofern sie über Form, Ausdehnung 
und Helligkeitsverhältnisse dieses Gebildes zum ersten Male rich- 
tige Angaben enthielt und spätere Arbeiten wirksam vorbereitete. 

Vielfache Bemühungen verwendete Heis darauf, die gesicherten 
Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung weiteren Kreisen zu- 
gänglich zu machen und diese insbesondere für astronomische 
Beobachtungen zu interessieren. Zu diesem Zweck gründete er 
zunächst 1855 die noch heute bestehende, im Verlag von Aschendorf 
in Münster erscheinende Zeitschrift „Natur und Offenbarung", für die 
er selbst zahlreiche Aufsätze schrieb. Von 1858 — 75 gab er die 
„Wochenschrift für Astronomie, Meteorologie und Geographie" 
heraus ; hier veröffentlichte er ebenfalls einen großen Teil seiner 
eigenen Beobachtungen, ferner auch die seiner Schüler, die er zu 
solcher Tätigkeit ausgebildet und mit solchem Erfolg dafür zu 
begeistern gewußt hatte, daß sie sich ihr auch späterhin mit Eifer 
widmeten. 

Dem Leben Eduard Heis', der als Lehrer und Forscher auf 
verschiedenen Gebieten so erfolgreich gewirkt hatte und der als 
Mensch von seinen Schülern als einer der „edelsten und besten 
Männer" noch heute verehrt wird, war am 30. Juni 1877 ein Ziel 
gesetzt. Dieses Leben fiel in eine Zeit, die in allen Zweigen der 
Naturwissenschaften neue, fundamentale Wahrheiten erschloß, deren 
Inhalt weiterhin auch auf die großen Fragen der Weltanschauung 

213 



bei vielen Einfluß gewann und auch hier Neues an die Stelle des 
Alten setzte. Diesen Wandel hat Heis nicht mitgemacht; sein 
Lebensgrundsatz war das Wort, das dem eingangs genannten 
Buche Wasmanns als Motto voransteht und zugleich auch die 
Devise der Societe scientifique zu Brüssel ist, der Heis als Ehren- 
mitglied angehörte : Nulla unquam inter fidem et rationem vera 
dissensio esse potest. 



214 



Religionslehrer Dr. Christian Hermann Vosen 

und 

Gesellenvater Adolf Kolping. 

Von Domkapitular Dr. A. STEFFENS. 

Welchem alten Marzellianer ist nicht in Erinnerung geblieben 
der volkstümliche, allverehrte Religionslehrer DR. VoSEN, 
der vor nunmehr vierzig Jahren in die Ewigkeit hinüber- 
gegangen ist? Am 25. Juli des Jahres 1864 sah ich ihn zum ersten 
Male, und seitdem ist sein Bild unauslöschlich in meine Seele ein- 
gegraben. Auf meine Bitte hatte mein Vater mich mit- 
genommen nach Köln 
feier der Übertrag 
könige. Einen 
mann Matthias 
St. Martin, den 
res heimisch 
hatten wir 
dieser rede 
Vater zu, 
dieren zu 
mich auf 



zur 700jährigen Jubel- 
ung der hh. Drei- 
Bekannten, Kauf- 
Anton Peil an 
Bruder unse- 
en Pastors, 
besucht und 
te meinem 
mich stu- 
lassen und 
die Sexta 
lengymna- 
zumelden. 
Schule sei 
die beste; 
berühmte Dr. 
onslehrer.Zu 
wir hingehen, 
zunächst prüfe, 
ob etwas aus mir 
Mein Vater ließ 
ich wurde zu Dr. 
wohnte in der Straße 
An den Dominikanern. Seine Schwester öffnete die Tür, und als 
wir eintraten, kam gerade der Religionslehrer die Treppe herunter, 
eine eindrucksvolle Gestalt von etwas mehr als Mittelgröße, bekleidet 
mit einem langen, ziemlich abgefärbten Hausrock, den eine in 
Quasten endende Kordel zusammenhielt. Die dunkle Hautfarbe, die 
etwas gebogene, kräftige Nase, die hohe Stirn, die seelenvollen, 



desMarzel 
siums an 
Denn diese 
unter allen 
dort sei der 
Vosen Religi 
ihm sollten 
damit er mich 
um festzustellen, 
werden könne 
sich bereden, und 
Vosen geführt. 




Er 



215 



großen Augen gaben dem edel geformten, scharfgeschnittenen und 
von leichtgewelltem schwarzen Haarwuchs umrahmten Gesicht einen 
männlich schönen Ausdruck, der Ehrfurcht einflößte und zugleich 
Vertrauen erweckte. Ernst, ja etwas finster schaute er durch seine 
goldene Brille auf die beiden Ankömmlinge herab. Doch als er unser 
Begehr vernommen, da überflog ein Zug der Heiterkeit, wie ich ihn 
im spätem Leben nur noch einmal bei ihm wahrgenommen, sein 
Antlitz. Er stellte mir einige Fragen, die ich ohne Bangigkeit 
beantwortete. Denn der Ton seiner Stimme verriet ein Herz voller 
Wohlwollen. Er beorderte uns alsdann zum Direktor Ditges in der 
Domstraße, der mich als ersten für die Sexta anschrieb, wiewohl 
es, wie er umständlich ausführte, noch nicht an der Zeit war, 
Anmeldungen entgegenzunehmen. 

So kam ich im Herbste 1864 ans Marzellengymnasium, wo 
ich bis zum Abiturientenexamen im Jahre 1872 der Lehrer gar 
manche gehabt, deren ich zeitlebens mit Dankbarkeit gedenke. 
Ich nenne nur meinen Ordinarius in Sexta, den nachmaligen 
Professor an der Akademie zu Münster, Dr. Peter Langen, den 
allzufrüh verstorbenen Dr. Eickholt, das Ideal eines Gymnasial- 
lehrers, den strammen Dr. Joh. Matthias Stahl, der annoch als 
emeritierter Professor der Universität zu Münster lebt, und den 
milden, guten Hemmerling. Doch alle überragte der Religionslehrer 
Dr. Vosen. Zu ihm blickten alle mit Verehrung hinauf, niemand 
hätte es gewagt, ihn zu betrüben; ein Wort des Tadels aus seinem 
Munde wurde als die bitterste aller Strafen empfunden. Er war 
der Stolz seiner Schüler und ein Fürst unter den Lehrern. 

Christian Hermann Vosen wurde zu Köln am 9. Juli 1815 
geboren. Er entstammte einer schlichten Bürgerfamilie altkölnischer 
Art, wie er sie selbst in einer seiner Reden ^) zutreffend geschildert 
hat, einer Familie, wo „der katholische Glaube Ruhe und Sicher- 
heit in allen Anschauungen zeitlicher und ewiger Verhältnisse 
erzeugte, wo der Vater, wie er seinerseits der Autorität in Kirche 
und Staat gehorchte, auch für seine Autorität einmütigen Gehorsam 
forderte und fand; wo die Kinder gehorchten, nicht nach eigener 
Einsicht noch aus bloßer Liebe zu den Eltern, sondern weil Gott 
gesagt hat: ,Du sollst Vater und Mutter ehren'!" Sein Vater war 
Küster an Groß St. Martin, und so wuchs er im Herzen der Stadt 
auf, mitten unter den Erinnerungen an das alte reichsstädtische 
Köln, die ihn für sein ganzes Leben zu einem echten und rechten 

1) Rede über das alte Köln, gehalten auf der Generalversammlung der 
katholischen Vereine Deutschlands zu Köln 1858. 

216 



Kölner machten. Mit zwölf Jahren kam er auf das Marzellen- 
gymnasium, wo er sieben Jahre verweilte und im Herbst 1834 
als vierter von fünfzehn Abiturienten ein Zeugnis der Reife mit 
No. II davontrug. Vosen und zwei seiner Mitschüler gaben als 
Fachstudium „katholische Theologie" an. In seinem Bericht an 
den Kölner Erzbischof bemerkte der erzbischöfliche Kommissar 
bei der Abiturientenprüfung, Domkapitular Filz, „daß unter diesen 
dreien Vosen, Christian Hermann, aus Köln, wenn er anhaltender 
Gesundheit sich erfreuen mag, woran ich nach seinem Äußern 
zweifeln muß, gute . . . Brauchbarkeit im Dienste der Kirche von 
sich erwarten lasse". Auffallenderweise studierte Vosen, der später 
eine noch jetzt viel gebrauchte hebräische Grammatik in deutscher 
und lateinischer Sprache herausgab, auf dem Gymnasium kein 
Hebräisch. Erst auf der Universität scheint die Vorliebe für diese 
Sprache in ihm erwacht zu sein. Dafür aber betätigte er schon 
als Gymnasiast besonderes Interesse für die Kunst, das er sein 
ganzes Leben hindurch bewahrte. Schon damals begann er Kunst- 
gegenstände zu sammeln, und seine Jugendfreunde wußten davon 
zu erzählen, wie er ihnen zuweilen mit irgend einem alten Ge- 
mälde oder einem leeren Rahmen, den er gerade bei einem Trödler 
mit seinen bescheidenen Mitteln erhandelt hatte, hochbeglückt 
begegnete. Die Dachrinne des elterlichen Hauses diente dazu, 
die alten Bilder zu reinigen und die fleckigen Kupferstiche zu 
bleichen. 

Nach Vollendung der Gymnasialstudien bezog Vosen die Uni- 
versität Bonn, um Theologie zu studieren. Hier war er ein stiller, 
fast schüchterner Student, der sich von allen lärmenden Veran- 
staltungen fernhielt, errötete, wenn man ihn ansah, aber, wie auch 
im späteren Leben, im Kreise trauter Freunde auftaute, um dann 
seinen köstlichen, echt kölnischen, niemand verletzenden Humor 
sprudeln zu lassen, wobei er sich am liebsten in Kölner Mundart 
erging. Im Studieren war Vosen jedoch unternehmend. Die Zeit 
war eine tiefbewegte. Auf dem Kölner Erzstuhl war auf den Erz- 
bischof Ferdinand August Graf von Spiegel im Jahre 1836 Klemens 
August Freiherr Droste zu Vischering gefolgt, der bereits im zweiten 
Jahre seiner Amtsführung auf die Festung Minden abgeführt wurde. 
Die Kölner Wirren schlugen weithin mächtige Wellen, und in Bonn 
hatte der Hermesianismus seinen Hauptherd aufgeschlagen. Vosen 
kam im Sturm der Zeit und im Widerstreit der Meinungen nicht 
von der richtigen Fährte ab. Er schloß sich besonders an den 
Professor der Dogmatik Dr. Heinrich Klee an, zu dessen vertrau- 

217 



testen und liebsten Schülern er gehörte. Nach der durch Papst 
Gregor XVI. am 26. September 183.5 erfolgten Verurteilung der 
Hermesischen Schriften wurde Vosen in Bonn der Mittelpunkt der- 
jenigen Studierenden, die sich vom Hermesianismus fernhielten 
oder von ihm zurücktraten. Für den Fleiß des Theologiestudieren- 
den legt unter anderm Zeugnis ab eine handschriftlich noch vor- 
handene, lateinisch geschriebene Abhandlung über Petri Anwesen- 
heit in Rom, ^) die er nach längerer Krankheit am Karfreitag des 
Jahres 1836 vollendete. Neben den philosophischen und theolo- 
gischen Vorlesungen hörte Vosen in Bonn auch noch solche über 
Kunstgeschichte und lernte zur Erholung lithographieren. Im Jahre 
1838 trat er in das erzbischöfliche Priesterseminar zu Köln ein 
und wurde am 31. Mai 1839 vom Weihbischof Karl Adalbert Frei- 
herrn von Beyer zum Priester geweiht. Im Jahre seiner Weihe, 
wohl noch im Priesterseminar, verfaßte er eine dogmatische Ab- 
handlung in lateinischer Sprache über den Spender des Ehe- 
sakramentes. ^) die sich noch in seinem handschriftlichen Nach- 
lasse vorfindet. Nicht zum Nachteile für seinen spätem Beruf 
fand der talentvolle, geistig regsame Neupriester zunächst Ver- 
wendung in der Seelsorge, die das eigenste Gebiet des Priesters 
ist und der er, falls er nicht entarten soll, nie gänzlich entfremdet 
werden darf. Am 12. Juli 1839 wurde Vosen zum Vikar in Zün- 
dorf ernannt, woselbst er jedoch nur zwei Jahre blieb. Am 
16. Dezember 1841 erfolgte seine Ernennung zum Kaplan an 
St. Andreas in Köln, woselbst er bis zum 28. Oktober 1844 tätig war. 
So wurde Vosen seelsorglich allseitig geschult. Er lernte 
das Volk kennen und faßte eine herzliche, priesterliche Liebe zu 
ihm, die ihn zeitlebens nicht verließ. Durch Erfahrung belehrt 
wußte er, daß Kenntnisse wohl den Geist zu bereichern vermögen, 
nicht aber genügen, um das Herz zu veredeln, nicht hinreichen, 
um aus Adamskindern Christen zu machen. Dazu bedarf es der 
Wirksamkeit der Gnade, wie sie die eigentliche Seelsorge ver- 
mittelt. Andererseits schöpft der Seelsorger aus der Beschäftigung 
mit den hh. Wissenschaften immer höhere Befähigung und stets 
erneute Anregung. Wie Vosen im spätem Leben als Religionslehrer 
die praktische Seelsorge nicht vernachlässigte, so hat er auch als 
Vikar und Kaplan über der Seelsorgsarbeit die Wissenschaft nicht 



1) Petrum apostolum venisse Romam demonstratur atque doctorum quorun- 
dam virorum argumenta contra hanc rem historicam prolata refelluntur. Manuskript 
SS. 147. 

2) De ministro sacramenti matrimonii. Manuskript SS. 56. 

218 



vergessen. Aus seiner Kaplanszeit stammen mehrere Aufsätze im 
„Archiv für theologische Literatur", das von der Münchener 
theologischen Fakultät, der damals angesehensten in Deutschland, 
herausgegeben wurde. Besonders bemerkt wurden seine Bemer- 
kungen über die Symbolik des Professors Dr. Hilgers in Bonn, 
deren Verfasser man in dem jungen Kölner Kaplan nicht ver- 
mutete. Binterim wurde auf ihn aufmerksam und empfahl ihn, 
wiewohl er ihn persönlich nicht kannte, für die Stelle eines Repe- 
tenten am theologischen Konvikte zu Bonn. 

Im Herbst 1844 wurde dem reichbegabten und allseitig 
gebildeten jungen Priester ein höherer Wirkungskreis eröffnet, für 
den er wie geschaffen erschien. Vosen wurde Nachfolger eines hoch- 
bedeutsamen Mannes, des nachmaligen Bischofs von Paderborn, 
Dr. Konrad Martin, der durch seine hervonagende Tätigkeit auf 
dem vatikanischen Konzil und seine fruchtbare Schriftstellerei weit 
über Deutschlands Grenzen hinaus berühmt geworden ist. Geboren 
zu Geismar auf dem Eichsfeld am 18. Mai 1812 und zum 
Priester geweiht zu Köln am 27. Februar 1836 war Dr. Konrad 
Martin, nachdem er vier Jahre hindurch Rektor des Progymna- 
siums in Wipperfürth gewesen war, im Herbst 1860 als Religions- 
lehrer ans Marzellengymnasium versetzt worden. Auch hier blieb 
er nur vier Jahre, machte sich während dieser Zeit besonders 
verdient durch die Herausgabe seines zweibändigen, vortrefflichen 
Lehrbuches der katholischen Religion für höhere Lehranstalten 
und wurde im Herbst 1844 als Professor der Moral und Pastoral 
und Konviktsinspektor nach Bonn berufen. Kurz vor seinem Tode, 
der am 16. Juli 1879 in Mont Saint Guibert unweit Brüssel 
erfolgte, veröffentlichte er seine in Mainz bei Kirchheim erschienenen 
„Zeitbilder oder Erinnerungen an meine verewigten Wohltäter". 
Ein eigenes Kapitel dieser Schrift ist seinen Freunden und 
Förderern am katholischen Gymnasium in Köln gewidmet, unter 
denen die damals bereits vorstorbenen, nämlich Direktor Birnbaum 
und die Gymnasiallehrer Göller, Grysar, Kreuser und Schmitz, 
mit mehr oder minder ausführlichen Charakterschilderungen 
bedacht werden. 

Als Religionslehrer an die Stelle eines so ausgezeichneten 
Mannes zu treten, wie Dr. Konrad Martin einer gewesen, war für 
Vosen keine geringe Ehre und zugleich ein mächtiger Antrieb zu 
höherm Streben. Zunächst erwarb er sich bei der theologischen 
Fakultät der Universität zu München im Jahre 1845 die theolo- 
gische Doktorwürde auf Grund der vorhin schon erwähnten Abhand- 

219 



luiigen im Münchener „Archiv für theologische Literatur" und einer 
Inaugural-Dissertation „über die innere Evidenz der Lehre von der 
Vorsehung", die er nicht gesondert erscheinen ließ, aber später in 
seine Apologetik aufnahm. In diese Zeit fällt auch die Heraus- 
gabe seines namentlich in der gebildeten Männerwelt bis heute 
beliebt gebliebenen Gebetbuches „Venite adoremus". ') Welch hoher 
Wertschätzung er sich bei seinem Oberhirten, dem Kardinal und 
Erzbischof Johannes von Geißel, erfreute, geht daraus hervor, daß 
dieser im Jahre 1853 ihn wie die Bonner Professoren Dieringer 
und Martin und den gelehrten Kölner Pfarrer Schumacher beauf- 
tragte, ein theologisches Gutachten über die verwickelten Lehr- 
meinungen des Wiener Philosophen Anton Günther, die mancherlei 
glaubenswidrige Irrtümer enthielten, zu erstatten. Die Jahres- 
berichte des Marzellengymnasiums aus den sechziger Jahren 
brachten zwei bemerkenswerte Abhandlungen von Vosen, die apolo- 
getischer Natur sind und Natur und Offenbarung zum Gegenstand 
haben. -) Seine Grundanschauung in der hier zur Verhandlung 
kommenden, zu allen Zeiten viel erörterten Frage über das Ver- 
hältnis von Glauben und Wissen legt er in der ersten dieser Ab- 
handlungen mit folgenden schlichten und schönen Worten dar, die 
zugleich eine treffende Vorstellung von seiner Lehrweise geben : 
,,Die wirklichen Aussprüche der Offenbarung," sagt er, ,, können 
nie in wirklichem Widerspruche stehen mit den richtig erkann- 
ten Tatsachen der Natur, der Geschichte und des logischen Denkens. 
Wer daher die durch Gottes Gnade begründete und durch die 
Erfahrung von der zu Gott führenden Kraft des praktischen Christen- 
tums befestigte Ruhe der Glaubensüberzeugung in sich trägt, der 
wird von vornherein die Zuversicht mitbringen und festhalten, daß 
in jedem Angriffe auf irgend eine Lehre der Offenbarung ent- 
weder Mißverstehen dessen, was der Glaube wirklich behauptet, 
oder Fehler bei den Untersuchungen der Wissenschaft auf ihrem 
eigenen Boden zugrunde liegen und daß sich oft genug beide 
Mängel vereinigen, um den Irrtum zu verschlimmern. Die wissen- 
schaftliche Anstrengung des Verteidigers wird daher auf das Ent- 
decken jener versteckten Fehler im Angriffe gerichtet sein müssen. 



') Venite adoremus! Kommt, laßt uns anbeten! Vollständiges Gebetbuch 
für katholische Christen. Köln, Bachern. 23 Auflagen. 

-) Die sechs Tage der biblischen Schöpfungsgeschichte gegenüber den 
Ergebnissen der Naturforschung. Im Jahresbericht zum Schuljahr 1860—1861. 

Winke für die theologische Betrachtung der Natur besonders in Rücksicht 
auf den Jugendunterricht. Im Jahresbericht zum Schuljahr 1865-1866. 

220 



Während er für sich selbst allen Angriffen gegenüber die Ruhe 
seines eigenen Glaubens behält, überzeugt, daß hier jedenfalls nur 
die so leicht sich täuschende Handhabung der menschlichen 
Wissenschaft irgend einen Fehler begangen haben muß, weiß er, 
daß es bei gehöriger Anstrengung endlich jedenfalls gelingen muß, 
auch den redlich denkenden Gegner, trotz seines Vorurteils gegen 
den Glauben, ganz objektiv vom Dasein des betreffenden Fehlers 
in seinen Angriffen zu überführen." Das Bestreben, namentlich 
den Nichttheologen von höherer Bildung und der dem Gymnasium 
entwachsenen akademischen Jugend ein Heilmittel zu bieten für die 
Gefahren, die ihnen während des Universitätsstudiums durch eine 
glaubensfeindliche Behandlung der Philosophie, der Naturwissen- 
schaften und der Geschichte sowohl in der Literatur als auch vom 
Katheder herab zu drohen pflegen, führte ihn dazu, im Jahre 1861 
sein hervorragendstes Werk, ,,Das Christentum und die Einsprüche 
seiner Gegner" ^) erscheinen zu lassen, das bei seiner treuherzigen, 
schlichten und doch gründlichen Art, die Irrgänge der wissen- 
schaftlich verbrämten Angriffe auf den christlichen Glauben auf- 
zudecken, eine individuelle Erscheinung in der apologetischen 
Literatur darstellt und deshalb auch heute noch von Wert ist, wie 
die vor einigen Jahren erschienene, von S. Weber besorgte fünfte 
Auflage des Buches beweist. Im Jahre 1865 brachten die Frankfurter 
Broschüren seine Abhandlung über „Galileo Galilei und die 
römische Verurteilung des Kopernikanischen Systems", und das fol- 
gende Jahr schenkte uns das umfangreichste Erzeugnis seiner 
Feder in dem zweibändigen Werke ,,Der Katholizismus und die 
Einsprüche seiner Gegner",-) das die der katholischen Kirche eigen- 
tümlichen Lehren und Einrichtungen klarstellt und verteidigt gegen- 
über den Entstellungen und Angriffen der Gegner. 

Es ist nicht seilen, daß in der Lehrtätigkeit stehende Männer, 
wenn sie literarisch hervortreten, darüber ihre Berufsarbeit ver- 
nachlässigen. Bei Vosen war dies keineswegs der Fall. Die Er- 
zeugnisse seiner Feder waren nur die Früchte seiner sorgfältigen 
Vorbereitung auf den Unterricht, den er in vielen, vielfach bis zu 
dreißig Lehrstunden wöchentlich am Gymnasium erteilte. Die 
Unterrichtsmethode Vosens war eine eigenartige. Ein Handbuch 

') Das Christentum und die Einsprüche seiner Gegner. Eine Apologetik 
für jeden Gebildeten. Freiburg i. B. 1861, 1905 von S. Weber. 5 Auflagen. 

^ Der Katholizismus und die Einsprüche seiner Gegner. Dargestellt für 
jeden Gebildeten. 1, Auflage 2 Bände, 2. und 3. Auflage 1 Band. Freiburg 
i. B. 1866, 1885. 

221 



der Religion hatten wir freilich, das von Dubelmann für die mitt- 
lem und das von Martin für die obern Klassen, allein im Un- 
terricht kam es kaum jemals zur Verwertung. Mit Auswendiglernen 
wurden wir nicht geplagt. Religionsaufsätze mußten wir freilich 
mitunter anfertigen, und zu Anfang der Stunde wurde der eine 
oder andere aufgerufen, um das in der vorhergegangenen Religions- 
stunde Vorgetragene kurz zu wiederholen. Dann aber setzte der 
freie Vortrag Vosens ein, auf den wir uns stets freuten und dem 
wir mit gespanntester Aufmerksamkeit folgten. Aus seinem reichen 
Wissensschatze und seinem warmen priesterlichen Herzen strömten, 
wie es in einem der ihm gewidmeten Nachrufe heißt, 'j die christ- 
lichen Wahrheiten in die Seele der Schüler über, überzeugten den 
Verstand, erwärmten das Gemüt und bauten die religiöse Über- 
zeugung auf so fester Grundlage auf, daß viele seiner Schüler 
offen bekannten, wenn im spätem Leben ihr Glaube in den Ver- 
führungen der Leidenschaften und den Sophismen des Unglaubens 
keinen Schiffbruch gelitten habe, so hätten sie es Vosen zu ver- 
danken. Jeden Sonntag predigte Vosen bei der Gymnasialmesse 
und an den Kommuniontagen beim Nachmittagsgottesdienste. 
Klar und warm, kraftvoll und frisch quoll Gottes Wort aus seinem 
beredten Munde, und weil bei ihm wissenschaftliche Gediegenheit 
mit echt priesterlichem Wandel sich paarte, so fiel das Wort nicht 
auf unfruchtbaren Boden. Selbst hochgebildete Andersgläubige 
fühlten sich durch Vosens Persönlichkeit angezogen, der katho- 
lischen Kirche näherzutreten. Unter vielen nenne ich nur den 
Architekten FRIEDRICH FREIHERRN VON SCHMIDT, den Erbauer des 
Wiener Rathauses und Urheber des Entwurfes zur Kölner Herz-Jesu- 
Kirche, den Vosen im Jahre 1858 zu Köln in die katholische Kirche 
aufnahm. 

Im Jahre 1853 beabsichtigte Vosen für alle Sonn- und Feier- 
tage des Schuljahres einen nachmittägigen Gottesdienst einzu- 
richten. Für die untern Klassen sollte in der Kirche eine Christen- 
lehrandacht stattfinden, die obern Klassen wollte er jedoch in- 
zwischen in der Aula des Gymnasiums zu einer ,sacra lectio' d. h. 
zu einem für sie ganz besonders berechneten asketischen Vortrage 
versammeln und sie alsdann zur Anbetung des h. Sakramentes in 
die Kirche führen, wo zum Schluß der h. Segen erteilt werden 
sollte. Die erzbischöfliche Behörde äußerte jedoch das Bedenken, 
eine solche Art des Gottesdienstes möchte länger dauern, als im 
Interesse nachhaltigen Fortbestandes und ungeschmälerter Teil- 

iTKölnische Voikszeitung, 1871 Nr. 146, Erstes Blatt. 

222 



nähme dienlich erscheine. Das Vorhaben kam infolgedessen nicht 
zustande. Vosen war darüber nicht unglücklich; im Gegenteil 
erblickte er später einen großen Vorzug darin, daß die Gym- 
nasiasten an Sonn- und Feiertagen sich mit ihren Eltern und Ge- 
schwistern am Nachmittagsgottesdienste in der Pfarrkirche oder bei 
besondern Festen an den erhebenden Feierlichkeitenin den betreffen- 
den Kirchen der Stadt beteiligten, und zu dieser Teilnahme wußte er 
seine Schüler eindringlich anzuregen. Gerne folgten die Schüler 
dieser Anregung, zumal sie bei kirchlichen Feierlichkeiten nicht 
selten ihren geliebten Religionslehrer als Festprediger auftreten 
sahen. Ganz besonders gerne aber übernahm Vosen die Predigt 
in der vielbesuchten Abendandacht, die allsonntäglich in der Pfarr- 
kirche zum h. Andreas gehalten wurde. Werktags wohnten infolge 
oberhirtlicher Anregung seit dem 1. Februar 1854 die Gymnasiasten 
alltäglich morgens vor dem Beginn des Unterrichtes der h. Messe 
bei, bei der Gesang und Stillgebet miteinander abwechselten. 
Besondere Sorgfalt verwandte Vosen darauf, seine Schüler zum 
würdigen und andächtigen Empfang der hh. Sakramente anzuleiten. 
„Alles, was ihr für Gott tut, müßt ihr mit heiligem Ernste und 
voller Ehrfurcht tunl" So rief er uns öfter mahnend zu. An den 
Beichttagen verdroß es ihn nicht, um längeres Warten, das der 
Jugend unerträglich ist, zu verhüten, die große Zahl seiner Schüler 
in einzelnen Abteilungen nacheinander durch einen besondern, 
recht zu Herzen gehenden Vortrag in einem der Säle des Gym- 
nasiums auf die h. Beichte vorzubereiten und sie in die rechte 
Stimmung zu versetzen. In der Wahl des Beichtvaters gestattete 
er wohlweislich vollste Freiheit und sah es gerne, wenn seine 
Gymnasiasten sich unter den Beichtvätern der Stadt in freier 
Selbstbestimmung den ihrigen auswählten. Denn er wußte wohl, 
daß sie diesem auch über die Jahre der Schulzeit hinaus ihr Ver- 
trauen bewahren würden. Mit Recht rühmte man insgemein die 
Schüler des Marzellengymnasiums, daß sie ihre religiösen Pflichten 
mit freudiger Bereitwilligkeit erfüllten, und diesen Ruhm verdankte 
das Gymnasium der erleuchteten Weisheit seines Religionslehrers. 
Auch dem naturgemäßen Bedürfnis der den Kindesjahren ent- 
wachsenen Gymnasiasten, sich außerhalb der Schulveranstaitungen 
in geselligen Vereinigungen mitunter zusammenzufinden, kam 
Vosen entgegen durch Gründung eines wissenschaftlichen Kränz- 
chens von Schülern der höhern Klassen des Gymnasiums, das 
er mehrere Jahre hindurch persönlich leitete und drei Jahre hin- 
durch in seinem eigenen Hause beherbergte. Später hielt dieses 

223 



Kränzchen seine Tagungen im Lazaristenkloster in der Stolkgasse, 
und als ihm von Seiten der Staatsregierung die Auflösung drohte, 
trat Vosen kräftig und wirksam für dasselbe ein. 

Daß eine Persönlichkeit wie Vosen auf das empfängliche 
Jünglingsherz nachhaltigen Eindruck machen und Begeisterung 
für den Priesterstand in ihm wachrufen mußte, ist nicht zu ver- 
wundern. Es dürfte wohl kaum ein Gymnasium geben, das unter 
gleichen Verhältnissen eine solch große Zahl von Theologen her- 
vorgebracht hätte wie das Marzellengymnasium unter Vosen. Zum 
Beweise greife ich aus der Mitte der Jahre seiner Tätigkeit den 
Zeitraum von 1858 bis 1862 heraus. In diesen Jahren zählte das 
Gymnasium 203 Abiturienten, von denen 115 angaben, daß sie 
Theologie studieren würden. Unter diesen 115 Theologen befan- 
den sich 41, denen die mündliche Prüfung erlassen wurde, was 
damals, weil es selten vorkam, als große Auszeichnung galt. Der 
durch seine gediegenen Werke rühmlichst bekannte spekulative 
Dogmatiker Professor MATTHIAS JOSEPH SCHEEBEN (f 21. Juli 1888 
zu Köln) sowie die Kölner Weihbischöfe Dr. Hermann Joseph 
Schmitz (f 21. August 1899 zu Köln) und Dr. JOSEPH MÜLLER 
haben als Gymnasiasten zu Vosens Füßen gesessen. 

Vosen lebte für seine Gymnasiasten. Für sie war ihm keine 
Arbeit zu viel. Weil er sich unter allen Lehrern der Anstalt an 
erster Stelle für die sittliche Bildung ihrer Zöglinge als verant- 
wortlich erachtete, beantragte er am 15. Juni 1867, daß ihm die 
damals erledigte Stelle eines Verwalters der Schülerbibliothek des 
Gymnasiums übertragen werde. Daß ihm vom Provinzialschul- 
kollegium ein abschlägiger Bescheid zuteil wurde, gehörte zu den 
größten Verdrießlichkeiten seines Lebens. 

Bei dem mächtigen, nie ruhenden Tatendrang, der Vosen 
beseelte, vermochte er seine Wirksamkeit nicht auf das Gymnasium 
zu beschränken. Weit über die Grenzen seines engern Berufes 
hinaus wußte er sich in vielseitigster, ja, man darf wohl sagen, 
übermäßiger Arbeit zu betätigen. Abgesehen von häufiger Inan- 
spruchnahme durch Predigten und Konvertitenunterricht half er 
regelmäßig im Beichtstuhle aus. Gar manche, die dem religiösen 
Leben lange entfremdet gewesen, gewann er demselben wieder 
und blieb ihr Führer bis zum Tode. Domkapitular Dr. Wilhelm 
Braun (f 18. November 1908 zu Köln) gestand mit dankbarer 
Rührung in seinen alten Tagen, daß Vosen, den er als Seminarist 
vertrauensvoll aufgesucht, ihm über seine Berufsschwierigkeiten 
in einmaliger Unterredung für immer hinweggeholfen habe. 

224 



Auch auf das weibliche Geschlecht erstreckte sich Vosens 
Tätigkeit. An der höhern Mädchenschule des Fräulein Agnes 
Weinen erteilte er Religionsunterricht, und seinen geistigen Töchtern 
war er auch in spätem Jahren ein kundiger Seelenführer. 

Als einer der ersten erkannte Vosen die hohe Bedeutung des 
Vereinswesens für unsere Zeit. Auf Anregung eines hochgemuten 
und edelgesinnten Jünglings aus dem Kaufmannsstande, August 
Oster, gründete er die Agrippina, einen Verein für Handlungs- 
gehilfen, in welchem er wöchentliche Vorträge hielt. Dieser Verein 
entwickelte sich am 4. Juli 1858 zu der noch blühenden Maria- 
nischen Kongregation für junge Kaufleute. 

Bei der am 24. Februar 1853 erfolgten Gründung des Christ- 
lichen Kunstvereins der Erzdiözese Köln, dem die im Jahre 1860 
erfolgte Errichtung des erzbischöflichen Diözesanmuseums zu 
danken ist, wirkte Vosen in ganz hervorragender Weise mit, und 
auf sein Betreiben kam die vom Verein veranstaltete epoche- 
machende Ausstellung mittelalterlicher Gemälde auf dem Gürzenich, 
die am 26. Juni 1854 eröffnet wurde und am 18. Oktober des- 
selben Jahres schloß, zustande. Auch der Ausstellungskatalog ist 
ein Werk Vosens. 

Fast seit Gründung des Zentral-Dombauvereins war er Vor- 
standsmitglied desselben und wurde nach Thissens Abgang zum 
Schriftführer gewählt. 

Auch bei der Gründung des Bürgervereins, aus dem die 
jetzige Bürgergesellschaft erwachsen ist, war er beteiligt und hielt 
dort manche Vorträge. Er war die Seele des Komitees, das 
im Jahre 1854 die für Köln geplante Generalversammlung der 
katholischen Vereine Deutschlands vorbereitete. Infolge von 
Schwierigkeiten, die die Regierung machte, kam diese Versamm- 
lung nicht zustande. 

Als dann im Jahre 1858 die Generalversammlung wiederum 
für Köln angesagt wurde, war Vosen abermals der geistige Leiter 
bei den Vorbereitungen, und auf der Generalversammlung selbst 
hielt er seine zündende Rede über das alte Köln. Auch ander- 
wärts trat er auf den Generalversammlungen der Katholiken Deutsch- 
lands als Redner auf; so hielt er bei der zu Frankfurt a. M. seine 
Rede über die soziale Frage. 

In den sozialen Bestrebungen begegneten sich Vosens Ge- 
danken mit denen eines andern Priesters, der gleich Vosen Abi- 
turient des Marzellengymnasiums gewesen war. Es war 

16 226 



Adolf Kolping, 



geboren zu Kerpen am 8. Dezember 1813, gestorben zu Köln am 
4. Dezember 1 865. Als vierundzwanzigjähriger vielgereister Schuster- 
geselle kam Kolping im Herbste 1837 in die Tertia des Marzellen- 
gymnasiums und studierte trotz ernstlicher Erkrankungen und 

großer Entbehrungen 
mit solchem Eifer und 
solchem Erfolge, daß 
er nach 3^/2 Jahren 
zu Ostern 1841 das 
Abiturientenexamen 
glücklich bestand. 
Sein ,Curriculum vi- 
tae', das ervorschrifts- 
mäßig behufs Zulas- 
sung zur Reifeprüfung 
seinen Lehrern unter 
dem 25. Februar 1841 
einreichte, ist eine 
umfangreiche, jeden 
Leser in tiefster Seele 
ergreifende Selbstbio- 
graphie. ') Auch legte 
er, gleich nachdem er 
das Gymnasium be- 
zogen hatte, ein Tage- 
buch an, in welchem 
er seine Gedanken 
über seine Lebens- 
aufgaben und Seelen- 
stimmungen nieder- 





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legte. Es enthält fünf Aufsätze. Im zweiten macht Kolping einige 
Bemerkungen über offenbarungsfeindliche Anschauungen, die er 
auf dem Gymnasium zu hören bekam. „Es kommt da," so schreibt 
er, „ein Professor mit der Wissenschaft unter dem Arm in die 
Klasse und demonstriert über das Weltgebäude, die Entstehung 
und allmähliche Entwicklung desselben, gleich als ob es sich ent- 
wickelt hätte, wie sich ein Hühnchen aus dem Ei entwickelt; spricht 

») Abgedruckt bei Schäffer, Adolf Kolping der Gesellenvater. S.Auflage. 
Paderborn, Schöningh. SS. 23 — 30. 



226 



von einem schaffenden Prinzip, das in der Masse verborgen liegt 
und, ich weiß nicht, welche Tätigkeit in dieselbe bringt." Nach- 
dem er sich darüber des weiteren verbreitet hat, fügt der fünfund- 
zwanzigjährige Tertianer hinzu: „Ich glaube fest und unverbrüch- 
lich, was die Kirche sagt, und folglich auch, daß Gott durch sein 
Allmachtswort die Welt in sechs Tagen erschaffen hat, daß er sie 
ordnet, lenkt und regiert mit unendlicher Weisheit und Güte . . . 
Folge ich dagegen dem Faden (den solche Professoren spinnen), 
so gelange ich endlich auf einen Punkt, wo der Glaube an einen 
allmächtigen Schöpfer aufhört. Dann herrscht irgendeine Kraft, 
irgendein Gesetz ohne Lenker, ein Werden und Vergehen ohne 
bestimmenden Gesetzgeber, ein Fatum, das die Urstoffe der Welt 
dahinwarf und sie, folglich auch den Menschen, dem Zufall über- 
ließ. Dann bin auch ich — was? Ich weiß es selbst nicht, eine 
Pflanze vielleicht, ein Ding, das sich um sich selbst dreht und in 
sich selbst zusammensinkt, um der Keim zu einem neuen Ge- 
schöpfe zu werden. Das ist eine Nacht, vor der meinem Herzen 
graut; und doch ist es so, wenn der Professor recht hat."') 

Nach seinem Weggang von Köln studierte Kolping in München 
und Bonn Theologie und wurde am 13. April 1845 in der Mino- 
ritenkirche zu Köln vom Weihbischof Gottfried Claeßen zum Priester 
geweiht. Kolping war Priester geworden eigens zu dem Zwecke, 
um dem Handwerkerstande, dessen soziales und sittliches Elend 
er aus eigener Erfahrung kennen gelernt hatte, aufzuhelfen. 

Als Kolping Kaplan an St. Laurentius in Elberfeld war, bildete 
sich dort aus unscheinbaren Veranlassungen ein zumeist aus 
Handwerksgesellen bestehender Jünglingsverein, dessen Seele 
bald Kolping wurde. Hier reifte in Kolpings Geist der Gedanke 
der Stiftung des Gesellenvereins. Jedoch nicht in Elberfeld, sondern 
in Köln wollte Kolping seinen Verein gründen, und er bat deshalb 
um die Stelle eines Vikars am Kölner Dom, die er auch am 

15. März 1849 vom Kardinal und Erzbischof von Geißel erhielt. 
„Köln," so spricht Vosen in Kolpings Leichenrede, „lag seinem 
Herzen nahe; es war seine zweite Vaterstadt. Es hatte ihm viel 
gegeben; Leid und Glück hatte er in Köln gefunden. Auf diesen 
Boden, dessen Wert er kannte, wollte er seine neue Pflanzung ver- 
setzen, nicht aus Eitelkeit, sondern in richtiger Berechnung der 
Hoffnung auf ausgezeichnetes Gedeihen. Kolping liebte Köln, 
wie wenige es lieben. Er ließ sich in seiner Beurteilung dieser 
merkwürdigen Stadt nicht durch den äußern Schein täuschen wie 

') A.a.O. S. 17. 

16. 227 



so viele, die nur gierige Gewinnsucht und frivole Weltlust hier 
finden wollen. Diese Stadt, deren Boden vom Blute so vieler 
Märtyrer getränkt ist, deren Bewohner die lange Vorzeit hindurch 
Glaubenstreue und Sittenstrenge heilig gehalten, sie schien ihm 
unter dem Schutze mächtiger Fürbitter im Himmel zu stehen. Er 
hatte es durch eigene Erfahrung erprobt, daß dort im Kern des 
Volkes, trotz des oft entgegengesetzten Scheines, tiefe Religiosität 
wurzelt, wenn der Kölner sie auch nicht immer zur Schau trägt." ') 

Koiping suchte zunächst in Köln, bevor er dorthin übersiedelte, 
den Boden für den Verein zu bereiten, indem er einen Mann, der 
gleich ihm das Volk liebte und Verständnis für die soziale Frage 
hatte, ins Interesse zog. Dieser Mann war Religionslehrer Vosen. 
Bei ihm fand Koiping den rechten Blick für das, worum es sich 
handelte, und zugleich das bereitwilligste Entgegenkommen. Zwei- 
mal schickte Koiping Gesellen von Elberfeld aus nach Köln, um 
dort Umschau zu halten und die Gründung des Vereins in die 
Wege zu leiten. Zuerst sandte er einen Coblenzer. Aber der 
war zu still und kam zurück, wie die erste Taube, die Vater Noah 
ausfliegen ließ. Dann schickte er einen Kölner namens Franz 
Gumpertz, und der war der richtige. Ein frisches, munteres Blut, 
hatte derselbe im Verein zu Elberfeld alle durch seine Lebhaftig- 
keit und seinen Kölner Humor bezaubert, so zwar, daß er Koiping 
hie und da allzu stürmisch erschien. „Höre," sprach er zu ihm, 
„gehe nach Köln und treibe mir die Leute zusammen. Geh dann 
zu Vosen und gib ihm die Liste. Aber alles, was ich Dir sage, 
ordentliche Leute, keine Ströppe." Der ließ sich das nicht zwei- 
mal sagen. Bald konnte er zurückkehren mit der Nachricht: „Es 
sind ihrer schon viele beieinander." Vosen hat mithin bei der 
Gründung des Gesellenvereins Pate gestanden. Mit ihm überlegte 
und besprach Koiping in der Folge alle seine Pläne. Denn Vosens 
Kenntnisse in der großen sozialen Frage, die damals nur von 
wenigen gewürdigt wurde, sowie seine gereifte Lebensanschauung 
waren für Koiping, wie er selbst gesteht, sehr wertvoll, und stets 
war man des Gelingens sicher, wenn der volkstümliche Führer 
mit seinem Scharfblicke und seiner Beredsamkeit eine Sache leitete 
und förderte. 

Vosen und Koiping, fürwahr ein herrliches Priesterpaar, zwei 
Männer, gleich an Seelenadel und Geistesgröße, gleich an Bered- 



1) Trauerrede beim Begräbnis des Gesellenvaters Koiping, gehalten am 
7. Dezember 1865 in der Minoritenkirche zu Köln von Dr. Christ. Hermann Vosen. 
Köln 1865. J. P. Bachem. 

228 



samkeit und schriftstellerischer Gewandtheit, beide hervorgegangen 
aus dem Volke und das Volk liebend in sich hinopfernder Selbst- 
losigkeit, und doch wieder so ganz verschieden an Charakter und 
Eigenart. Vosen hatte ein goldenes Gemüt, Kolping aber war ein 
Diamant; Vosen der kunstliebende Gelehrte mit weitschauendem 
Blick, Kolping eine Kernnatur von markiger Wucht mit klarem 
Blick und zielbewußtem, unbeugsamem Willen; Vosen festgebannt 
an die heimische Scholle, Kolping hingegen heimisch in allen 
Städten, soweit die deutsche Zunge klingt; Vosen ganz und gar 
hingegeben an die studierende Jugend, dabei aber voller Interesse 
für alle kirchlichen, politischen, wissenschaftlichen, künstlerischen 
und sozialen Fragen seiner Zeit, Kolping aber ausschließlich 
lebend der Hebung des Handwerkerstandes und alles Übrige 
andern überlassend. In Einem aber kamen beide wieder überein: 
im vollständigen Mangel an Sinn für Geldgeschäfte. Beide traten 
arm ins Leben, beide starben in Armut- Beide aber gingen Wohl- 
taten spendend durchs Leben. 

Zeitlebens wirkten die beiden Marzellianer nebeneinander und 
miteinander in Köln. Vosen nahm teil an der konstituierenden 
Sitzung des Vorstandes des katholischen Gesellenhospitiums zu 
Köln am 13. Februar 1850 und blieb bis zu seinem Tode Mit- 
glied des Vorstandes, auch beteiligte er sich mit Kolping an der 
Leitung des Vereins, als dieser in einem Klassenzimmer der 
Pfarrschule von St. Kolumba mit fünf Gesellen ins Leben trat, 
und blieb demselben stets innig zugetan. 

Im Jahre 1849 übernahmen Kolping und Vosen die Re- 
daktion des im Jahre 1844 zu Düsseldorf ins Leben getretenen 
Rheinischen Kirchenblattes. Sie begannen damit, die Monats- 
schrift in eine Wochenschrift umzuwandeln, aber erst 1850 traten 
sie mit ihrem vollen Namen hervor. Seit 1851 jedoch zeichnete 
Kolping allein als Herausgeber. Doch erfreute er sich immer 
noch der Mitarbeit Vosens. Für die Gesellenvereine ließ 
Kolping seit 1850 eine eigene Beilage als Vereinsorgan erscheinen, 
das 1851 den Titel „Feierstunde" annahm und sich am 1. April 
1854 zu den durch ihren edlen Volkston so berühmt gewor- 
denen und zu großer Verbreitung gelangten „Rheinischen 
Volksblättern für Haus, Familie und Handwerk" entwickelte. 
Auch der „Katholische Volkskalender für 1851, herausgegeben 
von ein paar rheinländischen Volksfreunden", war Kolpings 
und Vosens gemeinsames Werk, das Kolping später allein fort- 
setzte. 

229 



Beim Tode Kolpings hielt Vosen dessen Leichenrede, und 
im Jahre 1866 veröffentlichte er im Frankfurter Broschüren verein 
seine hochbedeutsame Schrift „Kolpings Gesellenverein in seiner 
sozialen Bedeutung", in der Vosen tiefes Verständnis der sozialen 
Frage und weitausschauenden Blick bekundet. Im Kalender für 
das katholische Volk (1867) veröffentlichte er schließlich eine 
Lebensbeschreibung Kolpings. Als Vosen im Jahre 1871 starb, 
fanden sich Kolpings dankbare Söhne zahlreich mit ihrer Vereins- 
fahne beim Leichenbegängnisse ein, um den zu ehren, der so 
oft ihr Lehrer und der frohe Teilnehmer ihrer Feste gewesen war. 

Doch nicht bloß durch Förderung des Vereinswesens bekundete 
Vosen sein Interesse am öffentlichen Leben, auch für politische 
Fragen hatte er einsichtsvolles Verständnis und reges Interesse. 
In richtiger Würdigung der Bedeutung der Presse war er für 
deren Hebung im katholischen Sinne tätig. Er war Mitglied des 
Verwaltungsrates der „Volkshalle" und fruchtbarer Publizist. 
Auch bei den Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften 
setzte er seinen vielvermögenden Einfluß durch Rede und Schrift 
ein, damit solche aus der Wahlurne hervorgingen, die das wirk- 
liche Köln zu vertreten geeignet waren. Er war es auch, der bei 
einer der Wahlbewegungen den glücklichen Namen der „alt- 
kölnischen Partei" schuf. 

Oben wurde schon bemerkt, daß Vosen gleich Kolping sich 
im Wohltun erschöpfte. Vosens Wohltätigkeit beschränkte sich in- 
des nicht auf Almosen, sondern er scheute keinen Gang und keine 
Mühe, um Hilfsbedürftigen Arbeit und Stellung zu verschaffen, 
damit sie dauernd aus der Notlage befreit würden. Ein unver- 
gängliches Denkmal der Nächstenliebe Vosens ist das Marien- 
hospital an St. Kunibert in Köln. Als am 8. Dezember 1854 der 
Lehrsatz von der makellosen Empfängnis der h. Jungfrau verkündet 
worden war und wie allenthalben, so auch in Köln eine Marien- 
säule sich erhob, da war es Vosen, der den Gedanken aussprach, 
mit dem Denkmal der Huldigung auch ein Denkmal der christ- 
lichen Nächstenliebe zu verbinden. Anregend wie er war, gelang 
es ihm leicht, einen Kreis gleichgesinnter Männer, vor allem den 
Kaufmann PETER MiCHELS, für seine Idee zu begeistern. Einmütig 
und gottvertrauend ging man an die gewiß nicht leichte Aufgabe 
heran, ein Hospital für arme, unheilbare Kranke zu gründen. Kölns 
nie versagende Opferwilligkeit griff großartig ein, und schon im 
Jahre 1864 öffneten sich die Tore des neuen Krankenhauses zur 
Aufnahme der Leidenden. Seit Gründung des Marienhospitals 

230 



war Vosen Schriftführer des Kuratoriums, und was er in Wort und 
Tat und Schrift für die Anstalt geleistet, bleibt unvergessen. 

Unvollständig wäre Vosens Bild, wenn unerwähnt bliebe, wie 
er seine künstlerische Begabung betätigte. Zu fachmännischer 
Ausbildung fehlte ihm Zeit und Gelegenheit; jedoch hat er als 
Kunstliebhaber Versuche gemacht in der schönen Literatur durch 
Herausgabe eines unter dem Namen „Hermann Christian" erschiene- 
nen Romans. Sein frommer, kunstbegabter Sinn bekundet sich 
auch in dichterischen Ergüssen, mit denen er seine Freunde bei 
besondern Anlässen zu erfreuen pflegte. Als Vikar in Zündorf 
schnitzte er einen Kruzifixus und später malte er das Altarbild für 
die ehemalige Lazaristenkapelle in der Stolkgasse, darstellend den 
h. Vinzenz von Paul, wie er dem Volke predigte. Ferner malte 
er ein Bild des h. Apostels Andreas für die Kölner Andreaskirche 
sowie ein Bild der seligen Christina für die Kapelle, die sich an 
der Stelle ihres Heimganges in Stommeln erhebt. In den letzten 
Jahren seines Lebens suchte er seine Erholung in naturwissen- 
schaftlichen Versuchen. 

Wie beim Volke, so stand Vosen auch bei der Geistlichkeit 
in hohem Ansehen, das er vollauf verdiente durch seine kirch- 
liche Gesinnung, sein allseitiges Wissen und seinen auferbaulichen 
Wandel. Wiederholt wählte ihn die Geistlichkeit der Stadt zum 
Präses der Pastoralkonferenz, und auch hier bewährte sich Vosens 
umsichtige und verständnisvolle Leitung aufs glänzendste. 

Eine so vielseitige und angestrengte Tätigkeit blieb nicht 
ohne nachteiligen Einfluß auf Vosens Gesundheit. Er mußte sich 
in seinen letzten Lebensjahren allmählich von der Betätigung im 
öffentlichen Leben zurückziehen. Seine letzte öffentliche Tat war 
eine Adresse an das Haus der Abgeordneten für die konfessionellen 
Schulen, die er verfaßt hatte und in einer großen Volksversamm- 
lung zur Annahme brachte. Auch arbeitete er noch in den letzten 
Jahren an einem Religionshandbuch für die Gymnasien, um dessen 
Herausgabe er von vielen Seiten angegangen worden war. 

Der gewaltige Kampf der Geister gelegentlich des Zusammen- 
tritts des vatikanischen Konzils ließ ihn nicht teilnahmlos. Die 
Minorität der in Rom versammelten Bischöfe war gegen eine 
dogmatische Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit, welche die 
weitaus größere Majorität dringend verlangte. Vosen, der persön- 
lich die Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit in Anbetracht 
der Zeitlage nicht für zweckdienlich hielt, veröffentlichte in der 
ersten Nummer des „Rheinischen Merkur" im Februar 1870 einen 

231 



an den deutschen Klerus gerichteten Aufruf zur Unterzeichnung 
einer Zustimmungseriilärung an die Minoritätsbischöfe. Da jedoch 
der Kölner Erzbischof PAULUS Melchers, der zur Minorität gehörte, 
melden ließ, solche Adressen seien unangebracht, erklärte Vosen 
in der zweiten Nummer des „Rheinischen Merkur", daß er das 
Sammeln von Unterschriften einstelle. Wie sein Erzbischof, so 
gab auch Vosen als treuer Sohn der Kirche die eigene Meinung 
auf, sobald die Entscheidung des kirchlichen Lehramtes sie als 
irrig bezeichnet hatte. Daß andere dies nicht taten, sondern sich 
von der Kirche trennten, war der bitterste Schmerz seines Lebens, 
der ihm außerordentlich zu Herzen ging und selbst seinen Gesund- 
heitszustand ungünstig beeinflufJte. 

Zuletzt mußte Vosen wegen eines Herzleidens, das sich ein- 
gestellt hatte, auch auf den Religionsunterricht am Gymnasium 
verzichten. Seine vielen Schüler, die ihm bei seinem fünfund- 
zwanzigjährigen Priesterjubiläum im Jahre 1864 lauten Ausdruck 
ihrer dankbaren Verehrung zugejubelt hatten, mußten sich beim 
fünfundzwanzigjährigen Jubiläum seiner Wirksamkeit als Religions- 
lehrer darauf beschränken, ihm in der Stille ein Album mit ihren 
Porträts zu überreichen. 

Im Januar 1871 wurde bekannt, daß Vosen zu Ostern seine 
Stelle als Religionslehrer niederlegen werde. Jedoch sollte es 
nicht dazu kommen. Als Religionslehrer sollte Vosen sterben, und 
in Köln, seiner heißgeliebten Vaterstadt, sollte er seine letzte 
Ruhestätte finden. 

Früher waren mit ihm Verhandlungen gepflogen worden 
bezüglich Übernahme einer Domherrnstelle in Hildesheim, auch 
solche bezüglich Übernahme eines theologischen Lehrstuhles in 
Freiburg i. B. und in Prag. Doch Vosen blieb in Köln. Schließlich 
wurde seine Ernennung zum Stiftsherrn in Aachen in die Wege 
geleitet, und Vosen ließ sich diesmal, wenn auch ungern, dazu 
bestimmen, die ihm zugedachte Beförderung anzunehmen, da er 
doch seine Lehrtätigkeit nicht mehr fortzusetzen vermochte. 
Erzbischof Paulus Melchers schrieb unter dem 21. Dezember 1870 
an den Oberpräsidenten von Pommer-Esche zu Coblenz, der für 
einen andern Kandidaten beim Erzbischof die Ausstellung des 
Idoneitätszeugnisses beantragt hatte, auch Vosen, der bereits seit 
27 Jahren das Amt eines Religionslehrers am Marzellengymnasium 
mit ausgezeichnetem Erfolge bekleide und sich auch als Schrift- 
steller mehrfach verdient gemacht habe, nunmehr aber durch 
körperliche Leiden verhindert werde, in seinem seitherigen amtlichen 

232 



Wirkungskreise sich weiter zu betätigen, sei bereit, die gedaclite 
Stelle anzunehmen. Der Oberpräsident antwortete am 17. Februar 
1871, daß der Minister der geistlichen usw. Angelegenheiten den 
Religionslehrer Dr. Vosen Sr. Majestät dem Könige zur Nomination 
für die Stiftsherrnstelle in Vorschlag gebracht und Se. Majestät 
diesem Antrage zu entsprechen geruht habe. Darauf erfolgte 
unter dem 20. Februar 1871 die Ausstellung des förmlichen 
Idoneitätszeugnisses seitens des Erzbischofes, und in Rom wurde 
nunmehr auf Antrag der preußischen Gesandtschaft die päpstliche 
Proviste für Vosen ausgestellt. Vosen jedoch starb am 12. Mai 1871, 
ohne etwas von seiner Ernennung erfahren zu haben; die Kosten 
für die Ausstellung der Proviste mußten niedergeschlagen werden. 
Unvermutet wurde Vosen zwei Tage vor seinem Tode von einem 
Schlaganfalle betroffen. Mit Andacht empfing er die hh. Sterbe- 
sakramente, und als er nicht mehr sprechen konnte, zeigte er 
mit dem Finger gen Himmel, um kundzutun, daß für ihn die 
Stunde gekommen sei, die Erde zu verlassen. 

Vosen war weder reich noch hochgestellt, und doch war er 
zeitlebens machtvoll in Wort und Tat; Zahllose verehren ihn als 
ihren Wohltäter. 





Oberlehrer Schaltenbrand Professor Zons 

zwei langjährige Mitarbeiter Vosens. 



233 



Karl Schurz 

geboren zu Liblar 2. März 1829, gestorben zu New-York 14. Mai 1906. 
Von Prof. Dr.WlLH. SCHURZ in M.-Gladbach. 

Weite Welt und breites Leben, 
Langer Jahre redlich Streben, 
Stets geforscht und stets gegründet, 
Nie geschlossen, oft gerundet, 
Ältestes bewahrt mit Treue, 
Freundlich aufgefaßtes Neue, 
Heitern Sinn und reine Zweclte: 
Nun, man kommt wohl eine Strecke. 

Goethe. 

Wenn es uns gestattet wäre," — so führte Direktor Ditges 
am 22. März 1865 in seiner Festrede aus, die neben 
der Königsgeburtstagsfeier zugleich dem fünfzigjährigen 
Bestehen^) des katholischen Gymnasiums an Marzellen und der 
zugleich mit seiner Gründung erfolgten Einverleibung der Rhein- 
provinz in Preußen galt, — „wenn es uns gestattet wäre, alle die- 
jenigen, die in den fünfzig Jahren seit der Eröffnung des neu- 
organisierten Gymnasiums demselben angehört haben, unseren 
Augen vorzuführen, so würden wir mit freudigem Stolze eine 
zahlreiche Schar, würden wir Tausende vor uns sehen, welche sich 
auf der hier gewonnenen Grundlage zu segensvoller Wirksamkeit 
in irgend einem höheren Lebensberufe befähigt oder sich zu 
höheren Stellungen in Staat und Kirche emporgeschwungen haben." 

In denselben Tagen, in welche jene Feier der Schule und 
der Provinz fiel, vollzog sich jenseits des Ozeans, in Nordamerika, 
zugunsten der Union die entscheidende Wendung in der leiden- 
schaftlichen Fehde, die vier Jahre hindurch den Norden und den 
Süden zu mörderischem Kampfe gegeneinander getrieben hatte. 
An ihr hatte ein trefflicher Sohn des Rheinlandes, der von 
1839—1847 Schüler der Jubelanstalt gewesen war, als bester 
Mitarbeiter Lincolns rühmlichen Anteil genommen: 

KARL SCHURZ. 

Der junge Deutsche, der als einer der besten unter so vielen 
sein Vaterland verloren hatte, weil er für deutsche Freiheit und 
Einheit kämpfte, hatte in dem demokratischen Gemeinwesen der 
Vereinigten Staaten einen Wirkungskreis gefunden, auf dem er seine 



') 1865 bestand das Marzellengymnasium 50 Jahre unter preußischer 
Herrschaft; es bestand damals in Wirklichkeit über 400 Jahre. 



234 



wahrhaft freie Eigenart ausleben lassen konnte und sich zu einer 
führenden Persönlichkeit im staatlichen und öffentlichen Leben ent- 
wickeln sollte. Im Kriege und im Frieden hat er seinem neuen 
Vaterlande in Ehren gedient. Ja, in einem Alter, in dem der Ameri- 
kaner gewöhnlich erst anfängt, zu hohen politischen Ehren und 
Würden zu gelangen, war er, der Deutsch-Amerikaner, bereits 



Gesandter in Madrid, 
armee, Mitglied des 
Minister desinnern 

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ihm als ihrem Vater 




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bei den Eng- 
nern gelangte. 
- Amerikanern 
der geistige Füh- 
schauten sie zu 
und idealstenVertreter 




hinauf, und wenn Paul Loeser im Jahre 1899 gelegentlich der 
Feier von Schurzens 70. Geburtstage sagen konnte: „Er hat 
seinem Vaterlande, dem Lande seiner Geburt wie dem seiner 
Wahl, die höchste Ehre gemacht, und er hat sie niemand mehr 
gemacht als den Deutsch-Amerikanern," so unterschreiben auch 
wir Deutsche diese Worte des Deutsch-Amerikaners gern und 
freudig für drüben und hüben. Denn auch wir erblicken in ihm 
einen unserer trefflichsten Söhne, der gerade dadurch, daß er 



I 



236 



in fremdem Lande der deutschen Heimat, der deutschen Ab- 
stammung und dem deutschen Namen seltene Ehre machte, sich 
hohe Verdienste um die Weltstellung des Deutschtums über- 
haupt erwarb. 

Die Zugehörigkeit zu zwei Welten wurde seine Größe. 

Dann, was alle, die lehrend oder lernend der Schulgemeinde 
des Marzellengymnasiums angehört haben, noch besonders warm 
berührt, der Bürger zweier Welten hat dem deutschen Gymnasium, 
seiner geistigen Mutter, ein dankbares Andenken bewahrt, ist 
seinen Lehrern mit seltener Anhänglichkeit in dankbarer Verehrung 
zugetan geblieben, stets von der Überzeugung getragen, seinen 
deutschen Lehrern auf der humanistischen Schule verdanke er 
im letzten Grunde, was er sei und was er habe. 

Ein solches Urteil aus dem Munde eines wahrhaft großen 
Mannes, eines Mannes der Tat und des Wortes zugleich, gereicht 
der Schule und ihren damaligen Lehrern zur allerhöchsten 
Anerkennung, ehrt in demselben Maße aber auch den großen 
Schüler. 

Wer die Lebenserinnerungen von Karl Schurz liest, wird zu 
seiner Freude und Genugtuung auf Schritt und Tritt Spuren auf- 
lesen, die aus der neuen Heimat zurück in die alte führen, er 
wird nicht nur Fäden, sondern Fesseln verspüren, die ihm Herz 
und Sinn gebunden oder vielmehr gekettet hielten an Orte und 
Personen der rheinischen Heimat, in denen und mit denen er 
seine Jugend- und Lehrjahre verlebte. 

Seine früheste Jugend verbrachte er in seinem Geburtsdorfe 
Liblar, 1) treu gehegt und gepflegt von Eltern und Großeltern. 
Der Großvater, Heribert Jüssen, war Halbwinner auf der dicht 
bei Liblar gelegenen Burg, ,,die Gracht" genannt, der Vater Lehrer 
in Liblar. Freilich mußte er schon zu Anfang des Jahres 1836 
seine amtliche Tätigkeit als Lehrer aufgeben, so daß Karl nur ein 
Jahr den Schulunterricht des Vaters genoß. Weit mehr hatte er 
aber seitdem dem Unterricht zu danken, den er außerhalb der 
Schule, zu Hause, empfing. Denn der Vater war von dem Wunsche 
beseelt, dem Sohne eine bessere Erziehung und gründlichere 
Ausbildung angedeihen zu lassen, als ihm, der frühe elternlos 
geworden, beschieden gewesen war. So blieb er unablässig 
bemüht, nach seinem besten Wissen und Können zur Charakter- 
und Geistesbildung des Sohnes beizutragen. Der geweckte und 

1) Station der Eisenbahnlinie Köln-Euskirchen, etwa 17 km von Köln 
entfernt. 

236 



empfängliche Knabe, das stand bei ihm fest, sollte das Gymnasium 
und später die Universität besuchen, um sich einem gelehrten 
Fachstudium zu widmen. 

Da nach des Vaters Ansicht die heimatliche Dorfschule, der 
übrigens ein tüchtiger Lehrer vorstand, zur Vorbereitung für das 
Gymnasium nicht ausreichte, schickte er den Sohn nach zurück- 
gelegtem achten Lebensjahre (1838) auf die Seminarübungsschule 
in Brühl, die als Musterschule galt. Auch weitere Opfer zu bringen 
bereit, ließ er ihn in Brühl durch Privatlehrer in Musik und Latein 
unterrichten, während er selbst als „belesener" Mann auch ferner- 
hin die Lektüre des Sohnes regelte und leitete. Nicht gering 
waren die Zumutungen und Anforderungen des Vaters. Jeden- 
falls aber war der Junge, als er, 10 Jahre alt, im Herbst 1839 in 
die Sexta des Gymnasiums aufgenommen werden sollte, „im 
Punkte der Belesenheit wie in anderen Richtungen anständig 
vorbereitet". 

Dabei waren die Jahre der Kindheit reich an Freuden, wie 
sie der ländlichen Jugend geboten sind, und reich an Freunden. 
Gern verweilte er noch im Alter in der Erinnerung an diese 
„sonnigen und glücklichen Jahre", sei es im Kreise seiner Kinder 
oder seiner Freunde. „Ich schätze mich glücklich," schreibt er als 
75jähriger, „meine früheste Jugend auf dem Lande verlebt zu haben, 
wo der Mensch nicht allein der Natur, sondern auch dem Menschen 
näher steht als in dem Häuserpferch und dem Gedränge der Stadt. 
Ebenso schätze ich mich glücklich, in einfachen, bescheidenen 
Verhältnissen aufgewachsen zu sein, die den Mangel nicht kannten, 
aber auch nicht den Überfluß, die keine Art von Luxus zum Be- 
dürfnis werden ließen, die es mir natürlich machten, genügsam 
zu sein und auch die kleinsten Freuden zu schätzen, die meine 
Genußfähigkeit vor dem Unglück bewahrten, durch frühe Sättigung 
abgestumpft zu werden, die ein sympathisches Gefühl der Zu- 
sammengehörigkeit mit den Armen und Niedrigen im Volke lebendig 
und warm erhielten, ohne das Streben nach höheren Zielen zu 
entmutigen." 

Der Aufenthalt auf dem Lande blieb nun für die nächsten sechs 
Jahre auf die Ferien beschränkt, bot dann aber selbstverständlich 
der harmlosen Vergnügungen um so mehr; er hörte gänzlich auf, 
als die Eltern ihr Besitztum in Liblar veräußerten und nach Bonn 
übersiedelten, in der offenbaren Absicht, dem Sohne, der nach 
zwei Jahren die Universität besuchen würde, die akademischen 
Studien zu ermöglichen. Indes gerade die Übersiedelung brachte 

237 



I 



die Eltern in arge Verdrießlichkeiten und den Sohn in die bittere 
Lage, auch den „Mangel" kennen zu lernen. Doch greifen wir 
nicht vor, begleiten wir vielmehr den Gymnasiasten auf dem langen 
Wege von Sexta bis Oberprima und sehen wir zu, unter welche 
Einflüsse der Schüler hier geriet. 

In launiger Weise schildert Schurz in seinen Lebenserinne- 
rungen, wie er sich bei seinem ersten Erscheinen im Gymnasium, 
es war am 24. Oktober 1839, dem Spotte seiner Mitschüler aus- 
gesetzt hat. 

,, Nicht ahnend, daß der Gebrauch einer Schiefertafel mit der 
Würde des Sextaners durchaus unverträglich sei, brachte ich bei 
dem Eintritt in die Klasse meine Schiefertafel mit mir. Sofort 
waren die Blicke aller meiner Mitschüler, von denen ich keinen 
einzigen ^) kannte, auf mich gerichtet und es brach ein allgemeines 
Gelächter aus, als einer auf gut Kölnisch ausrief : »Such ens dohl 
Da hat en Ley! Da hat en Ley!« Ich hätte mich gerne sofort 
mit der Faust an die Höhnenden gemacht, aber da trat der 
Ordinarius ein, und es erfolgte ehrfurchtsvolle Stille." 

Der Ordinarius der Sexta war HEINRICH BONE, der mit dem 
neuen Schuljahre 1839/40 seine Tätigkeh am Marzellengymnasium 
eröffnete. Bis zum Schluß des Schuljahres 1841/42 verblieb Bone 
an der Anstalt. Unter die Begünstigungen durch das Schicksal 
in seinem Leben rechnet Schurz es geradezu, daß er drei Jahre 
lang unter Leitung dieses ausgezeichneten Lehrers gestanden. 
Vernehmen wir den Grund zu diesem höchst anerkennenden 
Urteile aus dem Munde des dankbaren Schülers selbst: ,,Wenn 
ich in meinem späteren Leben den Grundsatz festgehalten habe, 
daß Klarheit, Anschaulichkeit und Direktheit des Ausdrucks das 
Haupterfordernis eines guten Stiles sind, so habe ich das in großem 
Maße den Lehren zu verdanken, die ich von Bone empfing." 
Neben dem lateinischen erteilte Bone nämlich auch den deutschen 
Unterricht. Ausführlich schildert Schurz -) die Lehrweise des 
Deutschlehrers, der streng auf anschauliche, objektive Beschreibung 
in den schon von Sexta an als Aufgabe gestellten kleinen Auf- 
sätzen hielt. Verschwommenes, Abstraktes, nicht sinnlich Wahr- 
nehmbares war fürs erste von der Darstellung gänzlich ausge- 
schlossen. Damit war über allgemeine, gar erst über Aufgaben philo- 
sophischen Anstrichs, wie über den Nutzen des Eisens, über die 

^) es waren 41. 

'-) Lebenserinnerungen I. S. 55; benutzt wurden auch die Archivalien des 
Gymnasiums. 

238 



Schönheit der Freundschaft, über den Fleiß oder die Bescheiden- 
heit der Stab gebrochen. Der eigentlichen Beschreibung, deren 
Gegenstände allmählich größere Verhältnisse umspannten, folgten 
auf Quarta Erzählungen. Aber auch hier bestand er darauf, daß 
die Phantasie in Anschauung des gewöhnlichen Lebens klar werde, 
vor einem Herumschweifen im Phantastischen bewahrt bleibe. 
Erst wenn der Schüler in der Beobachtung, Auffassung und Dar- 
stellung sinnlicher Erscheinungen hinlängliche Gewandtheit erlangt 
hatte, ließ er den abstrakten Begriff und die Reflexion zu. ,,Bones 
Methode lehrte uns," so schließt Schurz seine Ausführungen, 
„nicht allein korrekte Sätze bauen, sondern sie übte in uns die 
Fähigkeit, die merkwürdigerweise bei verhältnismäßig wenigen 
Menschen gründlich ausgebildet ist, die Fähigkeit, so zu sehen, 
so wahrzunehmen, daß man sich über das Wahrgenommene voll- 
ständige Rechenschaft geben und es zu klar anschaulicher Dar- 
stellung bringen kann." 

Zu klar anschaulicher, auch zu packender Darstellung hat 
Schurz es in seinem Leben unstreitig gebracht. Man braucht nur 
den ersten Band der Lebenserinnerungen, der bis zum Jahre 1852 
reicht, zu lesen, um sich hiervon zu überzeugen. Recht viele 
Abschnitte und Szenen verdienten als Musterstücke in Lesebücher 
für obere Klassen aufgenommen zu werden, denn auf sie trifft 
das Urteil Bones über das Aufsätzchen von Schurz ,, Sommer- 
abendszene" zu, sie sind klassisch. 

Bone hatte selbst ein Lesebuch') verfaßt, dessen 1. Auflage 
erschien, als Schurz zur Quinta aufstieg. Nach Ausweis des Schul- 
berichts legte der Verfasser das Buch dem Unterrichte der Quinta 
zugrunde. Wie Schurz dazu überging, seine Schulerinnerungen 
niederzuschreiben, ließ er sich zu deren Auffrischung das Lese- 
buch aus Deutschland kommen und erlebte die freudige Über- 
raschung, sich als stillen Mitarbeiter zu entdecken. Mehrere seiner 
Aufsätzchen hatte Bone, weil er in ihnen seine Methode vorzüglich 
belegt fand, aufgenommen. Leider macht Schurz nur eines-) namhaft. 
Es ist eine Jagdszene: Felder und Berge waren mit glänzendem 
Schnee bedeckt; der Himmel trug das rosige Kleid der schönen 
Morgenröte. Da sah ich drei Jäger, welche unter einer hohen 
Eiche standen. Die größeren Äste des Baumes trugen eine schwere 
Last Schnee, die kleineren Zweige waren mit Reif behangen. Die 

') Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten l Teil. Köln, Du Mont- 
Schaubergsche Buchhandlung. 

2) Ich vermute, auch „Die Herde" S. 11, 31. Auflage 1868, rührt von ihm her. 

239 



Kleider der Jäger hatten eine hellgrüne Farbe und waren mit 
blanken Knöpfen besetzt. Zu ihren Füßen lag ein großer Hirsch, 
dessen rotes Blut den weißen Schnee färbte. Drei dunkelbraune 
Hunde saßen um den toten Körper und ließen die roten Zungen 
lechzend hervorhangen. 

Wahrlich eine mustergültige Sextanerleistung! Auch auf der 
folgenden Stufe leistete er Vorzügliches. Die Zeugnisse weisen 
„recht gut" und „sehr gut" auf mit dem Zusätze: „Ein besonderes 
Lob verdient er in Anfertigung deutscher Aufsätze." >) Gleichzeitig 
wurde bescheinigt, daß der Schüler fortgefahren sei, ,,mit ausge- 
zeichneter Gleichmäßigkeit allen Gegenständen einen regen Eifer 
und gewissenhaften Ernst zuzuwenden und sich dadurch bei seinem 
hoffnungsvollen Talente sehr erfreuliche Kenntnisse zu erwerben". 
„Das Betragen des Schülers war in jeder Hinsicht lobenswert und 
hat ihm das Vertrauen seiner Lehrer in hohem Grade erworben." 
So wundern wir uns nicht, wenn der Ordinarius Bone in dem 
Maße Interesse an dem talentvollen Musterschüler nahm, daß er 
ihn an sich heranzog, seine Lektüre bestimmte und leitete. Daher 
wurde Karl ihm doppelt verpflichtet. 

So hätte denn der Weggang Bones auf die glänzende Weiter- 
entwicklung des „stillen und bescheidenen" Tertianers hemmend 
einwirken können, wenn nicht ein anderer „ausgezeichneter" Lehrer 
der Anstalt sich in gleich liebevoller Weise „des hoffnungsvollen 
Jungen" angenommen hätte. Es war der durch seine geschichtlichen 
und geographischen Lehrbücher weit und breit bekannt gewordene 
Professor WILHELM PÜTZ. Die frühzeitige Vorliebe für Geschichte, 

') In Tertia: Seine schriftlichen deutschen Arbeiten empfehlen sich durch 
ihre sinnige Auffassung und Ausführung. (Pütz.) 

In Unter-Sekunda: Seine schriftlichen Arbeiten gehörten immer zu den 
besten; in ihnen waltete besonders das Gemüt vor, und zwar in einer kindlich 
frommen, manchmal poetischen Weise. (Lohmar.) — Herbst: Er zeigt viel Leben 
und Frische in seiner Darstellung. (Lohmar.) 

Ober-Sekunda: Einer der besten; namentlich gelingen ihm die Arbeiten, 
bei denen seine lebhafte Einbildungskraft Anteil nehmen kann, doch muß er sich 
hüten, sich ihrem Spiele, wo es nicht statthaft ist, zu überlassen. (Lohmar.) Herbst: 
Recht gut, zeigt namentlich bei Erklärung der Muster Geschmack und Urteil. 
Es wurde ihm nicht schwer ... im Deutschen besonders gute Leistungen an den 
Tag zu legen. (Lohmar.) 

Ober-Prima: An dem deutschen Unterricht nahm er den lebhaftesten 
Anteil und bewies für deutsche Darstellung eine sehr erfreuliche Fähigkeit. — 
Im Gebrauche der Muttersprache zeigte er sehr erfreuliche Sicherheit und Gewandt- 
heit und suchte mit einer einfachen und gefälligen Darstellung Klarheit des 
Gedankens und Tiefe der Auffassung glücklich zu vereinigen. (Nattmann.) 

240 



die Schurz durch sein ganzes Leben folgen sollte, brachte ihn dem 
Geschichtslehrer näher. Das Osterzeugnis des Tertianers lautete 
zwar nur: „In jeder Hinsicht befriedigend", im Herbst dagegen: 
„In jeder Hinsicht sehr gut", i) 

Zutreffend erörtert der Schüler die vorzügliche Methode des 
Geschichtslehrers und rühmt ihm dazu ein seltenes Geschick nach, 
„bei seinen Schülern die Lust an seinen Unterrichtsgegenständen 
anzuregen und zu weiteren Studien den Weg zu zeigen". So 
wurde ihm, wie er versichert, „die Geschichtsstunde und das damit 
zusammenhängende Studium statt einer Arbeit ein wahres Vergnügen, 
das sich nur nicht oft genug wiederholen konnte". 

Pütz blieb auch auf den höheren Klassen Geschichtslehrer, 
zugleich väterlicher Freund und Berater von Schurz. Denn zwischen 
Lehrer und Schüler entspann sich ein Verhältnis von freundschaft- 
licher Vertraulichkeit. „Freund Pütz" erzählte ihm von seinen 
Reisen, über Politik und andere Dinge, die nicht gerade in dem 
gewöhnlichen Gedankenkreise der Schulbank lagen, er lehrte ihn 
Italienisch, begeisterte ihn für Kunstgeschichte und ausländische 
Literatur. ,,So ging mir durch ihn eine neue Welt auf, und als 
eines der Wohltäter meiner Jugend gedenke ich auch seiner mit 
Dankbarkeit." 

Als großer Mann urteilte Karl Schurz so über seine Lehrer. 
Als er ihnen auf seinem behaglichen Ruhesitz am Lake George, 
wo er sich auf die Eindrücke seines wechselvollen Lebens besann, 
um sie literarisch festzuhalten, dieses ehrende Denkmal setzte, 
weilten beide freilich nicht mehr unter den Lebenden. Doch hatte 
er sich und den verehrten Lehrern die Freude des Wiedersehens 
verschafft. Pütz, der 1865 seine Lehrtätigkeit aufgegeben hatte, 
lebte auch weiterhin in Köln, sich ganz der weiteren Ausgestaltung 
seiner Lehrbücher widmend. 

Aus dieser Veranlassung wandte er sich Ende der siebziger 
Jahre, als Schurz Minister des Inneren war, an den ehemaligen 
Schüler, von dem er sich sagen durfte, daß er einen bedeutenden 
Abschnitt der nordamerikanischen Geschichte nicht nur durchge- 
macht, sondern gemacht habe, mit dem Ersuchen, seine Darstellung 
der geschichtlichen Entwicklung Nordamerikas für eine neue Auf- 
lage seiner Weltgeschichte einer Beurteilung zu unterziehen. „Ich 

') Unter-Sekunda: „Recht lobenswert", Ober-Sekunda: „Befriedigend", leichte 
und klare Auffassung, doch muß auf das Einprägen der wesentlichen chronologischen 
Bestimmungen mehr Sorgfalt verwendet werden. Ober-Prima: „Befriedigend", 
solange er in der Schule war. 

18 241 



habe Ihnen sooft Ihr Pensum korrigiert," schrieb er, „nun korrigieren 
Sie mir einmal das meinige." Gern willfahrte er dieser Bitte und 
besuchte dann auch den alten Lehrer gleich bei seiner nächsten 
Anwesenheit in Deutschland. Etwa zehn Jahre später, 1888, gelang 
es ihm durch einen früheren Schulfreund, den Aufenthaltsort Bones 
zu erfahren. Dieses Wiedersehen in Wiesbaden ließ an Herz- 
lichkeit nichts zu wünschen übrig, obschon Lehrer und Schüler 
sich seit 46 Jahren nicht mehr gesehen hatten. 

Von der Tertia an unterstand er nebenher einem anderen 
nachhaltigen Einfluß. Literarische Neigung und schriftstellerisches 
Schaffen erwirkten ihm Aufnahme in einen Kreis älterer Schüler 
höherer Klassen, die sich gegenseitig in ihren dichterischen und 
literarischen Bestrebungen zu fördern suchten. 

In den Mitgliedern Ludwig v. Weise und Theodor Petrasch 
gewann er liebe Freunde, deren Treue er auch als Student und 
Mitglied der Burschenschaft Frankonia in Bonn erproben durfte. 
Die Sitzungen fanden meist im Elternhause von Petrasch auf dem 
Eigelstein statt. 

Schurz wurde bald ein geschätztes Mitglied des literarischen 
Kränzchens. Der Beifall, den seine Beiträge fanden, spornte zu 
immer umfassenderer Tätigkeit an. Die Arbeitszeit für einzelne 
Schulfächer, namentlich für Französisch, Mathematik und Natur- 
wissenschaften, wurde zugunsten der schriftstellerischen Neigung 
gekürzt, so daß die Leistungen in jenen Fächern sichtlich zurück- 
gingen. „Es ist zu beklagen," wurde ihm auf dem Osterzeugnis 
der Tertia verbrieft, „daß der Schüler es für Mathematik, Natur- 
geschichte und Französisch an lebendiger Teilnahme und ange- 
strengter häuslicher Tätigkeit hat fehlen lassen und den Anforder- 
ungen der Klasse nicht genügt hat, da er doch in den übrigen 
Gegenständen mit reger Teilnahme und recht gutem Erfolge 
fortgeschritten ist." Auch auf den höheren Klassen wird noch 
wiederholt über die wenig .befriedigenden französischen Kennt- 
nisse Klage geführt, ja seine Reife für Ober-Sekunda und Ober- 
Prima mußte von einer Nachprüfung abhängig gemacht werden. 
Trotzdem gehörte er auch auf diesen Klassen dank seiner vorzüg- 
lichen Leistungen in den anderen Fächern zu den besseren Schülern, 
da die Zeugnisse durchgängig die Zensurnummer II tragen.') 

In diesem literarischen Kreise war es denn auch, wo der 
empfängliche jugendliche Geist mit den politischen Erzeugnissen 
der jungdeutschen Dichterschule bekannt wurde. Ihre bekämpfende, 

') Auf Sexta, Quinta und Quarta stets 1. 

242 



zerstörende und verneinende Kritik reizte zu weiterer Aufklärung. 
Zeitungen und Flugschriften unterrichteten den Kreis der jungen 
Politiker über die Vorgänge des Tages und die Gedankenströmungen 
im Volke. Das literarische Kränzchen hatte einen politischen An- 
strich bekommen. Eine Probe auf diese Erziehung zum politischen 
Denken und Wollen wagte Schurz als Obersekundaner abzugeben, 
als vom Lehrer des Deutschen, Lohmar, als Aufsatz die Aufgabe 
gestellt war, eine Gedächtnisrede auf die Schlacht bei Leipzig zu 
schreiben. Er schrieb die Rede, wie er versichert, sozusagen mit 
seinem Herzblut, freilich ohne im Prädikat die ungeteilte Aner- 
kennung seines Lehrers zu finden: „Stilistisch sehr gut, aber was 
für nebelhafte Ansichten!" lautete es. Und unter vier Augen urteilte 
Lohmar: „Was Sie da geschrieben haben, klingt ja ganz brillant, 
aber so etwas kann doch auf einem königlichen preußischen 
Gymnasium nicht vorkommen. Tun Sie es nicht wieder." Gelegen- 
heit zu einem Ergüsse über politische Sorgen bot sich allerdings 
auf dem Gymnasium nicht mehr. 

Dagegen blieben ihm materielle Sorgen nicht erspart. Der 
Vater war kein Geschäftsmann. Als Weinhändler, dann als Wein- 
und Eisenhändler, schließlich als Gastwirt hatte er sein Glück 
lange vergeblich versucht. Eben ließen sich die Verhältnisse besser 
an, da brach um die Person des Dorflehrers, dem der Vater gegen 
seinen Willen hatte weichen müssen, ein heftiger Parteizwist aus, 
der dem Gastwirt den Boykott der meisten Dorfbewohner eintrug 
und für den Großvater den Abzug von der Burg zur Folge hatte. 
Als dann der Vater von den verfehlten Spekulationsgeschäften 
seiner Schwäger noch mitbetroffen wurde, schien der Familie der 
feste Boden unter den Füßen weggeglitten zu sein. Karl hätte 
schon damals die Studien abbrechen müssen, wäre es ihm nicht 
gelungen, sich ein Stipendium zu erwirken und den Rest der 
aufs Notwendigste beschränkten Ausgaben durch Erteilung von 
Privatunterricht an Schüler der unteren Klassen aufzubringen. Die 
meisten Schüler bezahlten die Unterrichtsstunde mit zweieinhalb 
Groschen, nur wenige Stunden brachten ein Honorar von fünf 
Groschen ein. So arbeitete er sich bis in Unter-Prima hin- 
ein durch. 

Da schien plötzlich eine hoffnungsvolle Wendung in der Lage 
der Eltern einzutreten. Es war ihnen gelungen, das Besitztum in 
Liblar zu verkaufen. Der Erlös hätte ausgereicht, die Verbindlich- 
keiten des Vaters wettzumachen und eine neue Existenz zu be- 
gründen. Schon war er in Bonn, Ecke Sternenstraße und Kasernen- 



18» 



243 



gasse^), Inhaber einer Bäckerei mit Wirtschaft geworden, da stellte 
der Käufer in Liblar das Besitztum zur Verfügung. Die Lage der 
Familie wurde geradezu verzweifelt, als der Vater von seinen 
Gläubigern ins Gefängnis gebracht wurde. Da blieb denn dem 
Sohne kein anderer Ausweg, als von Lehrern und Freunden eiligen 
Abschied zu nehmen und sich vorläufig ganz den Angelegenheiten 
der Familie zu widmen. Ein harter Entschluß! Doch brachte der 
dankbare Sohn angesichts der Notlage das schwere Opfer gern. 
Als dann der Vater die geschäftlichen Angelegenheiten wieder über- 
nehmen konnte, kehrte Karl in die Unter-Prima zurück, die er 
nach Ausweis der Schülerlisten Ostern 1846 verlassen hatte. 

Weitere geschäftliche Schwierigkeiten des Vaters, die zum 
Bankrott führten, zwangen Karl zu Neujahr 1847 endgültig 
das Gymnasium zu verlassen. Der Entschluß, sich durch Selbst- 
unterricht zum Abiturientenexamen vorzubereiten, wurde nicht 
nur gefaßt, sondern trotz der drückenden häuslichen Verhält- 
nisse auch ausgeführt. Als Extraneus wurde er der Anstalt 
überwiesen, deren Schüler er sieben Jahre lang gewesen war. 
Die Prüfungskommission bestand aus den Lehrern der Ober-Prima, 
dem Direktor Birnbaum und den Professoren und Oberlehrern 
Dr. Ley, Grysar, Pütz, Vosen und Nattmann. Königlicher Kommissar 
war Lucas. Das Ergebnis der Prüfung war im allgemeinen gut. 
Im Deutschen und in der Geschichte deckten sich die Leistungen 
mit den früheren. Denn in der deutschen Sprache zeigte er sehr 
erfreuliche Sicherheit und Gewandtheit und vereinigte mit einer 
einfachen und gefälligen Darstellung Klarheit des Gedankens und 
Tiefe der Auffassung. In der Literaturgeschichte bewies er recht 
gute Kenntnisse. Mit einem klaren Bilde von den topischen und 
politischen Verhältnissen der Erde verband er eine ziemlich ver- 
traute Bekanntschaft mit der Geschichte der wichtigsten Völker. 
Dagegen blieben die Leistungen im Lateinischen infolge der 
Unterbrechungen des Schulbesuchs hinter den früheren zurück. 
Unter einen der letzten lateinischen Aufsätze des Unterprimaners 
hatte der Fachlehrer und Ordinarius Grysar außer dem Prädikate: 
„Sehr gut" die lobende Bemerkung gesetzt: „Nunc latine scribere 
incepisti". Die Prüfungsarbeiten erzielten zwar genügend, „doch 
würde sich sein unverkennbares sprachliches Talent vorteilhafter 
bewährt haben, wenn er an dem Unterrichte bis zum Schlüsse 
hätte teilnehmen können". In der Physik und in der philosophischen 
Propädeutik wurde eine Prüfung nicht vorgenommen, „nach den 

') Er wohnte später in der Rheingasse, dann auf der Coblenzerstraße. 

244 



früheren Beobachtungen^) der betreffenden Lehrer würde dieselbe 
wohl ziemlich befriedigend ausgefallen sein". 

Da auch der sittlichen Führung des Abiturienten das beste 
Zeugnis ausgestellt wurde, seine Anlagen und sein Fleiß zu den 
schönsten Hoffnungen berechtigten, war es keine bloße Form, 
wenn der Regierungskommissar, der ihm vor der Prüfung „furcht- 
bar wie das dunkle Schicksal" erschien, seine Wünsche für das 
fernere Wohlergehen mit einem besonders warmen Händedruck 
bekräftigte. 

Noch vor Schluß des Sommersemesters,^) in dem er als 
Hörer philologische und geschichtliche Vorlesungen besucht hatte, 
sah Schurz also das gefürchtete Hindernis beseitigt und damit 
die Bedingungen erfüllt, fortan als vollgültiger und seinen Freunden 
ebenbürtiger Student an der Universität aufzutreten. 

Er wollte in Bonn Jurisprudenz studieren; so lauteten wenigstens 
die Angaben für das Zeugnis. Sollte etwa die tatkräftige und erfolg- 
reiche Mitwirkung an der Lösung der geschäftlichen Verwicklungen 
des Vaters, die ihn mit der Gesetzeskunde, mit Richter und Anwalt 
in enge Fühlung gebracht hatten, auch der Vater dieses Gedankens 
und Vorhabens gewesen sein? Möglich. Jedenfalls wäre er einer 
ruhigen Laufbahn entgegengegangen, wären ihm die sonderbaren 
Schicksale nicht zugestoßen, die dem freien Studentenleben mit 
seinen Freuden und Freunden ein so jähes Ziel setzen sollten. 

Begreiflich aber finden wir, daß er zu seiner alten Liebe, zu 
der ihn Anlagen und Neigung geführt hatten, zurückkehrte. Aus 
dem Gefühl der Sicherheit heraus warf er sich jetzt mit neuer 
Begeisterung auf geschichtliche und sprachliche Studien. 

Nicht weniger zog es ihn zu dem Freundeskreise zurück, in 
dem er dank seinen früheren Mitschülern Th. Petrasch^) und 
L. v. Weise*) eine so überaus warme Begrüßung gefunden hatte^) 
zu der Zeit, wo er von häuslichem Mißgeschick und persönlichen 



') Das Klassenzeugnis in der Ober-Prima lautete in der Physil«: „Er besitzt 
teilweise Kenntnisse der Hauptgesetze der Natur, jedoch bedürfen diese größerer 
Vollständigl<eit und Begründung", in der philos. Propädeutik: „Befriedigend" mit 
dem Zusatz von der Hand des Direktors : ,,So lange er in der Klasse war". 

2) Die mündliche Prüfung fand am 28. Juli statt, das Zeugnis trägt das 
Datum vom 30 August. 

') Petrasch bezog im Wintersemester 1845/-16 die Universität, er gründete 
die Frankonia und wurde später aktiver Offizier. 

♦) Abiturient Herbst 1846. 

^) Am 21. April 1847 wurde er in die äußere Verbindung aufgenommen 
(Album der Burschenschaft Frankonia). 

246 



Sorgen schwer niedergedrückt war. Da der von Natur aus schüchterne 
Jüngling unter diesem Drucke gänzlich verschüchtert worden, war 
es ihm nicht von vornherein gelungen, die Erwartungen zu erfüllen, 
die man in der Frankonia auf seine Person gesetzt hatte. Schon 
war er, wie er selbst schildert, auf dem Punkte angelangt, infolge 
seiner Schüchternheit und Verlegenheit eine lächerliche Figur zu 
spielen, als eine vorzüglich gelungene Kneipzeitung ihn zu einer 
sehr respektierten Person in seiner Umgebung machte. In einer 
Parodie von Auerbachs Kellerszene im Faust führte er die hervor- 
ragendsten Leute der Frankonia, wie Overbeck, August Spelz, 
Schirrmacher, Kleefisch u. a. als handelnde Personen ein. Da er 
selbst über die Eigentümlichkeiten der Verbindungsbrüder nicht 
hinlänglich aufgeklärt war, zeigte sich Freund v. Weise gern bereit, 
auf Grund seiner größeren Erfahrungen zum Gelingen des Werkes 
beizusteuern. Der Erfolg war durchschlagend, wenn auch einzelne, 
wie Aug. Spelz, nicht wenig ungehalten darüber waren, daß ein 
,, Mitbummler" wie Schurz sich erlaube, ältere Semester zu 
karikieren. 

Erst auf ein viersemestriges Bestehen konnte die Frankonia 
zurückblicken, als Schurz nach Beginn des Wintersemesters 1847/48, 
am 13. November, in die innere Verbindung aufgenommen wurde. 
Ihre Organisation war lose, Freiheit im Denken und Handeln war 
jedem Mitgliede gestattet. Munterer, ja ausgelassener Scherz und 
ernstes wissenschaftliches Streben gingen hier Hand in Hand, und 
gerade in dieser Mischung fand mancher die Ergänzung seiner 
Natur, die er brauchte. Kein Wunder, daß so viele strebsame 
junge Leute, die später als tüchtige Männer Ruf und Namen er- 
hielten, gerade in diesem Kreise sich zusammenfanden. Wenn 
Schurz am 5. Februar ehrenvoll entlassen und auch sogleich zum 
Ehrenmitglied gemacht wird, wenn er dann nach seinem Wieder- 
eintritt am 12. August schon am 1. November 1848 Sprecher, in 
den Wahlen vom Dezember 1848, Januar, Februar, März 1 849 Ehren- 
richter wird, dürfen wir annehmen, daß er eine Zier der Burschen- 
schaft gewesen. 

Auch das Vertrauen der Gesamtstudentenschaft, deren Vertreter 
er wiederholt, so im September 1848 auf dem Eisenacher Studenten- 
kongreß, war, erwarb er sich. Gelegenheit, öffentlich aufzutreten, 
bot ihm die am Ende des Wintersemesters 1847/48 mächtig ein- 
setzende liberale Bewegung, die, wie sich denken läßt, an dem 
begeisterungsfähigen neunzehnjährigen Studenten einen begeister- 
ten Parteigenossen fand. Denn auch in der Burschenschaft hatten 

246 



viele Mitglieder, wenngleich die politische Tätigkeit der alten 
Burschenschaft keine Fortsetzung gefunden hatte, es als ihre Pflicht 
angesehen, der Überlieferung getreu, sich über die politischen 
Vorgänge wohl unterrichtet zu halten und daran regen Anteil 
zu nehmen. „Gott, Freiheit, Vaterland" war wenigstens die Devise 
auch der neuen Burschenschaft geworden, und angesichts der 
freiheitlichen und deutschen Bewegung rechnete kein Burschen- 
schaftler zuversichtlicher als Schurz damit, die alte Devise werde 
bald mit neuem politischen Inhalt erfüllt werden. Zwei Gruppen 
bildeten sich in der Verbindung. Führer der radikalen Politiker 
war Schurz, der mit mehreren anderen am 8. März 1849 korporativ 
austrat, um eine neue Verbindung zu gründen. „Wo der Zug des 
Herzens ein wahrer ist, da vermag ihn der lauteste Streit der 
Meinungen weder zu hemmen noch abzulenken." Mit diesen 
Worten als Unterschrift widmete er kurz nachher, im April 1849, 
seinem lieben Felix Giesebrecht sein Bildnis, zu einer Zeit also, 
wo auch durch die Ablehnung der Kaiserkrone seitens Friedrich 
Wilhelms IV. die allgemeine Begeisterung allgemeiner Bestürzung 
Platz gemacht hatte. 

Schurz ließ sich seine Zuversicht ebensowenig rauben wie 
sein geliebter Lehrer Kinkel, dem er aus dem Hörsal in die poli- 
tische Agitation gefolgt war. Gleich Kinkel hatte er durch 
zündende Reden Studenten und Bürger mächtig mit sich fort- 
gerissen. Als er sich dann aber unter Kinkels Führung weiter in 
die stürmischen Wogen hineinwagte, wurden beide von ihnen 
fortgetragen. Denn mit ihm nahm er teil an dem nächtlichen Zuge 
nach Siegburg, der der Erstürmung des Zeughauses galt; um 
zu retten, was noch zu retten sei, schlössen sich beide dem 
Aufstande in der Pfalz und dem Einmarsch in Baden an. Vergeb- 
liches Bemühen! Mit dem Niederwerfen des Aufstandes durch 
preußische Truppen schien auch beider Männer Schicksal besiegelt. 
Während aber Kinkel gefangengenommen wurde, gelang es Schurz, 
aus der Festung Rastatt zu entkommen und sich auf französisches 
Gebiet, dann nach der Schweiz zu retten. Dem odysseischen 
Abenteuer der eignen Errettung aus dem eingeschlossenen Rastatt 
folgte im November des folgenden Jahres das andere, die Befreiung 
Kinkels aus dem Spandauer Zuchthause. Freiheit und Leben 
wagte er für die Rettung seines Freundes, das glückliche Gelingen 
machte dafür aber auch seinen Namen in ganz Europa bekannt. 
Das durfte er selbst erfahren während der beiden Jahre, die er 
als politischer Flüchtling in Paris und London lebte. 

247 



Das Treiben der zahlreich dort versammelten Leidensgenossen 
der verschiedensten europäischen Länder sagte Schurz indes wenig 
zu. Die Sturm- und Drangperiode des jugendlichen Brausekopfes 
war vorüber. Unter die Vergangenheit mit ihren hohen Hoffnungen 
und bitteren Enttäuschungen machte er einen dicken Strich und 
suchte einen festen Boden für seine Zukunft. Wenige Wochen, 
nachdem er mit Margarete Meyer aus Hamburg, die er in London 
kennen gelernt, den Bund für das Leben geschlossen, siedelte er 
nach den Vereinigten Staaten über voll sicherer Zuversicht, in 
dem Lande der Freiheit und bürgerlichen Demokratie ein ergiebiges 
Feld seiner Tätigkeit zu finden. 

Was ihm das gastliche Land, das seine neue Heimat wurde, 
bot, hat er ihm tausendfach vergolten. In Verwirklichung der 
Ideale seiner Jugend sollte er länger als ein halbes Jahrhundert 
seine ganze gewaltige Kraft in deren Dienst stellen. 

Scharfen und richtigen Blicks sah er in diesem Lande den 
großen Schmelztiegel einer neuen Nation, zu deren Bildung 
namentlich das deutsche Element seinen Teil beizutragen das 
Recht und die Pflicht habe. ,,Wir sind nicht hier, um eine ab- 
gesonderte deutsche Nationalität zu bilden, sondern um zur Bil- 
dung der großen amerikanischen Nationalität unsern Anteil red- 
lich beizutragen. Wir haben als Deutschgeborene sehr wertvolle 
Charaktereigenschaften mit uns in dieses Land gebracht. Aber 
bilden wir uns nicht ein, daß wir als die idealen Mustermenschen 
herübergekommen sind, daß wir hier nicht viel zu leisten brauchen, und 
daß wir nicht bei dem amerikanischen Volke große Eigenschaften 
finden, die wir zum eignen und allgemeinen Frommen sehr wohl 
tun, uns anzueignen. Das ist die Weise, in der das deutsche 
Element in der Entwicklung der amerikanischen Nationalität die 
wertvollsten Dienste leisten kann." ^) 

Erblickte er aber auch in der Aneignung der fremden Sprache 
die erste Vorbedingung für eine ersprießliche Verschmelzung mit 
dem einheimischen Volkstum, so war er doch der letzte, der die 
Pflege der deutschen Sprache vernachlässigt sehen wollte. „Lassen 
Sie sich nicht durch den engherzigen Einwurf stören, daß es die 
erste Pflicht des Eingewanderten ist, Englisch zu lernen. Natür- 
lich ist das seine Pflicht, sein offenbares Interesse. Niemand weiß 
das besser und würdigt das mehr als ich, und niemand hat es 
seinen Stammesgenossen beständiger gepredigt. Aber ich habe 
nie verstehen können, daß man, um Englisch zu lernen, das 

1) Rede von Schurz am 2. März 1899. 

248 



Deutsche vergessen muß. Die deutsche Sprache ist ein so wert- 
voller Schatz, daß unzählbare Tausende, die ihn nicht besitzen, 
sich mit saurem Fleiß bemühen, ihn zu erwerben. Ist es nicht 
frevelhafter Leichtsinn, wenn einer, dem dieser Schatz sogar in 
der Wiege zum Geschenk gemacht worden ist, ihn verächtlich 
wegwirft, statt ihn wie ein kostbares Kleinod zu pflegen? Es hat 
schon manchen Menschen gebildet und gescheiter gemacht, aber 
niemals seinem Charakter, seiner Fähigkeit oder seinem Patriotismus 
geschadet, wenn er mehr als eine Sprache besaß. Wer von uns 
neben der erlernten englischen Sprache die Pflege der deutschen 
beibehält, wird dadurch nicht ein schlechterer Patriot, sondern ein 
gebildeterer Amerikaner." ^) 

Mit diesen markigen Worten zeichnet Schurz die Ziele und 
den Beruf des Deutschtums in Amerika. Jedenfalls ist von all 
den Millionen von Deutschen keiner ein so echter Amerikaner ge- 
worden und ein so guter Deutscher geblieben wie Schurz. Daher 
der große Einfluß auf seine Landsleute und zugleich auf das 
geistig höher stehende Amerikanertum. 

Seine Landsleute erblickten in ihm, sobald sie seine elemen- 
tare Beredsamkeit kennen gelernt hatten, ihren Führer und Be- 
rater, den Vorkämpfer für die Lebensanschauungen und Rechte 
der deutsch-amerikanischen Bevölkerung. Denn wie kein zweiter 
verstand er, dem Englisch-Amerikaner deutsches Fühlen und 
deutsche Anschauungen in Wort und Schrift, nachhaltiger und wirk- 
samer noch durch seine Persönlichkeit zum Verständnis zu bringen. 
Eifersüchtig wachte er über die Ehre des deutschen Namens, nie 
zögernd, wenn es galt, diese Ehre gegen neidische Vorurteile 
oder gehässige Angriffe zu verteidigen. So verdanken ihm in 
erster Linie die Deutschen jenseits des Ozeans, weim ihr Volks- 
tum sich so hoher Wertschätzung erfreut. 

Den Deutschen verleugnete Schurz auch nicht in der Aus- 
dauer und Gründlichkeit, mit der er sich selbst auf die englische 
Sprache, die englische Literatur und die Kenntnis des ameri- 
kanischen Volkstums warf. So gelang es ihm bei seinem an- 
geborenen Sprachen- und Rednertalent recht bald, sich mit den 
großen eingeborenen Rednern zu messen, ja die meisten durch 
sein umfassendes Wissen und die Schärfe seiner Logik in Schatten 
zu stellen. Auch die gebildeten Amerikaner sahen daher bald in 
ihm den Ihrigen, und wenn sich in diesen Kreisen in der Folge 
eine höhere Auffassung in politischen Dingen anbahnte, so ist 

>) Rede von Schurz am 2. März 1899. 

240 



dies eines der vielen Verdienste, die sicii der deutsciie Idealist 
unter den amerikanischen Realpolitiliern erworben hat. 

„Wo man steht," läßt Piaton seinen Lehrer Sokrates vor seinen 
Richtern sagen, „mag man sich selbst den Platz als den besten 
erwählt haben, mag ein Vorgesetzter einen dorthin gestellt haben, 
dort, dünkt mich, muß man bleiben, der Gefahr Trotz bieten und 
Tod und anderes für nichts achten im Vergleich zur Schuld." 
Nach diesem Grundsatze des edelsten Griechen hat Schurz, der 
edelste amerikanische Bürger deutscher Abstammung, sein ganzes 
Leben hindurch gelebt. 

Herz, Hirn und Arbeitskraft und der ewig frische Idealismus 
seiner unvergänglichen Jugend hielten ihn aber fünfzig Jahre hin- 
durch von selbst auf dem ersten Platz. Und dabei war sein Ehr- 
geiz stets von edlen Motiven beseelt. Jeglichen Erfolg bemaß 
er nach dem, was nach seinem wohlüberlegten Urteil für Land 
und Volk das Beste war. 

Flüchtigen Tagesströmungen im Volke trat er mutig ent- 
gegen, Parteien verließ er, wenn sie abfielen von den Grund- 
sätzen der Gerechtigkeit und des politischen Gewissens. „Wenn 
eine Partei ehrliche Meinungen vertritt und mit ehrlichen Mitteln 
kämpft, dann hat sie eine volle sittliche Existenzberechtigung; 
wird sie Selbstzweck, dann ist sie korrupt und gemeingefährlich." 
Das war seine Richtschnur in politischen Fragen. So unterschied 
er zwischen Parteimann und Parteiknecht. „Der Gott, der Eisen 
wachsen ließ, der wollte keine Knechte," hatte er als Student 
gesungen, danach handelte er als gereifter Mann. Kein Wunder, 
wenn er, dem Mute seiner Überzeugung folgend, recht oft mit 
der Minorität war. Nicht selten, wie in der Frage des Neger- 
schutzes und der Indianererziehung, wo es galt, energisch gegen 
die Wälderverwüstung einzuschreiten, bildete er sogar seine 
Minorität von einem. Er allein führte in seinem Verwaltungsbezirk 
die Zivildienstreform ein. Die alles überragende Bedeutung der 
Aufgabe der Sklavenemanzipation war ihm sofort klar geworden, 
als er tätig in die amerikanische Politik eingriff. In vielen 
Hunderten von Reden suchte er in den Nordstaaten das Volk 
„auf die volle Höhe eines Kampfes um die bedeutendsten Grund- 
sätze der Demokratie und der Humanität zu führen." Auch mit 
dem Schwerte warf er sich in die Antisklaverei-Bewegung. Als 
General führte er dieselben Männer gegen die feindlichen Reihen, 
die er vorher durch feurige Reden bestimmt hatte, an den Wahl- 
urnen die Macht der Sklavenbarone niederzuwerfen. Nach 



260 



Beendigung des Bürgerkrieges, als es sich um die Wiederher- 
stellung der Union handelte, war niemand eifriger als er bemüht, 
mit staatsmännischer Milde und Weisheit die tiefen Wunden, die 
das Schwert geschlagen, zu heilen. Seine Finanzreden im Senate 
führten zur Wiederaufnahme der Barzahlungen, seine Golddebatten 
retteten Ohio, sein heftiger Kampf war es, der dem San Domingo- 
Schacher der Grantschen Verwaltung den Todesstreich gab und 
für lange Jahre, bis 1898, dem Imperialismus und dem Länder- 
raub Schranken setzte. Kurzum, es gab keinen Fortschritt in der 
Geschichte der Union, den Schurz nicht entweder eingeleitet, oft 
ganz allein gegen harten und zähen Widerspruch, oder wenigstens 
mächtig gefördert hat. Dabei erging es ihm nicht selten wie dem 
Baustein, der verworfen wurde, bis er sich als Grundstein erwies. 

Der „Deutsche Edelstein" bewährte sich als „des Guten 
Grundstein" und „des Bösen Eckstein" vor allem in den „Leit- 
motiven" seines Lebens. Als solche galten ihm: der Kampf gegen 
den Parteidespotismus, die antiimperialistische Idee, die Indianer- 
erziehung, die Reform des Zivildienstes sowie die Pflege freund- 
schaftlicher Beziehungen zwischen seinem alten Vaterlande und 
der neuen Heimat. 

Durch keines dieser Leitmotive hat er mehr Gegner auf den 
Plan gerufen als durch seine Lieblingsbestrebung, die Zivildienst- 
reform. Gewerbsmäßige Politiker und der große Haufen, der 
durch Erziehung und Gewöhnung in der Beutepolitik eine zu Recht 
bestehende amerikanische Einrichtung erblickte, sahen in dem 
Vorgehen des „Ausländers", dem die Ehrenhaftigkeit und Pflicht- 
treue des deutschen Beamtenstandes vorbildlich war, eine Art 
Hochverrat. Aber weder die Zahl seiner Gegner noch die Art 
ihres Kampfes machten ihn irre. In Wort und Schrift trat er 
unermüdlich für die Reform ein. 

Sein Verdienst war auch die Gründung der Zivildienstreform- 
liga, die von New-York ausgehend sich nach und nach über das 
ganze Land ausbreitete. Wie wenig aber das Vorstreben seine 
Sache war, mag man daraus entnehmen, daß er den Vorsitz seinem 
Freunde Curtis überließ. Erst nach dessen Tode, im Jahre 1896, 
erklärte er sich bereit, auch formell an die Spitze zu treten, i) 
Der Reformgedanke hatte sich inzwischen auch in den Kreisen 
der besseren Amerikaner soweit Bahn gebrochen, daß nativistische 
Vorurteile nach seiner Ansicht nicht mehr in Anschlag kommen 
konnten. 

•) Einige Tage vor seinem Tode war seine Wiederwahl erfolgt. 

261 



I 



Dem von ihm vertretenen Ideale eines Beamten lebte er 
selbst in allen amtlichen Stellungen. Mit höchster Leistungs- 
fähigkeit verband er die größte Ehrlichkeit, Geradezu Hervor- 
ragendes leistete er als Minister des Innern für die Hebung der 
sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes. Als er aber 
das Portefeuille des Sekretärs des Innern abgab, sah er den Rest 
seines Vermögens verbraucht. Eine Stellung, die manchem zur 
Selbstbereicherung die beste und bequemste Gelegenheit geboten 
hätte, verließ er als mittelloser Mann. Wiederholt hatte man dem 
unbequemen Aristides die Taschen mit Gold zu füllen gesucht, 
um ihn seinen Reformbestrebungen untreu zu machen. Vergebens ! 
Treu blieb er sich und seinen Grundsätzen auch, als New-Yorker 
Verehrer ihm 1881 eine Ehrengabe von 100 000 Dollars anboten. 
Solange er arbeitsfähig sei, war seine Antwort, gestatte ihm sein 
Ehrgefühl die Annahme auch eines ehrenvollen Geschenkes nicht. 
Der Deutsche hat sich in ihm in dieser wie in anderen Beziehungen 
niemals verleugnet. 

Auch allem, was das Wohl und Wehe des alten Vaterlandes 
betraf, brachte er das größte Interesse entgegen. Die Erfüllung 
seiner Jugendsehnsucht, die Begründung des Deutschen Reiches, 
begrüßte er in froher Begeisterung „mit der dröhnenden Bered- 
samkeit des alten Achtundvierzigers": ,,Das war ein Schauspiel, 
wie der einst so verspottete deutsche Michel plötzlich aus dem 
Schlafe erwachte, wie er die gewaltigen Glieder reckte, wie er 
seinen Schild schüttelte, daß er klang wie alle Donner des Firma- 
ments, wie das Stampfen seines Fußes den Boden Europas er- 
zittern machte, wie er mit mächtigem Schwertschlag den über- 
mütigen Feind vor sich in den Staub warf, wie er mit Posaunen- 
stimme ausrief: «Das ganze Deutschland soll es sein!» und wie 
die Menschheit staunend aufblickte an der riesigen Heldengestalt." 
Der Möglichkeit eines gutes Einvernehmens zwischen den Ver- 
einigten Staaten und dem neu entstandenen Deutschland hatte er 
die Wege geebnet durch sein mannhaftes Auftreten gegen den 
elenden Waffenschacher der Grantschen Sippe, durch das er Deutsch- 
lands und ganz Europas Augen auf sich zog. 

Von ihm, dem Bürger zweier Welten, stammt der längst 
klassisch gewordene Vergleich der Germania, die dem Deutsch- 
Amerikaner die Mutter, und Columbia, die ihm die Braut sei. 
Wie die Amerikaner wissen auch wir Schurz Dank dafür, daß er 
für alle Zeiten den richtigen Weg zu einem erfreulichen Zusammen- 
gehen von Germania und Columbia gewiesen hat. 

262 



Und an Anerkennung hat es ihm seitens des neuen Reiches 
nicht gefehlt. Schon im Jahre 1868 war der rote Revolutionär 
von 1848 Bismarcks, des ehemaligen junkerlichen Reaktionärs, 
Gast in Berlin gewesen. In trauter Unterhaltung wurde ihm die 
Rückkehr in die alte Heimat in deutlicher Sprache nahegelegt. 
Aber Schurz zog es vor, Amerikaner zu bleiben, trotzdem alles 
Trennende vergessen war. Auf der Höhe ihres beiderseitigen 
politischen Lebens begrüßten sich beide Männer in den Jahren 
1873 und 1888 als alte Freunde. Fast schien es, als ob die Ein- 
heit zwischen dem, was Schurz in seiner Jugend so feurig erstrebt 
und Bismarck nach heißem Ringen so ruhmvoll erreicht hatte, 
die großen Männer menschlich und politisch näher gerückt habe. 
Der Waffenschmied der deutschen Einheit sank ins Grab. Die 
Deutschen New- Yorks veranstalteten eine erhebende Gedenkfeier 
für den großen Toten, und Karl Schurz gab mit dem Gefühle der 
Trauer auch dem der Lebensgemeinschaft zwischen dem Deutsch- 
tum hüben und drüben beredten Ausdruck. 

Ein noch stärkeres Bindeglied wurde Schurz für das Deutschland 
Wilhelms II. Die alte Heimat rückte seiner neuen auch sozusagen 
geographisch näher. Der nationale Gesichtskreis beschränkte sich 
nicht mehr auf die deutschen Länder, er umspannt auch die Länder 
jenseits der Weltmeere. Auch den Anteil deutscher Kraft an dem 
Aufbau fremder Völker, nicht zum wenigsten der Vereinigten Staaten, 
sehen wir nunmehr als deutsches Leben an. 

Dem Deutschland Wilhelms II. sind die Deutsch-Amerikaner 
nicht mehr verlorene Kinder, sondern ein Teil des unpolitischen Welt- 
reiches der deutschen Kultur. Uns ist Karl Schurz ein deutscher Held. 

Unter diesem Gesichtswinkel müssen wir die Ehrung betrachten, 
die Prinz Heinrich dem großen Landsmann bei seinem Aufenthalte 
in den Vereinigten Staaten angedeihen ließ, unter diesem Gesichts- 
winkel auch die Wertschätzung seitens unseres erhabenen Kaisers 
Wilhelm II., der Schurz wiederholt empfing und ihm sein Bild, ein 
Ölgemälde in Lebensgröße, alsZeichen seiner Wertschätzung verehrte. 

Literatur. 

Karl Schurz, Lebenserinnerungen, 2 Bände, Berlin, Reimer 1906. — Karl 
Schurz, Abraham Lincoln, aus dem Englischen übersetzt von Mary Nolte, Berlin, 
Heimer 1908. — Kühnemann, Deutschland und Amerika, in der Internationalen 
Wochenschrift 1910 S. 546 ff. — New- Yorker Staatszeitung von März 1899 und 
Mai 1906. — Archive des Marzellengymnasiums und der Burschenschaft Frankonia 
in Bonn, — Erinnerungen an Karl Schurz aus der Liblarer Zeit von Herrn 
Lauscher in Liblar, aus der Kölner und Bonner Zeit von Herrn Oberbürger- 
meister a D. Geheimrat Ludwig von Weise in Aachen. 

263 



Die Familie vom Rath. 

Von Prof. Dr. Jos. KLINKENBERG. 

Am 31. August 1848 entließ das Marzellengymnasium unter 
/ \ seinen siebenundzwanzig Abiturienten zwei außergewöhn- 
ji \ lieh tüchtige, hoffnungsvolle Schüler, die den größten 
Teil ihrer Gymnasialzeit an der Anstalt verbracht hatten. Dem 
neunzehnjährigen Karl vom Rath rühmt das Reifezeugnis nach : 
„Er hat ruhigen und umsichtigen Fleiß, klare Einsicht und sicheres 
Verständnis bewiesen", und aus den Zensuren, die er in den 
sprachlich-geschichtlichen wie in den mathematisch-naturwissen- 
schaftlichen Fächern davonträgt, klingt überall die Anerkennung 
seines richtigen, wohlgeordneten und sachgemäßen Denkens 
wider. Von seinem Vetter, dem achtzehnjährigen GERHARD VOM 
Rath, heißt es an derselben Stelle: „Mit sicherer und scharfer 
Auffassung und sichtbarem Interesse an der Wissenschaft verband 
er stetigen und nachhaltigen Fleiß und ist zu ferneren Fort- 
schritten gut vorbereitet" ; die Prüfungskommission entläßt ihn 
zum Studium der Naturwissenschaften „mit den besten Wünschen, 
daß er die große Aufgabe, die er sich gestellt, mit glücklichem 
Erfolge lösen werde, wozu er allerdings Hoffnung gibt, wenn er 
mit gleichem Eifer wie bisher und besonnen an seiner Entwicklung 
fortarbeitet". Zu Männern herangereift, haben diese beiden Jüng- 
linge die hohe Meinung, die das Gymnasium von ihnen gehegt, 
und die stolze Hoffnung, die es auf sie gesetzt hat, in glänzender 
Weise gerechtfertigt: sie sind Träger und Vorbilder jener auf 
reale wie auf ideale Ziele gerichteten großzügigen Bestrebungen 
ihrer Familie geworden, die die schönsten Früchte für Leben und 
Wissenschaft, für Heimat und Vaterland getragen haben. 

Die weitverzweigte Großindustriellenfamilie vom Rath stammt 
aus dem Bergischen Lande, wo sie bereits 1588 mit Grundbesitz 
ansässig erscheint. Dem Zuge der Zeit und seinem Unter- 
nehmungsgeiste folgend, widmete sich Joh. Jakob vom Rath dem 
Kaufmannstande und gründete um 1780 mit einem Grundkapital 
von 7000 Reichstalern ein Kolonialwarengeschäft in Duisburg. 
Dank seiner Rührigkeit entwickelte sich dieses so glänzend, 
daß er es nicht bloß durch Anlage einer Zichorien-, Tabak- und 
Seifenfabrik erweitern konnte, sondern auch in Gemeinschaft mit 
einem Freunde ein Kolonialwaren -Handelshaus in Köln und 
Schwelm unter der noch heute bestehenden Firma vom Rath & Bredt 

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zu begründen vermochte. Seine sieben strebsamen Söhne traten 
nach und nach alle in das väterliche Geschäft ein. Schon um 
die Mitte der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts legten sie in 
Duisburg, in Köln und in Würzburg Zuckerraffinerien an. Im 
Anschluß an das Etablissement in Würzburg gründeten sie kurz 
darauf in der Nähe auch eine Zuckerfabrik. Der Bau der letztern 
ist insofern von besonderer Bedeutung, als hier an die Stelle der 
bis dahin üblichen Verarbeitung von Kolonialzucker auf weiße Ware 
die damals noch wenig bekannte Herstellung von Rübenzucker trat. 

Die Rübenzuckerfabrikation ist ein Kind des deutschen Geistes. 
Schon 1747 entdeckte der Berliner Chemiker Marggraf auch in den 
Runkelrüben den im Zuckerrohr enthaltenen kristallisationsfähigen 
Süßstoff. Die praktische Anwendung der Erfindung machte erst ein 
halbes Jahrhundert später der geistvolle und unermüdliche Fr. Karl 
Achard auf seinem Gute Cunern in Niederschlesien durch Anlage 
einer in bescheidenen Verhältnissen gehaltenen Rohzuckerfabrik. 
Doch die Ungunst der Zeiten hinderte eine wirksame Pflege der 
neuen Industrie, und die entstandenen Fabriken gingen bald wieder 
ein. Auch im Rheinlande war während der französischen Herrschaft 
infolge der Kontinentalsperre an mehreren Orten unter staatlicher 
Leitung der Versuch gemacht worden, die Rübenzuckerfabrikation 
einzuführen; aber die Versuche waren nach 1815 wieder eingestellt 
worden. Eine der ersten Fabriken, die für die Wiederbelebung 
des jungen, volkswirtschaftlich so ungemein wertvollen Industrie- 
zweiges wirkte, war die der Gebrüder vom Rath in Würzburg. 
Wenn heute der Zucker, für dessen Rohmaterial einst Unsummen 
deutschen Geldes ins Ausland wanderten, aus einem kostspieligen 
Einfuhrgegenstande zu einem der ergiebigsten Ausfuhrartikel gewor- 
den ist, wenn Deutschland seit den achtziger Jahren des verflossenen 
Jahrhunderts den ersten Platz unter den Zuckerproduktionsländern 
Europas behauptet und das vor einem Jahrhundert nur den 
besser gestellten Klassen zugängliche Genußmittel sich im Laufe 
der Zeit in ein auch vom Volke verwendbares Nahrungsmittel 
verwandelt hat, so kommt an dieser für Volkswirtschaft und Volks- 
ernährung gleich segensreichen Entwicklung ein bedeutender 
Verdienstanteil auf Rechnung der Gebrüder vom Rath. Daß diese 
als Platz für die neue Anlage Würzburg wählten, hatte seinen 
Grund teils in zollpolitischen Rücksichten, teils in der bequemen 
Wasserstraße, die der Main bot. 

In Würzburg war es auch, wo KARL VOM RATH als Sohn seines 
gleichnamigen Vaters, des verdienten Leiters der dortigen Zucker- 

2Ö6 



fabrik, am 17. Oktober 1829 das Licht der Welt erblickte. Mit dem 
Vater, der 1842 nach Köln zog, um seine Brüder Jakob, Peter 
und Eduard in der Führung der Geschäfte der seit sieben Jahren 
bestehenden Kölner Zuckerfabrik zu unterstützen, kamen auch die 
Söhne Karl und Adolf dorthin und besuchten das Marzellen- 
gymnasium. Der jüngere ADOLF, der nur einige Jahre Schüler der 
Anstalt war, hat sich später als Finanzmann einen bedeutenden 
Namen erworben, besonders als Mitbegründer und langjähriger 
Vorsitzender des Aufsichtsrats der Deutschen Bank in Berlin, 
eines Instituts, das die Pflege der finanziellen Bedürfnisse des 
Deutschen Reiches und seines überseeischen Handels zu seiner 
Hauptaufgabe machte. Der ältere Bruder Karl gehörte unserm 
Gymnasium bis zum Abiturientenexamen an, widmete sich darauf 
dem Studium der Staalswissenschaften in Heidelberg und wurde 
im Anfange der fünfziger Jahre Teilhaber der Firma Gebrüder 
vom Rath in Köln. Durch Fleiß, Umsicht und Tatkraft zeichnete 
er sich bald so sehr aus, daß die Familie die Leitung eines 
geschäftlichen Riesenunternehmens in die Hand des kaum sechsund- 
zwanzigjährigen jungen Mannes zu legen wagte. Im Jahre 1851 
traten nämlich die Gebrüder vom Rath dem Gedanken nahe, ihre 
in der Raffinationsindustrie gesammelten reichen technischen und 
kaufmännischen Erfahrungen in einer Rübenzuckeranlage großen 
Stils zu verwerten und zu Koberwitz in Schlesien, dem Heimat- 
lande der deutschen Rübenzuckerindustrie, eine Fabrik auf breitester 
landwirtschaftlicher Basis zu begründen. Auch hier handelt es 
sich um ein Unternehmen von allgemeiner Bedeutung, da der 
Zuckerrübenbau, zumal bei rationellem Betrieb, für die Hebung 
des nationalen Wohlstandes von größtem Werte ist. Denn er 
zwingt zu intensivster Bodenkultur, führt zur Entfernung der 
Brache und Weide und liefert in den massenhaften Fabrikations- 
rückständen ein treffliches Viehfutter, das geeignet ist, auch eine 
rationelle Viehzucht in die Wege zu leiten. 

Den großen Gedanken der Gebrüder vom Rath in möglichst 
vollkommener Weise zu verwirklichen, war Karl vom Raths Lebens- 
werk, dem er fast ein halbes Jahrhundert alle seine Kraft 
gewidmet hat. Seit 1855 in Schlesien ansässig, erlernte er 
erstaunlich schnell die ihm bis dahin fremde Landwirtschaft und 
beherrschte sie bald vollständig. Sein unermüdlicher Fleiß, gepaart 
mit scharfem Blick und gründlicher Menschenkenntnis, brachte 
dem Unternehmen trotz anfänglicher großen Schwierigkeiten eine 
stetige Steigerung der Erträgnisse, und diese ermutigte wieder- 

17 267 



um zur Ausdehnung des Betriebes und zur Vergrößerung des 
Grundbesitzes. Während sich letzterer 1855 auf 3500 Morgen 
belief, stieg er bis zum Abschlüsse des Jahrhunderts auf mehr 
als 13600 Morgen, wozu noch 3000 Morgen Pachtland hinzukamen. 
Mit größter Aufmerksamkeit verfolgte vom Rath alle Erfindungen 
und Neuerungen in der Industrie wie in der Landwirtschaft und 
führte sie in seinen Betrieben ein, sobald er sie als wirkliche 
Verbesserungen erkannte. Auf landwirtschaftlichem Gebiete wirkte 
Koberwitz nach dem Urteile berufener Fachmänner geradezu vor- 
bildlich. Schon 1857 wurden hier die Rüben mit Maschinen 
gesät und bearbeitet, 1859 erschien die erste Dampfdreschmaschine, 
1872 der erste Dampfpflug, und zwar als erster in ganz Schlesien. 
Die Verbesserung der Verkehrsmittel, die vom Rath einrichtete 
oder veranlaßte, kam auch der Allgemeinheit zugute, insbesondere 
der Eisenbahnbau Breslau-Zobten, der wesentlich auf seine An- 
regung und unter Aufwendung reicher Mittel seinerseits ausgeführt 
wurde. Wie an sich selbst, so stellte vom Rath auch an seine 
Untergebenen hohe Anforderungen, war ihnen dafür aber auch 
in ihren Anliegen ein väterlich wohlwollender Berater und entgegen- 
kommender Helfer. Reiche Anerkennung seiner Verdienste spendete 
ihm ebenso die deutsche Zuckerindustrie, die seine freigebige 
Unterstützung ihrer wissenschaftlichen Entwicklung wohl zu 
würdigen wußte, wie auch die preußische Staatsregierung, die in 
ihm den bahnbrechenden Förderer eines bedeutsamen Industrie- 
zweiges und des nationalen Wohlstandes erblickte. In seinen letzten 
Lebensmonaten beschäftigte vom Rath die durch die Zeitverhält- 
nisse geforderte Vereinigung des die Interessen der ganzen Familie 
zusammenschließenden, ausgedehnten Grundbesitzes von nunmehr 
20000 Morgen mit dem benachbarten von Schoeller und Skene 
in Klettendorf. Karl vom Rath starb am 28. August 1904. Genau 
an seinem Begräbnistage, dem 1. September, trat die neue Gesell- 
schaft vom Rath, Schoeller & Skene ins Leben, die heute eine 
der größten zuckerindustriellen Unternehmungen Deutschlands ist. 
Im Gegensatze zu den Traditionen der Familie hat GERHARD 
VOM Rath als begeisterter Jünger der Wissenschaft seine Lebens- 
aufgabe erfüllt und sein Lebensglück gefunden. Geboren zu Duis- 
burg am 20. August 1830 als Zweitältester unter sieben Geschwistern, 
kam er im Knabenalter nach Köln, als sein Vater Joh. Peter vom 
Rath im Interesse des dortigen Geschäftes dahin übersiedelte. Im 
Elternhause herrschte ein herzliches Einvernehmen zwischen Vater, 
Mutter und Kindern und eine biedere Einfachheit, die wie ein 

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Vermächtnis sich auf letztere vererbt und sie durch das Leben be- 
gleitet hat. Nachdem Gerhard zwei Jahre lang bei dem evange- 
lischen Pfarrer von Haunsheim bei Dillingen a. d. Donau Vor- 
bereitungsunterricht genossen hatte — auch seine beiden jungem 
Brüder empfingen ihren ersten Unterricht im Hause dieses vor- 
trefflichen Pädagogen — , kam er 1843 an das Gymnasium an Mar- 
zellen zu Köln. Mit reichen Gaben des Verstandes und Gemütes, 
unersättlichem Wissensdurst und starker Willenskraft ausgerüstet, 
erzielte er hier glänzende Erfolge, um nach bestandener Reife- 
prüfung zunächst ein Semester in Bonn und ein zweites in Genf 
dem Studium der Mathematik, Astronomie und Geologie obzu- 
liegen. Eine große Fußwanderung durch die Alpen vom Mont 
Blanc bis nach Wien, die er Herbst 1849 unternahm, war wohl 
bestimmend für seinen Entschluß, Geologe zu werden, und bildete 
das Vorspiel seiner alljährlichen ausgedehnten Reisen, die der 
Wissenschaft wie der Literatur einen so reichen Ertrag gebracht haben. 
Nachdem er sodann seine naturwissenschaftlichen Studien in 
Bonn unter dem Astronomen Argelander, dem Chemiker Bischof 
und dem Mineralogen Nöggerath fortgesetzt hatte, bezog er Ostern 
1851 die Universität Berlin. Seine Strebsamkeit und Tüchtigkeit 
machten ihn bald zum Lieblingsschüler seiner Lehrer Magnus, 
Rummelsberg, Weiß und Gustav Rose. Zu letzterm, der ihn in 
die Kristallographie einführte, trat er in besonders nahe Bezieh- 
ungen: in seinem gastlichen Hause lernte er dessen Bruder, den 
Chemiker Heinrich Rose sowie die Koryphäen der Naturwissen- 
schaften, einen Poggendorf, Ehrenberg, L. v. Buch und Alexander 
v. Humboldt kennen. Am 9. Juli 1853 promovierte er auf Grund einer 
Dissertation über die Zusammensetzung des Wernerits, die Gustav 
Rose gewidmet ist. Mit seinen Eltern und Geschwistern machte 
er darauf eine äußerst lehr- und genußreiche neunmonatige Reise 
nach Italien. Der Winteraufenthalt in Rom diente dem Studium 
der italienischen Kunst und Sprache; im Frühjahr wandte er sich 
nach Neapel und Sizilien, das er mit seinem jungem Bruder und 
seinem Freunde Delius nach allen Richtungen durchstreifte. Nach 
seiner Heimkehr finden wir ihn bald wieder im Laboratorium 
Heinrich Roses mit mineralchemischen Untersuchungen beschäftigt, 
zu deren Förderung Reisen nach Schlesien und Böhmen dienen, 
und im August 1855 begleitet er Gustav Rose auf einer Forschungs- 
reise ins Riesengebirge. Ostern 1856 habilitierte er sich für Minera- 
logie und Geologie in Bonn, wurde daselbst am 3. Juli 1863 
außerordentlicher, am 13. April 1872 ordentlicher Professor der 



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genannten Fächer und am 16. Dezember 1872 als Nachfolger 
Nöggeraths Direktor des mineralogischen Museums in Poppeisdorf. 
Unvergängliche Verdienste hat er sich um die Entwicklung dieses 
Instituts erworben, dem er nicht bloß die vom Kultusministerium 
für 144000 M. angekaufte Krantzsche Mineraliensammlung von 
über 14000 Stufen zuzuwenden wußte, sondern auch seine eigenen 
Funde und Erwerbungen, die spolia opima seiner Reisen, in uneigen- 
nützigster Weise zum Geschenke machte. Unterdessen hatte sich 
vom Rath durch seine fruchtbringende akademische Lehrtätigkeit 
und noch mehr durch seine schriftstellerischen Leistungen in der 
Gelehrten weit einen hochgeachteten Namen erworben: zahlreiche 
gelehrte Gesellschaften und Akademieen fast aller Länder Europas 
sowie der Vereinigten Staaten und Argentiniens wählten ihn zu 
ihrem Mitgliede oder Ehrenmitgliede, und als 1873 durch den Tod 
seines Schwiegervaters Gustav Rose der Lehrstuhl für Mineralogie 
in Berlin erledigt war, wurde er, der schon damals als erster seines 
Faches galt, zum Nachfolger berufen, ohne jedoch diesem Rufe 
Folge zu leisten. Unterm 20. Januar 1879 verlieh ihm Se. Majestät 
der König den Rang und Titel eines Geheimen Bergrates. 

Je glänzender die Anerkennung war, die der Gelehrte fand, 
um so trüber gestaltete sich das Geschick, das den Gatten und 
Vater traf. Nur wenige Jahre nach dem Abschluß der Ehe (1858) 
wurde seine geist- und gemütvolle Gattin Marie Rose von einem 
Rückenmarkleiden befallen, das sich fortwährend steigerte und 
schließlich zu vollständiger Lähmung führte; seinen einzigen Sohn 
Hans, den Stolz und Liebling der Eltern und Verwandten, raffte 
im Alter von vierzehn Jahren eine tückische Diphtherie dahin 
(1874); sechs Jahre später erlag auch seine Gattin ihren zwanzig- 
jährigen schweren Leiden, und die Adoptivtochter folgte ihr bald ins 
Grab. Mochten aber auch diese furchtbaren Schläge vom Rath 
fast bis zur Verzweiflung niederschmettern, wenn sie sein Haupt 
trafen, immer richtete ihn wieder auf die Arbeit, die ihm Bedürfnis 
war, das Reisen, das ihm Zerstreuung verschaffte, und vorzüglich 
sein unerschütterliches Gottvertrauen, das in der täglichen Lektüre 
der hl. Schrift reiche Nahrung fand. Nur als sein Haus ganz ver- 
ödet war, schien sich dumpfe Resignation und tatenlose Lebens- 
müdigkeit über den schwergeprüften Mann lagern zu wollen: da 
brach zur Freude aller, die ihm nahestanden, 1883 ein neuer 
Lebensfrühling für ihn an durch seine Vermählung mit der geistes- 
verwandten Josephine Bouvier, die ihm von nun an bei seinen 
Arbeiten eine verständnisvolle Gehilfin, auf seinen Reisen eine 

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unverdrossene Begleiterin, in seiner Liebestätigkeit eine kluge 
Beraterin wurde. Frei von allen amtlichen Verpflichtungen und 
unter Hervorhebung ,, seiner langjährigen verdienstreichen Wirk- 
samkeit" zum Honorarprofessor ernannt, entschloß sich vom Rath 
nunmehr, ganz seinen wissenschaftlichen Neigungen, seiner Muße 
und seiner Gattin zu leben, und er verwirklichte diesen Entschluß 
durch den Antritt seiner größten, dreizehn Monate währenden Reise 
nach den Vereinigten Staaten und nach Mexiko. Eine lange Zeit 
ungetrübten Glückes schien dem noch vollkräftigen Gelehrten 
beschieden zu sein, da traf ihn ganz unerwartet, als er eben eine 
Reise nach dem Süden mit zunächst noch unbestimmtem Ziel 
angetreten hatte, am 21. April 1888 auf dem Bahnhofe in Coblenz 
ein Schlaganfall, der am 23. April seine Auflösung herbeiführte. 

vom Raths schriftstellerische Tätigkeit, die sich über ein 
ganzes Menschenalter erstreckt, hat einen seltenen Umfang: in 
dem der Gedächtnisrede von H. Laspeyres angehängten Verzeich- 
nis füllt die Aufzählung der Titel über dreißig Druckseiten. Die 
literarischen Arbeiten des Gelehrten bewegen sich teils auf den 
gemeinverständlichem Gebieten der Länder- und Völkerkunde und 
der Geologie, besonders des Vulkanismus, teils tragen sie einen 
streng wissenschaftlichen Charakter an sich. Erstere sind die 
unmittelbaren Früchte der Reisen, die er alljährlich in den Herbst-, 
zuweilen auch in den Osterferien durch alle Teile Deutschlands 
und Italiens, die Schweiz, Österreich-Ungarn, Siebenbürgen, Frank- 
reich, Skandinavien, Griechenland, Kleinasien, Syrien und Nord- 
amerika zu einem guten Teile zu Fuß unternommen hat. Für 
alles, was ihm auf diesen Streifzügen durch die Welt begegnete, 
hatte vom Rath ein offenes Auge, ein klares Verständnis und nicht 
selten ein zu warmes Mitgefühl. Ihn interessierten Natur und Kunst, 
Sprache und Religion, Geschichte und Sage, Charakter und Sitte, 
Volkswirtschaft und Politik. Was er beobachtete oder erlebte, 
wurde sofort im Tagebuch angemerkt, an den Rasttagen zu Briefen 
in die Heimat verarbeitet und nach der Rückkehr wissenschaft- 
lich ergänzt und sprachlich ausgefeilt. So kommt es, daß vom 
Raths Darstellung den Charakter der Frische und Unmittelbarkeit 
an sich trägt, und da er obendrein ein Meister der Schilderung 
zumal geologischer Verhältnisse und vulkanischer Erscheinungen 
ist, so fesseln seine Reisebilder jeden, der zu ihnen greift. ^) 

') Am meisten verdienen folgende populär-wissenschaftliche Werke vom 
Raths genannt zu werden: Ein Ausflug nach Calabrien 1871. Der Ätna. Vortrag 
zu Wetzlar 1872. Der Vesuv 1873. Geologische Reise nach Ungarn. Vortrag zu 

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Die streng wissenschaftlichen Arbeiten vom Raths liegen auf 
dem Gebiete der Mineralchemie, der Petrographie und der kristallo- 
graphischen Mineralogie. „Dieselben sind," wie einer seiner her- 
vorragendsten Fachgenossen schreibt, „so ungeheuer umfangreich 
und eigentlich alle so bedeutend, daß ich kaum weiß, auf welche 
ich die Aufmerksamkeit besonders richten sollte. Es sind fast alles 
musterhafte, klassische Arbeiten." Des hervorragendsten Rufes 
erfreuen sich seine Forschungen auf dem Gebiete der Kristallo- 
graphie, „auf welchem er die größten Erfolge zu verzeichnen hatte 
und wohl als der erste seiner Zeit angesehen werden muß". Eine 
ganz hervorragende Begabung brachte er für dieses Fach mit. 
Sein scharfes und durch den täglichen Gebrauch wunderbar 
geschärftes Auge, verbunden mit einem ausgezeichneten Formen- 
sinn, erkannte die seltensten Mineralien in ihrer ungewöhnlichsten 
Ausbildung, sein zuverlässiges Gedächtnis bewahrte aufs treueste 
die einmal empfangenen Eindrücke, und seine mathematische Ver- 
anlagung wies ihm den richtigen Weg für die Berechnung. So 
lieferte er u. a. glänzende Untersuchungen über Feldspate, Kalk- 
spat, Leucit, Humit, Quarz und den von ihm entdeckten Tridymit. 

Gerhard vom Rath war aber nicht bloß ein großer Gelehrter, 
sondern auch ein edler Mensch. Sein hellblickendes, blaues Auge 
spiegelte seine reine, für alles Wahre, Gute und Schöne begeisterte 
Seele wider. Wenn ihm Not und Elend begegneten, rührte Mitleid 
schnell sein weiches Herz und öffnete ihm die milde Hand; wohl- 
tun, und zwar im Verborgenen wohltun war ihm Bedürfnis. Doch 
auch in der Öffentlichkeit reden drei Stiftungen laut von seiner 
menschenfreundlichen Gesinnung. Als ihm sein blühender Sohn 
so jählings entrissen wurde, da schuf der tiefgebeugte Vater, um 
das Andenken an den früh Verblichenen in der Schule lebendig 
zu erhalten, am Kgl. Gymnasium zu Bonn eine Studienstiftung 
unter dem Namen Hans vom Rath-Stiftung. Selbst der Kinder 



Bonn 1876. Der Granit 1878. Naturwissenschaftliche Studien, Erinnerungen an 
die Pariser Weltausstellung 1879. Das Gold. Vortrag in Godesberg 1879. Reise 
durch einige Teile des österreichisch-ungarischen Staates 1879. Siebenbürgen, 
Reisebeobachtungen und Studien nach Vorträgen in Duisburg und Bonn 1880. 
Palästina und Libanon. Vortrag in Bonn 1881. Durch Italien und Griechenland 
nach dem heiligen Lande. Reisebriefe 1882. Reise auf der Insel Sardinien 1883/5. 
Geologische Briefe und Wahrnehmungen über Nordamerika 1884—1886. Arizona, 
Studien und Wahrnehmungen 1885 und 1888. Geographisch-geologische Blicke 
auf die Pacifischen Länder Nordamerikas 1885. Geologische Wahrnehmungen in 
Mexiko 1886 und in Griechenland. 1887. Pennsylvanien. Geschichtliche, natur- 
wissenschaftliche und soziale Skizzen 1888. 

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beraubt, gab er die Mittel her, um einer Anzahl von Söhnen 
gebildeter, aber unbemittelter Witwen in dem „Knabenheim" an 
der Baumschuler Allee in Bonn eine gute Erziehung zu verschaffen, 
und er ließ es sich nicht nehmen, selbst den Knaben von den 
Werken Gottes zu erzählen und ihnen Führer und Berater für ihre 
Lebenslaufbahn zu werden. Das bedeutende Vermögen, das ihm 
nach dem Tode seiner innig geliebten Mutter zufiel, vermochte 
seine höchst einfache Lebenshaltung nicht zu ändern, gemahnte 
ihn aber an die Arbeiter in den Zuckerfabriken seiner Eltern und 
Geschwister, die zur Erwerbung desselben wesentlich beigetragen 
hatten. So gründete der edle Menschenfreund unterm 24. März 1888 
mit einem Kapital von 450000 Mark die Arbeiteransiedelung 
„Wilhelmsruhe" an der Bonner- und Gerhard vom Rathstraße zu 
Köln-Arnoldshöhe in dankbarer Erinnerung an seinen Vater Joh. 
Peter vom Rath, Mitinhaber der Zuckerraffinerie Gebrüder vom 
Rath, und im Geiste der arbeiterfreundlichen Bestrebungen Kaiser 
Wilhelms I., „zu dem Zwecke, ordentlichen und fleißigen Arbeitern 
der Stadt Köln gegen billige Miete ein gesundes Familienheim 
zu schaffen, um dadurch zur sittlichen, geistigen und körperlichen 
Hebung des Arbeiterstandes beizutragen". In erster Linie sollte 
die Stiftung den Arbeitern des Rheinischen Aktien -Vereins für 
Zuckerfabrikation in Köln, in den das. väterliche Geschäft aufge- 
gangen war, zugute kommen, seit 1889 aber, wo der Sitz des 
genannten Unternehmens nach Dessau verlegt worden ist, kann 
jeder Kölner Arbeiter zum Genüsse der Stiftung gelangen. Diese 
selbst ist von der Witwe ihres Begründers der Stadt Köln übergeben 
worden. Schon im dritten Jahre, als der Ausbau der Kolonie noch 
lange nicht vollendet war, gewährte Wilhelmsruhe über 40 Arbeiter- 
familien mit etwa 200 Personen, von denen drei Viertel dem 
katholischen und ein Viertel dem evangelischen Bekenntnisse 
angehörten, ein ruhiges und gesundes Heim. Die Leistungsfähigkeit 
der Anlage vermehrt sich noch fortwährend, da satzungsgemäß 
alle Überschüsse zum Kapital geschlagen werden. Heute gewährt 
sie 400 Personen eine behagliche Unterkunft. 

Gleichzeitig mit Gerhard vom Rath besuchten noch zwei 
jüngere Brüder das Marzellengymnasium, ARTHUR, geboren am 
24. März 1832, und EMIL, geboren am 16. März 1833, beide zu 
Duisburg. Arthur war von 1845—49 Schüler der Anstalt. Im 
letztgenannten Jahre begab er sich als Eleve auf ein landwirt- 
schaftliches Gut im Kreise Herford. Zur Vollendung seiner land- 
wirtschaftlichen Ausbildung besuchte er die Akademie in Hohenheim 

263 



und war dann unter der Leitung des Oberamtmanns Rimpau, 
eines bedeutenden Landwirts, auf einem Gute in der Magdeburger 
Gegend praktisch tätig. In Genf hielt er sich noch ein halbes 
Jahr zur Vollendung seiner allgemeinen Ausbildung auf. Im Winter 
1854 — 55 trat er die Verwaltung eines seinem Vater gehörigen 
Gutes in der Nähe von Herford an und blieb dort bis zum Jahre 
1865. In diesem Jahre assoziierte er sich mit seinem Vetter Julius 
vom Rath zur Gründung einer Zuckerfabrik in Grevenbroich. 
Zwanzig Jahre widmete er sich dieser kaufmännischen Tätigkeit. 
Seinen Wohnsitz hatte er in dieser Zeit in Köln und lebte dort 
auch nach der Auflösung der Firma, die wegen des Todes seines 
Mitbeteiligten Julius vom Rath erfolgte, von den Geschäften 
zurückgezogen. 

Arthur vom Raths Interesse war schon neben seinen geschäft- 
lichen Unternehmungen mit besonderer Vorliebe kulturhistorischen 
und politischen Fragen zugewandt gewesen. Seine scharf aus- 
geprägte liberale Weltanschauung erfüllte ihn mit großer Begeiste- 
rung für Denk- und Gewissensfreiheit und mit starker Abneigung 
gegen religiöse Unduldsamkeit. Seit der Aufgabe seiner kauf- 
männischen Tätigkeit widmete er sich den genannten Bestrebun- 
gen mit verstärktem Eifer. Politisch betätigte sich vom Rath als 
eifriges Mitglied des rheinischen Zentralkomitees der national- 
liberalen Partei und als Begründer (1896) und Förderer der 
„Rheinischen Korrespondenz", die 1899 mit Hilfe der von ihm 
bereitgestellten Mittel in die „Deutschen Stimmen, Halbmonats- 
schrift für Vaterland und Denkfreiheit" umgewandelt wurde. Diese 
beiden Zeitschriften suchten nicht bloß dem nationalliberalen Ge- 
danken in den politischen Kämpfen der Gegenwart Geltung zu 
verschaffen, sondern behandelten auch soziale und kulturelle Fragen, 
wie die Frauenbildungsfrage, die Frage der Errichtung von Mädchen- 
gymnasien und sonstige Maßnahmen, die eine Verselbständigung des 
weiblichen Geschlechtes anzubahnen bestimmt sind. Allen diesen 
Bestrebungen brachte Arthur vom Rath das lebhafteste Interesse 
entgegen; er griff auch wohl selbst zur Feder, um sich in knappen 
und präzis formulierten Aufsätzen zur Sache zu äußern, so beson- 
ders zur Zeit des tollen, abergläubischen Treibens des Leon Taxil, 
dessen Schwindeleien 1897 entlarvt wurden. Aufs lebhafteste be- 
schäftigten ihn die Probleme der Inquisition und des Hexenwahns, 
zweier düstern Erscheinungen der Geschichte; mit Besorgnis 
erfüllte ihn der Gedanke, daß veraltete Vorstellungen dieser Art in 
der Gegenwart wieder aufleben möchten. Er sammelte eine um- 

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fangreiche und wertvolle Bibliothek mit vielen Inkunabeln und 
sonstigen seltenen Drucken, insbesondere über die genannten 
Wissensgebiete. Ein bleibendes Verdienst erwarb er sich dadurch, 
daß er den größten Teil dieser Sammlung der Bonner Universitäts- 
bibliothek durch Vermächtnis überwies und wissenschaftliche Ver- 
öffentlichungen aus den genannten Gebieten wie aus dem der 
rheinischen Geschichte zu wiederholten Malen wirksam unterstützte. 
Er starb zu Godesberg am 23. August 1901. 

Emil vom Rath wurde gleichzeitig mit seinenBrüdern Arthur und 
Gerhard 1 845 Schüler des Marzellengymnasiums, nachdem er vorher 
schon zwei Jahre auf dem Gymnasium in Zürich zugebracht hatte. 
Auch er verließ unsere Anstalt 1849 und begab sich zunächst nach 
Genf, wo er ein Jahr lang Vorlesungen an der Universität hörte, 
und zwar insbesondere auf mathematischem und naturwissen- 
schaftlichem Gebiete. In den Jahren 1850/51 besuchte er zu 
demselben Zwecke die Bonner Universität. Da von seinen Brüdern 
der älteste früh starb und die beiden andern nicht in das väter- 
liche Geschäft eintraten, so wandte er sich der kaufmännischen 
Tätigkeit zu und ging zunächst zu seiner praktischen Ausbildung 
für mehrere Jahre nach Frankreich und England. Nach seiner 
Rückkehr wurde er 1857 Teilhaber des väterlichen Geschäftes, das 
damals in die Firma vom Rath, Joest & Carstanjen umgewan- 
delt wurde, und hatte seitdem seinen Wohnsitz dauernd in Köln. 

Seine geschäftlichen Interessen konzentrierten sich auch in 
der Folgezeit vorwiegend auf die Zuckerindustrie. Emil vom Rath 
ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrats der schlesischen Gesell- 
schaft für Zuckerfabrikation vom Rath, Schoeller & Skene sowie 
des Rheinischen Aktienvereins für Zuckerfabrikation in Alten bei 
Dessau, der aus seinem väterlichen Geschäfte hervorgegangen ist. 
Achtunddreißig Jahre hindurch gehörte er auch dem Aufsichtsrate 
des Walz- und Hüttenwerkes Rote Erde bei Aachen an, und fünf- 
zehn Jahre hindurch war er Vorsitzender dieses Aufsichtsrats, bis 
das Werk 1905 mit der Gelsenkirchener Bergwerksgesellschaft 
verbunden wurde. Seitdem ist er als Aufsichtsrats- und Ausschuß- 
mitglied des letztgenannten großen Werkes tätig. Mit der Eisen- und 
Maschinenindustrie steht er ferner seit einem halben Jahrhundert 
als Aufsichtsratsmitglied der Karlsruher Maschinenfabrik in Ver- 
bindung. Er war auch Mitbegründer der im Jahre 1872 ins Leben 
getretenen Gesellschaft für Tauerei-Schleppschiffahrt, welche bis 
vor wenigen Jahren den Warengütertransport auf dem Rhein 
erheblich befördert hat. 



Neben dieser geschäftlichen Tätigkeit entwickelt Emil vom Rath 
seit mehr als einem Menschenalter eine aufopferungsvolle Tätigkeit 
im öffentlichen Leben. Seit 1876 ist er Stadtverordneter seiner 
zweiten Vaterstadt Köln, seit 1894 Mitglied des Provinzialland- 
tages als einer der Vertreter der Stadt Köln; er ist außerdem 
stellvertretendes Mitglied des Provinzialausschusses. In dem Kölner 
Stadtverordneten-Kollegium macht er sich als erfahrener und hoch- 
geschätzter Berater vorzugsweise in allen denjenigen Kommissionen 
verdient, deren Arbeiten das Finanz- und Verkehrswesen, die 
Kunst und Wissenschaft zum Gegenstande haben. Den Be- 
strebungen letzterer Art dient er aber nicht bloß mit feinem Urteil, 
sondern auch mit freigebiger Hand. Dem Historischen Archiv der 
Stadt Köln stellt er seit vielen Jahren die Mittel zur Remuneration 
jüngerer Hilfsarbeiter zur Verfügung. Stiftungen von ihm weisen 
sowohl das Kunstgewerbe- und Naturhistorische Museum wie auch 
das Wallraf-Richartz-Museum und das Historische Museum der 
Stadt auf. Die Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, jene 
Schöpfung G. von Mevissens, die sich die wissenschaftlich muster- 
gültige Herausgabe von Quellenschriften unserer rheinischen 
Geschichte zur Aufgabe gesetzt hat, verehrt in ihm ihren hoch- 
herzigen Mäzen. Die großen Veröffentlichungen dieser Gesellschaft 
über die romanischen und gotischen Wandmalereien der Rhein- 
provinz sind seiner tatkräftigen Hilfe in erster Linie zu danken. 
Der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz, 
zumal der Zweigverein Köln, hat seit seiner Begründung an ihm 
einen tatkräftigen und stets opferbereiten Förderer, und mancher 
junge rheinische Historiker weiß sich in den Ausbildungsjahren 
seiner Unterstützung zu erfreuen. Das in Köln 1902 von einem 
Verein begründete und 1908 von der Stadt übernommene Mädchen- 
gymnasium erfuhr von Anfang an seine verständnisvolle Förderung 
ebenso wie die im Jahre 1905 begründeten rechts- und staats- 
wissenschaftlichen Fortbildungskurse. Am 24. August 1905 traf 
Emil vom Rath einer der schmerzlichsten Schläge seines Lebens: 
er sah seinen geistvollen, einzigen Sohn Felix im Alter von kaum 
39 Jahren ins Grab sinken, einen Tonkünstler, von dem sein 
Freund, Professor Max Schillings, schreiben konnte: „Felix vom 
Raths Kompositionen geben Zeugnis von dem tiefen Ernst seiner 
Künstlernatur und bedeutendem Können. Die Kunst war ihm 
mehr als ein holdes Spiel, das über des Lebens Rätsel hinweg- 
täuschen sollte. Sein künstlerisches Wirken war zu kurz, als daß 
er zur vollen Reife des Schaffens hätte gelangen können. Sein 

266 



Bestes zu geben blieb ihm verwehrt; er hätte zweifellos in kleinen 
Formen Großes, ja Bleibendes geleistet; davon geben vor allem 
die Klavierstücke Zeugnis, die von unbestreitbarem Werte und 
weitester Verbreitung würdig sind." Der tiefgebeugte Vater ehrte 
das Andenken an den Heimgegangenen durch Begründung einer 
vom Bayerischen Kultusministerium verwalteten Stiftung zur För- 
derung talentvoller Künstler im Betrage von 100000 Mark. 

Emil vom Rath gehört sodann auch zu den ältesten und 
bedeutendsten Förderern unserer Anthropologischen Gesellschaft. 
Seine reichliche Unterstützung ermöglichte mehrere Grabungen 
zur Erforschung der Urzustände unserer rheinischen Heimat, den 
Ankauf der wertvollen paläolithischen Sammlung Hauser aus Les 
Eyzies in der Dordogne (Südfrankreich) und im Verein mit den 
Zuwendungen anderer Gönner die Begründung des Prähistorischen 
Museums im Bayenturm, dessen Saal I (Palaeolithikum, ältere 
Steinzeit) vollständig seiner Munifizenz zu verdanken ist. Die 
Anthropologische Gesellschaft ernannte ihn zu ihrem Ehrenmit- 
gliede, und das Prähistorische Museum ließ ihm zu Ehren eine 
Bronzetafel im Palaeolithikum-Saal anbringen. 

Allen diesen Verdiensten um die Erforschung der Geschichte 
und die Erhaltung der Kultur- und Kunstdenkmäler seiner rhei- 
nischen Heimat hat Geheimrat vom Rath im vorigen Jahre noch 
eines hinzugefügt, das seine wissenschaftliche Denkart besonders 
eigenartig zum Ausdruck bringt, durch Begründung einer Bib- 
liothekstiftung an der Universität Bonn. „In dem Bestreben," 
— so schreibt er selbst — ,,die Erforschung der Vergangenheit 
meiner rheinischen Heimat zu fördern und zugleich die Ver- 
schleppung wertvoller Schriftdenkmäler, die rheinischer Herkunft 
sind oder das Rheinland betreffen, nach Möglichkeit zu ver- 
hindern, aber auch um den Rückerwerb bereits nach auswärts 
gewanderter Handschriften, alter Drucke und wertvoller Werke 
rheinischen Ursprungs zu erleichtern, stelle ich hiermit der 
rheinischen Hochschule für ihre Universitätsbibliothek die Summe 
von dreißigtausend Mark zur Verfügung." Das Kapital soll 
zunächst zinsbringend angelegt und die Zinsen je nach dem 
Angebot und Bedarf entweder zur Ergänzung der Universitäts- 
bibliothek im Bereiche der rheinischen Geschichte verwandt oder 
zum Kapital geschlagen werden. „Um aber dem Rheinlande ein- 
zelne Handschriften, Wiegendrucke oder sonstige Werke größern 
Wertes zu erhalten, oder falls sich die Gelegenheit bieten sollte, 
eine ganze Bibliothek, deren Bestand den der Bonner Universitäts- 

267 



bibliothek in der genannten Richtung auf erwünsctite Weise er- 
gänzen würde, käuflich zu erwerben, kann auch das Kapital an- 
gegriffen, ja nötigenfalls aufgezehrt werden. In diesen Fällen ist 
ein mit Dreiviertelmehrheit gefaßter Beschluß des Stiftungs- 
vorstandes erforderlich, aber auch ausreichend." Diese „Dr. Emil 
vom Rathsche Stiftung" kommt in ebenso verständnisvoller wie 
hochherziger und nachahmenswürdiger Weise dem Bedürfnisse der 
Universitätsbibliothek entgegen, ältere Literaturdenkmäler zur 
Geschichte des Rheinlands, die sich noch nicht in ihrem Besitze 
befinden, und neuere derartige Werke, die außerhalb der Provinz 
erscheinen, an sich zu bringen und sich so zu einer Bibliotheca 
Rhenana auszubauen, eine Aufgabe, zu deren Lösung bei dem 
gewaltigen Anwachsen der wissenschaftlichen Tagesliteratur auf 
allen Gebieten die etatsmäßigen Mittel bei weitem nicht reichen. 
Bei so hervorragenden langjährigen Leistungen für das Ge- 
meinwohl und die Förderung von Kunst und Wissenschaft fand 
als wohlverdient jene hohe Auszeichnung freudigen Beifall, welche 
schon vor seiner letzten Stiftung die philosophische Fakultät der 
Rheinischen Friedrich-Wilhelnis-Universität Herrn Geheimen Kom- 
merzienrat Emil vom Rath dadurch verlieh, daß sie ihn unterm 
27. Oktober 1909 zum Doctor philosophiae honoris causa ernannte. 
Wenn ihn aber das Doktordiplom nicht bloß als „litterarum arti- 
umque protectorem praestantissimum", sondern auch als „virum 
tam munificum quam modestum" preist, so deutet es mit dem 
letzten Worte auf das schönste Blatt in dem Ehrenkranze, den 
Herr Dr. Emil vom Rath wie seine ganze Familie sich gewun- 
den hat. 



268 



Die Bauten des Gymnasium 
Tricoronatum. 

Von Regierungsbaumeister Dr.-Ing. HANS VoGTS in Köln. 

Die Verlegung des Marzeliengymnasiums in das neue Ge- 
bäude lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bauten, die bis- 
her dieser Anstalt während der vier Jahrhunderte ihrer 
wechselvoilen, rühmlichen Geschichte gedient haben. 

Die Nachrichten über die inzwischen abgebrochenen und ver- 
schwundenen ältesten Bauten des Gymnasiums ergeben ein nur 
unvollständiges Bild. Als der Bursa Cucana 1550 ihr bisheriges 
Heim auf dem Eigelstein (an Stelle des jetzigen Hauses Nr. 16, 
neben der ehemaligen Magdalenenkirche), das sie nur mietweise 
inne hatte, gekündigt wurde, verlegte sie ihr damaliger Regens 
Leichius in eine Häusergruppe auf der Nordseite der Maximinen- 
straße, die der Rat der Stadt von den Erben Holtz für 1000 Taler 
erwarb und der Burse zur Verfügung stellte, nicht ohne das Stadt- 
wappen als sein Hoheitszeichen über dem Tore anzubringen, wie dies 
seit alters bei den der Stadt gehörigen Bauten geschah. Nach den 
drei Kronen dieses Wappens führte die Burse seitdem den Namen 
Tricoronata oder Gymnasium Tricoronatum. Zur selben Zeit (1552) 
vergrößerte Leichius das Anwesen durch den Ankauf des Nebenhauses. 
Mit dem Gymnasium übernahmen die Jesuiten 1556 sein Heim, 
in das sie im folgenden Jahre ihren Einzug hielten, nachdem es 
durch den Rat und insbesondere auf Betreiben des Bürgermeisters 
Sudermann instandgesetzt worden war. Die Gesellschaft Jesu ver- 
größerte bald den Bau durch mehrere angrenzende Grundstücke; 
1558 erwarb sie für 1300 Taler das Haus Ruremond, 1563 für 
1400 Taler das Haus zur Lilie mit seinem Grashof und seiner 
Kemenate, 1568 ein anstoßendes Haus, das eingestürzt war und 
bei dem Einsturz das Gymnasialgebäude wesentlich beschädigt 
hatte, 1569 für 500 Taler das Haus zum heiligen Geist; das Haus 
zum Sternen fiel den Jesuiten 1574 durch das Vermächtnis ihres 
Wohltäters Johann von Linden zu. Die letztgenannten Häuser 
lagen nebeneinander auf der Johannisstraße (an Stelle der jetzigen 
Häuser Nr. 9 — 15) und stießen hinten an die Besitzung in der 
Maximinenstraße. 

Bei dem ständigen Wachsen der Schülerzahl waren die Er- 
weiterungen sehr notwendig. Sie brachten fortwährende Um- 
bauten mit sich. Der der hl. Maria geweihte Betsaal befand sich 

269 



zuerst über der Einfahrt; er war so eng, daß nicht alle Schüler 
zur täglichen Messe zugelassen werden konnten; die Vergrößerung 
durch Hinzunahme eines benachbarten Kamins, der den Platz für 
den Altar abgab, konnte nur wenig helfen. So mußte die stu- 
dierende Jugend in den folgenden Jahren von den Professoren 
zur Messe in die Kirche des nahegelegenen Maximinsklosters 
geführt werden. Eine geräumige Kapelle mit weiter Eingangshalle 




Grundriß des Erdgeschosses des städtischen Waisenhauses an der Maximinen- 
straße und Johannisstraße (des früheren Gymnasium Tricoronatumi aus dem 

18. Jahrliundert. 

wurde dann in dem Hause zum heiligen Geist in der Johannis- 
straße eingerichtet; mit dem Gymnasium war sie durch einen 
gedeckten Gang verbunden, der durch eine neben dem Hochaltar 
gelegene Tür in die Saalkirche führte. Hinter dem Altar, der sich 
an der Westseite befand, war eine kleine Sakristei angeordnet; zu 
seinen beiden Seiten lagen die Emporen für den Chor. Die 
Kirche war zwischen zwei den Jesuiten gehörigen Zinshäusern 
eingebaut und an der Straßenseite nach einer kleinen Skizze in 
der Kreuterschen Sammlung durch einen hohen Giebel und 
große Fenster ausgezeichnet. 



270 



Unsere Abbildung zeigt den Grundriß der Kirche und des 
Schulgebäudes zu einer Zeit, als die Jesuiten sie verlassen hatten, 
und ihr früheres Heim — wahrscheinlich mit nur geringen Än- 
derungen — zum Waisenhaus eingerichtet worden war. Nach diesem 
Plan befand sich links eine Durchfahrt zu dem Wirtschaftshofe, 
hinter dem ein großes Waschhaus lag; von der Torfahrt führte 
ein um einige Stufen höher gelegener Flur zu der hölzernen 
Wendeltreppe; nach der Straße zu lag ein Saal, an seiner Seite 
ein überwölbter Archivraum und ein Abort; das rechts gelegene 
Haus mit dem etwa in der Mitte befindlichen Eingangsflur und 
mit der Küche und dem Refektorium zu seinen Seiten mag das 
Wohnhaus der Ordensmitglieder gewesen sein. 

Die Einrichtung, die wir auf diesem Erdgeschoßgrundriß kennen 
lernen, wurde wahrscheinlich um 1563 und 1567 geschaffen ; damals 
wurden zwei neue „runde" Treppen ,,mit einem Kapeus" gebaut, 
über der Pforte zwei neue Fenster gebrochen, ein neues Dach 
errichtet, eine Stube für mehr als 200 Taler mit Holzgetäfel bekleidet, 
der Saal mit zwölf, die Kammer nach dem Hofe zu mit acht, 
zum Teil bemalten Glasfenstern versehen, drei schöne eiserne 
Öfen mit Kachelumkleidung gesetzt, für die Küche ein neuer Herd 
und ein Spüistein mit hölzerner Spülbank angeschafft, der Stein- 
weg (Hof) gepflastert, der bisherige Stall zum Waschhaus umge- 
wandelt. Auch der Garten erfuhr eine Neuanlage: es wurde 
Hopfen gepflanzt, durch eine Fachwerkwand der Baumgarten und 
durch eine schmale Tür der Weingarten von dem übrigen Gartenplatz 
geschieden. Der ganze Umbau kostete 1200 Taler; die Hand- 
werksmeister, deren sich die Jesuiten bedienten, waren der Stein- 
metz Wilhelm, der Zimmermann Johannes und sein Schwager, der 
Schnitzler Hans Meier auf der Hochpforte, der auch 1571—74 im 
Gymnasium Arbeiten lieferte, der Verfertiger der Wendeltreppe 
Hermann Rost, der Layendecker Heynrich, der Schlossermeister 
Jürgen — das neue Schloß an der Tür wird als besonders schön 
gerühmt — , ferner ein Kachelbäcker, ein Glaswörter und ein 
Maler. 

Aus dem Akkord des Zimmermeisters können wir entnehmen, 
daß die hofwärts gelegenen Zimmer Schlafkammern waren und 
daß im Obergeschoß (wahrscheinlich über dem Refektorium) wieder 
ein großer Saal lag. 

Diese Bauten der Jesuiten zwischen Maximinenstraße und 
Johannisstraße gingen ohne das Haus zur Lilie, das der Orden 
bereits 1587 wieder verkaufte, 1599 für 5000 Reichstaler in den 

271 




Besitz des Rats über, der das Waisenhaus hineinlegte, das hier 
bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit bHeb. 

Den Jesuiten war es bei dem großen Wachstum ihrer Anstalt 
dort inzwischen zu eng geworden; sie bereiteten sorgfältig die 
Erwerbung neuer, umfangreicherer Grundstücke vor, wobei sie 
anscheinend darauf bedacht waren, in der Nähe zu bleiben, wohl 
weil ihr Kollegium zunächst im alten Hause weiterbestehen bleiben 
mußte und nur die Verlegung der Schule beabsichtigt war, vielleicht 

aber auch mit Rück- 
sicht darauf, daß die 
Universität und die 
beiden anderen Köl- 
ner Gymnasien in 
derselben Stadtge- 
gend lagen, die wohl 
überhaupt als derMit- 
telpunkt der Geist- 
lichkeit in Köln gelten 
konnte. 1581 wurde 
dem Orden das CoUe- 
gium Swolgianum an 
der Marzellenstraße, 
das Heim der 1578 
gegründeten theolo- 
gischen Lehranstalt, 
von deren Stifter, dem 
Dechanten des An- 
dreasstifts Johannes 
SWOLGEN eingeräumt 
sowie 1582 mit päpstlicher Genehmigung das daneben gelegene 
Achatiuskloster, dieses auf Betreiben des Kardinals JOHANNES 
Gropper, der das durch inneren Zwist heruntergekommene Augus- 
tinerinnenkloster auflöste. Die Gesellschaft Jesu zahlte für das 
Swolgianum 4000, für das Klostergebäude 3000 Taler. Nachdem für 
das Xaverianische Konvikt für edelgeborene Jünglinge noch eine An- 
zahl Häuser hinzugekauft war, wurde das Gymnasium nach dem 6. Sep' 
tember 1582, dem Tage des Auszuges der Klosterfrauen, in die Mar- 
zellenstraße verlegt. Ein Plan des Stadtarchivs gibt die Lage und 
Größe der einzelnen von den Jesuiten erworbenen Grundstücke an. 
Die gotische Achatiuskirche, die im wesentlichen 1429 erbaut 
worden sein muß, erfuhr eine gründliche Instandsetzung und 




272 



Vergrößerung, wobei an drei Seiten Emporen angebracht wurden ; 
die nunmelir 100 Fuß lange und 50 Fuß breite, ,, schön verzeerte" 
Kirche wurde 1583 eingeweiht, worauf die über dem Portal 
angebrachte Jahreszahl hinwies. Für die Ausstattung arbeitete 
um 1595 der bedeutendste damalige Kölner Schreinermeister, 
Melchior von Rheydt, der Künstler der Rathausvertäfelungen, das 
Sakramentshäuschen und die Beichtstühle, sowie der vielbeschäf- 
tigte Maler Christian Bruin, der 1586 starb und für die Kirche 
eine Darstellung der Gereonslegende schuf. Als Architekt der 
Jesuiten wird um dieselbe Zeit ein Meister Gotschalk genannt, 
vielleicht der mehrerwähnte, bei den Steinmetzen eingeschriebene 
Bildhauer Gotschalk von den Steinen oder der 1594 als Vierund- 
vierziger der Zunft fungierende Gotschalk von Weinsberg. 

Zu dem Umbau des Kollegiengebäudes gab der Rat 100000 
Ziegelsteine und 100 Taler (1.593); 1599 wurde das neue Klassen- 
gebäude, das von den städtischen Würdeträgern und von den 
Spitzen der Geistlichkeit mit mehr als neunzig gemalten Fenster- 
scheiben geschmückt wurde, feierlich eröffnet. Von dieser Er- 
öffnung datiert ein besonderes Wachstum der Schülerzahl der 
Anstalt. 

Hauptsächlich durch die Freigebigkeit des Kölner Kurfürsten 
erhielten die Jesuiten bald auch große Grundstücke auf der gegen- 
übergelegenen Seite der Marzellenstraße, vor allem den Hubertus- 
hof mit seinem Garten, und schon hatten sie hier den Bau eines 
Kollegiums und einer prächtigeren und größeren Kirche begonnen, 
als in einer Nacht des Jahres 1621 das alte Achatiuskloster und 
seine Kirche mitsamt der Bibliothek der Anstalt in Flammen 
aufging und vollständig vernichtet wurde. Nun wurden die Neu- 
bauten beschleunigt und ein provisorischer Gottesdienst in der 
Stiftskirche von St. Andreas eingerichtet. Den Plan zu der neuen 
Kirche hatte der oberdeutsche, wahrscheinlich fränkische Meister 
Christoph Wamser geschaffen, welcher in den ersten Jahren des 
Baues selbst die Ausführung leitete; er war auch der Baumeister 
der Wiederherstellungsarbeiten und des neuen Turmbaues der 
St. Pantaleonskirche (1618 — 1620), wurde mehrfach vom Kölner 
Kurfürsten beschäftigt und siedelte 1619 von Köln nach Straßburg 
über, in dessen Nähe die Jesuitenkirche von Molsheim nicht ohne 
seinen Einfluß entstanden sein dürfte. Die Kölner Jesuitenkirche 
zeigt eine noch durchaus spätgotische Konstruktion und Raum- 
disposition in Verbindung mit den Schmuckformen und Gliederungen 
der Renaissancekunst. 

18 273 



Während die Kirche mit diesem interessanten Mischstil und 
das weitläufige Jesuitenl<loster, dessen Bau 1634 vollendet wurde, 
mit seinen Bogengängen um den Binnenhof, mit dem vertäfelten 
Refektorium und der prächtigen gewölbten Bibliothek noch bestehen, 
die Kirche bis heute als Gymnasialkirche der gegenüberliegenden 
Anstalt, sind wir über die alte Einrichtung dieser selbst wenig 
unterrichtet. Nur einzelne Anschaffungen und Verbesserungen 
gehen aus den Rechnungsbüchern der Jahre 1627 bis 1645 hervor, 
Reparaturen an Fenstern und Fußböden, eine Erneuerung der 
Treppe (1635), der Bau einer Heizung (Oktober 1645), Ausgaben 
für Leuchter, die Anbringung von größeren Bildern in den einzelnen 
Klassen, vor welchen die Schüler ihre Gebete verrichten sollten, 
die Besorgung anderer Bilder in Antwerpen (1636), vielleicht von 
Professorenporträts, die noch die heutige Aula schmücken. 

1629 wurden im Garten Denkmäler zu Ehren der Wohltäter 
der Anstalt aufgestellt (für 39 Reichstaler), mit gemalten Wappen- 
schildern und Emblemen, zu deren Kosten einzelne Schüler bei- 
trugen. 1633 wurde über dem Eingang der Aula eine Empore für 
den Musikerchor errichtet, 1636 der Eingang selbst erneuert. Aus 
allem geht hervor, daß die Ausstattung des Baues eine sorgfältige 
und schmucke war. Die Arbeiten lagen wahrscheinlich in der Hand 
des am 19. April 1654 gestorbenen Bruders VALENTIN BOLTZ, 
eines geschickten, aus Thüringen stammenden Schreiners und 
Baumeisters, und der von ihm zusammengebrachten und geleiteten 
Werkstatt, der auch die meisten Arbeiten in Kirche und Kloster 
zu entstammen scheinen, i) 

Doch auch die Neueinrichtung des Collegium Swolgianum 
genügte den Anforderungen wenig; es wird darüber geklagt, daß 
selbst die stärksten der als Lehrer verwandten Ordensherren 
selten, nachdem sie die unteren Klassen durchgemacht, noch 
in den oberen Dienste tun konnten; viele erlagen bei der 
Beschränktheit und Niedrigkeit der Schulzimmer, die oft über 
hundert Schüler zu fassen hatten, einem frühen Tode. Dem Übel- 
stande begegnete man durch Teilung der Klassen und durch die 
Aufführungeines neuen Gebäudes. Dieser Bau, der 1100 Reichs- 
taler kostete, wurde 1672 begonnen und 1674 vollendet und 



') Auch als der Regens des Gymnasiums mit den beiden tüchtigen 
Schreinermeistern Konrad Wolf und Johann Halver 1627 zur Vermeidung von 
Streitigkeiten mit der Kölner Zunft einen Vertrag abschloß, wurde ausdrücklich 
bestimmt, daß die Gesellen gemeinsam vom Regenten und den Meistern an- 
genommen und nur für die Jesuiten arbeiten sollten, so daß die oberste Leitung, 
die die beiden Meister hatten, vermutlich eine rein formale war. 

274 



feierlich eingeweiht; an ihn wurde 1684—85 für die drei unteren 
Klassen ein Flügel längs der Gartenmauer des Dominikaner- 
klosters gefügt, »vom Fundament bis zum Dach und seinem 
Glockentürmchen ein herrlicher Bau". Die Neubauten wurden 
veranlaßt durch den damaligen Regenten P. NIKOLAUS Elffen 
(t 1706), einen baufreudigen Mann; in seiner Zeit wurden dem 
Kollegiengebäude das schöne Hauptportal, eine Stiftung der 
Familie Pfingsthorn, ein neues Dach und ein neuer Giebel zum 
Gymnasium hin gegeben (1688 und 1689), ferner die Türme der 
Kirche vollendet (1689), die Kirche durch großartige Ausstattungs- 
stücke bereichert, sowie endlich die Ordenskirche in Bonn, ein 
Prachtwerk des Barockstils, gebaut. 

Die einzige Abbildung des 1672 begonnenen Baues liefert ein 
Kupferstich, der von der Hand des ALEXANDER VOETS, eines nicht 
eben sehr hervorragenden, um 1700 lebenden Kölner Künstlers, her- 
rührt; hier sehen wir im Hintergrund einen Ausschnitt aus dem Hof- 
flügel, der uns dessen Erdgeschoßfenster mit ihren Hausteingewän- 
den und die giebelbekrönte Tür kennen lehrt, Bauformen, die an das 
Pfingsthornsche Portal und vor allem an die abgebrochene Hof- 
mauer der alten Domdechanei an der Pfaffenpforte, einen Bau vom 
Jahre 1657, erinnern. Das Elffensche Gebäude erhob sich hinter 
einem großen, straßenwärts gelegenen Hofe von ungefähr derselben 
Ausdehnung, wie sie der Vorhof des jetzt noch stehenden Schul- 
hauses besitzt. Der Hof erhielt 1691 eine Pflasterung von schwarz- 
weißen Steinchen, die 1718 durch ein anderes Pflaster ersetzt wurde. 

In der Mitte des Vorhofs wurde 1696 ein Denkmal auf- 
gestellt, das die edelste Zierde der Anstalt sein sollte, eine 
Mariensäule von wechselvollem, reichem Aufbau, nach dem Ent- 
würfe und unter der Leitung des Bruders THOMAS ZoLSCHRElBER 
geschaffen. Dieser, 1628 geboren, trat 1655 in den Orden ein 
und starb 1701; der Nekrolog rühmt von ihm, daß er in ver- 
schiedenen Kunstzweigen, vor allem als Schlosser, ausgebildet und 
tätig gewesen. Vielleicht ging die Idee der Säule auf ein älteres 
Bild der Jungfrau Maria zurück, das im Gymnasium aufgehängt 
war zum Andenken daran, daß ihr Schutz den Bau bei dem ge- 
fahrvollen Brande vom 4. April 1644 vor der Zerstörung bewahrte.^) 

') Dagegen wird in den Jesuitenakten des Stadtarchivs von einer um 1624 
entstandenen Figur der Maria Immaculata nichts berichtet, deren Modell von der 
Hand des Bildhauers Jeremias Geißelbrunn nach Merlos Angabe der Kartäuser 
Engelbrecht Marx besessen haben soll. Wahrscheinlich handelt es sich um eine 
Verwechslung und bezog sich das anscheinend jetzt verschwundene Modell auf 
die Figur von 1696. 

18* 275 





Die Mariensäule wurde 1729 nach der Fertigstellung des 
westlichen Teiles der neuen Anstalt wieder auf dem alten Platze 
aufgestellt und 1730 um zwei Fuß erhöht; gleichzeitig wurden 
die Inschriften etwas geändert. 1768 wurde das Bildwerk, das 

durch die Winde be- 
schädigt war, für 40 
Imperialen 60 Albans- 
groschen wiederher- 
gestellt, vergoldet und 
bemalt. Während der 
Pranzosenherrschaft , 
vielleicht unter der 
Einwirkung der Revo- 
lutionsideen, wurde 
die Säule, die in- 
zwischen das Vorbild 
ähnlicher Denkmäler 
vor den Gymnasien 
in Aachen und Trier 
geworden war, zer- 
stört oderverschleppt, 
und der geringwer- 
tige Stich des Alexan- 
der Voets bringt uns 
allein ihr Bild zur An- 
schauung. 

Ausführlicher als 
der Stich lehrt uns die 
Beschreibung in den 
Jahrbüchern der Köl- 
ner Ordensgemeinde 
das Werk kennen. Der 
ganze Aufbau, aus 
Haustein geschaffen, 
war 35 Fuß hoch; 
die achteckige Basis 
hatte einen Umfang von 32 Fuß. Die Säule umgaben vier Engel 
mit Symbolen, die die Vorzüge der Jungfrau, ihren Mut, ihre 
Unschuld usw., veranschaulichen sollten, mit darauf bezüglichen 
lateinischen Sprüchen. In zwei Reihen waren an der Basis je vier 
Chronosticha angebracht; sie lauteten in der unteren Reihe: 



^BtasiS 



Mariensäule des Tricoronatum 
nach dem Stiche des Alexander Voets. 



276 



1. ViRGO DeIpara LabIs orIgInatae eXpers VbIae IVVentVtIs 

TRiCORONATAE MAGISTRA (1695). 

2. aVXILIatrIX Vera eanDeM qVaerentIs et InVoCantIs 
(aus Georgius Nicodemus; 1696). 

3. terra VIRGINALIS EX QVA NOVVS ET Vetere antIqVIor 
proCessIt aDaM (1696). 

4. haeC est parens VnIgenItI fILII DIgna DIgnI et sanCta 
SANCtI Vna VnIVs VnICa VnICI (1693). 

In der oberen Reihe: 

1. VenIte fILII et aVDIte haeC Mater noVa et eVa orate 

AVe et VoS SERVABIT A VaE (1696). 

2. frVstra qVaerIs In Corpore VIrgInIs MaCVLas serpentIs 

SVb pLantIs VIrgIMS CaLCatVs IaCet (1696). 

3. NoLI rooare qVare In aMpLeXV VIrgInIs est Infans 

SVB PLANTA IaCENS SERPENS VIRGO ISTA INFANTES LaCTAT SERPENTES 
CaLCat (1695). 

4. eXeste qVos sCabIosae Labes InfICIVnt tota pVLChra 

EST HAEC VIrGO NON PATItVr MaCVLaS (1696). 

Die Figur der Maria Immaculata selbst bildete die Krone 
des Denkmals; sie stand auf der Weltkugel und trat auf einen 
großen, sich windenden Drachen. Dieses Denkmal wurde von 
den Schülern beim Eintritt in die Lehranstalt durch ein Gebet 
begrüßt. 

Zu der schmucken Mariensäule trat 1718 eine weitere Zierde 
des Gymnasiums in der Figur des den Jesusknaben an der Hand 
führenden heiligen Joseph. 

Der schöne Elffensche Bau erlebte nach 54jährigem Bestehen 
dasselbe Schicksal wie ein Jahrhundert früher an der gleichen 
Stelle das Achatiuskloster; am 11. November 1727 brannte der 
Westflüge], der Mittelteil des Gebäudes, bis auf die Fundamente 
nieder; bei dem Brande stürzten das Dach und die Aula mit dem 
1700 eingerichteten italienischen Theater und mit allen gemalten 
Prospekten sowie die vier oberen Klassen ein und töteten fünf 
Menschen. 

Die Pläne für den gleich in Angriff genommenen Neubau 
lieferte der Paderborner Architekt Johann Konrad Schlaun, ein 
Angehöriger einer rheinisch-westfälischen, sehr verbreiteten Familie, 
aus der mehrere Mitglieder Schüler des Tricoronatum waren. 
Johann Konrad war 1694 bei Warburg geboren und seit 1719 im 
Dienste des Kurfürsten Clemens August, für den er den Entwurf 
zu dem großartigen Schloß in Brühl schuf und dessen Ausführung 

277 



bis 1728 leitete. Offenbar wurde er vom Bonner Hof dem Orden 
zugesandt und empfohlen; der Bau des Gymnasium Tricoronatum ist 
anscheinend die einzige große Aufgabe, die er in Köln zu lösen hatte, 
die letzte, die er vom Bonner Hof zugewiesen bekam. Später war 
Schlaun in Münster ansässig, in dessen Nähe er 1773 als hoher 
Offizier und als über Westfalen hinaus berühmter und viel zuge- 
zogener Architekt auf seinem eigenen Rittergut Rüschhaus starb. 





Das Gymnasium vor dem Umbau von 1831 nach der Zeichnung 
des Stadtbaumeisters J. P. Weyer. 

Schlaun hatte bereits 1715 für den Jesuitenorden Entwürfe 
geliefert, und zwar zu einem Kolleg und zu einer Ordenskirche 
in Büren i. W., die aber nicht ausgeführt wurden auf den Widerstand 
hin, den die Jesuiten selbst gegen die von Schlaun beabsichtigte 
Anordnung leisteten. Auch die Kölner Patres hatten an Schlauns 
Entwürfen vieles auszusetzen; Hartzheim beklagt es bitter, daß 
die Prüfung der Pläne allein durch den damaligen Rektor Johannes 
Wolff in Gemeinschaft mit dem Provinzial Dr. Hermann Wesseling 
in Paderborn erfolgte, ohne daß ein Mitglied des Kollegs zugezogen 
wurde. Die Patres glaubten, daß ein Westflügel mit drei Stockwerken 
oder bei Ausführung der beiden von Schlaun beabsichtigten Flügel 



278 



zwei Stockwerke genügten, daß die Aula mit der Bühne besser 
im Obergeschoß als unten läge, und daß die Treppen nicht breit 
und bequem genug würden. 

Haben die Kölner am Bauplan manches zu tadeln, so sind 
sie anderseits über die fleiljige und schnelle Bauausführung des 
Lobes voll. Grund zur Eile war vorhanden; denn die provisorische 
Unterbringung der verschiedenen Klassen, zum Teil in den stehen 
gebliebenen Teilen des alten Baues, zum Teil im Xaverianischen 
Konvikt und im Kollegiengebäude, bot Schwierigkeiten genug. 
Am 28. April 1728 begann der Wiederaufbau; Ostern 1729 war der 
Mittelteil bereits für zwei Klassen bezugsfähig; im November des- 
selben Jahres konnten außer der Aula schon sieben Klassen in 
Benutzung genommen werden. Und das, obwohl noch eine Er- 
schwerung des Baues durch einen langwierigen Prozeß mit dem 
rückwärts anstoßenden Dominikanerkloster eintrat, der vom Nuntius 
zu Ungunsten der Jesuiten entschieden wurde; diese durften ihre 
neue rückwärtige Mauer nicht an die Stelle der abgebrannten hart 
an der Grundstücksgrenze setzen, sondern mußten drei Fuß von 
ihr abbleiben. 

Der Neubau wurde ausgeführt von dem Stadtzimmermeister 
Jakob Burscheid, der 1729 eine sinnreiche Aufhängungskonstruktion 
für die weitgespannte Auladecke erfand und aufzeichnete; als 
Steinmetz war wahrscheinlich Meister Dechen beteiligt, der wenig- 
stens 1739 die Steinarbeiten für die Einfriedigung lieferte und der 
bei seinen anderen Bauten in der Stadt stark von Schlauns Stil 
beeinflußt erscheint. Lebhaften Anteil an dem Bau nahm der Rektor 
Johannes Wolff, der 1662 in Titz bei Jülich geboren wurde und 
1733 im Kölner Ordenshause starb. 

Fenstergewände und Treppensteine kamen von Andernach, die 
Schiefer für die Dachdeckung von Zell an der Mosel, das Bauholz 
von Mainz den Rhein herab. Für die Baumaterialien wurde vom 
Kurstaat und von der Stadt Zollfreiheit gewährt. 

Die Grundsteinlegung bot Gelegenheit zu einer würdigen Feier. 
Der Grundstein wurde in die Ecke zwischen dem West- und 
Nordflügel gelegt; er nahm eine lateinische Inschrift auf, die der 
Rektor selbst verfaßt hatte und die Hartzheim im Wortlaut über- 
liefert; sie erwähnt die Regierung des Papstes Benedikt XIII., des 
Kaisers Karl VI., des Kölner Kurfürsten Clemens August, den Namen 
des Nuntius Cajetan de Casa Croy, der stadtkölnischen Würden- 
träger Weidenfeld, von Krufft, von Groote, von Wedigh, von 
Herwegh, von Mylius, des Ordensgenerals Michael Angelus 

279 



Tamburinus, des Ordensprovinzials Wesseling und des Rektors 
selbst; angefügt sind ein Chronostichon, das auf den Brand Bezug 
nimmt und die Jahreszahlen 1727 und 1728 ergibt, sowie die 
Bildnisse der heiligen drei Könige und des heiligen Donatus. 

Aus Hartzheims Anmerkungen können wir entnehmen, daß 
zunächst nur zwei Flügel ausgeführt werden sollten, der neun- 
achsige Mittelteil des heutigen Gebäudes und der vierachsige 
nördliche Risalit. Vom heutigen Bau wich der ursprüngliche in- 
sofern ab, als die vier schlanken, mit ionischen Kapitalen geschmück- 
ten Pfeiler, welche die drei mittleren Fenster einfassen, nicht wie 
heute eine Attika trugen, sondern einen Segmentgiebel, der vielleicht 
einmal gleich den Giebeln anderer Kölner Barockbauten dieser 
Zeit ein Wappen oder ein Symbol enthielt, das während der 
Revolutionszeit zerstört worden sein mag; ferner wich der ursprüng- 
liche Bau dadurch ab, daß der nördliche Risalit weniger weit vortrat 
als der jetzige und im Erdgeschoß drei flachbogige Blenden 
enthielt, wie sie der Mittelteil noch heute zeigt, endlich durch das 
zierliche Türmchen mit seinem geschweiften Helm, das wie bei 
dem Elffenschen Bau den langen Dachfirst unterbrach und krönte. 
Wie der Nordrisalit ursprünglich oben ausgebildet war, ob er wie 
heute von einem geraden Giebel gekrönt wurde, geht aus den 
Plänen nicht hervor. 

Alles weist darauf hin, daß Schlaun ursprünglich im Sinne der 
Zeit einen streng symmetrischen Bau geplant hat und daß nach ihm 
ein Südrisalit gleich dem nördlichen gebaut werden sollte. Allein 
dieser wurde erst 1733 bis 1739 hergestellt und nur bis an den 
Fußboden des zweiten Obergeschosses hochgeführt; hier wurde 
er von einem Mansardendach abgeschlossen. Während im 19. Jahr- 
hundert der vordere Teil dieses Risalits dem nördlichen gleichgemacht 
wurde, blieb der rückwärtige Teil in seiner alten Gestalt bis heute 
bestehen. Hier war, wie man an der Rückseite noch sehen kann, 
das Hauptdach gerade abgeschnitten; die ganze Baugruppe muß 
also im 18. Jahrhundert einen durchaus unfertigen Eindruck gemacht 
haben, der auch von alten Reiseschriftstellern erwähnt wird. Das 
ist wohl auch der Grund, weshalb der Bau, dessen Plan doch 
durchaus dem Ideal der damaligen Baukunst entsprach, von seinen 
Zeitgenossen so wenig beachtet wurde und z. B. in Köln keine 
größere vorbildliche Wirkung ausübte. 

Eine reichere Gliederung und architektonischer Schmuck 
ist auf einige wenige Stellen konzentriert, auf die Mittelpartie 
mit ihren Pfeilern und mit den Blendbalustern unter den Fenster- 



280 



brüstungen und auf die beiden seitlichen Portale mit ihren zierlichen 
Oberlichtern und Giebelbekrönungen. Die ganze Bauweise läßt wie 
die der meisten damaligen Bauten am Niederrhein das Streben nach 
Sparsamkeit erkennen; so bestanden denn auch wie bei dem Elffen- 
schen Bau nur die Architekturteile und die Fenstergewände aus 
Haustein, während die Mauern aus Ziegelstein hergestellt und ver- 
putzt wurden. 

Der Grundriß ist sehr einfach. Der Mittelteil enthält im Erd- 
geschoß einen großen Saal von 25 m Länge und I2Y2 m Breite, 
der an einer Langseite mit sieben großen Fenstern versehen ist, 
die Aula; zu beiden Seiten führen ziemlich schmale, zweiläufige 
Steintreppen in die Obergeschosse, welche die Klassenzimmer 
enthalten, und in den großen Speicherraum. Im Nordrisalit, der 
im Erdgeschoß ebenfalls nur einen Saal, die heutige Turnhalle, 
enthielt, befanden sich die beiden oberen Klassen, während in 
dem Südflügel, der an das Xaverianische Konvikt anstieß und mit 
ihm sowie mit dem Musikerseminar durch Türen verbunden war, 
die Schlußfeiern stattfanden und er zu diesem Zwecke im Erd- 
geschoß ein genügend großes und für die Mitwirker bequem ein- 
gerichtetes Theater besaß. Im Obergeschoß lag die Physica, nach 
der der Südflügel den Namen erhielt. 

Von der alten Ausstattung des Gebäudes ist nicht viel erhalten. 
Die Aula hat zwar noch die großartige Raumwirkung, die ihr 
Schlaun gab, dagegen dürften die Stuckdekorationen an Wänden 
und Decke in ihrer jetzigen Form neue Schöpfungen sein, die 
bei den vielfachen Wiederherstellungen im 19. Jahrhundert, viel- 
leicht nicht ohne Anlehnung an alte Reste, entstanden sind. Von 
den älteren Bauten wurden die meisten der Brustbilder über- 
nommen, welche die Aula an beiden Langseiten schmücken, zum 
Teil gute und charakteristische Porträts berühmter Kölner Jesuiten 
und Kartäuser sowie des um den Orden verdienten Kardinals 
Gropper und der gelehrten Geschichtsschreiber Johannes und 
Aegidius Gelenius, zweier aus Kempen stammender Brüder, die 
einflußreiche geistliche Stellungen bekleideten; an künstlerischem 
Wert werden sie von den beiden großen Gemälden übertroffen, 
die im heutigen Konferenzzimmer hangen und wohl Kessel und 
Rhetius, die ersten Regenten der Jesuitenanstalt, in ganzer Figur 
darstellen. Den Porträts der Aula schließen sich einige ähnliche in 
der Bibliothek an, darunter ein Brustbild des mit Rhetius befreun- 
deten Kartäusers Surius und das des Grafen Tilly (1559 — 1632). 
Dieser, der Sproß eines belgischen Adelsgeschlechtes, war wahr- 

281 



scheinlich zwischen den Jahren 1570 und 1583 Schüler der 
Kölner Jesuiten gewesen; sein Bild trägt die Umschrift: „Joannes 
Tserclaes comes de Tilli S. C. Mai. generalis locum tenens aeris 
campani basilicae Coloniensis soc. Jesu victoriosus donator" und 
wurde zum Danke für das Geschenk des Feldherrn der Liga nach 
der Einnahme von Magdeburg (1631) aufgehängt, übrigens ein 
ganz handwerksmäßiges Machwerk. Erwähnenswert von der heuti- 
gen Ausstattung des Gymnasialgebäudes ist noch der aus der 

Mitte des 18. Jahr- 
hunderts stammende, 
breite, mit zierlichem 
Schnitzwerk und Intar- 
sien versehene Tisch 
im Konferenzzimmer, 
ein Musterbeispiel des 
Kunstgewerbes der Ro- 
kokozeit. 

Das Schönste an 
dem Gebäude war der 
Abschluß, den der Vor- 
hof in den Jahren 1733 
—1737 nach der Straße 
zu erhielt; erwurde von 
einem steinernen Sok- 
kel und einem reichen 
schmiedeeisernen Git- 
ter gebildet, das zwi- 
schen schlanken Stein- 
pfeilern angebrachtwar 
und enthielt ein Mittel- 
tor und zwei seitliche 
Tore. Der Annalist des 
Ordens fügt der Nachricht von der Entstehung dieses Gitters mit 
Stolz den kurzen Satz bei: 

Similis in tota hac urbe non videtur. 
Nach der Abbildung bei v. Bianco, Die alte Universität Köln 
(vgl. Abb. S. 1 1) ist es allerdings ein Meisterwerk der Schmiedekunst, 
gleichwertig den berühmten Toren der Würzburger Residenz und 
anderen bekannten Kunstwerken dieser Art. Besonderes Leben 
verlieh ihm die leichte Schweifung in der Mitte nach der Innen- 
seite zu, die das Mitteltor noch mehr hervorhob. Der Verfertiger 




Porträt des Grafen Tilly 
nach dem im Gymnasium befindlichen Gemälde. 



282 



des Gitters ist der sonst in Köln nicht erwähnte Schlossermeister 
Heinrich Harz, der dafür 3372 Reichstaler 27 Alb. 4 Heller empfing; 
mit Einschluß des Steinwerks, das Meister Dechen lieferte, kostete 
die Einfriedigung 3535 Reichstaler. Das Gitter, das aus sechs 
gleichen Feldern, den drei zweiflügligen Toren und ihren besonders 
reichen geschweiften Bekrönungen bestand, wog insgesamt 
19965 Pfund, wobei auf jedes Feld 1552—1639 Pfund, auf die 
Seitentore rund 2600 Pfund, auf das Mitteltor 3850 Pfund, auf die 
Seitenbekrönungen je 235 Pfund, auf die Mittelbekrönung 
285 Pfund entfielen. Das ganze Werk maß in der Länge 
113 Fuß. 

Die sechs die Tore einfassenden Pfeiler erhielten in den fol- 
genden Jahren einen schönen Schmuck durch steinerne Statuen. 

1741 wurde am Nordtor die elf Fuß hohe Figur des heiligen 
Michael aufgestellt, nach dem Entwürfe des tüchtigen Kölner 
Bildhauers Helmont, dessen große Arbeiten wir noch in den 
Kirchen St. Andreas, St. Kolumba und St. Johannes Baptist finden. 

1742 folgen die Bildwerke des hl. Aloysius und des hl. Stanislaus 
auf den beiden Pfeilern des Mitteltors, die beiden noch erhaltenen, 
jetzt vor der Kirche stehenden Figuren, deren Bildhauer nicht 
erwähnt ist, die aber dem Stil nach ebenfalls Helmonts Wirksam- 
keit zuzuzählen sein werden. 1753 wird das Südtor mit den 
Statuen der hl. Ursula und der hl. Katharina geschmückt, die 
Alexander Imhoff, ein Schüler des wohl inzwischen verstorbenen 
Helmont, geschaffen, ein Nachbar der Jesuiten auf der Marzellen- 
straße; er erhielt dafür 166 Reichstaler 8 Alb. Eine sechste Figur 
wird nicht genannt. 

Der Abschluß mit seinen Kunstwerken wurde in den dreißiger oder 
vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts verkauft, das herrliche Gitter als 
altes Eisen. Nach der Überlieferung wurde es mit einigen Erneuerun- 
gen und Änderungen vor dem Landsitze der Familie Wendelstadt in 
Godesberg aufgestellt; man wird aber die Richtigkeit dieser Über- 
lieferung wohl anzweifeln dürfen, da sich das Wendelstadtsche 
Gitter von dem auf der Biancoschen Abbildung dargestellten durch 
seine geringere Höhe, durch die Zahl der Felder und durch die 
andere Form der Schweifung unterscheidet. Vielleicht rührt es 
nicht vom Gymnasium her, sondern aus dem Jesuitenkolleg, wo 
man bei der Neubepflanzung des Gartens im französischen 
Geschmack (1753) einen ähnlichen Abschluß schuf. Von dem 
schönen Gitter des Gymnasiums selbst fehlt jede sichere Spur; 
man ersetzte es durch einen kunstlosen, aus eisernen Stangen 

283 



bestehenden Abschluß, der ein beredter Ausdruck für die nüch- 
terne Sparsamkeit und Verstandesmäßigkeit der Zeit seiner Ent- 
stehung ist. 

Mit dem Abschlußgitter wurde der Vorhof noch eines weiteren 
Schmuckes beraubt, der nicht weniger zu dem malerischen Bilde 
der Straße gehörte, der beiden herrlichen alten Kastanienbäume, 
die sich mit ihren Kronen fast berührten und zur Zeit der Blüte 
einen wundervollen Anblick gewährt haben müssen. Wir wollen 
die Hoffnung aussprechen, daß bei der Erhaltung des Gebäudes 
das alte Bild, wenn auch nicht in dem ehemaligen Reichtum der 
Formen, doch noch einmal wiederersteht 

Im Jahre 1773 wurde der Jesuitenorden aufgehoben; die Anstalt 
aber bestand in den Händen der bisherigen Lehrer bis zum An- 
bruch der französischen Herrschaft fort. Während der mannig- 
fachen Wandlungen, die der Schulbetrieb im Laufe der nächsten 
zwanzig Jahre erfuhr, ist von durchgreifenden Erneuerungen nicht 
die Rede. An diese ging man erst im Jahre 1828, und zwar war 
es der Stadtbaumeister J. P. Weyer, ein geborener Kölner, der sie 
leitete und dem Gebäude im wesentlichen die heutige Gestalt und 
Innendisposition gab. Er traf die oben bereits erwähnten Änderungen 
und baute den Südrisalit aus — sein Entwurf vom Jahre 1831 mit 
der Einzeichnung des früheren Zustandes wird im Historischen 
Museum in der Eigelsteintorburg aufbewahrt. Dabei erhielten die 
beiden Risalite vier Fensterachsen statt der bisherigen drei. Im all- 
gemeinen verstand es Weyer, ein Freund und Kenner alter Kölner 
Kunst, sich dem Geiste des alten Baues anzupassen; sein Umbau 
gab, wie das Gymnasialprogramm von 1828 hervorhebt, der Anstalt 
erst ein einheitliches Aussehen. 

Bald darauf war eine abermalige Erneuerung nötig, da der 
Bau in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1845 eine gefährliche 
Feuersbrunst zu bestehen hatte, die im ersten Obergeschoß ent- 
stand, die naturwissenschaftliche Sammlung bedrohte und besonders 
den schönen und großen Prüfungssaal schädigte. Nach der Er- 
neuerung in den Jahren 1845/46 ging man an den Bau der fünf 
Lehrerwohnungen an den Dominikanern, die eine nüchterne und 
wenig freundliche Bauart zeigen, sowie an die Einrichtung des 
Prüfungssaales zur Aula für Schüleraufführungen und Ansprachen. 
Vorübergehend hatte die Aula auch die Bibliothek aufzunehmen. 
Mehrfach wurden neue Klassenräume nötig, die u. a. 1866/67 
durch eine Teilung des Gesangsaals erzielt wurden. Eine letzte 
große Instandsetzung, besonders der Aula, erfolgte 1894. 

284 



Wenn jetzt das Gymnasium das von Stadtbauinspektor Bolte 
entworfene und unter seiner Leitung ausgeführte moderne Schui- 
gebäude zwischen Türmchenswall und Dagobertstraße bezieht, das 
dem immer mehr fühlbaren Raummangel der alten Baulichkeiten 
Abhilfe schafft, so wird der Wunsch lebendig, dass das der Stadt Köln 
gehörende alte Haus mit seiner typischen, einfach-klaren und wir- 
kungsvollen Bauart erhalten bleiben möge als ein steinernes Doku- 
ment stadtkölnischer Geschichte ; ist doch die Geschichte der Anstalt, 
die es während fast zweier Jahrhunderte beherbergte, mit der der Stadt 
eng verwoben. Wertvoll wäre die Erhaltung des Gebäudes aber 
auch für das Straßenbild, da von dem Vorhofe aus die macht- 
volle Fassade der Kirche und der anstoßenden alten Jesuitenbauten 
am schönsten zur Geltung kommt und der stille Platz mit seinem 
grünen Laub in der nahe am Hauptbahnhof gelegenen engen 
Strafie mit ihrem unruhigen Verkehr besonders erfreulich wirkt. 
Vor allem werden den Wunsch, daß der Bau erhalten bleibe, die 
ehemaligen Schüler der ehrwürdigen Anstalt hegen, die in ihrer 
Erinnerung mit der Schule selbst auch deren altes Gebäude lieb- 
gewonnen haben. 

Literatur. 

A.Handschriften: Kölner Stadtarchiv: Urkunde Nr. 162. — Jesuiten- 
akten: Nr. 9, 12, 15. 44, 47, 61, 298. — Universitätsakten: Nr. 599, 685, 687, 692. 
— Schreinsbuch: Nr. 259. — Zunftabteilung: Nr. 31, 123, 178. — Geistliche 
Abteilung: Nr. 204 (Annalen von St. Pantaleon). — Plankammer: Nr. 253. — 
Kreutersche Sammlung: Tafel 39. — Alfftersche Sammlung: Band 44 und 47. 

B. Druckwerke: Braun, Georg, Novi collegii theologici descriptio, 

Köln 1578. — Braun, Josef, Die Kirchenbauten der deutschen Jesuiten, Ergänzungs- 
hefte der Stimmen aus Maria-Laach 99/100, Freiburg 1908. — Groote, Geschichte 
des Kölner Waisenhauses. — Hartmann, Heinrich, Joh. Konrad Schlaun, 
Münstersche Dissertation, 1909. — Höhlbaum u. Lau, Das Buch Weinsberg, 
Bonn 1897/98. — Keußen, H., Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, 
Köln 1910. — Krudewig, in den Mitteilungen aus dem Kölner Stadtarchiv, 
Band 31 u.33. — v. Mehring-Reischert, Die Erzbischöfe und Bischöfe von Köln, 
Köln 1842/44. — Merlo, J. J., Kölnische Künstler in alter und neuer Zeit, 
Düsseldorf 1895. — Milz, Geschichte des Gymnasiums an Marzellen, Gymnasial- 
programme, 1886 ff. — Rahtgens, in der Zeitschrift des Vereins für Denkmals- 
pflege und Heimatschutz, 5. Jahrgang, 1. Heft (Kölner Heft), S. 64 ff. — • 
Villermont, Tilly ou la guerre de trente ans. — Vogts, Hans, Das Kölner 
Wohnhaus bis zum 19. Jahrhundert (noch nicht veröffentlicht). — Weyer, J. P., 
Kölns Aufschwung seit der Aufnahme in das Preußische Reich, Köln 1852. 



28.^ 



VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN. 

Seite 

Aula des Marzellengymnasiums nach Photographie 6 

Katholisches Gymnasium zu Köln 1836 nach einem Kupferstich bei v. Bianco, 

Universität Köln 11 

Zwei Siegel des Gymnasium Tricoronatum 13 

Philipp Jakob Ditges nach Photographie 18 

Heinrich Milz „ „ 19 

Martin Wetzel „ „ 20 

Georg Wesener ,, „ 21 

Bild und Lebensbeschreibung des J. Velsius aus Pantaleons Heldenbuch ■ 27 

Johannes Rethius nach einem Kupferstich von 1657 37 

Leonard Kessel in der Vision nach einem Kupferstich 39 

Heinrich Sudermann nach einem Kupferstich im Hahnentor 41 

Justus Lipsius nach Ant. van Dyck 58 

Justus Lipsius mit Hugo Grotius und den Gebrüdern Rubens nach P. P. Rubens 68 

Georg Braun aus Hartzheims Bibl. Col. 75 

Titelblatt der Annales Trevirenses von Brower und Masen 90 

Christoph Brower nach einem Gemälde in der Aula des Marz.-Gymn. 91 

Jacob Masen „ „ „ „ „ „ „ „ „ 98 

Cornelius a Lapide „ ,, „ „ ,, „ „ „ „ 108 

Friedrich Spee ., „ „ ,, „ „ , 113 

Herm. Jos. von Hartzheim ,, „ „ ,, „ „ „ „ ,, 140 
Ferdinand Franz Wallraf nach einem Gemälde von B. Beckenkamp 1812 • • 148 
Alte astronomische Instrumente in der physikalischen Sammlung des Marzellen- 
gymnasiums 150 

Friedrich Schlegel, Kupferstich nach Zeichnung von A. Buttlar 159 

Karl Friedr. Aug. Grashof nach einem Gemälde von Otto Grashof • • • 161 

Georg Simon Ohm 165 

Ohms Galvanometer 167 

Wilhelm Smets Lithographie nach Zeichnung von J. C. Baum 173 

Johann Kreuser nach Photographie 186 

Theodor Schwann nach dem Porträt bei F. Bosch, Gesch. der Zellenlehre • 197 

Eduard Heis nach Photographie 206 

Christ. Herm, Voscn nach Photographie 215 

Adolf Kolping nach einem Kupferstich von F. Keller 226 

Oberlehrer Schaltenbrand nach Photographie 233 

Professor Zons „ „ 233 

Karl Schurz nach seinem Porträt im Besitze der „Frankonia" in Bonn • • 235 

Karl, Gerhard, Arthur und Emil vom Rath nach Photographieen 255 

Grundriß des Erdgeschosses des Gymnasium Tricoronatum an der Maximinen- 
straße nach einem Plan des 18. Jahrhs. im Stadtarchiv 270 

Johannes Swolgen nach einem Gemälde im Eigelsteintor 272 

Mariensäule des Tricoronatum nach dem Stiche des Alex. Voets 276 

Das Gymnasium vor dem Umbau von 1831 nach Zeichnung von J. P. Weyer • 278 

Porträt des Grafen Tilly nach einem Gemälde im Gymnasium 282 



INHALT. 

Seite 

Vorwort 3 

Vorbericht des Herausgebers 7 

Zur Geschichte des Marzellengymnasiutns 11 

Jacobus Leichius und Justus Velsius 22 

Johannes Rethius 37 

Justus Lipsius 58 

Georg Braun 75 

Christoph Brower und Jacob Masen 91 

Cornelius a Lapide 108 

Friedrich Spee 113 

Paulus Aler 123 

Hermann Joseph von Hartzheim 140 

Ferdinand Franz Wallraf 148 

Ohm, der große Physiker 165 

Wilhelm Smets 173 

Professor Johann Kreuser 186 

Theodor Schwann 197 

Eduard Heis 206 

Religionslehrer Dr. Christian Hermann Vosen und Gesellenvater 

Adolf Kolping 215 

Karl Schurz 234 

Die Familie vom Rath 254 

Die Bauten des Gymnasium Tricoronatum 269 



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